Geschichte des Weins und der Trinkgelage

Ein Beitrag zur allgemeinen Kultur- und Sittengeschichte, nach den besten Quellen verarbeitet und populär dargestellt für das deutsche Volk.
Autor: Schultze, Rudolf Dr. (?), Erscheinungsjahr: 1867
Themenbereiche
Enthaltene Themen: Trinken, Zechlust, Berauschung, Geschmack, Wein, Rebenfrucht, Bier, Weinkultur, Weinstock, Veredlung, Bacchus, Trunkenheit, Gastfreundschaft, Geselligkeit, Verbrüderung, Rebenbehandlung, Weinbereitung, Kellerwissenschaft
Wer nicht liebt Wein, Weib und Gesang.
Der bleibt ein Narr sein Leben lang.


Ob Semiten, Griechen, Romanen oder Germanen, es scheint, dass alle in gleicher Weise den Wein und das Trinken in gleicher Weise verherrlichen und preisen. Und dennoch, wenn man näher zuseiht und die Geschichte fragt, ist doch ein gewaltiger Unterschied, wenn wir die südlichen und nördlichen Völker unterscheiden. So ganz unrecht hat darum Montesquieu nicht, wenn er sagt: „In der ganzen Welt steht das Laster der Trunkenheit mit der Kälte und Feuchtigkeit des Klimas in geradem Verhältnis. Reist man vom Äquator nach dem Nordpol, so findet man jenes Laster immer häufiger, und vom Äquator nach dem Süden ist der Fall derselbe. Diesem häßlichen Worte Laster wollen wir zunächst ein schönes Wort des Fürsten Bismarck entgegenstellen, der einmal bei Gelegenheit eines Frühschoppens gesagt hat, es sei eine alte Erfahrung, daß die Anschauungen immer milder würden, je mehr man im Leibe Ja, wie Goethe sagt: der Trinkende blickt Gott frischer ins Angesicht. — Im Tatsächlichen aber hat Montesquieu recht; und was er sagt, hat seinen guten Grund. (Er hätte nur nicht das Wort Laster gebrauchen sollen). Je weiter nämlich nach Norden, in kalten und feuchten Ländern bedarf der Mensch um so mehr Erfrischung und Stärkung der Kräfte starker Getränke. Die Natur, das Klima verlangt es geradezu. Darum trinkt man in England, in Petersburg, ja schon in Hamburg und Bremen gern und ohne Nachteil weit stärkere Weine und stärkeren Grog und schwerere Biere als in südlicheren Gegenden. Der an schwere Stoffe gewöhnte Engländer schüttelt sich, wenn ihm auf dem Festlande ein echtes Glas milden Rheinweins vorgesetzt wird; und ihm steht es fest, er sei Fälschern in die Hände gefallen.

Ja, allerdings waren auch Griechen und Römer zu Zeiten tüchtige Trinker. Davon zeugen die Bacchanalien; und Sokrates zeigt sich in Platos herrlichen Symposien als ein Meister auch im Trinken. Die Römer tranken bei festlichen Gelagen wohl drei Becher auf die Grazien, neun auf die Musen, oder auf die Buchstabenzahl eines beliebten namens z. B. sechs für Caesar.

Die eigentliche Heimat des Trinkens, des vielen Trinkens um seiner selbst Willen, ist jedoch unser deutsches Vaterland nebst anderen germanischen Ländern, besonders der Schweiz, England, den Niederlanden. Und den Höhepunkt solchen Trinkens bilden das 15., 16., und 17. Jahrhundert. usw.

(Auszug aus Herman Schraders, im Jahre 1890 erschienenen Buch: „Das Trinken in mehr als fünfhundert Gleichnissen und Redensarten.“)

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Das Wasser der Bäche und Brunnen war das erste Getränk, wie jeder Tiergattung, so auch des Genus „homo“. Wenn es letzterem nur daran läge, seinen Durst zu löschen, so würde ihm die verbreitetste, einfachste und natürlichste aller Flüssigkeiten für ewige Zeiten völlig genügt haben. Allein der Mensch ist das einzige Tier, welches nicht nur aus Durst, sondern aus gar vielen andern Motiven, oft ohne den geringsten Durst, trinkt. Niemals hat er die weise Mäßigkeitslehre des Propheten Konfuzius befolgt, der da meinte, daß grober Reis als Speise und Wasser als Trank und der gekrümmte Arm als Polster ausreichten zum irdischen Glück. Dagegen preisen wir es als ein Glück, daß der Mensch durch die zunehmende Tätigkeit und Ausbildung seines Geistes mit der Zeit aus den von Gott geschaffenen Naturgegenständen sich selbst auf künstliche Weise andre Getränke zu bereiten vermochte, welche, wie er mit Freuden entdeckte, ihn nicht nur psychisch mehr erquickten, sondern auch physisch mehr stärkten, als das pure Wasser.



Es ist in der Natur des Menschen begründet, daß er nach einem Reizungsmittel verlangt; zumal bei vegetabilischer Nahrung und anstrengender Körperarbeit vermag er nicht den Wiederersatz der verbrauchten Stoffe durch Wasser zu bewerkstelligen. Wir finden daher, daß fast alle Völker der Erde sich aus irgend einem tierischen oder pflanzlichen Produkt ein alkoholhaltiges, berauschendes Getränk bereiten, mag dies nun Branntwein, Gin, Cognac oder Aguardente, Traubenwein, Palmwein, Reiswein oder Lotuswein, Towak, Kumis, Araka oder Pulque, Met, Ale, Porter oder Lagerbier etc. heißen. Besonders sind die Völkerschaften Asiens, denen der Koran den Weingenuss verbietet, im höchsten Grade erfinderisch in stark berauschenden Flüssigkeiten; eigentümlicher Weise ist nämlich ihr alleiniger und beständiger Zweck beim Trinken die Berauschung selbst, während die zivilisierten Europäer um des geselligen Beisammenseins willen trinken und zechen, den Rausch aber, wenigstens den höhern Grad desselben, mehr nur als unvermeidliche Folge des Vieltrinkens sich gefallen lassen und gewissermaßen als ein notwendiges Übel betrachten. Wenn die Asiaten heimlich Wein trinken, so trinken sie nur die feurigsten Sorten, welche rasch berauschen; solchen aber, die dies nicht tun, ziehen sie bei Weitem ihre andern künstlichen Getränke vor. Überhaupt haben sie durch die lange Gewöhnung an letztere, sowie an Opium, Kaffe, Tee und liqueurartige parfümierte Weine allmählich den Geschmack an reinem Wein verloren, welchen die Indianer in Amerika andrerseits noch nicht gewinnen können. Dieselben ziehen selbst in den Distrikten, wo Wein gebaut wird, leider noch immer das Feuerwasser diesem Getränk vor, jenes Gift, durch welches die weißen Milchgesichter zu ihrer eignen untilgbaren Schande jene mit kraftvollem Körper und herrlichen Geistesanlagen ausgestatteten Naturvölker systematisch ruinierten. Die Ureinwohner Afrikas, die Negerstämme, lernten gar keinen Wein kennen, sondern blieben zu allen Zeiten bei dem gleichaltrigen Bruder desselben, dem Palmwein. Wie sie überhaupt keine Zivilisation annahmen, so traten sie auch nicht in irgend eine nachweisbare Verbindung mit der Weinkultur, da diese ja in ihrer Ausbreitung von Ost nach West denselben Strich bezeichnet, wie die allgemeine Kultur des Menschengeschlechts.



Unter den berauschenden Getränken ist es allein der aus dem Saft der Rebenfrucht durch Gährung entstehende Wein, dessen Geschichte uns hier beschäftigen soll. Die Pflege der Rebe und die Bereitung des Weins beginnen weit vor aller historischen Zeit, wie überhaupt der Anbau der Kulturgewächse nicht weniger als die Zähmung der Haustiere jenseits der Grenzen der Geschichte aller Völker, selbst der Chinesen und Japaner, liegt. Wo nur immer im Altertum ein Volk auftaucht und wann auch seine Geschichte beginnen mag, fast immer beobachten wir, daß es eben zu dieser Zeit das älteste und verbreitetste aller künstlichen Getränke bereits kennt. Die Weinkultur schreitet jeder andern Pflanzenkultur voraus, und der Mensch, welcher seine Werkzeuge noch aus gehauenen Kieselsteinen bildete, konnte schon die edle Rebe anbauen. Wie wir im Verlauf der folgenden Blätter sehen werden, preist die Geschichte die ersten Pfleger der Rebe unter den Wohltätern der Menschheit und den Verbreitern der Bildung; im Mittelalter war sogar Urban, der Schutzpatron des Weinbaus, ein Heiliger, obwohl ihn der Wein zu den höchsten Gräueln hinriss; im protestantischen Württemberg steht er heute allein noch unter allen Heiligen in Ansehen; sein Fest wird an dem ihm geweihten 25. Mai gefeiert, besonders in Stuttgart, wo sein aus einer Rebe geschnitztes und reich geschmücktes Bildnis als Pokal präsidiert. Vom vielen Trinken zog man sich St. Urbans Plag zu, welches der volkstümliche Ausdruck für Podagra war. Den Alten galt der Wein für ein Geschenk der Unsterblichen; wie Ceres das Getreide spendete, so Bacchus den Wein, Isis und Osiris schützten den Weinbau der Ägypter; nach der asiatischen Mythe priesen die Chaldäer als wohltätigen Weingott den Xeisuthros und die Inder ihren Prithu oder Man-Sotti-Wrata. Andrerseits finden wir, daß, wo nur immer ein hervorragender Mann sich um die Erweckung menschlicher Kultur verdient machte, er es instinktmäßig auch für die des Weins tat; sei es ein Herakles Ipoktonos bei den Erythräern, oder ein Mose bei den Hebräern, welcher sich durch die Beförderung des Weinbaus und den gesetzlichen Schutz, den er ihm angedeihen ließ, ein bleibendes Verdienst um die Menschheit erwarb; oder ein Alexander, der mit seiner griechischen Bildung den Weinstock in das heiße Babylonien brachte; oder endlich ein Karl IV., der ihn mit seiner italischen Aufklärung in das kalte Böhmen verpflanzte.

Weintrauben

Weintrauben

Im Barrique-Keller *)

Im Barrique-Keller *)