Die Perser

Nach dem Geographen Strabo gab in Hyrkania ein Weinstock etwa einen Anker Wein; in Margiana wurden Stöcke gefunden, deren unterster Stamm zwei Klafter im Umfang hatte und deren Trauben an zwei Ellen lang waren; und in Aria hielt sich der Wein drei Geschlechter hindurch in ungepichten Gefäßen. Für sehr kostbar galt im ganzen Altertum der Wein aus Chalybon, dem heutigen Aleppo oder Haleb; er allein kam auf die Tafel der persischen Könige, welche ihren Tisch mit dem köstlichsten zu besetzen pflegten, was jede Provinz ihres weiten Reichs hervorbrachte.



Das Klima Persiens ist dem Weinbau außerordentlich günstig, die Trauben sind von seltener Größe und Schönheit, und erlangen ein Gewicht von zwölf bis vierzehn Pfund. Der Wein von Jspahan ist weltberühmt; dem Kismisch kommt, wie Olivier meint, keine Traube der Erde gleich; das dichterreiche Schiras ist nicht nur wegen der Trefflichkeit seiner Luft, sondern auch seiner Trauben gefeiert; und noch über den Wein von Schiras stellt Morier den von Kazwin, welche Stadt ihrer schönen Lage wegen von den Persern das Paradies genannt wird. Die Fülle und Güte des persischen Weins konnte bewirken, daß in diesem Teile des an Zeremonie und Religion so streng haftenden Orients das den Wein verbietende Gesetz des Korans niemals durchdringen konnte; besonders die Reichen und Vornehmen des Landes trinken häufig das verbotene Getränk, und tun wohl gar noch Brechnüsse und Hanfkörner hinein, um seine berauschende Wirkung zu erhöhen. Der König erlaubt selbst einigen Großen sowie den Gesellschaften europäischer Kaufleute Wein zu keltern. Letztere müssen freilich außerdem dazu die Erlaubnis des Statthalters und des Aufsehers erlangen, welche beide beauftragt sind, die Menge Weins festzusetzen, die Jeder verfertigen darf, nachdem der für den König bestimmte gelesen ist. Diese Erlaubnis wird nur durch Geschenke erlangt, und durch dasselbe Mittel auch die festgesetzte Menge überschritten.



Chardin und Tavernier sagen, daß der Schach Abbas II sich mit seinen Höflingen zu betrinken pflegte und daß seine Keller mit Weinen aus Georgien, Karamanien und Schiras, die man in venezianischen Kristallflaschen aufbewahrte, im Überfluss versehen waren; er bezog auch Weine aus Spanien, Frankreich und Deutschland, zog aber die vaterländischen allen andern vor. Diejenigen Perser, welche streng nach dem Koran leben, trinken nur Kaffe und den aus mehreren Früchten und Blüten bereiteten Sorbet; wollen sie sich berauschen, so nehmen sie zu Opiumpillen, Mohnaufgüssen und dem Saft von Hanfstengeln und Hanfsamen ihre Zuflucht. Dagegen trinken viele ganz ohne Gewissensbisse Wein, in der Überzeugung, daß ihnen diese Sünde vergeben wird, falls sie ihn nur nicht selbst zubereiten; andere aber verschaffen sich das Vergnügen nur heimlich. Abends in der Dunkelheit holt ein zuverlässiger Diener für seinen Herrn vom Apotheker in silbernen Gefäßen eine flüssige, giftige Arznei, welche er mit unzähligen geheimnisvollen Namen belegt, bloß nicht Wein betitelt, obgleich sie, wie böse Zungen behaupten, ganz wie Wein aussehen, riechen und schmecken soll. Doch den Augen der Menschen ist das Getränk durch die Dunkelheit und überdies durch das silberne Gefäß verborgen; freilich schützt eins so wenig wie das andre vor der Wahrnehmung durch die Nase. Übrigens trinkt man auch Champagner mit ruhigem Gewissen; denn mag man dagegen sagen, was man will: Champagner ist doch immer Champagner, also kein Wein, folglich auch nicht verboten. Auf solche Weise und aus ähnlichen Gründen wird überall im nüchternen Reiche des Muhamed der sorgen brechende Wein getrunken; und wo er besonders herrlich gedeiht, haut wohl einmal der strenggläubigste Muselmann über die Schnur und wird sich der Wahrheit von Schillers schönen Versen bewusst:

Trink ihn aus, den Trank der Labe,
Und vergiß den großen Schmerz!
Wundervoll ist Bacchus` Gabe,
Balsam fürs zerrissne Herz.


Nach den Briefen der Lady Montague über die Türkei trinken die Reichen dort zwar öffentlich keinen Wein, um das Ärgernis zu vermeiden, allein sie entschädigen sich dafür heimlich und trinken dann nicht mehr und nicht weniger als die Christen.






Dieses Kapitel ist Teil des Buches Geschichte des Weins und der Trinkgelage