19. Fruchtlose Versuche zur Unterdrückung der nationalen Trunksucht

Fruchtlose Versuche zur Unterdrückung der nationalen Trunksucht und die Ursachen ihrer endlichen Abnahme.



Gab es in frühern Zeiten auch keine ausgebreiteten Mäßigkeitsvereine, so suchten doch einzelne erleuchtete Männer der verderblichen Trunksucht des Volks durch Schrift und Wort entgegenzuarbeiten. Winsbeke warnt seinen Sohn in einem Lehrgedicht (9. Strophe):


La dich niht ubergen den win
Den solt niht ze huse laden, das din
Viende niht spotte din.


Burkhard von Worms sagt in seinem Beichtspiegel: „Wer sich bis zum Vomiren vollgetrunken, soll 15 Tage in Brod und Wasser büßen.“ Einige Ärzte suchten vom diätetischen Standpunkt aus das Vieltrinken zu verwerfen; Mathias Friedrich, Geiler von Kaisersberg und Andre schrieben Bücher gegen den Saufteufel, Sebastian Frank sagt in seinem Weltspiegel vom deutschen Volk: „Dazu säuft es unchristenlich zu, Wein, Bier und was es hat.“ Luther, nach seinem bekannten Wahlspruch kein Verächter des Weins, wohl aber des unmäßigen Trinkens, donnert in der Erklärung des 101. Psalms mit seiner gewöhnlichen Gradheit folgendermaßen: „Es muß ein jeglich Land seinen eigenen Teufel haben, Wälschland seinen, Frankreich seinen; unser deutsche Teufel wird ein guter Weinschlauch sein und muß Sauff heißen, daß er so durstig und hellich ist, der mit so großem Saufen Weins und Biers nicht kann gekühlet werden, und wird solcher, fürcht', ich, ewig Deutschlands Plage bleiben bis an den jüngsten Tag, Es haben gewehrt Prediger mit Gottes Wort, Herrschaften mit Verbot, der Adel, etliche selbst unter einander mit Verpflichten; es haben gewähret und währen noch täglich große gräuliche Schaden, Schande, Mord und alles Unglück, so an Leib und Seele geschehen, für Augen, die uns billig sollten abschrecken; aber der Sauff bleibt ein allmächtiger Abgott bei uns Deutschen und thut wie das Meer und die Wassersucht. Das Meer wird nicht voll von so viel Wassern, die drein fließen, die Wassersucht wird vom Trinken durstiger und ärger.“ Doch es half auch nichts, daß man „das schädliche und schändliche Laster der Trunkenheit“ zum Gegenstand der Kanzelberedsamkeit machte; oft hatte der Prediger selbst noch nicht lange das Wirtshaus verlassen, wenn er die Kanzel betrat.



Taubmann eiferte in seiner witzigen Weise gegen das unablässige Gesundheitstrinken: „Dum alienae saluti bibimus, nostram laedimus“, und wie Erasmus Schmid berichtet, erzählte er häufig folgende Fabel: „Beelzebub stellte kürzlich unter den bösen Geistern ein Verhör an, ob sie alle ihr Amt gut verrichteten. Nur der Saufteufel bestand das Verhör schlecht und ward wegen seiner Saumseligkeit ausgescholten. Er entschuldigte sich damit, die Prediger, Ärzte und Naturforscher arbeiteten ihm zu sehr zuwider, seine Nachlässigkeit sei nicht Schuld. Wohlan, erwiderte Beelzebub, dann sage: Trinken die Deutschen noch auf Gesundheit? — Ja, war die Antwort. — O, wenn dem so ist, dann laßt uns nicht verzweifeln.“

Wenn Ausländer die deutsche Untugend zum Gegenstand ihres Spotts machten, so ignorierte man sie oder gab ihnen ihren Spott derb heim. Ein gewisser Peter Boland hatte gesungen:

Germani cunctos possunt perferre labores;
o, utinam possent tam bene ferre sitim!


Auf diesen Witz antwortete man mit einem andern Distichon:

Ut nos dulce merum, sic vos Venus improba vexat,
Lex posita est Veneri Julia, nulla mero.


Und in ähnlicher Weise rief man den Franzosen zu:

Bacchus Germanos vexat, sed femina Gallos.
Dic mihi, quid gravius…..


Scherzte die Nation doch selbst über ihre Untugend in dem eignen Sprichwort: „Der Durst ist der Deutschen Erbfeind.“

Ebenso wenig, als Schriften und Reden, halfen gegen das viele Trinken die Gesetze und Reichsabschiede, die dagegen erlassen wurden. Endlos ist die Zahl der Gast- und Hochzeitsordnungen, welche Jahrhunderte hindurch in allen Gauen unsers Vaterlands fast ganz erfolglos ergingen. Schon die Kapitularen Karls des Großen werfen manches interessante Streiflicht auf die durstigen Sitten seinerzeit. Unter Anderem heißt es darin: „Kein Priester noch Laie soll einen Bußtuenden zum Trinken einladen — Kein Trunkener soll vor Gericht klagen oder Zeugnis ablegen dürfen — Kein Graf soll zu Gericht sitzen, außer nüchtern — Wer im Heerlager trunken befunden wird, soll so lange bloß Wasser zum Trinken bekommen, bis er bekennt, er habe übel getan — Die Dienstleute, die den Heerbann versäumen und zur angesagten Volksversammlung nicht erscheinen, sollen so viel Tage, als sie ausgeblieben, sich alles Fleisches und Weins enthalten.“ Karl verbot ferner jeden Zwang und jede Verführung zum Trunk, sowie alle Gesellschaften, die dem heiligen Stephan, dem Kaiser oder dem Prinzen zu Ehren tranken und zechten. Wenn der große Kaiser sich auch um die Veredlung der Weinkultur alle erdenkliche Mühe gab, so haßte er doch das viele Trinken und leuchtete selbst als ein Muster der Mäßigkeit seinen Untertanen voran.

Unter den deutschen Kaisern zeichnen sich im Allgemeinen die Habsburger durch ihre Nüchternheit aus. Friedrich III. trank nur beim Abendessen Wein, und auch dann denselben mit Wasser vermischt. An seinem Hof trat dem Wunsche des Kaisers zufolge Aeneas Sylvius mündlich und schriftlich gegen die Völlerei auf. Friedrich III. war es auch, der zuerst einen Orden der Mäßigkeit gründete und bei feierlichen Gelegenheiten das Abzeichen desselben öffentlich trug. Dieses bestand in einem Kranz von zusammengefügten Kannen, in deren Mitte ein Marienbild hing; darunter befand sich ein Greif, der in seinen Klauen einen Zettel hielt, mit den Worten: Halt Maß. Noch enthaltsamer als Friedrich III. war dessen Sohn Maximilian I., der durch seine Reichsabschiede zu Worms 1495, zu Freiburg 1498, zu Augsburg 1500, zu Köln 1512 u. seinen Abscheu vor dem Trunk erklärte. Die Reichsabschiede fruchteten aber so wenig, daß die Edelleute damals sogar mit den frechen Worten einander zutranken: „Ich trinke dir des Reiches Abschied wider das Zutrinken zu.“ Dagegen erließ Eberhart im Bart 1495 die strenge Verordnung, das Zutrinken solle ebenso wie die Gotteslästerung bestraft werden, weil diese aus jenen, entspringe. Karl V. und Rudolf II. suchten in ihren Gesetzen das viele Zutrinken als schimpflich hinzustellen und so mehr die Scham als Gegenmittel in Anwendung zu ziehen; allein dem gegenüber war und blieb die eingewurzelte Idee, viel zu trinken und vertragen zu können sei eine Ehre, weit überwiegend.



Von der allgemeinen Regel des ritterlichen Durstes machte eigentümlicher Weise der Adel von Kärnten und Steiermark eine Ausnahme, wo Sigismund von Dietrichstein zu Anfang des 16. Jahrhunderts einen Mäßigkeitsorden unter dem Namen St, Christophs Gesellschaft stiftete. Jeder Ordensbruder, welchen Titel oder Rang er haben mochte, mußte an Eides Statt geloben, 18 Punkte zu halten, die größtenteils gegen das Zutrinken und Schwören gerichtet waren. Anfänglich waren 78 Mitglieder zusammengetreten; auch dem weiblichen Geschlecht, welches ja recht gern nippte und dem Bacchus nicht gram war, ward der Eintritt gestattet. Allein von langem Bestand war die Gesellschaft nicht; die erste, edle Hitze und Begeisterung erkaltete bald, und später übertraten die Mitglieder selbst ihre Vorschriften. 1524 errichteten darauf Kurfürst Richard von Trier und Pfalzgraf Ludwig, die bei einem Gesellenschießen in Heidelberg zusammentrafen, eine Brüderschaft der Enthaltsamkeit, in die außer ihnen noch 15 Fürsten und Bischöfe sammt einer großen Zahl von Edelleuten eintraten. Einige Jahre später bildete sich ein neuer Orden, deren Mitglieder als Wahrzeichen einen goldnen Ring trugen. Wer das Verbot des Zutrinkens nicht hielt, mußte einen Goldgulden an die Armen zahlen und seinen Ring an den Ordensherrn zurückliefern. Beide letztgenannten Orden gingen im Lauf der Zeit fruchtlos ein, und auch der hessische Mäßigkeitsorden, der bedeutendste von allen, welcher 1601 vom wackern Landgrafen Moritz von Hessen gegründet ward, teilte das Schicksal seiner Vorgänger. Hieran würde sich die Betrachtung der modernern Mäßigkeitsvereine reihen, die vorzugsweise gegen das Branntweintrinken der niedern Volksklassen gerichtet sind, wenn uns dieselbe nicht zu weit vom Thema abführte.

Daß Schriften, Moralpredigten, Gesetze, Mäßigkeitsorden und andre Mittel zur Unterdrückung der Nationalneigung wenig oder nichts fruchteten, kann keinen. Verständigen befremden. Man erwäge zunächst, daß der Deutsche durch sein Klima und seine Lebensweise zum Genuß geistiger Getränke angetrieben wurde und, daß er des vielen Trinkens gewohnt und physisch gewissermaßen unempfindlich dagegen geworden war. Durch Orden und Gesetze wird aber eine Nation in ihrem Charakter und ihrer Lebensweise nicht geändert, und Reichsabschiede halten den Gang der Weltgeschichte nicht auf; nur ganze Jahrhunderte mit ihrer fortschreitenden Kultur, ihrer vernichtenden Kriegsfurie, ihren segensreichen Entdeckungen und Erfindungen vermögen die Sitten eines Volks umzugestalten. Der Deutsche vertauschte allmählich Schwert und Jagdspieß mit Buch und Feder, er fand neue geistige Bestimmungen; Künste und Wissenschaften zogen ihn von rohen Saufgelagen zu edleren Genüssen ab; obrigkeitliche Geschäfte und gelehrte Ämter kamen auf, welche Nüchternheit verlangten. Durch den 30jährigen Krieg wurde ferner fremdes Wesen nach Deutschland verschleppt; aus Frankreich und Italien drangen im 17. Jahrhundert bei uns neue Sitten und bis dahin unbekannte Belustigungen, als Komödien und Opern, ein. An den Höfen griff steifes Zeremoniell oder galante Sittenlosigkeit Platz, und an die Stelle altgermanischer Trunksucht trat romanische Unkeuschheit; die alte Wahrheitsliebe, deutsche Redlichkeit und Treue wurden durch Intrigen und Ränke verdrängt, die man wohl wälsche Praktiken zu nennen pflegte; so daß ein gewisser Dichter, Salomon von Golau, im 17. Jahrhundert vielleicht nicht Unrecht hatte, wenn er sang:

Umb Deutschland stund es noch so wohl,
Da Deutschland nur war gerne voll,
Als da es triegen, buhlen, beuten
Gelernet hat von fremden Leuten.


Es wurden aber nicht nur neue Sünden importiert, welche die Trunksucht verdrängten, sondern auch neue Getränke, welche den Weingenuss beschränkten. Die Spanier brachten die Schokolade nach Europa, die Jesuiten kamen mit dem Tee aus China und Japan zurück, und türkische Kaufleute führten um 1650 den Kaffe in Marseille ein. In Deutschland scheinen jedoch vor 1680 diese neuen warmen Getränke unbekannt gewesen zu sein; in Wien wurde das erste Kaffeehaus 1683, in Regensburg und Nürnberg 1686, in Hamburg 1687 eröffnet. Ein übermäßiger Verehrer von Kaffe und Tee war der niederländische Arzt Bontekoe, welcher um jene Zeit in Hamburg und später in Berlin, wo er Leibarzt des Kurfürsten ward, für die Verbreitung der neuen Getränke predigte. Er hatte schon 1667 in einer Teetendenzschrift behauptet, um recht gesund zu sein, müsse man täglich 100 bis 200 Tassen Tee trinken. Zu Anfang des 18. Jahrhunderts empfahlen die Diätetiker Joh. Samuel Karl und Friedrich Hoffmann die neuen Getränke als Arzneien. Bald aber nisteten sich dieselben von selbst als Nahrungsmittel ein und traten als Morgen-, Nach- und Untertrunk in die Stelle des Biers und Weins; namentlich fanden sie in den Bierländern eine schnelle Verbreitung, während sie in den Weinländern einen längern Kampf durchzumachen hatten. Als aber in diese um die Mitte des vorigen Jahrhunderts französische Heere, Komödianten und Maitressen eindrangen und Verweichlichung und weibische Empfindsamkeit zunahmen, begannen auch in Oberdeutschland Tee und Kaffe ihre Herrschaft, Wie ehemals der Hirnschädel hieß, aus dem ein langobardisches Heldenweib ihr Bier trank, so heißt jetzt das irdne Gefäß, aus dem das zimperliche Mädchen ihren Kaffe schlürft, „Schale“. Der große Friedrich ward noch mit Biersuppe erzogen, aber die Kinder seiner Untertanen schon mit Kaffee.



Seit der Einführung der neuen Getränke hat der Wein manchen seiner unmäßigen Verehrer verloren und wird heutzutage im Allgemeinen weit mäßiger getrunken, als früher. Kann auch die, urgermanische Untugend keineswegs für gänzlich überwunden gelten, so haben sich doch Trunkenheit und Völlerei aus den gebildeten Ständen zurückgezogen, und Beispiele von Saufbolden oder vollen Bolzen, wie es in einer alten Chronik heißt, die man im 17. Jahrhundert noch zu Hunderten in einer Stadt zählte, werden glücklicher Weise immer seltner. Allein der mäßige Genuß des Weins wird und soll dem deutschen Mann immerdar wert bleiben. Wein, Weib, Gesang sind die drei heiligen Güter, welche er von Jugend aus bis ins höchste Alter mit Liebe und sittlichem Ernst pflegt; der edle Rebensaft ist es, den er bei traulicher Rede, im behaglichen Kreis der Freunde, mit warmer, froher Begeisterung, zur Besieglung eines treuen Bruderbunds und zum tausendfachen Lebehoch auf das Vaterland und die Freiheit trinkt. Und mit dem Heldensänger ruft er aus:

Freiheit, Kraft und Männerstolz.
Männerluft und Wonne
Reift am deutschen Rebenholz,
Reift in deutscher Sonne.
Am Rhein, am Rhein
Reift deutscher Wein, ,
Und deutsche Kraft
Im Rebensaft.
Dem Vaterland mit voller Macht
Ein dreifach donnernd Hoch gebracht!





Dieses Kapitel ist Teil des Buches Geschichte des Weins und der Trinkgelage