Die Hebräer

Der Weinstock erreicht in Palästina die Größe eines Baums und bildete von jeher einen vorzüglichen Segen dieses Landes. Der Reisende Schulz genoss auf dem Libanon, wie er in seinem Tagebuch vom 7.August 1754 schreibt, das Abendessen unter einem Weinstock, dessen Stamm ungefähr 30 Fuß hoch war und 14 Fuß im Durchmesser hatte, und welcher mit seinen Zweigen eine 50 Fuß breite und ebenso lange Hütte bedeckte. Solcher Weinstock kann von Geschlecht zu Geschlecht durch mehr als ein Jahrtausend erhalten werden. Das frische Grün der großen, breiten Blätter gewährt seinen erquickenden Schatten nicht, wie bei uns, nur auf einige Monate, sondern fast das ganze Jahr. Der liebliche Duft der Blüten, der feinste aller Blumengerüche, welcher bei uns nur wenige Tage lang ergötzt, währt dort das halbe Jahr hindurch; denn an einem fleißig gepflegten Stocke findet man vom März bis zum Juli Blüten und vom Juni bis in den Dezember reife Trauben, welche ein Gewicht von 10 bis 12, ja zuweilen bis 20 Pfund erreichen, und deren Beeren etwa die Größe unserer Zwetschgen haben. Wenn daher 4. Mose 13, 24 von den zwölf Kundschaftern, die aus der Wüste gesendet waren, um das Land Kanaan zu besehen, gesagt wird, daß sie am Bach Eskol eine Weintraube abschnitten, welche zwei Männer auf einem Stecken tragen mußten, so ist dies keineswegs unglaublich, obwohl von mehreren Schriftstellern angenommen wird, daß jene riesige Traube kein Produkt der Rebe, sondern einer von jenen traubenartigen Fruchtbündeln der Banane, Musa paradisiaca, war, die allerdings eine erstaunliche Größe und Schwere erlangen und noch jetzt in südlichen Gegenden, wie Verfasser selbst häufig sah, von zwei Männern an einem Stock getragen werden. Wir überlassen es unserm lieben Leser, ob er sich für letztre Annahme entscheiden oder streng am Wortlaut der Bibel halten will.



In einem so herrlichen Klima, wie demjenigen des gelobten Landes, bedurfte die Pflege des Weinstocks wahrlich keiner anstrengenden Arbeit; er brauchte nur von Zeit zu Zeit beschnitten zu werden, um die köstlichsten Früchte zu tragen; man zog ihn aber nicht an Stangen und Pfählen, sondern, wie in den andern südlichen Ländern, an Pappeln, Linden, Ulmen, Terebinthen, Tamarisken usw. Daß zur Zeit der Eroberung Kanaans durch die Israeliten der Weinstock schon in wirklichen Weinbergen kultiviert ward, beweist unter andern die Stelle 4. Mose 21, 22, wo der jüdische Gesetzgeber dem König der Amoriter beim Durchmarsch des Volks durch dessen Land die strengste Kriegszucht zu halten verspricht, indem er sagt: „Wir wollen nicht weichen in die Äcker noch in die Weingärten.“ Jakob verhieß seinem Sohn Juda ein Erbteil voller Weinberge, wo man die Esel an die Reben binden und die Kleider im Traubenblut waschen würde. Naboths Weinberg bei Jesreel ist durch das traurige Ende seines Besitzers und durch die Bosheit Achabs bis auf den heutigen Tag bekannt. Jesajas bedauert bei der Zerstörung Moabs auch die Verwüstung der herrlichen Weinberge bei Sibma, Hebron und Jaëser. Es gab Weinberge von solchem Umfang, daß man sich darin verirren konnte; denn unter den zehn Sätzen, die Josua den Kindern Israels bei der Eintheilung des Landes gab, lautet der neunte: „Einer, der sich in Weinbergen verirrt, kann ungestraft durch die Reben gehen und sich durch Wegreißen derselben einen Weg bahnen.“ Christus nahm oft Gelegenheit, seine Jünger und Zuhörer durch Gleichnisse vom Weinberg zu belehren, und das alte wie das neue Testament sind reich an allegorischen Stellen, die sich auf den Weinstock selbst und den Kelterungsprozess beziehen. Das Hohelied Salomos enthält in seiner lebendigen, bilderreichen Phantasie, die den Juden so eigentümlich war, manche feurige, selbst übertriebene Erhebung des Weinstocks, des Geruchs seiner Blüten und des Weins. Das größte Lob aber, welches dem Wein in den wenigsten Worten überhaupt gegeben werden kann, gibt ihm Sirach 31, 33 durch die einfache Frage: „Was ist das Leben, da kein Wein ist?“ Welchen Wert das auserwählte Volk Gottes auf den Weinstock legte, geht auch aus 1. Könige 4, 25 hervor, wo zum Lob der Regierung Salomos speziell bemerkt wird, daß in Juda und Israel Jeder unter seinem Weinstock und Feigenbaum sicher wohne, von Dan bis gen Bersaba. Salomo legte zu Baal-Hamon im Norden vom Libanon einen Weinberg an, der so reichliche und köstliche Früchte trug, daß je 1.000 Stöcke 1000 Silberlinge eintrugen, Hohelied 8, 11 ff., Jesaias 7, 23; und den Arbeitern und Zimmerleuten, die beim Tempelbau auf dem Libanon beschäftigt waren, gab Salomo 20.000 Bath Wein, etwa gleich 2000 Orhoft, nach 2. Chroniea 2, 10.



Wie wir schon oben bemerkten, ist das gelobte Land von Einigen nicht nur als die Wiege des Menschengeschlechts, sondern zugleich als die Wiege des Weinbaus angesehen. Wenn Noah nach der Sündflut, die 1656 nach Erschaffung der Welt geendet haben soll, den ersten Wein anpflanzte, und wenn im Jahre 1866 nach Chr. die Welt 5815 Jahre steht, so hat die Weinkultur jetzt im Ganzen ein Alter von 4159 Jahren. Wer sie für zehnmal so alt hält, ist freilich auch nicht zu widerlegen; denn leider entbehrt jene bequeme Rechnung jeder wissenschaftlichen Begründung. Wahrscheinlicher ist es, daß das Vaterland der Rebe in Mingrelien und Georgien und in den Gegenden zwischen Kaukasus, Ararat und Taurus zu suchen sei, weil sie dort in außerordentlicher Menge überall wild in den Wäldern wächst. Die Bewohner des Libanon aber zeigen noch jetzt dem Fremden in einem Teil ihres Gebirges den von Noah angelegten ersten Weinberg, und selbst der frommste Muselmann verschmäht nicht, den Wein dieses Weinberges zur Erinnerung an seinen Begründer zu trinken. Ob Noah auch schon Wein bereitete, ist ebenfalls ungewiss; seine erste Trunkenheit kann durch den kräftigen Most so vorzüglicher Trauben ebenso leicht veranlaßt worden sein, als einige Jahrhunderte später die Trunkenheit des Lot, welcher auf seiner eiligen Flucht aus dem brennenden Sodom schwerlich ausgegorenen Wein für den Bedarf eines langen auswärtigen Aufenthalts mit sich führte und in den ebenso milden Gegenden des benachbarten Zufluchtsortes Zoar auch ebenso köstliche Trauben vorfand. Der alte König von Jerusalem Melchisedek ließ dem siegreichen Abraham Brod und Wein reichen, 1. Mose 14, 18, und Abraham brachte Jehovah Brot und Wein als Dankopfer dar. In den kirchlichen Anordnungen des Mose wird wiederholt beim Gottesdienst Wein zum Dankopfer bestimmt und dadurch gewissermaßen als die edelste Gabe Gottes anerkannt.

In Betreff der Weinkultur selbst gab Mose verschiedene Gesetze, die um so mehr interessieren, als sie zugleich die ersten sind, welche die Rechte des Grundeigentums bei einem Volk bestimmen, das kaum aus dem Nomadenleben herausgetreten war. Einige derselben, namentlich die Erlaubnis, in einem fremden Weinberg sich Trauben zur Erquickung schneiden zu dürfen, sowie das Gebot an die Weinbergbesitzer, ihren Weinberg nicht zu pedantisch zu lesen, noch die abgefallenen Beeren aufzusammeln, sondern sie Armen und Fremdlingen zur Afterlese zu lassen, atmen so milde und liberale Grundsatze, daß sich einzelne dieser Verordnungen in einigen Ländern bis heute erhalten haben. (Volz, Beiträge zur Kulturgesch. Leipzig, 1852. S. 53). Auch für den Praktischen Weinbau gab Mose nützliche Gesetze, so heißt es S. Mose 22, 9: „Du sollst deinen Weinberg nicht mit mancherlei besäen, daß du nicht zur Fülle heiligest solchen Samen, den du gesät hast, neben dem Einkommen des Weinberges.“ Der Gesetzgeber wollte dadurch der Doppelbenutzung des Bodens vorbeugen, welche eigentlich niemals stattfinden soll, aber doch selbst in echten Weinländern gar nicht selten vorkommt. So ist es auf Madeira eine allgemein übliche Sitte, Kohl, Rüben und andre Gemüse zwischen den Reben anzupflanzen.

Die besten Weinsorten der alten Juden wuchsen in Cölesyrien, im Tal Eskol und in der Gegend von Engeddi. Die Weinlese dauerte vom September bis November und war ein allgemeines Fest der Freude und der Dankbarkeit gegen das höchste Wesen, wie sie solches zu allen Zeiten und bei allen Nationen gewesen ist. Wer verweilte nicht gern im Geist beim Vater Rhein, wenn auf seinen Rebenhügeln Freudenfeuer die dunkle Nacht erhellen, Raketen hoch in die Lüfte steigen, ein tausendstimmiger Jubel von Jung und Alt erschallt und eine ländliche Musik das lustige Winzervolk zum Tanz einladet? Welch ein großartiges Nationalist ist nicht die Weinlese in der Hegyallya? und unter demselben Jubel des Volks, wie heute am Rhein und an der Theiß, wurden schon vor Jahrtausenden am Jordan und Euphrat die Trauben geschnitten.



Den Most füllte man teils in Schläuche oder in irdene Krüge und ließ ihn gären, teils kochte man ihn zu Sirup ein, oder suchte durch Beimischung von Gewürzen ihn stärker und schmackhafter zu machen. In diesen Gebräuchen scheinen alle weinbautreibenden Völker des Altertums einander vollkommen zu gleichen; wir finden fast genau dieselben Prozesse des Kelterns, Aufbewahrens, Mischens und Parfümierens in den Bildwerken der Ägypter und in der heiligen Schrift, in den Epen des Homer und in den Satiren des Horaz.

Daß auch Tauschhandel mit Wein gegen andere Waren stattfand, wird durch Hesekiel 27, 18 bestätigt. So wurde noch im vorigen Jahrhundert auf Madeira vielfach Tauschhandel mit Wein getrieben, zumal dann wenn auf der Insel eine starke Nachfrage nach Zeug, Wäsche, Toilettengegenständen und Lebensmitteln war. Der Engländer Atkins kaufte daselbst 1720 eine ganze Pipe Wein (etwa 600 Flaschen) für zwei vertragene Hemden und eine andere für drei Perücken, die er ebenfalls eine Reihe von Jahren gebraucht hatte.

Trotzdem daß Palästina seit den Zeiten der alten Hebräer vielen verheerenden Kriegen ausgesetzt war und noch jetzt der muhamedanischen Herrschaft unterworfen ist, hat doch der Weinbau daselbst gegenwärtig solche Ausdehnung, daß jährlich mehr als 300 Kamellasten Rosinen und Dibs, d.i. Weinbeermus oder Weinsirup, von Hebron nach Ägypten gehen. Jerusalemer Wein finden wir sogar in den Gasthöfen einiger Städte Deutschlands, wenigstens gedruckt auf der Weinkarte, z. B. in Augsburg; er heißt auch Patriarchenwein nach dem in Jerusalem residierenden Patriarchen. Seit 1864 baut ein dort wohnender Deutscher, der Hausvater des syrischen Waisenhauses, von seiner württembergischen Heimat her mit der Weinkultur wohlbekannt, einen besonders köstlichen Jerusalemswein von goldgelber Farbe. (Ausland, 1865. Nr. 8). So ist es wiederum der Deutsche, dieses höchst kosmopolitische Geschöpf, welcher sich in den fernsten Ländern auch um die Weinkultur verdient macht, in Neu-Holland nicht weniger als in Griechenland und Südrussland, und in Jerusalem so gut wie in Kalifornien.






Dieses Kapitel ist Teil des Buches Geschichte des Weins und der Trinkgelage