15. Die Trinkgeschirre und Fässer

Die Trinkgeschirre und Fässer.



Bei der Trinklust der Deutschen war nichts natürlicher, als daß Trinkgefäße die ersten Gegenstände waren, an denen jene ihre Kunstfertigkeit und Prachtliebe zu zeigen suchten. Kostbare Becher bildeten lange Zeit neben schönen Waffen und Kleidern die hauptsächlichsten Luxusgegenstände. Die ältesten Trinkgeschirre unsrer Vorfahren waren Muscheln und Hörner; letztere blieben bis ins 12. Jahrhundert im Gebrauch; in Aachen wird noch Karls des Großen und in Braunschweig noch Heinrichs des Löwen Horn aufbewahrt. In den rauhen germanischen Wäldern, wo der Auerochs oder Ur hauste, trank der Jüngling aus den Hörnern, die er dem erlegten Tier abnahm und welche fortan als Beweise seiner Jagdheldentaten galten. Schon zu Cäsars Zeit wurden die Hörner an ihrer Mündung mit Silber eingefaßt und zu den festlichen Gastmählern mitgenommen. Von der Größe der Urhörner kann man sich einen ungefähren Begriff machen, wenn man bedenkt, daß die sogenannten Zapfen, d. h. die knöchernen Fortsätze der Stirnbeine, reichlich zwei Pariser Fuß lang und an der Basis 1½ Fuß im Umfang waren. Auf solchem Zapfen aber saß nun erst das eigentliche Horn, welches daher noch weit größer sein mußte; mindestens fanden 6 Schoppen darin Platz. Solcher Urpokal stand unsern Urältern wohl an und war wahrlich ein eines kräftigen Naturvolks würdiges Naturmaß. (Der Ur, Bos primigenius, von Caesar de bell. Gall. 6, 28. erwähnt, ohne Zweifel der Stammvater unsrer Rinder, wird oft verwechselt mit dem Wisent, Bos Bison, welcher einen Bart und eine prachtvolle Mähne hat, im Litauischen Wald bei Bialowicza noch lebend vorkommt und hier, in seinem letzten Aufenthaltsort von Europa, sorgfältig gehegt wird. Leider sind wir jetzt gewöhnt, diesen gemähnten Ur fälschlich Auerochs zu nennen, weil der eigentliche ausgestorben ist. Schon Plinius unterscheidet in seiner List. nat. 8, 13. die jubatos bisontes und die uros excellenti vi et velocitste.)




Wie die Indianer mit den Skalpen ihrer Feinde triumphieren, so pflegten nach Diodor und Tacitus die Deutschen und Gallier mit den Gerippen ihrer Feinde zu prangen und aus den Schädeln derselben Trinkgefäße zu machen. Grade jene teuren Denkmäler, die so stolze Erinnerungen weckten, mußten bei der Lieblingsbeschäftigung des Trinkens benutzt werden. Livius (Hist. Rom. lib. 23. cap. 24) erzählt, daß die Bojer dem Leichnam des römischen Feldherrn Postumius das Haupt abschlugen, seinen Schädel mit Gold fütterten und ein Trinkgefäß daraus machten, das bei heiligen Gebräuchen im Tempel verwendet ward. Daß bei den Langobarden dieselbe Sitte herrschte, bezeugt Paulus Diaconus (De gest. Long. lib. l. cap. 27); diese Art von Trinkgefäßen hieß bei ihnen Schala.

Später traten an Stelle der Muscheln, Schädel und Hörner rohgeformte Becher aus Zinn und aus Ahorn und andern Hölzern; im Lauf der Zeit wurden dieselben zierlicher gearbeitet und mit Silber eingefaßt. Solche Holzbecher waren noch im 16. Jahrhundert und später im Gebrauch. Allein daneben gab es schon weit früher silberne und goldne, oft sogar mit Edelsteinen geschmückte Pokale; schon in der höfisch-ritterlichen Zeit ersetzte man in wohlhabenden Häusern die hölzernen Becher durch goldne, silberne und kristallne Trinkgeschirre, welche von verschiedner, mitunter abenteuerlicher Gestalt waren; besonders an den Höfen ward eine große Kunst und ein verschwenderischer Luxus auf sie verwendet. Als im fünfzehnten Jahrhundert der Wohlstand der Nation stieg, fand man silberne Becher nicht bloß auf den Schlössern der Fürsten und den Burgen der Ritter, sondern selbst in den Ratsstuben der Städte und den Wirtshäusern der Dörfer. Ein kostbarer Familienpokal war der Stolz des Hausgeräts. Die Hausfrau liebte es, ihren Vorrat an Kannen und Pokalen auf einem neben dem speisebesetzten Tisch angebrachten staffelförmigen Gestell, der sog. Tresur, zur Schau zu stellen, ähnlich wie heute noch ältliche Damen ihre sämmtlichen Tassen als Nippes auf die Kommode zu setzen Pflegen. Der bekannte Alchimist Johann Kunkel, der die Kunst der Glasfabrikation vervollkommnte und 1702 starb, befahl zum Andenken an seine Erfindung seinen Leichnam zu Asche zu verbrennen und aus dieser einen herrlichen Familienpokal zu gießen.



In solchen Ehren hielt der Deutsche zu allen Zeiten sein Trinkgeschirr. Es ist sehr bezeichnend hiefür, daß er durch das Verschenken desselben seine Liebe und Achtung bewies. Selbst die neuste Zeit hat diese Sitte mit den Zeiten Homers und Ossians gemein. Menelaus bietet dem Telemach als stärksten Beweis seiner Freundschaft einen Becher an, sein schönstes Hausgerät, ein kunstreiches Werk Vulkans; und Bosmina verspricht dem wilden Fergthonn, um ihn zu friedlichen Gesinnungen zu bewegen, Muscheln, mit blinkenden Steinen besetzt, die einst den Weltkönig erfreut. Auch heute noch giebt es bei feierlichen Gelegenheiten keine passender n Geschenke, als Pokale. Der Freund verehrt ihn dem Freund zum Andenken. Selbst den Klöstern, Universitäten und andern Anstalten machte man bei der Feier eines Jubiläums Geschenke in Bechern. Der Ehemann brachte seinem Weib nach der Brautnacht einen kostbaren Kelch zur Morgengabe dar, und schon das Kind in der Wiege erhielt einen Becher als Patengeschenk, zur guten Vorbedeutung, daß der herangewachsne Jüngling dereinst nicht unerfahren im Trunk sei und nicht in den Ruf der Unmännlichkeit komme. Als Eberhart der Rauschebart zum Herzog erhoben ward, wurden ihm von den verschiedensten Seiten unter andern Geschenken 32 silberne und vergoldete Becher und Trinkschalen verehrt. Auch Gehorsam und Ehrfurcht bezeigte man Potentaten und hohen Gönnern durch solche Sitte. Als Karl V. 1541 in Nürnberg war, wußte ihm der Rat kein schicklicheres Zeichen seiner Unterwürfigkeit zu geben, als einen goldnen Doppelkelch mit 100 Goldstücken. (Wagenseil, De civit. Norimberg p. 83.)

Die Form und Größe der Trinkgefäße war sehr verschieden. Wenn am Tage Petri Stuhlfeier, den 22. Februar, der Ehrbare Rat zu Lübeck eine Generalprobe von allen in seinem Keller lagernden Weinen hielt, so trank er dieselben aus verschiednen Gefäßen, und zwar nach einer Aufzeichnung von 1650 den Rheinwein aus Römern, den Malvasier, Alikante und Petersimenes aus silbernen Schalen, den Sekt aus kristallnen Gläsern. Auf den fürstlichen und adeligen Schlössern gab es bis in unser Jahrhundert hinein eine eigne Art Becher von ungeheurer Größe und oft sehr kunstreicher Arbeit, Willkomm genannt, welche jedem neuankommenden Gast beim Mahl kredenzt wurden. Wer redlich Bescheid daraus getan, schrieb wohl seinen Namen sammt Wahlspruch und einigen Trinkwitzen in ein eignes diesem Zwecke gewidmetes Buch. In einigen Gegenden ward auch aus den sogenannten Fleuten getrunken, Gläser, welche oben breit waren und nach unten wie ein Trichter oder Rettich spitz zuliefen, so daß sie nicht nach Belieben zur Hand genommen werden konnten, sondern allemal in einem Zug ausgetrunken werden mußten. War die Fleute leer, ward sie umgekehrt auf den Tisch gesetzt. Den Deutschen gebührt auch die Erfindung des großen Würfelglases, in dessen Fuß zwei Würfel eingeblasen sind; jeder Zechbruder mußte das Glas schütteln und, so viel Augen die Würfel zeigten, wenn er von oben darein schaute, so viel Male hatte er das wohlgefüllte Glas bis auf die Nagelprobe zu leeren.

Die gewaltigen Humpen unsrer Väter sind noch gegenwärtig beredte Zeugen vergangner Leistungen im Trinken und erinnern an Nestors vierhenkligen Pokal, der gefüllt nur mit Mühe von den Helden gehoben ward. Schon ein Name, den man den Bechern gab, läßt auf ihre Größe schließen. Cupa hieß eigentlich Kufe, Fässchen; sie bedeutete aber dem Deutschen mir soviel als ein Kelch oder Becher, weil sie ihm im Vergleich mit andern Fässern so klein erschien. Die Franzosen haben daraus ihr coupe und wir das jetzt veraltete Wort Kopf gebildet. Daher finden wir wohl, in Schriften früherer Zeiten, daß der Hofschenk den „Kopf seines Königs“ in Verwahrung hatte. Der Becher, welcher bei der Krönung Ferdinands II. gebraucht ward, hatte, wie der Kanzler Ludewig beschreibt, „eine Ehlen in der Länge, davon die Hälfte den Fuß, die andere Hälfte den Becher oder Cuppam selbsten ausmacht. In der Runde eines halben Dellers breit. Inwendig so groß, daß ihrer 4 Maß darein gehen.“ (Erläuter, d. gold. Bulle, 21. Th. p.746.) Am sächsischen Hof gab es nach dem Juristen Oldenburger ungeheure Humpen, von denen einer das römische Reich hieß und stark genug war, auch den tapfersten Trinker niederzuwerfen. (Constantini Germanici itinerar. Germaniae politicae p. 309.) Zu diesen Humpen aber standen einzelne jetzt größtenteils verfallene Fässer im richtigen Verhältnis; besonders suchten Fürsten eine Ehre darin, ein Faß von ungeheurer Größe als Zierde und Sehenswürdigkeit in ihrem Schlosskeller aufzutürmen. Der Kurfürst Johann Kasimir von der Pfalz ließ 1591 ein Faß, das 132 Fuder enthielt, zimmern; ein noch größeres von 204 Fudern wurde 1664 unter Karl Ludwig verfertigt, bis endlich Karl Theodor das dritte und größte erbauen ließ, welches noch heute jedem Besucher des Heidelberger Schlosses i[mponiert. Dasselbe ist 30 Fuß 5 Zoll lang, 23 Fuß hoch, enthält 250 Fuder, ward 1752 zuerst und später noch dreimal gefüllt, und steht seit 1769 leer. (Fuder, plaustrum, war früher nicht, wie jetzt meistenteils, ein unbestimmter Ausdruck, sondern bezeichnete ein bestimmtes Maß von etwa 4 Oxhoft oder 6 Ohm.) Rivalen der berühmten Heidelberger Fässer waren die Königsteiner; denn die Sachsen strebten aus Ehrgeiz, die Pracht und Größe fremder Fässer zu übertreffen. Die Königsteiner Fässer hatten auch wohl den Zweck, die Festung in Kriegszeiten mit einem Vorrat von Wein zu versorgen. Das größte derselben, welches 1725 erbaut ward, war 34 Fuß lang, 24 Fuß hoch, faßte etwa 600 Eimer mehr, als sein Heidelberger Kumpan, und war mit Bildhauerarbeiten und Inschriften verziert. Zu Anfang dieses Jahrhunderts führten Fäulnis und Baufälligkeit das Ende jenes turmähnlichen Weinbehälters herbei. Auch Herzog Ulrich von Württemberg ließ 1546 für seinen Schlosskeller in Tübingen ein Faß von ziemlicher Größe zimmern, welches jedoch bald leck und wurmstichig wurde. Diese und andere alte Fässer sind freilich nur noch von historischem Interesse und deuten übrigens mehr auf Prachtliebe der Fürsten hin, als daß sie grade geeignet wären, eine große Blüte der Weinkultur zu beweisen. An Größe können sie sich schwerlich mit den Riesenfässern messen, die gegenwärtig in England und Amerika fabriziert werden; die weltbekannte gigantische Porterbrauerei von Barclay, Perkins und Comp, in London hat Exemplare von Lagerfässern aufzuweisen, die 192.000 Gallonen oder nahezu 13.000 preuß. Eimer fassen.



Wir können diesen Paragraphen nicht passender schließen, als mit dem Scheffelschen Liede auf das große Faß zu Heidelberg. Dies höchst gelehrte, inhaltreiche und humoristische Tischlied entstand während der XXIV. Versammlung der deutschen Philologen zu Heidelberg im September 1865 und wurde damals beim großen Festmahl im Schloß zuerst vorgetragen; es ist grade für unsre Geschichte von besonderem Interesse, da es die verschiednen unvollkommnen Mittel aufzählt, deren sich die alten Völker zur Aufbewahrung ihres Weins bedienten, bis endlich die Germanen das echte Faß erfanden.

Glück auf! ein guter Genius
Kommt heut zum Schloß gezogen,
Kollegialisch dröhnt mein Gruß
Euch deutschen Philologen.
Denn ihr durchforscht mit Blick und Glück
Die Vorzeit Schicht' um Schichte,
Und ich, durchmorscht, bin selbst ein Stück
Kultur- und Sprachgeschichte.

Aegypten hat die Mumien gut,
Den Geist schlimm aufgehoben
Und sog des Palmsafts heil'ge Fluth
Aus dicken Nilkanoben.
Auch dem Assyrer fiel's nicht ein,
Getränk zu überwintern;
Verschimmelt stand sein Dattelwein
In Keilschriftthoncylindern.

Der Stoff des weisen Salomo
Kam nie zu seinem Hauche,
Denn sein Bouquet blieb immer roh
Im dunklen Geißbockschlauche.
Erst als Phöniker Sand zu Glas
Umschmolzen in den Aschen,
Sah Israel — zwar noch kein Faß,
Doch schon — pitschirte Flaschen.

Europa, sumpfig, feucht und leer,
Ließ wild die Rebe treiben,
Die Salamander drohten sehr
Den Menschen aufzureiben.
Der erste, der im Urwald keck
Sich briet den Urstierschlegel,
Trug seinen Meth als Handgepäck
In einem schmalen Leget.

Der Kelte, der auf Pfählen saß
Und niedrer Bildungsstufe,
Barg ein sehr zweifelhaftes Naß
In zweifelhafter Kufe.
In der Kimmerier Nebelgrau
Bei Völkern, rauh und zottig,
Kam auch kein großes Faß zum Bau,
Nur Bütte, Pott und Bottich.
Alt-Hellas fand die Faßform früh,
Doch nicht für Bacchos' Wonnen;
Man pflag statt Weins Philosophie
In leeren, hohlen Tonnen.
Das zweckbewußte Römerthum
Bedurfte starker Labe;
Zum magnum vas vinarium
Schlich Plinius schon als Knabe.

Doch das antike Basum war
Von Thon und spitz nach unten,
Und auch vom Cadus ist nicht klar,
Ob Reif er trug und Spunten,
Das echte Faß zeigt deutschen Schwung,
Es gingen die Germanen
Schon auf die Völkerwanderung
Mit Trinkglas, Faß und Hahnen.

Dietrich von Bern rief oftmals froh
Im Keller seines Schlosses:
“Thata liubo tat, thata mikilo!
Du liebes Faß, du großes.“
Und oft sah ihn der Gother Heer
Vergnügt dem Reichschenk winken:
„Schafft eine maß zu trinken her,
Skapia maziaia drinkan!”

Des Rothbarts Kaisermacht empfing
Den Reichstag gern beim Fasse,
Und sang, wenn's auf die Neige ging,
In althochdeutschem basse.
„Iz rinnet nicht ein tropho mer,
Der win ist vortgehupfit.....
Ou we min grozaz vaz stat ler,
Sie hant mirz zu gesupfit.

Als edler Bildungsdurst die Welt
Erfüllt mit edlem Streben,
Rief mich ein Kurfürst und ein Held
Als Burgfaß hier ins Leben.
Noch steh' ich fest, wo Alles fiel,
Des Pfälzer Geist's ein Funken;
Groß in Gedanken, flott im Stil
Und gänzlich — leergetrunken.

O wär' ich voll heut, Mann und Glas
Füllt' ich mit Rheinweinmassen!
Doch weh und ach! . . . dem Hauptwort „Faß“
Fehlt längst sein Zeitwort „fassen“,
„Geleerter Große“ bricht der Mut
Zu bacchischem Gedichte....
.. Ich bitt' nur um die Note „gut“
In „Sprache und Geschichte.“






Dieses Kapitel ist Teil des Buches Geschichte des Weins und der Trinkgelage