Die Franzosen

Frankreich hat nach Thouin bloß Eichel, Kastanie, Apfel und Birne von der Natur, alle andern Früchte von den Phöniziern, Griechen, Römern, Karthagern und Sarazenen erhalten. Nach Strabo und Justin ward der Weinstock sammt dem Ölbaum ins südliche Gallien von den Phocäern eingeführt, einer griechischen Völkerschaft, welche 557 vor Chr. vor den Persern aus Kleinasien floh und im neuen Vaterland das jetzige Marseille gründete. Da die Flüchtlinge unterwegs in Italien gelandet waren, so ist es ungewiss, ob sie ihre Reben aus ihrer kleinasiatischen Heimat oder aus Italien mitbrachten. Außerdem ist es keineswegs sichergestellt, daß nicht die Bewohner des südlichen Galliens schon vor jeder fremden Einwanderung sich aus ihren einheimischen wilden Reben Wein bereiteten; wenigstens der Sage nach überreichte Petta, die Tochter eines eingebornen Königs des Landes, dem Anführer der Phocäer bei seiner Ankunft einen Becher voll Wein. Mit Sicherheit aber dürfen wir annehmen, daß auch nach der Einwanderung der Phocäer der Weinbau höchst unbedeutend war und sich nicht über die Grenzen eines kleinen Gebietes hinaus verbreitete.



Nach Plutarch (Lebensbeschreibung des Camillus) wußte ein Tyrrhener, Namens Arnes, sich dadurch ein gallisches Hilfsheer zu verschaffen, daß er ihnen Wein schenkte und sie auf diese Weise nach Italien lockte. Diese Gallier
schickten hierauf Wein an ihre zurückgebliebenen Landsleute, wodurch sie bewirkten, daß ganze Scharen derselben die Alpen überstiegen, das Land an den Ufern des Po eroberten, sich hier niederließen und Wein, Öl und Feigen anbauten. Einige Gallier aber kehrten in ihre alte Heimat zurück und machten hier jene Gewächse einheimisch. Nach andern Nachrichten kam ein Helvetier, der in Italien als Zimmermann gearbeitet hatte und über die Alpen heimkehrte, zu den Sennonischen Galliern und zeigte ihnen Feigen, Trauben, Öl und Wein. Da gelüstete es diese Völkerschaft nach dem schönen Süden; sie wanderte in großen Schwärmen aus und ließ sich in Ober- und Mittelitalien nieder. Überhaupt war der Süden mit seinem milden Himmel, seinem Wein und seinen lockenden Früchten das Ziel fast aller Völkerwanderungen, welche das gewaltige römische Reich erschütterten und endlich in Trümmer stürzten. Die Sennonischen Gallier nahmen unter ihrem Anführer Brennus 389 vor Chr. sogar Rom ein und verbrannten die Stadt bis auf das Capitol, das von Camillus gerettet ward, welcher zugleich den feindlichen Volkshaufen zerstreute und seine Landsleute verhinderte, nach Veji auszuwandern. So war aber Italien gewissermaßen für Gallien, was Griechenland für Italien war, die milde Spenderin neuer und besserer Früchte, und die Römer waren es, welche später, wie in Germanien, so in Gallien den Weinbau veredelten und ausbreiteten. Béranger verherrlicht in einem sehr schönen Lied mit gewissem Recht Brennus als den Gründer der Weinkultur in Gallien; er läßt ihn mit prophetischem Geist in die Zukunft schauen und seinem Volk zurufen: „Den größten Triumph feiern wir, indem wir die Rebe heimbringen, bis dahin ihres allmächtigen Saftes entbehrend. Erst auf den heimischen Hügeln werden sich die Früchte unsrer Heldentaten und unsres Sieges über Rom herrlich offenbaren. Durch eure Traube, Gallier, werdet ihr einstmals der Neid der Völker sein; aus der Traube, voll von den Feuern der Sonne, werden alle Künste Leben schöpfen; tausend Fahrzeuge werden mit Wein beladen unsre Ufer verlassen und Freude über die ganze Welt tragen; das Weib wird dem Mann einen Balsam mehr auf seine Wunden gießen, und im Kampf werden die Machbaren erfahren, daß der Wein selbst andre Waffen ersetzt.“ (Chansons choisies de Béranger. Bielefeld 1846. p. 77.)

Wenn mehrere alte Schriftsteller hinsichtlich des Weinbaus in Gallien einander widersprechen, so hat dies offenbar darin seinen Grund, daß sie verschiedene Gegenden des Landes im Auge haben. Denn während der Wein an einigen Orten trefflich gedieh, erlaubten dagegen anderswo Boden und Klima seinen Anbau nicht. Als Varro, um die Quästur zu bekleiden, nach Gallien ging, fand er jenseits der Alpen keinen Weinbau. Strabo (Geograph. lib. IV. p. 223) sagt, daß der Narbonensischen Provinz zuerst der Segen des Weinbaus zu Teil ward; im Norden der Cevennen aber wäre die Kälte so heftig, daß man es für unmöglich halte, in diesem Teil Galliens die Traube zur Reife zu bringen. In später n Zeiten ward natürlich, wie anderswo, so auch hier durch Lichtung der Waldungen und Ausrottung der Sümpfe das Klima bedeutend gemildert. Diodor von Sizilien behauptet, daß das Klima von Gallien überhaupt zu kalt für Wein und Oliven wäre und deshalb dort viel italienischer Wein getrunken wurde, während Andre dagegen sagen, daß die Gallier schon zu Ciceros Zeiten einen bedeutenden Weinhandel nach Italien und andern Ländern trieben. Es steht jedenfalls fest, daß die alten Massilier Wein nach Rom ausführten und auch die Künste der Räucherung und Verfälschung sehr wohl kannten; denn Martial bemerkt in seinen Epigrammen höchst witzig von dem Weinhändler Munna aus Massilia, derselbe ließe sich bloß deshalb nicht in Rom blicken, um hier nicht seinen eigenen Wein trinken zu müssen.

Als Caesar 50 vor Chr. Gallien eroberte, fand er den Weinstock in der Narbonensischen Provinz schon vielfach angepflanzt. Je weiter dann die Römer ihre Herrschaft ausdehnten, um so weiter verbreitete sich auch der Weinbau, namentlich in den Gegenden, welche die heutigen Departements Lozère, Hérault, Gard, Vaucluse, Bouches du Rhône, Var, Basses Alpes, Hautes Alpes, Dôme und Isère ausmachen. Unter Augustus soll die Rebe in Burgund Eingang gefunden haben, vorzugsweise in den Departements Côte d'or, Saône und Loire. Doch bald sollte ein gewaltiger und unerwarteter Schlag die junge Weinkultur in Gallien treffen. Kaiser Domitian gab 92 nach Chr. den Befehl, sämtliche Weinstöcke daselbst auszurotten. Es war nämlich im voraufgegangenen Jahr die Weinlese besonders ergiebig, die Getreideernte dagegen schlecht ausgefallen und in Folge dessen eine Teuerung im Lande entstanden. Vielleicht hielt nun Domitian dafür, der Weinbau tue der Kultur der Kornfrüchte Eintrag, nach dem Grundsatz des bekannten deutschen Sprichwortes: „Wo der Pflug kann gehen, soll kein Weinstock stehen“; oder er fürchtete, der Weingenuss und die Trunksucht könnte die Barbaren zu Einfällen ins römische Reich reizen; oder er wollte endlich, daß Italien das Monopol des Weinhandels haben sollte, was mir allerdings das wichtigste Motiv zu jener wahrhast empörenden Maßregel zu sein scheint, welche übrigens in vollem Einklang mit manchen andern widersinnigen Taten dieses tyrannischen Kaisers stand und den allgemeinsten Unwillen hervorrief, zum Glück aber nicht mit aller Strenge durchgeführt ward.



Unter den Kaisern begünstigte Aurelian 270—275 nach Chr. zuerst wieder den Weinbau, und sein Nachfolger Probus, ein durch Milde und Rechtschaffenheit ausgezeichneter Fürst, hob das Verbot des Domitian völlig auf und gestattete nicht nur den ungehinderten Anbau der Rebe in seinem ganzen Reich, sondern ließ selbst durch seine Legionen allenthalben neue Weingärten anpflanzen. Der Eifer für die Weinkultur war es sogar, welcher diesem Kaiser nach nur sechsjähriger Regierung einen jähen Tod bereitete; er ward in seiner weinreichen Vaterstadt Sirmium in Pannonien von seinen Soldaten ermordet, welche keine Lust hatten, die friedliche Arbeit des Weinpflanzens zu betreiben. Die Verdienste des Probus um die Weinkultur sind höchst humoristisch in einer über 100 Jahre alten Schrift entwickelt, worin der Verfasser vorschlägt, ihn zu kanonisieren und einen andern Heiligen aus dem Almanach zu streichen, um ihm einen so wohl verdienten Platz darin zu geben.

Nachdem Gallien auf diese Weise fast zwei Jahrhunderte hindurch keinen Weinbau im großen Maßstabe gekannt hatte, wurden abermals neue Reben aus Griechenland, Sizilien und Afrika eingeführt und angepflanzt. Die gesamte Bevölkerung, selbst Weiber, Kinder und Greise wurden im südlichen Gallien zur Arbeit herangezogen und lieferten ein erhebendes Schauspiel durch ihre aufopfernde Tätigkeit. Die ältesten Leute bestimmten nach den ihnen durch Überlieferung bekannt gewordenen Regeln die Anhöhen, die zum Weinbau am Tauglichsten sein sollten, und weihten dieselben feierlich dem Bacchus, in der Hoffnung, noch mit ihren Kindern und Enkeln sich am Genuß des göttlichen Gastes zu erfreuen.

Über Weinbau im nördlichen Gallien datieren die ersten sichern Nachrichten vom Jahre 311 nach Chr. Ausonius und sein Zeitgenosse Ammian rühmen im 4. Jahrhundert die mit Reben geschmückten Ufer der Mosel. Kaiser Konstantin der Große, 324 bis 337 nach Chr., schätzte die Weinkultur in hohem Grade; ließ er doch für die irdischen Überreste seiner Gemahlin Konstantin in einem Tempel bei Rom ein Grabmal mit einer großen porphyrnen Urne errichten und auf dieser sowohl wie an der Decke des Tempels die Weinlese und den Kelterungsprozess darstellen (Winckelmann, Gesch, d. Kunst II. p. 868), Zur Zeit dieses Kaisers verstanden es die Pariser schon, ihre Weinstöcke durch Strohmatten vor der Winterkälte zu schätzen, und Kaiser Julianus Apostata, welcher sich vor seiner Thronbesteigung 361 nach Chr. mehrere Jahre in Gallien aufhielt, spottet wohl über den Bockgeruch des Biers daselbst, rühmt aber die Früchte des Weinstocks in einer poetischen Schilderung der Umgegend von Paris, der alten Lutetia Parisiorum. Julian beförderte den Weinbau in Gallien, wie er es später im Orient tat, und war überhaupt ein in Belebung aller Kulturzweige überaus tätiger Fürst. Seine Abneigung gegen die Christen einerseits, sowie seine Lieblingsbeschäftigung mit der griechischen Literatur andrerseits führten ihn zur heidnischen Religion zurück; war es nun ein politischer Missgriff, sich von der herrschend gewordenen Staatsreligion loszusagen, so kam derselbe der Weinkultur insofern zu Statten, als mit dem veränderten Gottesdienst auch die den Göttern dargebrachten Libationen, sowie die Bacchusfeste wieder eingeführt wurden, bei welchen Julian selbst einen Silen an seine Tafel zog, dem jede freie Äußerung über den Kaiser und auch über die Götter gestattet war, ganz so, wie später die Hofnarren und Clowns ihren Fürsten ungestraft die Wahrheit sagen durften.

Im 5. Jahrhundert verlor ein bis dahin bestehendes Gesetz, wonach den barbarischen Völkern kein Wein noch Öl zugeführt werden durfte, seine Gültigkeit; in Folge davon hoben sich Handel und Austausch der Produkte und gelangte auch der Weinbau mehr und mehr zur Blüte, so daß Chilperich sogar eine Weinsteuer erheben zu können meinte und jedem Weinbergbesucher eine jährliche Lieferung von 2 Amphoren, etwa gleich 1½ Anker, für seine Tafel auferlegte. Diese kühne Maßregel rief aber einen Aufruhr hervor, und die Einwohner von Limousin töteten den zur Eintreibung der Steuer beorderten Beamten (V. Aimon. de gest. Franc. III. c. 32 in Freheri corp. Hist. Franc. P. 315 ).



Wenn schon die Geschichte der folgenden Jahrhunderte überhaupt unsicher und verwirrt erscheint, so sind uns aus denselben über die Weinkultur so spärliche und unzuverlässige Nachrichten aufbewahrt, daß sich jetzt mit Bestimmtheit fast nur das Eine sagen läßt, daß in manchen Gegenden Frankreichs, besonders in den nördlichen Provinzen früher Weinbau getrieben ward, wo man ihn später wieder aufgab, weil das Klima zu ungünstig war. So produzierte die Normandie geringere Weine, als die Gegenden von Koblenz und Bonn. Von welcher Qualität im 16. Jahrhundert der Wein der Bretagne war, beweist folgende Anekdote. Ein Adeliger aus der Bretagne prahlte am Hofe Franz I., daß in seiner Heimat drei Dinge besser wären, als im ganzen übrigen Frankreich: die Menschen, die Hunde und der Wein, worauf der König antwortete: Was die beiden ersten betreffe, so möge er Recht haben; aber hinsichtlich des Weins müsse er gestehen, daß selbiger der sauerste und schlechteste im ganzen Königreich sei. Man zog daher vor, von Calais bis Nantes, anstatt des Weins lieber Obst zu Cider und Hopfen zu Bier zu pflanzen. Ehemals versorgten die Bauern der Pikardie die Tafel Philipp Augusts, 1180 bis 1213, mit Wein; die Weingärten von Etampes und Beauvais waren einst berühmt, während jetzt im ganzen Departement der Somme keine Spur von Wein mehr gewonnen wird.

Die Könige von Frankreich scheinen schon früh bedeutende Weinpflanzungen besessen zu haben; und wenn sie auch nur ihre eigenen Besitztümer zu eigennützigen Zwecken pflegten, so gaben sie doch damit ihren Untertanen ein nachahmungswertes Beispiel und beförderten solchergestalt die Weinkultur des ganzen Landes. Der genannte Philipp II. August besaß nach Chaptal 21 Weinberge, und Philipp der Schöne setzte 1310 eine bedeutende Summe zur Erweiterung der Weinberge von Languedoc aus. Ludwig IX. erließ 1268 die naive Verordnung, daß, wenn der Weinverkauf des Königs öffentlich ausgerufen würde, alle andern Weinhandlungen geschlossen werden müßten. Als [/b]Papst Urban V.[/b] 1308 Avignon zu seinem Aufenthalt wählte und das Kloster Cluny bestimmt ward, dem päpstlichen Hof den Weinbedarf zu liefern, meinte Petrarca, die Kardinäle hätten nur darum den Aufenthalt in Frankreich vorgezogen, weil in Italien kein Wein von Beaune zu haben wäre.

In Folge der Kreuzzüge fanden neue Einwanderungen von Reben aus Asien und Griechenland statt; Schenkungen von Weinbergen an die Klöster kamen ebenso wie in Deutschland und England vor, und nach letzterem Lande bestand schon damals eine bedeutende Ausfuhr von Wein; 1350 wurden allein im Hafen von Bordeaux 13.429 Tonnen verschifft. Burgunder und Champagner galten schon früh für die vorzüglichsten der französischen Weine. Auf keiner Tafel der Großen und Mächtigen durfte im Mittelalter der Burgunder fehlen. Für Damen und Herren war er stets wegen seiner Lieblichkeit der König der Weine, und ein Glas echter Burgunder war das edelste, was man hohen Gasten zu kredenzen vermochte. Als der Weinbau in Deutschland mehr und mehr Eingang fand, bemühten sich daher Fürsten und Adlige eifrigst, Reben aus Burgund zu beziehen und damit Weingärten anzulegen, so daß noch heute in den meisten Gegenden Deutschlands, wo roter Wein gebaut wird, Burgund als das eigentliche Stammland desselben anzusehen ist. Die Herzöge von Burgund nannten sich zu Ende des 14.Jahrhunderts in ihren Verordnungen „Seigneurs immédiats des meilleurs vins de la Chrétienté“, alle europäischen Fürsten bezeichneten sie mit dem Namen „Princes des bons vins“. Bei der Krönung der Könige in Reims durfte kein andrer Wein als Burgunder bei der kirchlichen (Zeremonie verwendet werden; und in Paris ward 1369 auf das Faß Burgunder 120 Cent. Eingangszoll gelegt, während man für die übrigen eingeführten Weine nur eine Abgabe von 75 Cent, festsetzte, aus dem Grunde, weil der Burgunder von den Reichen, die andern Weine aber von weniger bemittelten Leuten getrunken würden.

Im 15. und 16. Jahrhundert galten auch die Weine von Orleans und Artois für vorzüglich; letzterer wurde an der königlichen Tafel nur den vornehmsten Gästen eingeschenkt. Der Satiriker [Rabelais erwähnt 1535 in rühmender Weise der Graves- und Clementinweine, nach Papst Clemens V., 1305—1314, benannt. So gewann der Weinbau in Frankreich immer größere Ausdehnung, bis es 1566 Karl IX. gefiel, einen zweiten Domitian im Kleinen zu spielen. Es war ebenfalls bei Gelegenheit eines Misswachses des Getreides, daß der Urheber der Pariser Bluthochzeit eine Verordnung erließ, wonach ? des Bodens zum Anbau der Cerealien, ? aber zum Weinbau verwendet und alle dieses Maß übersteigenden Weinpflanzungen ausgerodet werden sollten. Schon 11 Jahre später änderte Heinrich III. dies Gesetz dahin ab, daß nur die zum Kornbau geeigneten Ländereien nicht zu Weinbergen verwendet werden sollten.

Den Champagner tranken in der frühsten Zeit feiner Existenz die Könige und Pairs von Frankreich allein; erst im 18.Jahrhundert ward er in England allgemeiner bekannt, obgleich schon Heinrich VIII. ihn hier mit Wollust schlürfte und 1666 König Ludwig XIV. von Frankreich 200 Faß Burgunder und Champagner dem König Karl II. von England als Geschenk übersendete. In unserm Vaterland mochte damals schon mancher denken, wie Brander in Auerbachs Keller zu Leipzig, der sich von Mephistopheles recht moussierenden Champagner ausbat:

Man kann nicht stets das Fremde meiden,
Das Gute liegt uns oft so fern.
Ein echter deutscher Mann mag keinen Franzen leiden,
Doch ihre Weine trinkt er gern.


Die eigentümlichen Charaktere des Burgunders und Champagners haben in Frankreich zu einigen merkwürdigen literarischen Produkten und zu gelehrten Weinbataillen Veranlassung gegeben. Unter Ludwig XIV. kämpfte ein gewisser Coffin, Rektor an der Universität in Beauvais, für den Champagner und schrieb eine begeisterte lateinische Ode, welche diesem Wein einen vollständigen Sieg über den Burgunder verschaffte, der in einem matten Gedicht von Gréneau verteidigt wurde. Der Sieger erhielt ein reichliches Quantum des besungenen Weins zur Belohnung von den Bürgern in Reims, welche Stadt der Hauptstapelplatz des Champagners ist. In der Mitte des vorigen Jahrhunderts entspann sich abermals, nachdem ein Arzt in einer Abhandlung behauptet hatte, der Champagner wäre ungesund, ein langer und lebhafter Streit unter den medizinischen Fakultäten Frankreichs über den Einfluß des Burgunders und Champagners auf die menschliche Gesundheit und über die Vorzüge des einen Weins vor dem andern. Nachdem viele Schriften über diesen Gegenstand erschienen waren, ward 1778 vor der medizinischen Fakultät zu Paris eine Disputation über die Streitfrage gehalten und schließlich entschieden, daß der Champagner keineswegs für die Gesundheit nachtheilig sei, sondern in dieser Beziehung sogar den Vorzug vor dem Burgunder besitze.
Nicht nur dem Körper, sondern auch dem Geiste behagt der Champagner im höchsten Grade; er ist der Poetenwein im eigentlichsten Sinne des Worts. An seinem Feuer haben nicht nur seine Landsleute, sondern unzählige Dichter andrer Nationen ihre Phantasie angezündet. Die höchste Champagnerlaune schäumt, sprudelt, perlt und prickelt in den Versen des schlesischen Dichters Moritz Graf Strachwitz:

Schlage zum Himmel, Champagnergezisch,
Springe in silbernen Sprudelkaskaden,
Schieße in pochenden, bäumenden Fluthen,
Fließe in kochenden, schäumenden Gluthen,
Aehnlich dem Bronnen der Quellennajaden,
Drin sich die Glieder der Artemis baden,
Tief in des Jdas Cypressengebüsch.

Forme die Perlen von silbernem Schaum,
Die sich erheben aus siedendem Spiegel,
Die in den spitzigen Trichterpokalen
Funkelnd dem hitzigen Sprudel entstrahlen,
Die aus der Flasche gebrochenem Siegel
Schweben und tanzen auf duftigem Flügel,
Steigen und sinken im goldigen Raum.

Schlagt auf die Becher mit wirbelndem Schlag,
Daß sie erbrausen in rollendem Falle;
Laßt in den duftigen Tiefen des Nasses
Tanzen die luftigen Geister des Fasses,
Laßt sie in spritzendem, stäubendem Falle
Stürzen aus blitzendem Becherkrystalle;
Kurz ist der Jugend moussierender Tag!


Frankreich ist heute das Hauptweinland nicht nur in unserem Erdteil, sondern auf der ganzen Erde. Nach Reden werden vom gesammten Areal Europas etwa 657 Quadratmeilen mit Wein bepflanzt, wovon allein auf Frankreich 357,5 Quadratmeilen kommen; und nach Baur produziert ganz Europa im Mittel jährlich etwa 84.288.491 Hektoliter Wein, wovon Frankreich allein 41.743,600 Hektoliter liefert. Und doch hat der Franzose nicht einmal ein Wort für unser deutsches „Rausch“, trotzdem daß in seinem Vaterland beinahe so viel Wein wächst, als im ganzen übrigen Europa zusammengenommen; denn das Wort ivresse bezeichnet nicht sowohl den leichten, lustigen Rausch, als vielmehr die schwere, trübe Trunkenheit. Auch den Brauch, beim Zutrinken mit den Gläsern anzustoßen, hat der gallische Nachbar von uns entlehnt, worauf das Wort trinquer, womit er das Anstoßen bezeichnet, deutlich hinweist, welches vom deutschen trinken hergenommen ist, obwohl es dies nicht bedeutet. So hat sich noch in neuester Zeit die französische Sprache mit dem deutschen Trinkhall bereichert. Gerade dieser Mangel an Ausdrücken für Trinken und damit zusammenhangende Begriffe, woran die deutsche Sprache so unendlich reich ist, scheint uns charakteristisch für die Lebensweise der Franzosen zu sein, welche fast im Gegensatz zu den Deutschen von jeher die Venus höher ehrten als den Bacchus, und deren größte Sittenverderbnis niemals so sehr durch Unmäßigkeit im Trinken, als vielmehr durch Ausschweifungen in der Liebe zu Tage trat. Es ist daher auch von keinem Interesse, speziell von den Gelagen dieser Nation zu reden, ebenso wenig als von denen der Spanier, Portugiesen oder andrer romanischer Völkerschaften, bei denen das Zechen durchaus nichts Charakteristisches für die Sittengeschichte bietet. Wir gehen somit in den folgenden Kapiteln zu der germanischen Rasse über. Auch die slavischen Völker zechen nicht auf eine absonderliche Weise, deren Betrachtung von Interesse sein könnte; sie kennen kein gemütliches Beisammensein in der Kneipe, feiern keinen geregelten Komment, befolgen überhaupt keine Methode beim Trinken, wie die Germanen, sondern trinken wie die Völkerschaften Asiens gewöhnlich nur, um sich zu betrinken, und ziehen zu dem Ende die stärksten Getränke allen andern vor.






Dieses Kapitel ist Teil des Buches Geschichte des Weins und der Trinkgelage