16. Die deutsche Weinpoesie

Die deutsche Weinpoesie.



Der frische, fromme, freie und frohe Zecher huldigt neben dem Wein auch dem Gesang; besonders ist es die akademische Jugend, welche in unzähligen Lieber n neben der Freiheit, dem Vaterland, der Liebe den edlen Saft der Reben besingt. Viele Sänger haben ihn zum Gegenstand ihrer Verherrlichung gewählt, und das Volk singt ihre Lieder mit Begeisterung nach, wenn es sich beim Becher zusammenfindet. Manches kernige Trinklied ist auch im Volk entstanden, ohne daß man seinen Urheber wüsste. Während der Tee das Gespräch im Geleise chinesischen Anstandes hält, der Kasse eine nüchterne Stadtchronik fördert, das Bier den Ideengang verlangsamt und die Geistestätigkeit abstumpft, so belebt dagegen der Wein die geistreiche Unterhaltung, erhöht die gesellige Stimmung, schärft den Stachel des Witzes und gibt endlich der Phantasie eine unmittelbar belebende Nahrung. Daher war vor Allem dem Dichter, der in der Phantasie lebt, der Wein von jeher ein teures Gut; ohne Rebensaft keine Dichtkunst; eine Nation, die keinen Wein trinkt, wird keinen Dichterheroen gebären. Von Anakreon an, den das sonderbare Schicksal traf, im 85. Lebensjahre an einer Weinbeere zu ersticken, bis auf die deutschen Anakreontiker, oder von Salomo und Homer an bis heute ist das Weinlied ein heitrer, viel kultivierter Zweig der schönen Literatur geblieben; die ersten Erzeugnisse der tragischen Kunst sind ihm geweiht, und die Dichtung räumte ihm die eigne Gattung des Dithyrambus ein, zu dem kein Dichter, der das Wasser preisen wollte, den kühnen Ausflug finden würde.




Daß grade die deutsche Nation reich an Wein und Trinkliedern ist, versteht sich nach der Eigentümlichkeit ihres Charakters und ihrer Sitten von selbst. Gleichwohl findet sich in der Minnepoesie, überhaupt in der ganzen Literatur des 13. Jahrhunderts keine Spur von volksmäßigen Weinliedern, mit Ausnahme einer scherzhaften Dichtung, die unter dem Namen Weinschwelg bekannt ist. (Grimm, Altdeutsche Wälder III. 13—28.) Die Lyrik der Ritter jener Zeit dreht sich fast lediglich um die Liebe, man hatte in der aristokratischen Periode der Zechkunst keinen Begriff von lautem und lustigem Singen, man verstand den übermütigen Jubel des Innern gar nicht, der zum freudigen Gelage und Gesange gehört. Nichts charakterisiert die ritterlichen Zecher mehr, als wenn sie versuchen, die Wirkungen ihres süßlichen, versetzten Weins zu schildern; immer herrscht dann der fadeste Witz vor; besonders bezeichnend aber ist der ebengenannte Weinschwelg, der Monolog eines Trinkers vor seiner Kanne, über welchen Gervinus (National-Literatur I. p. 300 ff.) folgendermaßen urteilt: „Es giebt nichts Ekleres, als ein einsames Saufen, nichts, was der Bestimmung des Weins so sehr entgegensteht, der die Herzen öffnen, den Verkehr traulich machen und die gemeinsame und laute Freude erhöhen soll. Mit einer ganz unnachahmlichen Kunst — und allerdings so vortrefflich, daß man das Hässliche übersehen kann — ist in diesem Gedicht ein solcher Alleinzecher geschildert, der in regelmäßigem Fortschritt seine Kanne vom Wein leert und mit Lobpreisungen füllt, bis er zuletzt seinen schwellenden Körper in Eisen waffnen lassen muß, um der Macht des Getränks zu widerstehen, woraus er dann am Schluß des Gedichts, nachdem das Unmögliche bereits geschehen war, nach einem auch hier wiederkehrenden Refrain erst eigentlich anhebt zu trinken. So überraschend einfach und so ruhig im Ton der echtesten Ironie dies kleine Gedicht gehalten ist, so sieht man doch, daß nur in einem Stande, der nicht die freien Künste der männlich lustigen Gesellschaft, sondern bloß Hofzeremoniell und steife Frauenzirkel kannte, eine solche Materie so behandelt werden und überhaupt nur aufgegriffen werden konnte, da dieses lästerliche, heimliche Zechen sonst nur unter gemeinen Weibern gefunden wird und so von Aristophanes verspottet wurde.“

Als aber im 14. Jahrhundert die Volkslyrik erwachte, welche sich im 16. zur höchsten Blüte entfaltete, und mit ihr zugleich das demokratische Zeitalter der Gelage anbrach, da erschollen auch Weinlieder voll echter, ungekünstelter Lust, voll Witz und Humor, voll aufsprudelnder Fröhlichkeit und heitrer Unbesorgtheit. Die Flasche wird als lieber Buhle umarmt, und das Faß findet als Mägdlein im hölzernen Reifrock seine Anbeter, die es zur Auserwählten erkiesen. So singt Fischart

Die liebste Buhle, die ich han,
Sie liegt beim Wirt im Keller,
Sie hat ein hölzern Röcklein an
Und heißt der Muskateller.
Sie hat mich nachten trunken gemacht
Und fröhlich mir den Tag vollbracht.


Die Poesie dreht sich fortan nicht allein mehr um die Liebe; neben Frau Venus beginnt der junge Herr Bacchus die Welt zu regieren, und zu Luthers Zeit wird mit dem Weib der Wein und der Gesang, jenes glorreiche Kleeblatt, gleichmäßig gepriesen. Ganz dieser volksmäßigen Weinpoesie gehören die zahlreichen sogenannten Weingrüße und Weinsegen des Nürnberger Wappenmalers und Schwankdichters Hans Rosenblüt, wegen seiner losen Reden auch der Schnepperer genannt, und anderer Meistersinger an. St. Urban gilt jetzt Manchem für den heiligsten der Heiligen, und Rosenblüt bittet ihn um Schutz vor seiner Plage (Podagra):

Behüt dich Gott vor St. Urbans Plag
Und beschirm mich auch vor dem Strauchen,
Wenn ich die Stiege hinab muß tauchen,
Daß ich auf meinen Füßen bleib
Und fröhlich heimgeh zu meinem Weib
Und alles das wisse, was sie mich frag;
Nun behüt mich Gott vor Niederlag.


Fischart hat uns das teils grobkomische, teils sinnlose Raisonnement eines Zechers über den Wein und die Trunkenheit in dem 8. Kapitel seiner Gargantua hinterlassen, welches den Titel trägt: „Das trunken Gespräch, der die gesprächig Trunkenzech, ja die trunken Litanei, und der Säufer und guten Schlucker Pfingsttag mit ihrer unfeurigen doch dürftigen Weingengen Zungenlöß, schönem Gefräß und Getös.“ Nur folgende Stelle aus diesem seltsam klingenden Kapitel des berühmten Satirikers möge hier Platz finden: „Was sollt ich den 3 Gratien zu lieb nur 3mal trinken, warum nit den Krügen in Cana zu lieb 7mal und, wie man den Brüdern vergibt, ein Tag 77mal? Warum nit den 9 Musis zu lieb 9fach, doppelt so viel 99mal. Martialis, gefällt unser Genaden, trank so viel hoch Becher aus, als viel seiner Liebschaft Nam Buchstaben enthielt, gar bene, so muß mein Liebschaft Bartolomesus heißen; alsdann so werd ich ihrer desto öfter gedenken, je öfter man mir wird einschenken. O, ihr liebe Weiber, wie ein gutes Fündlein für euch, auf diese Weise können die Männer beim Wein euer nit vergessen, laßt ihnen nur tapfer einschenken; heißt sie schon Annele, so sag sie nur, sie heißt Petronellulele oder Madalenelelle, so trinkt er desto mehr und rauft sie, wenn er heimkommt, desto eher.“ Zwischen die Gespräche und Trinkwitze der Zechenden hat Fischart halbe oder ganze Lieder gemischt, welche voll Witz und Humor sind und die demokratische Epoche des Weins charakterisieren. „Wie in der Geschichte des Weintrinkens,“ sagt Gervinus (Nat.-Lit. II. p.313 ff.), „so sind auch in der des Weinliedes die historischen Veränderungen sehr deutlich; man geht von dem nüchternen Schlaftrunk des Rittersmanns bis in das abendliche Zechgelag der Schlemmer über. Wer neben den Weinschwelg die Weingrüße und Weinsegen des Hans Rosenblüt hält, wo in die Anrede des einsamen Trinkers schon weit mehr Lebendigkeit und volksmäßige Lustigkeit eingeht, und wer dann aus Fischarts Gargantua das Kapitel von der trunkenen Litanei hinzutut, der übersieht die innere und äußere Veränderung auf einmal und hat ganz denselben Fortgang vor sich, wie in diesem Lotterliede selbst, welches eine Stufenfolge in dem Übermut des Weins zeigt, der mit der Illumination der Schlemmer wächst, in der Ausgelassenheit und Tollheit, in dem Unsinn, der sich unter sinnvolle Worte, in dem Sinn, der sich in unsinnige Wendungen kleidet, in dem Groben und Schweinischen, womit das Ganze endet.“



Einen edleren und freier n Aufschwung nahm die Weinpoesie erst im vorigen Jahrhundert durch Hagedorn, den deutschen Anakreon, welchen selbst Klopstock in seiner Ode Wingolf mit „Evan, Evoe“ begrüßt. Gleichzeitig mit Hagedorn und nach ihm sangen Lange, Gleim, Jacobi, Uz, Götz, Klotz, Cramer, Ramler, Ebert, Zachariä, Schmid u. A. in gleichem Geist fort, und Uz galt mit Recht für den deutschen Horaz, wenn Hagedorn der deutsche Anakreon war. Man führte in diesem Dichterkreis ein heitres, poetisches Leben, zechte ganze Nächte durch und feierte anakreontische Becher- und Rosenfeste. Allen jenen Freunden war die Liebe zu Anakreon und Horaz gemeinsam, und es entstand daraus fast eine Manie, diese Fremden zu übersetzen oder ihnen nachzuahmen, was freilich nicht immer in geschickter Weise geschah; manche Weingesänge jener Zeit sind höchst nüchtern, empfindungslos und ohne rhythmischen Wohlklang. Im Ganzen aber bietet die klassische Periode der deutschen Literatur eine reiche Auswahl vortrefflicher Panegyriken auf den edlen Saft der Rebe; auch das große Dioskurenpaar der Poesie hat den begeisternden Trank getrunken und besungen. Es ist jedoch hier nicht der Ort, die zahlreichen Wein- und Trinklieder unsrer Nation, noch die vielen herrlichen auf unsre Zechlust anspielenden Balladen, z. B. von Goethe, Schiller, Uhland, Schwab, Simrock, Rückert, genauer zu erörtern. Wir erinnern nur an Wilhelm Müllers, des Griechendichters, Romanze „Est, Est“, der die bekannte Anekdote, die man sich vom Augsburger Prälaten Johannes von Fugger erzählt, zu Grunde liegt. Derselbe ließ seinen Diener vorausreisen, um die Weine zu Prokuren; da, wo er guten fände, sollte er mit Kreide „Est“ an die Wirtshaustüre schreiben. Als nun der treue Diener zu Montefiascone im Kirchenstaat, wo ein schwerer und aromatischer Muskateller wächst, anlangte, schrieb er in der Begeisterung „Est, Est, Est,“ worauf sich der würdige Prälat hier häuslich einrichtete und sich bald am dritten „Est“ zu Tode trank. Sein Diener setzte ihm einen Leichenstein mit der Inschrift: „Est, Est, Est; et proprer nimium „Est“Dominus meus mortuus est." Auch an andern Grabschriften fehlt es nicht, in denen der Lieblingsbeschäftigung gedacht wird, die der Heimgegangne vormals unter den Lebenden trieb, vielleicht in der Hoffnung, dieselbe jenseits fortsetzen zu können. So liest man in der Kirche zu Dobberan in Mecklenburg folgende originelle Inschrift:

„Wiek, Düwel, wiek, wiek wiet von mi,
Ick scheer mi nicvh en Haar um di,
Ich bün en meckelbörgsch Eddelmann,
Wat geit di, Düwel, min Supen an.
Ich sup mit minen Herrn Jesu Christ,
Wenn du, Düwel, ewig dösten müsst,
Un drink mit em söt Kolleschaal,
Wenn du sitzst in de Höllenqual.
Drum rahd' ick: wiek, lop, rön und gah,
Esst (oder) bi den Düwel ick tosla.





Dieses Kapitel ist Teil des Buches Geschichte des Weins und der Trinkgelage
Uhland Ludwig (1787-1862), deutscher Dichter und Literaturwissenschaftler

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Gervinius Georg Gottfried (1805-1871), deutscher Historiker

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Zisterzienserkloster in Doberan

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