Die Engländer

Wahrscheinlich war es Kaiser Probus, unter dem auch im alten Britannien die ersten Reben angepflanzt wurden; es unterliegt keinem Zweifel, daß die Römer Weingärten dicht an den Mauern von London besaßen. Wie jedoch in Deutschland nach dem Sturz ihrer Herrschaft die Kultur aller Gewächse durch die Wirren der Völkerwanderung wieder sank, so geschah dasselbe auch in England in Folge neu hereinbrechender Kriege und Eroberungen. Bei den Angeln und Sachsen bildete daher der Wein im Allgemeinen ein seltnes Getränk, dem sie ihr Ale vorzogen. Unter ihren Königen war es Alfred der Große, 871—901, welcher, wenn er auch nicht das für England war, was Karl der Große für Deutschland, doch zuerst den Weinbau, sowie die Kultur seines Landes überhaupt, durch weise Verordnungen hob, fremde Kolonisten in sein durch Kriege verödetes Königreich zog und nach einigen Schriftstellern sogar mit seinen Schiffen Entdeckungsreisen in südliche Länder machen ließ, um die edleren Kulturpflanzen von dort einzuführen. Vor der Eroberung Englands durch die Normannen, 1066, gab es Weingärten in manchen warmen Klosterumgrenzungen der südlichen Grafschaften. Wo nur immer in fruchtbaren und geschützten Tälern Abteien lagen, da konnte man sicher sein auch Weingärten zu finden, z. B. zu Chanetone in Middleser, zu Ware in Hertfordshire, zu Hanton in Worcestershire. Das große Tal von Glocester bildete einen zusammenhangenden Weingarten. Die Namen „Vine-street“ und „Villeyard-house“ in Westminster stammen von den königlichen Weingärten jener Zeit her, wo die Könige in Westminster residierten, und „Vineyard-house“ in Drurylane ist ein Andenken an den Weingarten, der noch in den Tagen der Tudors sich dort befand. So gibt es im südlichen und westlichen Teil Englands, besonders in der Nachbarschaft der Rittersitze und Klöster, jetzt noch viele Grundstücke, die den Namen „Weinberg“ führen, obgleich seit Jahrhunderten daselbst keine Rebe mehr zu sehen ist.



Camden meint zwar, daß der Weinstock in England zu allen Zeiten mehr des Schattens und der Zierde wegen angepflanzt sei; nichtsdestoweniger steht es fest, daß daselbst im elften und zwölften Jahrhundert und sogar noch im sechszehnten und siebzehnten, ziemlich viel Wein bereitet ward, ja daß man im achtzehnten Jahrhundert in der Grafschaft Surrey einen dem Champagner ähnlichen Wein kelterte. Richard II. zog und verkaufte Weintrauben, die im Windsorpark im Freien wuchsen; und zu Arundel gewann einer der Herzöge von Norfolk Wein aus eignem Gewächs, der dem Burgunder nahe kam. Sogar zu Ende des vorigen Jahrhunderts bestand noch ein Weingarten an der Sonnenseite von St. Lawrence auf der Insel Wight und befand sich im königlichen Garten zu Hampton Court, wie berichtet wird, ein ungeheurer Weinstock, welcher ein ganzes Treibhaus ausfüllte. Als die Schauspieler im Drury-lane Theater sich einst König Georgs III. ganz besondern Beifall erworben hatten, erlaubte er ihnen, sich vom Gärtner hundert Dutzend Weintrauben von jenem Baum abschneiden zu lassen, wenn so viele daran wären. Der Gärtner schnitt nicht allein diese Anzahl Trauben ab, sondern ließ den König wissen, daß er noch ebenso viele abpflücken könne, ohne den Weinstock gänzlich zu entblößen.

Allein so gut auch an einzelnen bevorzugten Plätzen die Rebe gedieh, so verhinderte doch das britische Inselklima eine Weinkultur im Großen. Während einerseits durch den Anbau andrer Pflanzen ein größerer Gewinn aus dem heimischen Boden erzielt werden konnte, wurde andrerseits der Wein nicht nur besser, sondern auch wohlfeiler aus dem Ausland bezogen und mit zunehmender Verbesserung der Schifffahrt und Handelswege immer leichter eingeführt. Freilich übertraf in England die Konsumption des Weins schon die eigne Produktion desselben, lange bevor man den Weinbau gänzlich aufgab; so wurden schon im zehnten und elften Jahrhundert Weine aus Frankreich und der Rheingegend eingeführt. Kein gewichtigeres Motiv aber gab es für die Einstellung des inländischen Weinbaus, als die Vereinigung von Guienne und Gascogne mit England im Jahre 1152; von der Zeit an trat das französische Weinland in direkte Beziehung zu den englischen Weintrinkern, und mehrere Jahrhunderte hindurch herrschte zwischen beiden Nationen ein ungemein lebhafter Weinhandel. Leider glaubte die Gesetzgebung nach den damaligen Regeln der politischen Ökonomie sehr weise zu handeln, wenn sie hohe Zölle auf den Wein legte und ein Maximum der Weinpreise festsetzte. So fixiert ein Edikt vom ersten Regierungsjahr des Königs Johann ohne Land den Preis einer Tonne Poitouwein auf 20 engl. Shl., einer Tonne Anjouwein auf 24 und der andern Franzweine auf 25 Shl. Von jeder eingeführten Weinladung nahm der König eine Tonne vor dem Löschen und eine Tonne nachher, welche Steuer Prisa genannt ward. Johanns Nachfolger, Heinrich III., legte auf die Einfuhr jeder Tonne Wein eine neue Steuer von 1 Penny, welche Gange hieß. 1290 wurde in London der Preis für die Gallone Wein auf 3 Pence, für die Gallone Bier auf 1 Penny festgesetzt und verboten, diesen Preis bei der herannahenden Einberufung des Parlaments zu erhöhen. Eine Akte von 1307 ernannte 6 vereidete Schmecker, welche die Qualität der Weine zu begutachten hatten und den verfälschten ausgießen lassen mußten; kein Weinhändler durfte Wein verkaufen, der nicht von den Schmeckern taxiert war.



Zu Anfang des 14. Jahrhunderts gab es zwischen den Londoner Einwohnern und den Bordeauxer Kaufleuten, welche nicht die Erlaubnis hatten, in London eine Niederlage für ihre Waren zu halten, mancherlei Zankereien und Schlägereien, welche 1309 einen so heftigen Charakter annahmen, daß auf beiden Seiten mehrere Personen getötet wurden. 1354 verbot Eduard III. bei schwerer Strafe jedem Engländer, nach Guienne zu gehen, um dort direkt Wein zu kaufen; der Contravenient sollte ergriffen, vom Seneschall der Gascogne im Krongefängnis zu Bordeaux eingekerkert und dann nach England - in den Tower von London abgeliefert werden. 1370 ward dies Verbot auf Antrag des schwarzen Prinzen modifiziert. 1373 kam, wie Froissard berichtet, eine Flotte von 200 englischen Fahrzeugen in Bordeaux an, um Wein zu laden. So großartig war im 14.Jahrhundert der Verbrauch französischer Weine in England, namentlich unter den vornehmern Klassen der Gesellschaft. In dem Hause des Herzogs von Northumberland, das für streng ökonomisch galt, verbrauchte man jährlich 42 Faß Guiennewein, und an der Tafel Henry Bowets, des Erzbischofs von York, der 1467 starb, wurden jährlich 80 Tonnen Klaret geleert.

Während es 1365 in London nur drei Weinschenken erlaubt war, süße Weine zu halten, traten dagegen zu Ende des 15.Jahrhunderts die Weine der Kanarien und Spaniens allmählich mit den französischen in Konkurrenz, und im 16. Jahrhundert gewöhnte sich England mehr und mehr zum Nachteil der Gironde an den süßen Sekt und Malvasia. (Franck, die Medok- u. a. Weine des Departem. der Gironde. Stargardt, 1845.) Der Sekt, vinum siccatum, ist der in Spanien aus den getrockneten Trauben bereitete Wein. Man nimmt nämlich bei nasser Witterung die Trauben zuweilen vor der Zeit der eigentlichen Weinlese ab und läßt sie in einem Backofen oder auf einem Boden in Zugluft welk werden. Solcher süße Sekt war eine Leckerei für die Damen, während die Männer in leichter n Weinen zechten. Doch ungeachtet der Einfuhr spanischer Weine bildeten die französischen noch lange Zeit das Hauptgetränk der reichen Engländer. Heinrich VIII., 1509—1547, zog den Champagner bei Weitem den spanischen Weinen vor; er besaß einen eignen Weingarten in Ay in der Champagne und trank mit Wollust den prickelnden Schaum. Sir Richard Hawkins hielt den Genuß spanischer Weine sogar für die Ursache hitziger Fieber und eines frühen Todes. Schwerlich verdient der Sekt an sich diesen harten Vorwurf; allein er ward in den Schenken verfälscht und mag immerhin durch beigemischte giftige Substanzen Fieber, Hautausschläge, Wassersuchten und andre Krankheiten verursacht haben.

Die Zwistigkeiten und Kriege mit Frankreich taten dem Weinhandel außerordentlichen Schaden; von 1679 bis 1685 war die Einfuhr französischer Weine gänzlich verboten, dagegen wurden nun portugiesische begünstigt. Seit der Thronbesteigung des Hauses Oranien bekriegte man sich nicht nur mit Kanonen, sondern auch mit Zöllen. Aus jener Zeit (1691) rührt das Lied „Farewell to wine“ worin es heißt:

„Some Claret, boy! — Indeed, Sir, we have none,—
Claret, Sir! — Lord, there is not a drop in town.”


Danach gab es in jenem Jahr keinen Tropfen Claret mehr in London, und man sah sich nach Portwein um, den vor 1690 kein britischer Gaumen gekostet hatte. Der bekannte Vertrag von Methuen 1703 sicherte für länger als ein Jahrhundert die englischen Märkte den Weinen des Douro mit Ausschließung der Gewächse Guiennes. Es entstand sogar der Aberglaube, französische Weine wären dem englischen Klima minder angemessen, als die der südlichen Halbinsel. Andrerseits erzeugte jedoch bei manchen ein so plötzlicher und gründlicher Umschlag des Geschmacks Widerwillen; Dichter und Dramatiker schleuderten die Pfeile ihres Spottes gegen diese Ketzerei, und, wie Alex. Cunningham versichert, soll der Herzog von Marlborough, der jenen Vertrag geschlossen hatte, sich eben durch diesen viele seiner Freunde entfremdet haben. Gegenwärtig wird ein Fünfteil der 3 Millionen Flaschen Champagner, welche überhaupt zur Ausfuhr gelangen, von England konsumiert; und wenn hier auch verhältnismäßig mehr Portwein getrunken wird, ist dennoch aller Anschein vorhanden, daß die Vorliebe für Franzwein wiederkehren dürfte, wie in alter Zeit.

Wie wir schon in der Einleitung bemerkten, ist John Bull ein tapfrer Zecher, der seiner germanischen Abkunft Ehre macht und außerordentliche Mengen der stärksten Getränke zu konsumieren versteht. Das wahre Zeug und Talent zum gemütlichen Kneipen besitzt freilich nur der Deutsche, aber der Engländer steht ihm in dieser Hinsicht am Nächsten. Mag derselbe immerhin sagen „my house is my castle“, so überträgt er deshalb nicht weniger seine Häuslichkeit ins Wirtshaus und fühlt sich nirgends heimischer als hier. Johnson erklärte sogar, daß ein Stuhl im Wirtshaus der Thron der menschlichen Glückseligkeit sei, und Shenstone beklagte es mild, daß kein wenn auch noch so befreundetes Privathaus den Wandrer so warm bewillkommne, wie es ihm unter dem Dach eines Gasthofs begegne. Außer der deutschen Literatur ist es nur die englische, die jene erbaulichen Bilder von Originalen aufweist, welche ihren häuslichen Herd allein in der Schenkstube fanden; mit einem gesunden und herzerquickenden Humor läßt der englische Schriftsteller die Figur eines Trunkenbolds reden und handeln, und wohl nur auf der englischen Bühne konnte die klassische Gestalt eines John Falstaff geboren werden.



Der englische Gastwirt ist nicht, wie so mancher deutsche, der mürrische Tyrann derer, die seine Schwelle überschreiten, sondern deren gehorsamer Diener; und die englischen Gasthöfe standen schon in ausgezeichnetem Ruf, als sich diejenigen des Festlands noch in sehr primitivem Zustand befanden. Unter der Regierung Elisabeths gab es Gasthöfe, wo 300 Menschen mit ihren Pferden ohne Schwierigkeit untergebracht und gespeist werden konnten; und im 17. Jahrhundert hatte das kleinste Dorf ein Gasthaus, wo die Betttücher nach Lavendel dufteten und ein leuchtendes Feuer, ein Krug guten Ales und ein Gericht Forellen den müden Pilgrim erquickten, während man in größeren Wirtschaften eine feine Küche und einen Claret vorfand, wie es in London keinen bessern gab.

Nach Macaulay war im 17. Jahrhundert die Gewohnheit übermäßig zu trinken in England nicht weniger als in Deutschland bei allen Klassen der Gesellschaft allgemein. Wer nicht im Stande war, seinen Gästen täglich Claret oder Kanariensekt vorzusetzen, berauschte sie mit starkem Bier; die Masse des zu jenen Zeiten verbrauchten Biers war in der Tat ungeheuer, und was ein englischer Landgentleman davon vertilgen konnte, wurde vielleicht nur von dem Quantum überstiegen, welches im Magen eines deutschen Mönchs Platz fand, Bier war für die mittleren und untern Klassen nicht bloß was es jetzt ist, sondern alles, was jetzt Bier, Kasse, Tee und gebrannte Wasser zusammen sind. Übrigens war auch gezuckerter und gewürzter Glühwein ein Lieblingsgetränk bei allen Zusammenkünften und Gelagen. Nur in großen Häusern oder bei festlichen Gelegenheiten wurden fremde Weine auf die Tafel gesetzt. Sobald die Speisen verzehrt waren, entfernten sich die Ladies vom Tisch und überließen die Gentlemen ihrem Ale und Tabak allein; eine sittsame Frau konnte schwerlich an der derben Fröhlichkeit oder vielmehr rohen Flätherei des Nachtisches teilnehmen, welcher oft so lange dauerte, bis die Schweiger unter dem Tisch lagen.

Schließlich müssen wir der englischen Trinksprüche und der Ableitung des ins Deutsche übergegangenen Wortes „toast“ gedenken. Der alte angelsächsische Trinkspruch „wass hail“ wurde Veranlassung, daß man die Bowle, die früher bei den Schmausereien der Weihnachtszeit nie fehlen durfte, um aus ihr auf die Gesundheit jedes Anwesenden zu trinken, wassail-bowl oder wassell-bowl nannte; und noch jetzt ist es bei Festmahlen von Korporationen Sitte, nach dem Essen auf das Wohl der Brüder aus dem sog. loving up, einem großen silbernen Becher mit Henkeln, zu trinken, der links herum von einem Gast zum andern geht. Die alten Toaste „wass hail“ und „drink hail“ sind durch die jetzt üblichen „Come, here is to you“ und „I'll pIedge you“ ersetzt worden, aber die geröstete Brotschnitte, toast, welche vormals von demjenigen, der eine Gesundheit ausbringen wollte, in den vollen Becher geworfen und, wenn dieser geleert war, gegessen wurde, hat noch heutzutage dem Trinkspruch den Namen Toast verliehen.






Dieses Kapitel ist Teil des Buches Geschichte des Weins und der Trinkgelage