Die Griechen

Die Rebe soll durch die Einwanderungen der Heroen nach Griechenland gekommen sein, so nach Böotien durch Kadmus, welcher um 1519 vor Chr. aus Phönizien kam, nach Athen durch den Thrazier Eumolpos nach dem Peloponnes durch Pelops, welcher etwa 1320 vor Chr. aus Phrygien kam, nach der Insel Chios durch, Dionysos Sohn Oenopion, zu den Aetoliern durch Deukalions Sohn Orestheus. Zur Zeit des Cekrops, welcher etwa 1580 aus Ägypten einwanderte, gab es aber noch keinen Wein in Attika, da jener Wasser zu seinen Opfern nahm. Nach neuern Annahmen kam der Wein unter Pandion, dem fünften Könige nach Cekrops, mit den Cerealien zugleich aus Kreta nach Attika. Gewiß ist, daß schon im heroischen Zeitalter die Pflege des Weinstocks für ein Merkmal der Zivilisation galt, wie genugsam aus den Epen Homers, die etwa von 1000 bis 900 vor Chr. entstanden, hervorgeht. Es wird darin den Zyklopen als Rohheit ausgelegt, daß sie keinen Weinbau treiben, obgleich die Rebe bei ihnen üppig gedeihe und geschwollene Trauben trage; und mehrere Gegenden und Städte, wie Epidaurus, Phrygien, Pedasos, Arne und Histiäa, werden von Homer mit den ehrenden Beiwörtern „rebenreich“ und „vieltraubig“ belegt. Unter den plastischen Darstellungen, welche Vulkan auf dem Schild des Peleiden Achilles fertigte, finden wir einen Weinacker; und Hesiod, welcher ebenfalls um 900 vor Chr. lebte, liefert uns eine Beschreibung der Weinlese, die auf dem Schild des Herkules dargestellt war. Mögen immerhin diese kunstvollen Schilder nur Gebilde dichterischer Phantasie sein, so beweisen sie nichtsdestoweniger zweierlei: erstens daß der Weinbau schon damals in so hohem Ansehen stand, daß man die Symbole desselben als einen Hauptschmuck der Waffen für Helden und Heerführer bezeichnete, und zweitens daß die Weinlese überhaupt ein Ereignis war, welches die Dichter, Bildhauer und Maler begeisterte und dessen bildliche Darstellung das ganze Volk im höchsten Grade liebte. Der berühmte Zeuxis malte eine Weintraube, deren täuschende Ähnlichkeit sogar die Vögel anlockte. Auf einer blauen Glasvase, die man in der Gräberstraße zu Pompeji fand, ist die völlig naturgetreue Abbildung eines Weinstocks mit allen Ranken, Blättern und Trauben zu sehen. Darstellungen des Weinbaus und seines Schutzgottes finden sich außerdem an zahllosen Vasen, Gemmen und Trinkgeschirren des Altertums.

Die Gesetzgeber Drako und Solon, 624 und S94 vor Chr., nahmen, wie Plutarch und Diogenes von Laërte berichten, den Obst- und Weinbau gegen alle Verletzungen durch geordnete, sogar bis zur Strafe der Tempelräuber und Mörder geschärfte Gesetze in ihren besondern Schutz. Im vierten Jahrhundert vor Chr. begründeten Aristoteles und sein Schüler Theophrastus eine mehr wissenschaftliche Kultur der Rebe; besonders erhob letzterer in seinem Vaterland, auf der fruchtbaren Insel Lesbos, den Weinbau zu einer solchen Blüte, daß der Lesbier fast dem berühmten Chier gleichkam, lange Zeit diesen Ruf der Vorzüglichkeit bewahrte und noch nach drei Jahrhunderten den durch die Tafel des Mäcenas verwöhnten Weinkenner und Feinschmecker Horaz begeisterte. Die Ausbildung aber, welche die Weinkultur in dieser Zeit der rationellen Forschung gewann, ist schon als der Höhepunkt anzusehen, den sie überhaupt in Hellas jemals erreichte; denn sobald Rom in allen Zweigen der Wissenschaften und Kultur zu glänzen begann, schweigen alle Nachrichten über den weiteren Fortschritt des griechischen Weinbaus. Als dann Griechenland sich 146 v. Chr. gar in eine römische Provinz verwandelte, da gab es überhaupt keine griechische Weinkultur mehr, sondern nur noch eine römische; die Geschichte beider fällt auf diesem Punkte zusammen. Die Römer bauten die Rebe um jene Zeit schon mit Verstand und Liebe und huldigten gern dem Bacchus; war doch nach Plinius das erste Gemälde, welches nach der Zerstörung Korinths neben vielen andern Kunstwerken von Griechenland nach Rom kam, der berühmte Bacchus des Thebanischen Malers Aristides.


Als später von der Wüste Arabiens eine neue Religion und Weltherrschaft ausging und endlich auch das oströmische Kaiserreich nach vielen vergeblichen Kämpfen 1453 nach Chr. dem Schwert der osmanischen Türken erlag, da sah es traurig um die Weinkultur in Griechenland aus. Wahrscheinlich entstand während dieser Zeit in der Nachbarschaft des verödeten Korinth, wo die Reben jeglicher Pflege entbehrten, jene eigentümliche Varietät des Weinstocks, die Vitis apyrena, L., deren getrocknete kernlose Früchte wir Korinthen nennen. Nirgends duldeten die Türken den Weinbau; einige Sultane verboten sogar ihren Untertanen, das Wort Wein auszusprechen, so daß dieser Begriff in der türkischen Sprache nur durch Umschreibungen ausgedrückt wird. Produktion und Ausfuhr des Weins wurden in Griechenland fast auf Null reduziert und haben sich auch nach der Befreiung der Nation von der Herrschaft des Halbmondes 1827 noch nicht recht wieder gehoben. Dies rührt zum Teil daher, daß die jetzigen Griechen den Wein oft so verkehrt behandeln, daß sie selbst zur Strafe dafür während der heißen Sommermonate Essig statt Wein trinken müssen.

Im Altertum standen an Qualität die Weine von den griechischen Inseln oben an, namentlich von Chios, Lesbos, Thasos und Rhodos. Vom Chier als dem teuersten Weine kostete zu Sokrates Zeit der Metretes 1 Mine, d. h. nach unserm Maß und Preis 1 Anker 23 Thaler. Im Allgemeinen aber waren die Weinpreise schon aus dem Grunde sehr niedrig, weil gar keine oder doch eine höchst geringe Ausfuhr von Wein zu den benachbarten Völkerschaften stattfand. Vom attischen Landwein, der freilich nicht von besonderer Qualität war, kostete zu Demosthenes Zeit der Metretes nur 4 Drachmen, etwa gleich 27½ Silbergroschen. Noch mäßiger muß der korinthische Landwein gewesen sein, da ihn der Komiker Alexis ein Folterinstrument nennt; vielleicht spielte er die Rolle eines antiken Grünebergers oder glich dem berüchtigten Witzenhausener, mit welchem den kleinen Kindern in Kurhessen gedroht wird, wenn sie nicht in die Schule wollen. Auch der pramnische Wein scheint den Ruf, den er im heroischen Zeitalter hatte, nicht verdient zu haben; wenigstens fanden ihn die Athener der später n Zeiten zu herbe, „Augenbrauen und Unterleib zusammenziehend“. Ob sein Name vom Berge Pramne auf der Insel Jkaria, oder, wie Plinius meint, vom gleichnamigen Berge bei Smyrna abzuleiten sei, muß jetzt wohl dahingestellt bleiben; nach noch Andern kommt „pramnisch“ her von „ausdauern“ und bedeutet nichts weiter, als daß sich dieser Wein gut halte. Die schlechtern Sorten wurden in Athen gewöhnlich von den Sklaven und Arbeitern getrunken.



Die berühmtesten griechischen Weine der Jetztzeit sind der auf Candia wachsende Malvasia und der Zypernwein, welcher den Dichter Béranger zu einem herrlichen Lobgedichte begeisterte und schon zur Zeit des Augustus und Tiberius vom Leckermaul Apicius gern getrunken ward, jenem berühmten Fresser, welcher gewisse Kuchen erfand, über die Kochkunst schrieb und sich endlich vergiftete, aus Furcht vor Hunger zu sterben, weil er bemerkte, daß sein ungeheures Vermögen auf die Kleinigkeit von 725.000 Thalern zusammengeschmolzen war. Von Zypern wanderte der Weinstock 1421 nach Chr. auf Befehl des portugiesischen Infanten Heinrich westwärts nach Madeira, und später wurden hier auch von Candia Reben eingeführt. Alle drei Inseln scheint ein ähnlicher Weinsegen zu beglücken, wenn wir von der Traubenkrankheit absehen, welche leider seit 1852 Madeira so grausam heimsucht. Auf Candia soll der Riese aller Reben wachsen, welcher binnen drei Monaten sieben mal, ja bis elf mal Blüten treibt. Man sägt, ein einziger Stamm erhalte Leibesdicke und beschatte Haus und Hof mit seinen Zweigen. Vielleicht ist diese Wunderrebe dieselbe, die man im Orient unter dem türkischen Namen Jediveren (7 gebend) kennt, und an welcher die Frucht, wie Falmerayer beschreibt, in allen Stufen des Wachstums von der Blüte bis zur vollen Reife zugleich zu sehen ist.

Im ganzen Altertum trank man den Wein, wie auch jetzt noch in südlichen Ländern, mit Wasser vermischt. Bei den deutschen Weinen würde uns solche Mischung wenig munden und wäre auch ganz unnötig, während sie bei den süßen, feurigen Weinen des Südens allerdings geboten war. Wenn schon die Sonnenglut an den Abhängen der griechischen Gebirge einen großen Zuckergehalt der Trauben, mithin auch einen großen Weingeistgehalt des Weins bewirkte, so wurde die Konsistenz und Stärke des letztern dadurch noch erhöht, daß er zuweilen aus gedörrten Trauben gekeltert, oft auch noch eingekocht und längere Zeit aufbewahrt wurde. Aristoteles behauptet von dem Samagoreischen Wein, daß davon 3 Kotylen, etwa gleich ¾ Quart, über 40 Mann benebelt hätten. Nach einer Sage lernte der attische König Amphiktyon direkt von Dionysos das Mischen des Weins mit Wasser. Nur die Barbaren tranken unvermischten Wein; so lernte von den Scythen der spartanische König Kleomenes I. diese Unsitte, welche später, wie seine Untertanen mit Bestimmtheit annahmen, die Ursache seines Wahnsinns war. Wie uns der Tischphilosoph Athenaeus berichtet, ging der alte Gesetzgeber Zaleukos in Unteritalien soweit in seiner Strenge, daß ein Trunk ungemischten Weins ohne spezielles ärztliches Geheiß mit dem Tode gebüßt werden sollte.



Die Mischung geschah in einer besondern großen Urne (Mischkrug) von gebranntem Ton oder von Silber und andrem Metall. Aus diesem Krug wurden die Becher, Schalen und andern Trinkgeschirre, deren es in verschiedener Form und Größe gab, vollgeschöpft. In welchem Verhältnis die Mischung des Weins geschah, giebt Homer nicht an, Hesiod will ihn mit drei Teilen Wasser gemischt wissen. Am Häufigsten dürfte wohl die Mischung zu gleichen Teilen gewesen sein, obwohl nach andern Angaben diese in Athen noch für gefährlich galt, wo dagegen die Verhältnisse 1:2, 1:3, 2:3, 2:5, 3:5 gebräuchlich waren, in denen natürlich die ersten Glieder Wein bedeuten. Übrigens war das Mischungsverhältnis gewiß sehr willkürlich und richtete sich nach der Qualität des Weins sowohl wie nach der Konstitution und Geübtheit des Trinkers. Eigene Weinbeschauer, die beim Volk gewöhnlich keinen besondern Ruf genossen, prüften bei öffentlichen Gelegenheiten das Gemisch.

Wenn in der Odyssee IX. 209 ein Becher Wein in zwanzig Becher Wasser gegossen wird, so dürfte dies Verhältnis wohl eine poetische Übertreibung sein, welche nur dazu dienen sollte, die große Stärke und das Feuer des Maronischen Weins anzudeuten, womit Odysseus den Zyklopen Polyphem trunken machte. Ein solcher Prälatenwein, den ein gewöhnlicher Erdensohn zu eigenem Gebrauch zwanzigfach verdünnen mußte, gehörte wahrlich dazu, jenes einäugige Monstrum zu bändigen. Dreimal leerte der Dumme den Becher des funkelnden Weins, da

Streckt er sich hin, fiel rücklings und lag mit gesenktem
Feistem Nacken im Staub, und der allgewaltige Schlummer
Überwältiget ihn, dem Rachen entstürzten mit Weine
Stücke vom Menschenfleisch, die der schnarchende Trunkenbold ausbrach.


Aufbewahrt wurde der Wein in großen irdenen Krügen oder in Schläuchen von Ziegenfell. An einen ähnlichen Gebrauch im deutschen Mittelalter erinnert das noch gebräuchliche Flüssigkeitsmaß Oxhoft, welches Wort aus Ochsenhaut entstanden ist. Die irdenen Gefäße aber vertraten bei den Alten die Stelle unsrer hölzernen mit Reifen umwundenen Fässer, welche noch zu Plinius Zeit nur in der Alpengegend gebräuchlich waren, wie denn auch die zisalpinischen Gallier die Erfinder derselben sein sollen. Das ganze Altertum kennt keine Fassbinder, die Töpfer fabrizierten jene irdenen Gefäße, und zwar zuweilen von enormer Größe. In einem solchen, nicht in einer hölzernen Tonne, wohnte der Lazzarone Diogenes, welcher mit dem göttlichen Trank lieber sich selber gefüllt sehen wollte, als sein Haus.

Daß der Wein mit den Jahren an Güte gewinnt, wußte schon der jugendliche Greis Nestor. Od. III. 390:

Und den Kommenden mischte der Greis von Neuem im Kelche Süßen, balsamischen Wein im elften Jahre des Alters.

Gleichwohl pflegte in späterer Zeit bei den Athenern der Wein kein hohes Alter zu erreichen, wenn ihnen auch der alte Wein besser als der junge gemundet haben mag. Die nüchternen Lazedämonier tranken ihn nicht vor dem vierten Jahr. Man erhöhte den Genuß des Weins dadurch, daß man Zwiebeln dazu aß, welche in wärmeren Gegenden, wie bekannt, süßlich und für manche Gaumen sehr wohlschmeckend sind; oder man hatte die Liebhaberei, den Wein durch verschiedene Mittel, als Käse, Mehl, Honig u. konsistenter zu machen. Einem solchen Weinmus mischte die schöngelockte Göttin und furchtbare Zauberin Circe noch betörende Säfte bei und verwandelte durch diesen Trank die Gefährten des Odysseus in Schweine.



Die Bewohner der Insel Kos mischten den Most mit Meerwasser, um den Wein heller und angenehmer zu machen, oder ließen zu diesem Zweck die Gefäße eine Zeit lang im Meerwasser liegen. Ein Sklave, welcher seinem Herrn frischen Wein gestohlen hatte, kam zufällig zu dieser Entdeckung dadurch, daß er, um den Diebstahl zu verbergen, das Gefäß mit Seewasser ausfüllte. Später stellte sich heraus, daß der Wein durch diesen Betrug an Güte gewonnen hatte. Das Verfahren ward daher häufiger angewendet und fand im Lauf der Zeit eine ganz allgemeine Verbreitung. Es scheint übrigens auf der ganzen Erde, wo Wein getrunken wird, die Weinverfälschung kaum jünger zu sein, als die Weinbereitung. Weinfälscher waren ebenso wie Faschmünzer und Rossfälscher den Alten wohlbekannt; wir reden im folgenden Kapitel hierüber noch ausführlicher. Man würzte und parfümierte die Weine, mischte zwei Sorten mit einander, von denen die eine ärmer, die andere reicher an Bouquet oder Weingeist war, und schuf auf diese Weise schnell berauschende Bastarde. Die kleinen Krämer und Schenkwirtinnen in Athen waren mit wenigen Ausnahmen in der Kunst der Verfälschung wohl bewandert und betrogen die Privatleute, die ihren Bedarf an Wein von ihnen entnahmen.

Der Wein war nicht nur in den Palästen der Großen, an der Tafel der üppigen Freier Penelopes, nicht nur im Lager der Krieger, sondern selbst in der ärmlichen Hütte der Bettler, sowie des göttlichen Sauhirten Eumaeos eine unentbehrliche Zugabe des Mahls. Für die Griechen bildeten Mahlzeiten und Gelage die süßesten Genüsse des Lebens, und unzählige Male gedenkt Homer der Erquickung durch Speise und Trank, beinahe so oft als Gerstäcker in seinen Reisebeschreibungen der Erquickung durch Zigarren gedenkt. Alle Homerischen Helden beglückte der Durst, vorzüglich aber den jugendlichen Greis Nestor, dessen vierhenkliger Pokal, wenn er voll war, nur mit Mühe von den Gewaltigen gehoben werden konnte. Ganze Völkerschaften standen im Ruf, vielen Wein zu trinken; dazu gehörten die Byzantiner, Jllyrier, Korinther, Argiver, Thrazier und Tarentiner; bei letzteren fiel es, wie Aelian stark tadelt, gar nicht auf, schon am Morgen zu trinken und vor der Hauptmahlzeit trunken zu sein, welche freilich erst nach Sonnenuntergang stattfand. Der Hang der Mazedonier zur Trunkenheit war allgemein bekannt. Ihr großer Alexander liebte als ein ebenbürtiger Sohn seines Vaters Philipp leidenschaftlich den Wein; nur einmal ward er, wie berichtet wird, in einem Wettkampf besiegt. Er trank nämlich einem gewissen Proteas sechs Quart vor, dieser aber leerte nicht nur dieselbe Menge, sondern trank auf der Stelle abermals unter ungeheurem Beifall der Zechkumpane dem König sechs Quart vor. Als darauf Alexander Bescheid getan, fiel sein Pokal auf den Boden, und er selbst mäuschenstill ihm nach. Vergeblich ermahnte ihn der Weise Androcydes, seiner Unmäßigkeit Einhalt zu tun; Alexander war in der Völlerei sogar im Stande, seine Vertrauten zu erstechen. Andrerseits bewirkte die Leidenschaft des Heldenkönigs auch Gutes; er suchte selbst während der Feldzüge und Eroberungen die Weinkultur in allen seinen Provinzen zu befördern, pflanzte sogar im heißen Babylonien die Rebe an und erweiterte, um den Sinn des Volks für den Weinbau zu beleben, das Bacchusfest, an welchem seine Heere ohne alle Waffen, sogar ohne Helm, nur mit Trinkschalen, Flaschen und Krügen bewaffnet, Teil nehmen mußten.

Im geraden Gegensatz zu den Mazedoniern standen hinsichtlich der berauschenden Gastmahle die Spartaner, deren Erziehung von Kindesbeinen an darauf hinausging, daß sie sich das Trinken gar nicht angewöhnten. Nur einmal im Jahr wurden die als Vieh betrachteten Heloten gewaltsam betrunken gemacht, um den Jünglingen als abschreckendes Beispiel vorgeführt zu werden, wie noch jetzt zu einem gleichen Zweck die Apostel der Mäßigkeitsvereine ein betrunkenes und verlottertes Subjekt mit sich schleppen. Dagegen waren in Athen Zechgelage allgemein gebräuchlich, und die hervorragendsten Persönlichkeiten, die größten Künstler, Staatsmänner, Philosophen und Krieger, nahmen selbst außer der Zeit der Dionysien daran Teil. So lange freilich der Areopag die Sittenaufsicht übte und in Ansehen stand, ward jede Liederlichkeit der Bürger geahndet und kein anständiger Mann besuchte die öffentlichen Weinschenken. Diese naive Unschuld der Sitten veraltete rasch, und mit der allgemeinen Sittenverderbnis nahm auch die Schwelgerei im Wein zu. Während die spartanischen Jungfrauen gar keinen Wein oder nur sehr gewässerten tranken, huldigte dagegen unter den athenischen manche dem Dionysos, und der Komiker Antiphanes meint sogar, es sei nur in dem Lande, wo kein Wein wachse, ratsam zu heiraten. Übrigens trinkt schon bei Homer das weibliche Geschlecht Wein; die Königstochter Nausikaa nimmt sich einen Schlauch Wein mit zum Waschplatz, und Odysseus reicht ihrer Mutter Arete beim Abschied einen Becher mit Wein, worauf diese ihm Bescheid tut. Die jetzigen Generationen der Menschen sind sehr ängstlich, Kindern Wein zu verabreichen; die Milch ist der Wein der Jugend. Anders war es in der heroischen Zeit; den Heldenkindern goss man schon früh sprudelnden Wein in den Rachen, damit sie rasch zu Helden erstarkten, ihren Vätern gleich. Als vor Troja Odysseus die Teilnahme des Achilles am Kampfe erbat, sprach zu letzterem der greise Phönix die schönen Worte Ilias IX. 490:

„Oftmals hast du das Kleid mir vorn am Busen befeuchtet, Wein aus dem Münde verschüttend in unbehilflicher Kindheit.“

Bekannt war aber auch den Heroen schon jene Doppelkraft des Weins, daß er nicht nur stärke, sondern auch schwäche. Als Hekabe ihren aus dem Schlachtgetümmel heimkehrenden Sohn, den helmumflatterten Hektor, bittet, etwas Wein zur Stärkung zu nehmen, schlägt dieser es ab mit den Worten Ilias VI. 26S:

„Nicht des lieblichen Weins mir gebracht, ehrwürdige Mutter,
daß du mich nicht entnervst und der mutigen Kraft ich vergesse.“


Dagegen vergleiche Psalm 78, 65: „Der Herr erwachte wie ein vom Wein gestärkter Held.“

Von den Symposien der Griechen haben uns Plato und sein Zeitgenosse Xenophon höchst anziehende Schilderungen hinterlassen. Während der eigentlichen Mahlzeit ward kein Wein getrunken; nach Beendigung derselben wusch man sich die Hände und spendete den Göttern eine Libation von ungemischtem Wein, bevor das Gelage begann. Ein Diener trat herzu und goss aus silberner Kanne Wein in eine goldene Schale. Diese ergriff der Herr des Hauses, vergoß zuerst einige Tropfen davon zu Ehren der Gottheiten, die er anrief, setzte dann die Schale an die Lippen und trank auf die Gesundheit seines Gastes, der zu seiner Rechten neben ihm saß, worauf dieser die Schale nahm, ebenfalls trank und sie seinem nächsten Nachbar zur Rechten weiter gab. So trank man auch dem ankommenden oder scheidenden Gast zu, indem man ihm zur glücklichen Ankunft gratulierte oder Glück auf den Weg wünschte. Während aber die Schale im Kreise herumging, traten junge, hübsche Flötenspielerinnen in den Saal und, begleiteten mit ernsten Tönen diese feierliche Zeremonie, bis der letzte der Gäste die Schale zurückgegeben hatte. Diese Flötenspielerinnen blieben gewöhnlich auch nach der Opferfeierlichkeit anwesend und dienten gleich den Harfenistinnen unserer Tage noch einem andern Zweck, wie sie sich denn im Ganzen wenig von den eigentlichen Hetären unterschieden.



Die Sitte, auf das Wohl Andrer zu trinken, kennt schon Homer, und spätere griechische Schriftsteller berichten genau die Zeremonien, unter denen jener mit dem Namen Philotesie bezeichnete Gebrauch vor sich ging. Während des Gelages umwandelten Herolde die Tafel und schenkten ein. In der heroischen Zeit wurden die Ältesten durch eine größere Portion geehrt, sowie dadurch daß man ihnen zuerst den Becher kredenzte. Die Helden tranken einander nur den vollen Becher zu; erst die spätere Sitte erlaubte, daß man vorher aus dem Becher trinken durfte.

Wie beim Komment der deutschen Jugend, wurde bei den Gelagen der Griechen ein Präses und zwar durch Würfeln gewählt, welcher das Mischungsverhältnis des Weins bestimmte, als Herr über die Diener des fremden Hauses disponierte und Aufgaben und Strafen von der mannigfachsten Art diktierte. Becker läßt in seinem Charicles p. 401 den erwählten Trinkkönig also reden: „Es ist alter Chier, den unser Freund uns giebt, ein vielvertragender Wein; darum mischet, ihr Knaben, zwei Teile Wasser und einen Teil Wein. Tut auch Schnee hinein, damit der Trunk frisch sei; oder fehlt es daran, so nehmt etwas von Stephanos frostigen Späßen, und dann gießet ein in die kleinen Becher; mit diesen fangen wir an, mit den größeren hören wir auf. Aber fleißig müsst ihr einschenken, und setzet auch eine große Schale zurecht für die, welche Strafe trinken müssen.“ Das Zutrinken oder Vorsteigen, die Trinkduelle, Toaste und Trinksprüche nahmen fast kein Ende beim Komment und gaben bequemen Anlaß zum Vieltrinken und zur Schwelgerei. Fast jeder Trunk geschah zum Preis einer Gottheit, zur Verherrlichung des Schönen, zum Heil der Geliebten, ja die Menge der feierlich zugebrachten Becher brachte den feinen Griechen unter den Tisch. Verständige Leute tadelten daher die Tyrannei des herrschenden Komments, welcher gelegentlich den Zecher nötigte, unglaubliche Mengen des edlen Nasses zu konsumieren. So eifert der weise Theognis, der nicht viel Wein vertragen konnte, in folgenden Distichen wider den immerfort zugebrachten Ehren-, Lob- und Liebestrunk:

„Denn der, heißt es, gebührt der Verbrüderung, jener ist Wettpreis,
Himmlischen spendest du den, diesen dann hast du zur Hand,
Und zu versagen ist schwer. Unbesiegbar ja wäre zu nennen,
Wer so trotzend dem Trunk wüsste zu meistern sein Wort.“


Einen solchen Unbesiegbaren aber gab es wirklich; es war Sokrates, welcher weder im Trinken von Andern, noch durch den Trunk selbst jemals besiegt ward. Sein jüngerer Freund Alcibiades legte es wiederholt darauf an, ihn durch Vortrinken großer Quantitäten trunken zu machen, zog in diesem Kampf aber jedesmal den Kürzeren. Sokrates tat mit denselben Mengen Bescheid und blieb nüchtern, wenn jener schon anfing seine Dispositionsfähigkeit einzubüßen. Der große, weise Schulmeister des Altertums sprach selbst mit klassischer Ruhe noch über ernste, philosophische Gegenstände, während seinen Trinkgenossen schon die Augen zusielen oder tiefer Schlummer sie erquickte. Allein es ist gerade eine Eigentümlichkeit, wodurch sich die Gelage der Griechen von denen mancher andern Völker unterscheiden, daß nicht nur viel Wein getrunken, sondern auch mit Anstand vertragen ward. Wie Sokrates, waren noch manche andre Athener im Stande, den Rebensaft in Strömen hinabzugießen, ohne einer viehischen Trunkenheit anheimzufallen. Daher bedeutet das Verbum „pergraecari, sich als Griechen erweisen“ soviel als „den Wein vertragen und, wo nötig, den Rausch verbergen können.“ An diese Kunst mahnt auch gewiß die alte vielfach gedeutete Inschrift an Auerbachs Keller zu Leipzig: „Vive, bibe, obgraecare, memor Fausti“.



Der durch und durch sinnliche Grieche suchte beim Gelage nicht nur den Gaumen, sondern alle Sinne gleichzeitig zu erquicken. Deshalb wurden mit Rosen und Veilchen durchflochtene Myrrhen- und Efeukränze, Salben, Öle und andre wohlriechende Stoffe umher gereicht. Starke Trinker kauten bittere Mandeln, um sich vor Übeln Folgen des Trunks zu schützen. Vor Allem aber dienten Musik und Tanz, zumal üppige mimische Tänze zur Erhöhung des Lebensgenusses. Das Trinken an und für sich war ebenso wie bei unsern Kneipereien keineswegs die alleinige Ursache des Zusammenbleibens der Gesellschaft. Wie die Deutschen, liebten die Griechen Gesang, Unterhaltung und heitere Scherze und brachten die Zeit ihrer Gelage damit hin. Die ihnen eigentümliche Ungezwungenheit des Benehmens und ihre stets zu Scherz und treffendem Witz bereite Laune verliehen ihren Symposien einen ungewöhnlichen Reiz. In den seltensten Fällen mögen freilich so geistreiche Gespräche, wie Plato und Xenophon sie führen lassen, jede andre Art der Unterhaltung entbehrlich gemacht haben; mochten wohl Manche selbst meinen, daß alle philosophischen Gespräche aus dem Kreise fröhlicher Zecher zu verbannen seien, so war es doch bei den Griechen, selbst wo man zu Spiel und anderm Zeitvertreib seine Zuflucht nahm, immer der eigene Geist, der selbsttätig die Unterhaltung schuf. Niemals sank man zu einer Passivität herab, wie in Rom, wo oft sogar Vorlesungen und Konzerte Abwechslung in die Eintönigkeit der Gelage bringen mußten.


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Geschichte des Weins und der Trinkgelage
Aristides Aelius (117-181), griechischer Rhetor und Schriftsteller

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Beranger Pierre-Jean (1780-1857), französischer Lyriker und Liedertexter

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Odysseus droht Circe

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Aristoteles

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