Die Ägypter

Wie bei den Griechen und Römern, galt auch bei den Ägyptern der Wein für einen Segen, der von den Göttern ausging; daher schrieb man die Einführung der Rebe dem wohltätigen Osiris zu. Daß die Pflanze schon in den ältesten Zeiten den Ägyptern bekannt war, ersehen wir unter andern aus dem Traum 1. Mos. 40, 9—11, den der Oberschenk des Pharao dem Joseph erzählte: „Mir hat geträumt, daß ein Weinstock vor mir wäre, der hatte drei Reben, und er grünte, wuchs und blühte, und seine Trauben wurden reif. Und ich hatte den Becher Pharaos in meiner Hand, und nahm die Beeren und zerdrückte sie in den Becher und gab den Becher Pharao in die Hand.“ Der ägyptische König trank also keinen gegorenen Wein, sondern nur Traubensaft; jener war in frühster Zeit den Ägyptern verboten, weil er, wie die Priester auf geheimnisvolle Weise lehrten, den Göttern zuwider sei und aus dem Blut der alten Feinde dieser Götter entstehe. So ward hier, wie so oft, die Religion zum Deckmantel für ein unsinniges Gesetz genommen, dessen eigentlicher Zweck wahrscheinlich darin bestand, die Einfuhr fremder Weine zu verhindern, weil die Ägypter überhaupt keinen Verkehr mit fremden Völkern liebten. Es wurden daher noch zur Zeit des Herodot, des ältesten uns erhaltenen griechischen Geschichtsschreibers, 450 vor Chr., keine Weinberge im Großen angepflanzt. Wie aber den Muselmännern die Trauben erlaubt sind, so war auch den Ägyptern der Most niemals verboten, sondern ward zumal von den Reichen und Vornehmen oft genossen. Der erste König, welcher sich emanzipierte und gegorenen Wein trank, soll Psammetich, 654—616 vor Chr., gewesen sein, und unter seinen Nachfolgern fanden sich große Liebhaber dieser Flüssigkeit. Ptolemäus XI führte sogar den Kultus des Weintrinkens so gründlich durch, daß er zu gewissen Zeiten die Nüchternheit seiner Untertanen streng bestrafte, und Kleopatra trieb, wie Horaz behauptet, mit dem Rebensaft, den die Gegend von Mareotis hervorbrachte, die größte Verschwendung; jedenfalls spielte der Wein eine Hauptrolle in dem üppigen Leben, welches die liebreizende Königin mit ihrem Geliebten Antonius zusammen führte, der sich nicht nur im Wein, sondern auch im Bürgerblut berauschte. Daß das weibliche Geschlecht im Lande der Pharaonen sich überhaupt an Gelagen der Männer beteiligte, beweist uns ein Wandgemälde an den Ruinen Thebens, welches in karikierter Weise eine Zecherszene darstellt, bei der eine Dame, der Naturnotwendigkeit nachgebend, sich des genossenen Weins stromweise entledigt; denn schon vor Jahrtausenden ereignete es sich, daß die Tätigkeit der Digestionsorgane mit dem Durst nicht gleichen Schritt hielt. Übrigens müssen sich im alten Ägypten bei einer guten Tafel öfters solche Episoden zugetragen haben; denn auf jenem Gemälde verliert die hilfeleistende Dienerin keineswegs die Geistesgegenwart, sondern eilt rasch mit einem Apparat herbei, der wohl für alle Fälle in Bereitschaft gehalten ward. Auch die Patientin zeigt während ihrer schweren Entbindung von der Frucht des Bacchus eine ruhige Fassung und behält selbst die Schleppe ihres Kleides mit Anstand im Arm.



Die besten Weine wuchsen in der Gegend von Alexandrien, sowie überhaupt an der Küste des Mittelmeers, wo die Rebe jetzt größtenteils nur gebaut wird, um Schatten, Tafeltrauben und Rosinen zu liefern. Sie gedeiht hier im Sande höchst üppig und erlangt oft eine kolossale Größe; auch ist der wenige Wein, der jetzt noch von ihr gewonnen wird, vorzüglich. Von dem Weinbau der alten Ägypter sind ihre Bildwerke noch beredte Zeugen; sie stellen uns den Kelterungsprozess dar, wie sechs Männer, mit nackten Füßen in einem großen, plumpen Troge auf und nieder tanzend, die Trauben austreten; sie zeigen uns auch, daß die Ägypter die Reben begossen, welche über dem Niveau der Nilüberschwemmung angebaut wurden, daß sie die Trauben an hochgezogenen Weinstöcken abschnitten, und daß endlich bei der Weinlese einige Diener in Gegenwart ihres Herrn oder von dessen höchsteigener Hand Prügel bekamen. (Champollion Figeac. Aus der Weltgemäldegalerie. Stuttgart, 1840. S. 211.) Leider sind Szenen letzterer Art nicht nur in antiken Grabgewölben, sondern auch anderswo heute noch in natura, sichtbar. — Die Ägypter verloren, wie die Völkerschaften Asiens, seitdem sie sich zur Lehre Muhameds bekennen, mehr und mehr den Geschmack an Traubenwein und trinken jetzt lieber Dattelwein, verschiedene Biere und andere berauschende Getränke. Schon zu Herodots Zeit bereitete man namentlich in Pelusium eine dem Wein verwandte Flüssigkeit aus Gerste, und seitdem ist die Leidenschaft für Bier im Lande der Pharaonen nicht gesunken, sondern gestiegen. Als während des italienischen Krieges 1859 der Lloyddampfer zwischen Triest und Ägypten monatelang ausblieb, so daß keine östreichischen Biere zugeführt werden konnten, erhob sich zu Kairo und Alexandrien unter den Europäern sowohl wie Morgenländern ein allgemeines Wehklagen; denn das Getränk, welches dort selbst von deutschen Brauern aus der trefflichen Nilgerste gebraut wird, ist doch nur dürftig im Vergleich mit dem flüssigen Gold einer Schwechater Riesenbrauerei.




Dieses Kapitel ist Teil des Buches Geschichte des Weins und der Trinkgelage