08. Die Ratskeller

Die Ratskeller.



In wohlhabenden und bevölkerten Städten spielten schon früh die Ratskeller eine hervorragende Rolle; während dieselben in unsrer prosaischen Zeit, wo Dampf, Gas und Telegraph die Welt regieren, gewöhnlich zu Lokalen untergeordneten Ranges zusammengeschrumpft sind, bildeten sie dagegen im Mittelalter gleichsam die Börse, den Knotenpunkt des Verkehrs, das Zentraltelegraphenbüreau aller Stadtneuigkeiten und Ereignisse. Mit der Poesie des Spießbürgers schwindet auch die des Ratskellers. Vor zwei Jahrhunderten saß in demselben allabendlich mit Würde und Hoheit der Senat, die vollen Römer vor sich, stattliche Perücken auf dem Haupt und die Wehre an der Seite. Nicht oben auf der Erde, sondern unten im Keller war ihr Sitzungssaal, wo sie über das Wohl der Stadt berieten. Waren sie uneinig in der Meinung, so stritten sie sich nicht mit bösen Worten, sondern tranken einander zu; und wenn der Wein ihre Herzen erwärmte, da war der Beschluss schnell gereift: sie drückten einander die Hände und blieben Freunde. Am andern Morgen aber war ihnen ihr Wort heilig; und was sie Abends ausgemacht im Keller, führten sie oben im Gerichtssaal aus. Jeder der Ratsherren hatte ein eignes Trinkbüchlein, eine jährliche Weinrechnung, weil es ihnen nicht genehm war, alle Abende in die Tasche zu fahren und das Geldsäcklein zu ziehen. Sie brachten auch ihre Weiber unk Mädchen mit in den Keller. Die schönen Kinder Bremens tranken Rheinwein oder vom Nachbar Moseler und waren weit und breit berühmt durch ihre blühenden Wangen, ihre purpurroten Lippen, ihre herrlichen, blitzenden Augen. Jetzt können sie gar keinen echten Rheinwein mehr vertragen, sondern gießen spanischen Süßen darunter, weil jener ihnen zu sauer ist. (Hauff, Phantas. im Brem. Rathsk. Stuttg. 1827, p. 75.)




Die Ratskeller hatten gewissermaßen für den Wein dieselbe Bedeutung, die der Marktplatz für die Lebensmittel hat. Die Kaufleute mußten allen Wein, den sie einführten, in den Ratsweinkeller oder, nach dem damals allein üblichen Ausdruck, in Eines Ehrbaren Rats Keller bringen lassen. Nur dadurch, daß auf diese Weise aller Wein, welcher überhaupt in einer Stadt verkauft ward, an einem bestimmten Platz beisammen lagerte, war es der Polizei möglich, Kontrolle darüber zu üben, daß die Weine in hinlänglicher Menge und guter Qualität vorhanden waren und daß die Verkäufer nicht durch Weinfälschungen oder falsche Maße die Käufer betrogen. Aber auch zu manchen andern Zwecken dienten die Ratskeller. Die geselligen Zusammenkünfte, zu denen das Mittelalter sehr geneigt war, konnten oft in Privathäusern wegen beschränkter Räumlichkeit nicht stattfinden und mußten in öffentliche Lokale verlegt werden. Daher wurden zu Lübeck große Hochzeiten im Keller gefeiert, wobei dann die Gäste eine so beträchtliche Trinkfähigkeit zeigten, daß der Rat sich genötigt sah, in der zu trinkenden Quantität des Weins eine Grenze zu ziehen. Schon vor der Hochzeit wurde gewöhnlich ausprobiert, welche von den verschiednen Sorten am besten mundete; derartige Proben gestalteten sich jedoch bald zu eignen Gelagen von solchem Umfang, daß der Hochweise Rat sich wiederum genötigt sah, jene „ehrliche Gewohnheit“ dahin zu beschränken, daß nur 12 Personen, 6 von Seiten des Bräutigams und 6 von Seiten der Braut, probieren durften. Solche Verordnungen wurden jedoch niemals streng befolgt.

Die Ratskeller von Bremen, Hamburg, Lübeck, Nürnberg u. sind fast von historischer Bedeutung. In den berühmten Hansestädten durfte schon deshalb ein guter Keller nicht fehlen, weil der Rat des Weins für seine Gäste, für angesehene Edelleute, fremde Fürsten und deren Gesandte, für die Abgeordneten befreundeter Städte bedurfte. Die Sitte, fremden Gesandten Wein zum Willkomm anzubieten, war im Mittelalter eine so gebräuchliche Ehrenerweisung, daß, als der Rat von Antwerpen sie 1520 bei der Anwesenheit von Abgeordneten Lübecks, Hamburgs, Kölns und Braunschweigs unterließ, daraus mit Recht auf eine feindselige Gesinnung geschlossen werden konnte. Als Max I. 1486 durch Herzogenbusch reiste, verehrte ihm die Stadt zwei ungeheure Fässer mit Rheinwein, damals ein glänzendes Geschenk. Auch im 17. Jahrhundert war der Gebrauch, hohen Gästen den Ehrenwein zu überreichen, noch keineswegs abgekommen, wenn er auch nicht mehr so oft als vordem geübt ward. Immer erforderte dabei die Rücksicht, die der Geber auf sich selbst zu nehmen hatte, nicht minder als die auf den Empfänger, daß der Wein untadelhaft war; denn nur durch solchen konnte der Zweck der Gabe erreicht werden. Die Größe derselben aber richtete sich nach dem Range des Empfängers. So erhielt in Lübeck ein König bei seiner Ankunft 4 Ohm Wein und Tags darauf 16 Stübchen, eine Königin 3½ Ohm und Tags darauf 8 Stübchen, ein Kurfürst 12 Stübchen, eine Kurfürstin 6, ein Herzog 8, eine Herzogin 4, ebenso ein Bischof und ein Graf 4, eine Gräfin dagegen, sowie ein Ritter, Abt, Bürgermeister, Doktor und Kanzler 2, ein Ratsschreiber endlich nur 1 Stübchen. (Wöhrmann, „Der Lüb. Rathsweink.“ in Zeitsch. des Ver. für die Lüb, Gesch. und Altert. Bd. II. Hft. I. Lüb. 1863.)

In der Praxis gestalteten sich jedoch die Schenkungen sehr oft größer, und der Rat überschritt freigebig jenes theoretische Maß. Auch die eignen Mitglieder des Raths erhielten an fest bestimmten Tagen im Jahr ½ bis 2 Stübchen Wein. Was nur immer in geschäftlicher Beziehung zum Keller stand, sei es auch nur der Fischmeister, der Fische brachte, oder der Lichtzieher, der seine Lichte ablieferte, jeder bekam einen freien Trunk, dessen Größe gesetzlich geregelt war. Ferner schickten die Hansestädte Wein an benachbarte Höfe, um das freundschaftliche Einvernehmen mit diesen zu stärken, welches für die Sicherung des Handelsverkehrs von großer Bedeutung war. Ein guter Trunk war überdies ein Genuß, den die vornehmen Herren völlig zu schätzen wußten, sich aber nicht so leicht verschaffen konnten, als eine reiche Handelsstadt mit ihren weitverzweigten Verbindungen dies vermochte. Nachbarliche Fürsten alljährlich zu beschenken, ist überhaupt eine uralte, schon zu Tacitus Zeit geübte Sitte, die da um so angemessener war, wo man den Herren große Gunst verdankte.

Es gab Ratskeller, für die sogar eine eigne Administration und Justiz bestand. In Lübeck waren ein Binder, em Schreiber, zwei Zapfer und ein sog. Hauptmann beim Keller angestellt, und die Oberaufsicht führten zwei besonders dazu deputierte Ratsmitglieder, Weinmeister oder Weinherren genannt: und war dies Amt eines der angesehensten, die der Rat hatte. Das Mittelalter betrachtete den Ratskeller gewissermaßen als eine ehrwürdige, heilige Stätte; er gehörte nach dem Stadtrecht in Lübeck gleich den Kirchen, Friedhöfen, Marktplätzen u. zu den besonders befriedeten Orten, an denen jede eigenmächtige Gewalttat schwerer, als wäre sie sonst wo verübt, bestraft ward. Über die Erhaltung dieses sog. Burgfriedens wachten die Weinherren, welche alle im Keller vorgekommnen Verbal- und Realinjurien bestrafen mußten, und zwar summarisch, nicht gebunden an die Regeln des Prozessganges. Die Verklagten mußten in Person vor ihnen erscheinen, und keine Anwälte wurden zur Verteidigung zugelassen, ja die Verletzung des Burgfriedens wurde auch in dem Falle bestraft, daß die Parteien selbst ihren Streit in Güte beilegten.

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Im Mittelalter bildete Rheinwein immer das Hauptgetränt im Ratskeller, Schon eine Urkunde von 1244 erwähnt Hamburger Kaufleute, die an den Rhein reisen, um Wein einzukaufen. Die süßen und feurigen südlichen Weine dienten dem Rheinwein gewissermaßen nur als Begleitung, während französische fast gar nicht geführt wurden. In manchen Jahren ergab sich in der Einnahme, welche die Keller hatten, ein Überschuss, den der Rat nicht selten zu eigentümlichen Zwecken verwenden mußte. So ließ der reiche Ratsweinkeller in Hamburg 1645 — mit einem Kostenaufwand von 46.531 Mark — 18 metallne Kanonen und 4 Mörser gießen, denen man die in diesem Fall sehr begründete Inschrift gab:

Bacchus' Saft hat diese Kraft,
Daß er Mars die Waffen schafft.


(Beneke, Hamb. Gesch. und Denkwürd. p. 312.)



Dieses Kapitel ist Teil des Buches Geschichte des Weins und der Trinkgelage