Vorwort und Einleitung

Das Wasser der Bäche und Brunnen war das erste Getränk, wie jeder Tiergattung, so auch des Genus „homo“. Wenn es letzterem nur daran läge, seinen Durst zu löschen, so würde ihm die verbreitetste, einfachste und natürlichste aller Flüssigkeiten für ewige Zeiten völlig genügt haben. Allein der Mensch ist das einzige Tier, welches nicht nur aus Durst, sondern aus gar vielen andern Motiven, oft ohne den geringsten Durst, trinkt. Niemals hat er die weise Mäßigkeitslehre des Propheten Konfuzius befolgt, der da meinte, daß grober Reis als Speise und Wasser als Trank und der gekrümmte Arm als Polster ausreichten zum irdischen Glück. Dagegen preisen wir es als ein Glück, daß der Mensch durch die zunehmende Tätigkeit und Ausbildung seines Geistes mit der Zeit aus den von Gott geschaffenen Naturgegenständen sich selbst auf künstliche Weise andre Getränke zu bereiten vermochte, welche, wie er mit Freuden entdeckte, ihn nicht nur psychisch mehr erquickten, sondern auch physisch mehr stärkten, als das pure Wasser.

Es ist in der Natur des Menschen begründet, daß er nach einem Reizungsmittel verlangt; zumal bei vegetabilischer Nahrung und anstrengender Körperarbeit vermag er nicht den Wiederersatz der verbrauchten Stoffe durch Wasser zu bewerkstelligen. Wir finden daher, daß fast alle Völker der Erde sich aus irgend einem tierischen oder pflanzlichen Produkt ein alkoholhaltiges, berauschendes Getränk bereiten, mag dies nun Branntwein, Gin, Cognac oder Aguardente, Traubenwein, Palmwein, Reiswein oder Lotuswein, Towak, Kumis, Araka oder Pulque, Met, Ale, Porter oder Lagerbier etc. heißen. Besonders sind die Völkerschaften Asiens, denen der Koran den Weingenuss verbietet, im höchsten Grade erfinderisch in stark berauschenden Flüssigkeiten; eigentümlicher Weise ist nämlich ihr alleiniger und beständiger Zweck beim Trinken die Berauschung selbst, während die zivilisierten Europäer um des geselligen Beisammenseins willen trinken und zechen, den Rausch aber, wenigstens den höhern Grad desselben, mehr nur als unvermeidliche Folge des Vieltrinkens sich gefallen lassen und gewissermaßen als ein notwendiges Übel betrachten. Wenn die Asiaten heimlich Wein trinken, so trinken sie nur die feurigsten Sorten, welche rasch berauschen; solchen aber, die dies nicht tun, ziehen sie bei Weitem ihre andern künstlichen Getränke vor. Überhaupt haben sie durch die lange Gewöhnung an letztere, sowie an Opium, Kaffe, Tee und liqueurartige parfümierte Weine allmählich den Geschmack an reinem Wein verloren, welchen die Indianer in Amerika andrerseits noch nicht gewinnen können. Dieselben ziehen selbst in den Distrikten, wo Wein gebaut wird, leider noch immer das Feuerwasser diesem Getränk vor, jenes Gift, durch welches die weißen Milchgesichter zu ihrer eignen untilgbaren Schande jene mit kraftvollem Körper und herrlichen Geistesanlagen ausgestatteten Naturvölker systematisch ruinierten. Die Ureinwohner Afrikas, die Negerstämme, lernten gar keinen Wein kennen, sondern blieben zu allen Zeiten bei dem gleichaltrigen Bruder desselben, dem Palmwein. Wie sie überhaupt keine Zivilisation annahmen, so traten sie auch nicht in irgend eine nachweisbare Verbindung mit der Weinkultur, da diese ja in ihrer Ausbreitung von Ost nach West denselben Strich bezeichnet, wie die allgemeine Kultur des Menschengeschlechts.


Unter den berauschenden Getränken ist es allein der aus dem Saft der Rebenfrucht durch Gährung entstehende Wein, dessen Geschichte uns hier beschäftigen soll. Die Pflege der Rebe und die Bereitung des Weins beginnen weit vor aller historischen Zeit, wie überhaupt der Anbau der Kulturgewächse nicht weniger als die Zähmung der Haustiere jenseits der Grenzen der Geschichte aller Völker, selbst der Chinesen und Japaner, liegt. Wo nur immer im Altertum ein Volk auftaucht und wann auch seine Geschichte beginnen mag, fast immer beobachten wir, daß es eben zu dieser Zeit das älteste und verbreitetste aller künstlichen Getränke bereits kennt. Die Weinkultur schreitet jeder andern Pflanzenkultur voraus, und der Mensch, welcher seine Werkzeuge noch aus gehauenen Kieselsteinen bildete, konnte schon die edle Rebe anbauen. Wie wir im Verlauf der folgenden Blätter sehen werden, preist die Geschichte die ersten Pfleger der Rebe unter den Wohltätern der Menschheit und den Verbreitern der Bildung; im Mittelalter war sogar Urban, der Schutzpatron des Weinbaus, ein Heiliger, obwohl ihn der Wein zu den höchsten Gräueln hinriss; im protestantischen Württemberg steht er heute allein noch unter allen Heiligen in Ansehen; sein Fest wird an dem ihm geweihten 25. Mai gefeiert, besonders in Stuttgart, wo sein aus einer Rebe geschnitztes und reich geschmücktes Bildnis als Pokal präsidiert. Vom vielen Trinken zog man sich St. Urbans Plag zu, welches der volkstümliche Ausdruck für Podagra war. Den Alten galt der Wein für ein Geschenk der Unsterblichen; wie Ceres das Getreide spendete, so Bacchus den Wein, Isis und Osiris schützten den Weinbau der Ägypter; nach der asiatischen Mythe priesen die Chaldäer als wohltätigen Weingott den Xeisuthros und die Inder ihren Prithu oder Man-Sotti-Wrata. Andrerseits finden wir, daß, wo nur immer ein hervorragender Mann sich um die Erweckung menschlicher Kultur verdient machte, er es instinktmäßig auch für die des Weins tat; sei es ein Herakles Ipoktonos bei den Erythräern, oder ein Mose bei den Hebräern, welcher sich durch die Beförderung des Weinbaus und den gesetzlichen Schutz, den er ihm angedeihen ließ, ein bleibendes Verdienst um die Menschheit erwarb; oder ein Alexander, der mit seiner griechischen Bildung den Weinstock in das heiße Babylonien brachte; oder endlich ein Karl IV., der ihn mit seiner italischen Aufklärung in das kalte Böhmen verpflanzte.

So ist der Weinstock mit Recht fast bei allen Völkern ein Symbol der Veredlung, der Zivilisation geworden. Unmöglich können Nomadenleben und Kannibalismus neben der Weinkultur herrschend bleiben; sie pflanzt vielmehr die Liebe zum häuslichen Herd in das Herz des Menschen und erzieht allmählich aus viehischen, vagabundierenden Horden ein menschliches, gesittetes Volk. Wenn aber der Weinstock in moralischer Beziehung für die Lebensweise einzelner Individuen, wie für die Entwicklung ganzer Staaten, von höchster Bedeutung ist, so ist er in volkswirtschaftlicher Beziehung, indem er Millionen von Menschen zur Nahrung, zum Luxus und zum Handel dient und den Wohlstand unzähliger Länder begründet, die weitaus wichtigste aller Kulturpflanzen, so wenig wir auch als solche das Zuckerrohr, den Kaffeebaum oder den Teestrauch unterschätzen möchten.



Schon vor Jahrtausenden war es, wie heute, das Produkt jener Pflanze, welches den mühebeladnen Erdensohn zu den höchsten Anstrengungen des Körpers und Geistes befähigte und auch von Kummer und Sorgen befreite, ja zuweilen ihn in einen tiefen Schlaf einlullte. Wenn freilich die herrliche Gabe missbraucht ward, folgte der Schuld unvermeidlich die allgewaltige Nemesis, welche dem biedern Deutschen unter dem vulgären Namen Katzenjammer genugsam bekannt ist; und wir dürfen mit Gewissheit annehmen, daß die Trunkenheit grade so alt ist, wie der Wein. Erzvater Noah, dem die Erfindung des Weintrinkens zugeschrieben wird, hat sofort auch selbst den ersten Skandal dabei gegeben, und der Trunkenheit des bejahrten Lot verdankten die Moabiter und Ammoniter ihr Dasein. Die weisen Griechen haben die Erfindung des Weins lieber keinem Erzvater, sondern einer in ewiger Jugend und Schönheit blühenden Gottheit zugeschrieben, welche in allbeglückendem Triumph die Erde durchzog, um die mühselig ackernden Menschen den Weinbau zu lehren und sie durch den begeisternden Trank zu Göttergenossen zu machen. Doch wie allen Göttern die Schwächen der Menschen anhafteten, so war natürlich der jungfräuliche Jüngling ein leidenschaftlicher Liebhaber seines Weins und ward nicht weniger tobend und trunken befunden, als ein schwacher Sterblicher. In Athen brachte man ihm Opfer dar und veranstaltete zu seinen Ehren das ungeheure Fest der Bacchanalien, dessen hervorragende Bestandteile Musik, Tanz, Schwelgerei, Schauspiele und Wettstreite waren, und wobei Trunkenheit und Ausgelassenheit gewissermaßen für eine Pflicht galten, die Jedermann ohne Unterschied dem Gotte schuldete. Fragen wir nun, warum Bacchus ein ewig blühender, blondgelockter Jüngling war, so ist der Grund dafür kein andrer, als weil er in ausgelassenem und trunkenem Wahnsinn sein ganzes Leben bei Mahlzeiten, Bällen, Maskeraden und an Spieltischen zubrachte und nicht den geringsten Verkehr mit der Frau Weisheit duldete. „Der Wein ist kein Narr, aber er macht Narren.“ Der Jüngling war auch weit entfernt, Ansprüche auf den Namen eines Weisen zu machen, sondern ließ sich am liebsten mit Possen und ausgelassenen Scherzen verehren. Daher stammt der Glaube an seine ewige Jugend und ist charakteristisch für die Lebensanschauung der Griechen. Dass der Wein diesem Volk überhaupt ein unschätzbares Gut war, geht aus allen Werken seiner Dichter und Schriftsteller hervor.

Von den Griechen verpflanzte sich die Verehrung des Bacchus zu den Römern. Als man die Bacchanalien in Rom aus politischen Gründen verboten hatte, veranstaltete man als Ersatz dem Saturnus zu Ehren die Saturnalienfeier, welche von einem einzigen Tage allmählich bis auf sieben ausgedehnt ward und vom 17. bis 23. Dezember, grade in den kürzesten Tagen, stattfand, wo die geschäftslose Klasse des Pöbels, wie dies andrerseits auch grade in den heißesten Tagen der Fall ist, die meiste Unterhaltung fordert. Als dann später das heidnische Rom seine alten Gebräuche der neuen christlichen Staatsreligion anzupassen begann und das Geburtsfest des Erlösers in die Zeit des kürzesten Tags verlegte, da wurden die Saturnalien nicht aufgehoben, sondern nur auf den folgenden Monat, auf die Tage, die dem großen Fasten vorangehen, aufgeschoben. So sind aus den Bacchanalien oder Liberalien nicht nur die Saturnalien spätrer Zeiten, sondern auch die Narrenfeste des Mittelalters und die Karnevals und Faschingslustbarkeiten unsrer heutigen Tage hervorgegangen. So hat sich in Rom seit Jahrtausenden wohl der Name des Schauspiels und der Schauspieler, niemals aber der Inhalt des Stücks geändert, welches immerfort auf derselben Bühne, nur mit wechselnden Kulissen, spielt. Dieselbe Ausgelassenheit und Üppigkeit der Freude, wie zur Zeit der Bacchanalien, entbindet sich noch jetzt jährlich einmal des Zwanges der strengen Gesetze und der Aufsicht des noch strengern Polizeimeisters und bricht auf Straßen und Plätzen öffentlich hervor, sich den mutwilligsten Launen überlassend.

Der letzte Grund, weshalb nicht nur die leichtfertigen Griechen, in deren Charakter bekanntlich Sinnlichkeit ein Grundzug war, sondern auch die ernstern Römer sich so gern vom Rebensaft erregen und berauschen ließen, wurzelte hauptsächlich in den religiösen Begriffen jener Völker. Durch die Scheu vor dem trostlosen Jenseits, vor dem Dämmerleben unter den gespenstigen Schatten des Hades wurden sie veranlasst, ihr einziges Glück im Genuss des diesseitigen Seins zu suchen und die düstern Gedanken an Alter und Tod im Becher zu ertränken. Daher predigten sie unablässig die Moral, den Augenblick zu genießen, unbekümmert, was danach entstehe, nach dem Vergnügen der fliehenden Stunde zu haschen und alles Andre den gewaltigen Göttern oder dem noch gewaltigern dunkeln Fatum anheimzugeben. Die Alten erachteten sogar einen immerwährenden Rausch und ein nie endendes Gelage in der Unterwelt für das schönste Dasein nach dem Tode, welches diejenigen erwartete, die auf Erden gerecht und tugendhaft gelebt hätten. Auch die Anschauung der alten Deutschen stimmt hiemit ganz überein; sie glaubten Walhalla voll von Trinkgelagen, und nichts Schöneres gab es hier für den gefallnen Helden, als Tag und Nacht mit den Göttern zusammen zu zechen und immerfort die vollen Becher aus den Händen der Walküren zu empfangen.

Montesquieu hat den Satz aufgestellt, daß der Hang zur Trunkenheit immer mit der Kälte und Feuchtigkeit des Klimas im Verhältnis stehe und vom Äquator nach den beiden Polen hin zunehme. (Esprit des lois liv. 14. ch. 10.) Für den Bewohner nördlicher Klimate ist der Genuß erwärmender und anregender Getränke zunächst ein durch das kalte und raue Wetter gebotnes Bedürfnis; dem Bedürfnis eines Genusses aber, worin dieser auch bestehen möge, folgt sehr bald die Befriedigung desselben, wenn sie dem Menschen irgend möglich ist, und aus dieser wiederum geht ebenso rasch die Unmäßigkeit hervor, zumal bei einem Menschen von allgemeiner Rohheit. Was aber in dieser Beziehung für einzelne Individuen gilt, gilt auch für ganze Völker, und der Satz des Montesquieu findet durch manche Beobachtungen in alter wie neuer Zeit seine Bestätigung. Die feinen Griechen waren bei ihrer großen Liebe zur Gabe des Bacchus nüchterner und mäßiger, als die nördlicher wohnenden Barbaren. Die Thrazier und Mazedonier waren notorische Saufbolde, und die Byzantiner, Illyrier, Parther und Scythen suchten, wie Plinius berichtet, eine große Ehre in der Tapferkeit des Trinkens. Die Byzantiner verteidigten ihre Stadtmauern nicht eher gegen den Feind, als bis die Weinschenken hinauf verlegt waren. Von den Parthern hat Jemand einmal mit Recht bemerkt, es dürstete sie um so mehr, je mehr sie tränken; und der Ausdruck „scythisch trinken“ bedeutete bei den Alten nichts Andres, als „saufen“.

Heute beobachten wir, daß fast alle südlichen Nationen Europas sich im Allgemeinen durch ihre Mäßigkeit im Genuß geistiger Getränke auszeichnen, während alle nordischen Völker viel und gern trinken und sehr leicht dem Laster der Trunksucht verfallen. Mögen wir uns hier das alte, berühmte: „Erkenne dich selbst!“ zurufen. Unsre ganze vaterländische Geschichte wird von der Weinliebe durchdrungen; wir gliedern sie sogar nach den Perioden der Zechkunst, Bücher sind über die deutsche Nationalneigung zum Trunk geschrieben, und alte Sprichwörter nennen unsre Trinklust als das deutsche Nationallaster in derselben Weise, wie etwa die Dieberei als das spanische, den Betrug als das italische, die Eitelkeit als das französische u. In keinem Lande wird auch so sehr als in Deutschland für die Ungemischtheit des Weins, für die Reinheit der Zechkunst, für die Aufrechterhaltung der Trinkkönigreiche und alten Zechsitten Sorge getragen. Schon seit Cäsar und Tacitus stehen wir im Ruf der Virtuosität als Zecher. Unmäßigkeit im Trinken ist ein altnationales Laster der Teutonen, entstanden in den rauhen Wäldern und feuchten Sümpfen des Vaterlands, und noch in unfern Tagen gehört zu den Tugenden der ganzen germanischen Rasse die Mäßigkeit nicht. So ist der uns stammverwandte John Bull in seinem nebligen Old-England ein tapferer Zecher; es ist ihm sogar eigentümlich, den wahren Werth und die Qualität jedes Weins fast ausschließlich nach dessen geistiger Stärke zu schätzen, wie ihm denn überhaupt schwache Getränke aller Art ein Gräuel sind. Je alkoholreicher, je kratzender der Wein ist, um so mehr mundet er dem echten Englishman, dem die feinste Sorte kaum über Brandy geht. Wahrhaft erschreckend ist die Trunksucht des schönen Geschlechts in England. Ein trunknes Weib, welches „in den volkbelebten Gassen wälzt den ungeheuren Brand“, oder sich mit einer andern schönen, gleichgesinnten Seele öffentlich prügelt, ist ein zu den täglichen Vorkommnissen des Londoner Lebens gehöriges Schauspiel, und das Laster steigt nicht nur in die Tiefen der hells und public houses hinab, sondern auch zu den Höhen der Salons hinauf. Eine vornehme Lady, die betrunken ist, ihre eignen Fenster einschlägt und den Polizeisergeanten mit Fäusten attackiert, ist nichts Neues unter der Sonne.



Im Ganzen ist die Rohheit des Saufens nur eine Folge allgemeiner Rohheit und verschwindet von selbst, wenn höhere Bedürfnisse und Befriedigungsmittel eingeführt werden. In den einzelnen Individuen aber sucht die Gesellschaft jenes Laster durch Bildung von Mäßigkeitsorden und -vereinen zu beschränken, wie sie denn auch nicht nachlassen darf, das soziale Wohl und die Sittlichkeit des Proletariers, für den „beim Banket des Lebens kein Platz ist“, zu heben, so daß derselbe nicht nötig hat, im Branntweinrausch eine momentane Vergessenheit seines Elends zu suchen.

Daß übrigens die Trunkenheit nirgends auf der bewohnten Erde fehle, ist schon dem alten Plinius aufgefallen, welcher in seiner Naturgeschichte bemerkt, daß da, wo kein Wein wachse, eine wunderbare Anlage zum Laster dem Menschen die Idee eingeflößt habe, sich mit flüssiggemachtem Korn zu berauschen, welches man sogar unvermischt trinke. (Noch jetzt nennen wir wohl das Bier flüssiges Brot, wenn auch zwei Maß davon nur soviel Eiweiß enthalten, wie etwa eine Dreiersemmel,) In der Tat ist der menschliche Erfindungsgeist in den Gegenden, wo das Klima dem Weinbau ungünstig war, sehr früh auf die Gerste als Ersatz der Rebe verfallen. Schon die Inder bereiteten sich Gerstenwein, ebenso die Hispanier und Gallier, auch die Ägypter verstanden das Bierbrauen, von ihnen lernten die Israeliten die Kunst und brachten sie nach Kanaan. Der ganze, Norden Europas bereitete sich Bier, und die Leidenschaft der alten Teutonen für dasselbe ist bekannt. Namentlich sind es die weinlosen Gegenden der gemäßigten Zone, die viel Bier produzieren und für welche dies Getränk von solcher Bedeutung ist, daß das geringste Aufschlagen seines Preises stellenweise die Bürgerruhe bedroht. Daß freilich bei der größten Ausbreitung des Biergenusses, mag sie immerhin auch in die Weingegenden hinein geschehen, Gambrinus den Bacchus verdrängen könnte, ist nimmer zu befürchten.

So lange aber der Wein besungen worden ist, so lange hat auch die Trunkenheit ihren teils ernsten teils humoristischen Tadel empfangen. Schon der weise Theognis, welcher nicht viel Wein vertragen konnte, eifert in Distichen gegen das lästige immerwährende Zutrinken beim Komment; er hätte ein Sokrates sein müssen, um in dieser Beziehung alles leisten zu können, was nur immer von ihm verlangt ward. Der griechische Komiker Eubulos schildert die sich steigernde Wirkung von zehn verschiednen Mischkesseln: der erste bewirke Gesundheit, der zweite Lust und Liebe, der dritte Schlaf, der vierte Ausgelassenheit, der fünfte Geschrei, der sechste Neckerei, der siebente Schlägerei, der achte Zeugenaufrufe, der neunte Zorn, der zehnte endlich Raserei. Nur die drei ersten Krüge wären für verständige Leute, die dann nach Hause gingen. Ähnliche Stufenfolgen in den Wirkungen des Weins sind von Andern aufgestellt worden, z. B. daß der erste Trunk den Durst lösche, der zweite wirkliches Vergnügen gewähre, der dritte zur Ausgelassenheit, der vierte zur Trunkenheit, der fünfte zum Zorn, der sechste zum Siechtum führe u. Was Andres kann auch jenes Gleichnis bedeuten, worin der Satan am ersten Weinstock ein Lamm, einen Löwen und ein Schwein schlachtete und die Pflanze mit dem Blut dieser Tiere düngte, als daß den Trinker das erste Glas zum Lamm, das zweite zum Löwen, das dritte zum Schwein mache?



Wenn jedoch der Wein einerseits die Leidenschaften des Menschen wachruft und ihn selbst bis zum Tier zu erniedrigen vermag, so erhebt er ihn auch andrerseits, befähigt ihn zur Erfassung höherer Lebenstendenzen, macht ihn freigebig, liberal, human. Der dargereichte Becher war ehedem ein Symbol der Gastfreundschaft; und selbst der Geizige ist im Stande, von seinen Gütern den Tabak und den Wein mitzuteilen, weil beide die Geselligkeit fördern, die selbst ihm unentbehrlich ist. Der Wein macht ferner vertraulich und ist noch jetzt ein Symbol der Verbrüderung und Eintracht. Beim Wein darfst du denken, lieber Leser, was du willst, und sagen, was du denkst; der Platz eines Gelages ist der freieste und aufgeklärteste der Welt; daher haben Despoten und Hierarchen, welche die Völker in Schlaf und Dummheit erhalten wollten, den Wein verboten. Es blüht dagegen die Zechkunst zu den Zeiten des nationalen Gemeinwesens und Gemeingefühls, wo Freiheit und Aufklärung Allgemeingüter des Volks sind, wo des preußischen Ministers v. Rochow Lehre vom dummen Untertanenverstand ihre Geltung verliert und keine Kasten Recht, Macht oder Weisheit voraushaben. Der Wein ist endlich ein Wahrsager, der Vater des Freimuts und deckt die geheimsten Falten des Herzens auf, weshalb ihn die Griechen den befreienden, den bandenlösenden nannten. Die Perser sollen sich daher seiner bedienen, um in peinlichen Fallen die Wahrheit zu erforschen; und diese Methode, dem Verbrecher das Geständnis abzulocken, führt weit sichrer zum Ziel, als jede Art Tortur, vor der die Menschheit schaudert. Der Wein erweckt Schlimmes nur im gemeinen und verderbten Menschen. Deshalb singt der weise Mirza Schaffy das schöne, wenn auch etwas hinkende, Gleichnis:

Aus dem Feuerquell des Weines,
Aus dem Zaubergrund des Bechers
Sprudelt Gift und süße Labung,
Sprudelt Schönes und Gemeines
Nach dem eignen Werth des Zechers,
Nach des Trinkenden Begabung.
In Gemeinheit tief versunken
Liegt der Thor, vom Rausch bemeistert;
Wenn er trinkt, wird er betrunken,
Trinken wir, sind wir begeistert,
Sprühen hohe Witzesfunken,
Reden wie mit Engelzungen,
Und von Glut sind wir durchdrungen
Und von Schönheit sind wir trunken.
Denn es gleicht der Wein dem Regen,
Der im Schmutze selbst zu Schmutz wird,
Doch auf gutem Acker Segen
Bringt und Jedermann zu Nutz wird. —


Wenn wir es nun versucht haben, unserm lieben Leser in den folgenden Blättern eine Geschichte des Weins und der Trinkgelage zu liefern, so dürfen wir schon nach dem Vorangehenden kein Bedenken tragen, die erste Frage, die sich aufdrängen könnte, ob es nämlich überhaupt eine solche Geschichte gibt, mit einem entschiednen Ja zu beantworten. Der scheinbar scherzhafte Gegenstand unsrer Betrachtung hat seine ernste Seite, und auch feiner heiter n Seite kann eine ernste Ansicht abgewonnen werden. Das Weintrinken ist nämlich nicht nur ein körperlicher, sondern auch ein geistiger Genuß, welcher von dem Begriff des geselligen Beisammenseins so selten getrennt wird, wie dieser von dem Begriff des Trinkens. Vom Wesen der Geselligkeit aber geht alle menschliche Kultur aus, und der Wein steht — mögen strenge Moralisten immerhin darüber lächeln — in innigstem Zusammenhang mit der geistigen Bildung des Menschen. Eben aus diesem Grund gibt es in der Tat eine ernste, wissenschaftliche Geschichte des Weins; kein andres berauschendes Getränk darf eine solche Geschichte beanspruchen, selbst der Gerstensaft nicht, welcher sonst wohl am meisten mit dem Rebensaft rivalisiert, jedoch außer allem Zusammenhang mit der Geisteskultur der Völker steht. Dagegen beobachten wir die interessante Tatsache, wie im Lauf der Jahrhunderte die Verbreitung der Weinkultur mit dem Aufblühen freier menschlicher Bildung gleichen Schritt hielt und wie der Genuß des Weins im Gegensatz zu jedem andern Getränk sehr wohltätig auf die geistige Stimmung der Nationen einwirkte; wo z. B. die Weinschenken durch die Kaffeehäuser, ein jetzt etwa 180 Jahre altes Institut, beträchtlich verdrängt wurden, da nahm das Volk an den neuen geistigen Regungen in Europa, vorzüglich an der großen französischen Revolution wenig Anteil, und umgekehrt gaben gewöhnlich die Völker, welche geistig versumpften, auch das Weintrinken auf. Wo dieselben durch hierarchische Verfassungen um die Vorteile der Bildung gebracht wurden, war die Weisheit der Priester, wie in den ältesten Zeiten Ägyptens, groß genug, auch den Wein zu verbieten, und häufig bemerkt man in der Geschichte der mohammedanischen Völker, wie reformatorische Abweichungen vom Gesetz das Weintrinken bald zum Grund, bald zur Folge hatten. In der christlich-hierarchischen Zeit machte dort, wo der Gebrauch des Weins auf die heilige Feier des Abendmahls beschränkt blieb, auch die geistige Kultur keine Fortschritte. Auch jetzt noch treiben die Glaubensapostel in fernen, heidnischen Ländern oft nur um des Abendmahls willen die Weinkultur und legen ihr leider nur diese christlich-religiöse Bedeutung bei.

In andern Ländern war es die Regierung selbst, die zum Ruin der eignen Untertanen dem Weinbau Hindernisse aller Art in den Weg legte. So befahl die portugiesische Regierung, die Weinkultur ihrer Kolonien mit missgünstigen Augen betrachtend, die gänzliche Vernichtung aller Reben in Brasilien, um dem Mutterlande das Wein-Monopol zu erhalten. Dasselbe Schicksal hatte die Rebe in Mexiko, wo gegen Ende des vorigen Jahrhunderts der Weinbau zuerst versucht und mit Erfolg betrieben ward; anstatt ihn aber anzuregen, verbot ihn das spanische Gouvernement, um den Weinen des Mutterlands einen größeren Absatz, mithin der Zollkasse eine größere Einnahme zu sichern. Diese eigennützige Maßregel rief unter den Kolonisten Tumulte hervor, die zwar bald unterdrückt wurden, aber doch sehr wohl als Vorläufer jener Revolution anzusehen sind, durch welche Spanien später zur gerechten Strafe seine Kolonien einbüßte. Und doch sind grade die gebirgigen und gemäßigten Gegenden von Mexiko, Guatemala, Neu-Granada und Caracas für den Weinbau so günstig gelegen, daß sie ganz Nordamerika mit Weinen versehen und für dasselbe das werden könnten, was Frankreich, Italien und Spanien schon lange für das nördliche Europa sind. (Alex. v. Humboldt, Über den politischen Zustand Neuspaniens. Stuttgart 1809—14. III, p. 103.) So erlaubten sich bisweilen die Regierungen aus den engherzigsten, unlautersten Absichten gewaltsame Eingriffe in die Agrikulturgesetze ihrer Länder und Kolonien. Monopole und ähnliche Maßregeln sind nur Erfindungen der neuen Staatskünstler; außer dem tyrannischen Befehl des Domitian, die Weinstöcke in seinem Reich auszureißen, kennt die alte Geschichte kein Beispiel der Art. (Volz, Beitr. z. Kulturgesch. p. 44.)

Mit der Weinkultur geht die Zechkunst Hand in Hand; auch sie ward nicht zu allen Zeiten vom Menschen gleich gut geübt; es ist, wie Gervinus sagt, ein innerer Fortgang von den blutgierigen Weingelagen der Aegisthe zu den philosophischen beim Plato, von dem Schenken Hephästos zu Ganymed und Hebe, von dem schweren, dumpfen Metallbecher zu dem durchsichtigen und gewölbten Kristallglase in Lucians oder unsrer Zeit, das die Farbe zeigt, die Blume hält und den Klang fördert. Wir können in der Geschichte des Weins gewisse patriarchalische, aristokratische und demokratische Epochen unterscheiden. In der patriarchalischen machen die Völker, auf niedriger Bildungsstufe stehend, den Wein durch künstliche Mittel substantieller, als er von Natur ist, mehr dem Bier und Met ähnlich; so erklärt sich der Brei von Käse, Mehl, Honig und pramnischem Wein beim Mahl der homerischen Helden. In der aristokratischen Periode, in der die Gesellschaft unnatürlich verfeinert ist, wird der Wein mit gewürzhaften Kräutern versetzt, parfümiert, vergeistigt, zu liqueurartigen Getränken korrumpiert; so geschah es zur Zeit der Sittenverderbnis in Hellas und Rom, so jetzt in China und andern Gegenden. Wenn die patriarchalische Periode des Weins die rohe genannt werden darf, so ist dagegen die aristokratische die superfeine, raffinierte. Dann aber geht die bürgerliche Entwicklung der Nationen auf die einfache Natur zurück, und die demokratische Periode des Weins, welche wir auch die einfache, natürliche, gesunde nennen könnten, charakterisiert sich dadurch, daß der Staat sich für die Reinheit des Weins interessiert, daß eine Fülle von Korporationen und Brüderschaften Gesetzmäßigkeit in die Gelage bringt und daß Jedermann, vom König bis auf den Bettler und Bummler herab, die heitre Kunst des Zechens treibt, sich zugleich zu geistiger Aufklärung hindrängend. Solche Periode brach in Deutschland zur Zeit der Reformation und mit dem Erwachen der Volkslyrik an.



Nach dem Gesagten ist es gewiß einleuchtend, daß in dem anscheinend unbedeutenden Gegenstand unsrer Betrachtung genug Stoff für denjenigen vorhanden ist, welcher die Dinge in der Welt verständig und ernst prüft und vergleicht; es wird aber auch derjenige hier Stoff für sich finden, der es vorzieht, seiner Phantasie gemütliche Eindrücke zu verschaffen. Wenn wir, um diese heitre Seite des Gemäldes hervorzukehren, uns zuweilen auf das Gebiet des Humors und der Satire wagen mußten, so dürfen wir doch deshalb nicht der Leichtfertigkeit angeklagt werden. Sollte nns überhaupt der Vorwurf gemacht werden, daß wir über einen frivolen Gegenstand schrieben, der eines sittlich ernsten und wissenschaftlichen Manns wenig würdig wäre, so verweisen wir ohne Weiteres auf den Entwurf zu einer Geschichte der Zechkunst, den Gervinus (Histor. Schrift. Bd. VII.) schon vor dreißig Jahren schrieb, und dem wir hier die Grundideen entnommen haben.

Im Übrigen bemerken wir, daß die Weinkultur aller Zeiten nur in weiten, allgemeinen Umrissen gezeichnet werden konnte, weil wir mit einer größeren Detaillierung derselben den eigentlichen Zweck der Schrift verfehlt hätten. Ebenso fern lag es uns, auf eine Beschreibung verschiedner Weinsorten oder auf die Rebenbehandlung, Weinbereitung, Kellerwissenschaft u. genauer einzugehen; alles dies ist für ein praktisches Winzerbuch passend, wie wir deren ja so viele vortreffliche besitzen. Überhaupt ist die vaterländische Literatur unendlich reich an önologischen Werken aller Art, und verweisen wir hier namentlich auf das erst im vorigen Jahr erschienene Weinbuch von Dr. Wilhelm Hamm, welches in allen Beziehungen an Ausführlichkeit nichts zu wünschen übrig läßt. Dagegen gehört die vorliegende Schrift dem Gebiet der Sittengeschichte an und trägt einen von jenen Werken gänzlich verschiednen Charakter. Nur Weine von historischem Interesse, wie der Falerner, Cäkuber u. a. des Horaz, und manche in der klassischen Literatur genannte Sorten durften nicht mit Stillschweigen übergangen werden. Bei vielen Völkern ließ sich über das Weintrinken wenig berichten, weil es nichts Charakteristisches und Interessantes für die Sittengeschichte bot; ausführlich jedoch haben wir der griechischen Symposien, der römischen Konvivien und der deutschen Trinkgelage gedacht, auch unsrer nationalen Untugend speziell einige Paragraphen gewidmet. Dazu müssen wir bemerken, daß wir uns, wo nur immer möglich, des Worts „trinken“ bedient haben, jedoch zuweilen durch die unerbittliche Wahrheit gezwungen wurden, dem freilich weniger ästhetischen „saufen“ den Vorzug zu geben, weil uns dieser Ausdruck allein eine richtige Vorstellung von der fraglichen Sache zu erwecken schien; möge unsre zarte Leserin keinen Anstoß daran nehmen.

Nachdem unsre Schriften über die Insel Madeira beim Publikum eine günstige Aufnahme gefunden, appellieren wir an dessen Nachsicht auch für die folgenden Blätter, bei deren Abfassung eine Hauptschwierigkeit darin lag, in keiner Beziehung zu viel, aber auch nicht zu wenig zu geben. Große Ausführlichkeit nach einer Richtung hin und stiefmütterliche Behandlung eines andern Punktes waren gleich gefahrvolle Klippen; ob wir sie vermieden haben oder daran gescheitert sind, möge eine milde Kritik entscheiden, von der wir überhaupt jede Berichtigung gern annehmen. Schließlich sagen wir allen Herren, welche uns mit Material unterstützt haben, namentlich den Herren Dr. K. Schiller und Dr. F. Baerensprung hieselbst, unfern verbindlichsten Dank,
Schwerin, im September 1866.

Das Geheimnis des Glücks in der Liebe
ISBN: 978-3-939198-38-3
Preis: 9,90 €




Dieses Kapitel ist Teil des Buches Geschichte des Weins und der Trinkgelage
Confuzius

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Bacchus und Ariande

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Plato, griechischer Philosoph

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Madeira

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Alexander von Humboldt

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