01. Die Zechlust der Teutonen

Die Zechlust der Teutonen.



Werden berauschende Getränke von jedem rohen Naturvolk geliebt, weil sie das Blut erwärmen, die Nerven reizen und die Phantasie anfeuern, so waren sie für den alten Deutschen noch ein besonderes Mittel der Stärkung und Erquickung, wenn er raue Wälder durchjagt und eisige Flüsse durchschwommen hatte, wenn er ermattet von langer Wanderung oder bluttriefend aus dem Kampf heimkehrte. Andrerseits gewährte ihm das Zechen bei seinem Müßiggang und seiner stolzen Arbeitsscheu eine unwiderstehlich lockende Unterhaltung. Den Wilden kommt der Zustand des Rausches himmlisch vor, die Griechen hielten einen immerwährenden Rausch für das schönste Dasein nach dem Tod, und die Teutonen glaubten sich durch den Rausch in Walhalla versetzt. Alle Neigungen, die sie diesseits hegten, trugen sie jenseits mit hinüber. Walhalla bedeutete ihnen nichts weiter, als die Fülle der irdischen Freuden. Wie könnte man sich im Himmel besser die Zeit vertreiben, als mit Trinkgelagen? Nach den Eddaliedern war es für den höchsten Gott wie für den geringsten Helden eine Hauptbelustigung, in Walhalla bei Gastereien zu sitzen und immerfort die vollen Becher aus den Händen der Walküren zu empfangen. Es ist bemerkenswert, daß auch durch die Art des Getränkes der Unterschied zwischen höhern und niedern Geistern bezeichnet wird.


Odin, der Götter Erster, wird dadurch geehrt, daß ihm Wein kredenzt wird, während die Helden um ihn her Met und Bier zechen. Der Wein, welcher damals in den weinverschlossenen Norden dringen mochte, kam gewiß nicht in großen Massen dahin, also mußte er als Trunk der Götter und auch nur des höchsten Gottes erscheinen. Was für ein Wein es war, der in den jüngeren Eddaliedern erwähnt wird, läßt sich nicht mit Bestimmtheit sagen; allein die Vermutung liegt nahe, daß er aus dem von Eskimos bewohnten Teil Nordamerikas stammte, den die Normannen um das Jahr 1000 unter Leif Erikson entdeckten und wegen der vorgefundnen Trauben Wînland nannten; wahrscheinlich war dies der heutige Staat Massachusetts, wo jetzt merkwürdiger Weise gar keine Weinkultur existiert.



Wie die Griechen und Römer, brachten auch die Deutschen ihren Göttern Libationen in Wein und Bier dar. Bei den nordischen Völkern goss der Priester, wenn er opferte, ein Horn zu den Füßen des Götzen aus, füllte es wieder und trank es demselben zu. (Eckhardt, comment. de reb. Franc. Orient. I, §. 430.) Im Tempel zündete man ein Feuer an,, hob die vollen Becher durch die Flamme und leerte sie in folgender Ordnung: den ersten zu Odins, den zweiten zu Thors und der Freia Ehren, den dritten, Bragakelch genannt, zum Gedächtniß berühmter Helden, den vierten endlich, den Minnebecher, zum Andenken abgeschiedner Freunde. Die Alamannen, ein zwar tapferes und treues, aber dem Wein und der Wollust ergebnes Volk, feierten mancherlei Trinkfeste aus Dankbarkeit gegen die Götter; und die Sachsen feierten selbst Gelage auf den Gräbern zu Ehren der Geister. Ob sie diesen bei besondern Festen auch Getränke hinstellten, läßt sich freilich aus den wenigen Sprachdenkmälern und Geschichtsdokumenten, die wir über jene Zeit besitzen, nicht genau schließen; doch wäre jene Sitte der Anschauungsweise der Sachsen sehr gemäß gewesen.

Der römischen Historik größter Meister, Tacitus, hat uns in seiner berühmten Germania ein scharf gezeichnetes, gewiß naturwahres Bild von den Sitten der alten Deutschen, von den Licht- und Schattenseiten ihres Charakters, von der urkräftigen Gesundheit ihres halb barbarischen Naturlebens gegenüber der moralischen Versunkenheit römischer Zivilisation hinterlassen. So ist es Tacitus, von dem wir wissen, daß die Germanen Hunger, Frost und Hitze, aber keinen Durst ertragen konnten, daß kein Volk strenger in seinen ehelichen Sitten war, aber auch keins sich ausgelassener den Gelagen hingab, als das deutsche. Alle Zeit, die es nicht mit Krieg und Jagd ausfüllte, verbrauchte es in träger Ruhe oder mit Zechgelagen, durch welche das Geschwisterpaar Spielsucht und Trinksucht beständig, genährt ward. Es gereichte Niemandem zum Vorwurf, Tag und Nacht ununterbrochen fortzuzechen, so daß das Gelage nicht selten in Kampstumult überging und mit Totschlag endigte; denn wenn Streit entstand, hielten sich die vom Bier erregten Gemüter nicht lange mit Wortgefechten und Schmähreden aus, sondern, da man, wie zu allen Geschäften, auch zu den Gastmählern bewaffnet schritt, kam es rasch zu Taten, welche Wunden und auch wohl den Tod mit sich führten. Donitzo, ein italienischer Mönch unter Heinrich IV., meinte von den Deutschen, sie wären in den Wein verliebt und hieben in der Trunkenheit einander Glieder vom Leibe; und Phokas sagte zu Luitprand, dem Gesandten Kaiser Ottos I., der deutschen Soldaten Mut wäre ein Rausch, ihre Tapferkeit Trunkenheit. Es scheint eine gewisse Berserkerwut charakteristisch für die deutsche Trunkenheit zu sein. Wie oft sehen wir nicht heute noch furchtbaren Jähzorn und sinnlose Lust an Schlägerei und Zerstörung als Folgen der Trinksucht unter unserm Volk hervorbrechen, und wie manche der gröberen Kriminalverbrechen resultieren nicht aus dem nationalen Laster!

Während die Teutonen ihren Hunger mit den einfachsten Speisen, nämlich Feldfrüchten, geronnener Milch und Wildbret stillten, war dagegen ihre angeborne Trinklust so groß, daß Tacitus meint, wenn man derselben nachgäbe und ihnen so viel Getränk darreichte, als sie begehrten, so würden sie durch ihr eignes Laster weit leichter, als durch fremde Waffen besiegt werden. Er führt sogar mehrere Beispiele an, daß ganze deutsche Heere, an ihren Tischen vom Rausch eingeschläfert, sich überfallen und besiegen ließen; und Appian erzählt, daß die deutschen Scharen in Cäsars Heer sich vor der Schlacht bei Pharsalus zu lange beim Gelage aufhielten und schließlich so betrunken waren, daß sie dem schnell hereinbrechenden Pompejus kaum Stand zu halten vermochten. Wenn es nicht ungewöhnlich war, bei Trunk und Würfelspiel Hab und Gut, ja zuletzt die persönliche Freiheit zu opfern, so wurden andrerseits aber auch alle ernsten und wichtigen Angelegenheiten beim Zechgelage verhandelt; hier legte man lange und blutige Feindschaften friedlich bei, hier hörte die Blutrache auf, hier schloß man Schwägerschaften, wählte Fürsten und beriet über Krieg und Frieden, weil zu keiner andern Zeit, wie man glaubte, der Mensch aufrichtiger sei und sich zu höhern Ideen begeistern könne, als beim Gelage. Hier zeigte sich die von den Germanen bis zu den äußersten Konsequenzen geübte Tugend der Gastfreundschaft, hier wurde das liebste Schauspiel unsrer Ahnen, Tanz von Jünglingen zwischen aufgerichteten Schwertern, aufgeführt, hier endlich öffnete sich, wie Tacitus sagt, bei zwangloser Fröhlichkeit das Innere der Brust eines Volks ohne List und Trug. Wer sich der Freundschaft eines deutschen Stammes versichern wollte, brauchte nur an ihren Gelagen tapfern Anteil zu nehmen; selbst der Cheruskerfürst Jtalus, der wegen seiner römischen Erziehung und Gesinnung seinen Landsleuten verhaßt war, machte sich dadurch wieder beliebt, daß er nach Landessitte mit ihnen trank und schwelgte.



Der Bischof Venantius Fortunatus erzählt im sechsten Jahrhundert von einer deutschen Trinkgesellschaft, bei der er selbst zugegen gewesen: „Sänger sangen Lieder und spielten die Harfe dazu. Umher saßen Zuhörer bei ahornen Bechern und tranken wie Rasende Gesundheiten in die Wette. Wer nicht mitmachte, ward für einen Thoren gehalten. Man mußte sich glücklich preisen, nach dem Trinken noch zu leben.“

Ein noch früheres Beispiel vom Gesundheitstrinken gibt Priscus bei der Beschreibung eines Attilaschen Gastgebots, wobei auch Deutsche anwesend waren. Sobald die römischen Gesandten das Gemach betreten hatten, brachte ihnen ein Schenk einen Becher zum Trinken dar. Hierauf eröffnete der Länderbezwinger das Gelage mit einer Gesundheit, die er den vornehmsten seiner Tischgenossen ausbrachte und die diese stehend erwiderten; später forderte er seine Gäste zu einem allgemeinen Trinkgefecht auf. Das Gesundheit- und Wetttrinken ist also uralt; noch älter aber ist das Zu- und Vortrinken, welches eine der Ursitten der Menschheit zu sein scheint und bei allen weintrinkenden Nationen gebräuchlich ist. Wollte Fingal oder ein andrer Kaledonischer Fürst einen Fremdling oder Hilfesuchenden seiner freundlichen Gesinnung versichern, so bot er ihm, nach Ossians Ausdruck, die festliche Muschel. An den deutschen Höfen wurde den ankommenden Gästen ein Kelch, später Willkomm genannt, dargereicht. Das allerfrühste Zeichen der Gastfreundschaft bestand eben in solcher Darreichung eines Bechers, und aus dieser Sitte ging unmittelbar diejenige des geselligen Zutrinkens hervor.

Während der Grieche niemals vor der Hauptmahl zeit Wein trank und in Rom nur Schlemmer zur Zeit der größten Sittenverderbnis schon Morgens trunken waren, durfte der Deutsche fast zu allen Tagesstunden trinken, ohne grade seinem Ruf zu schaden. Er hatte seinen Frühtrunk so gut als seinen Vespertrunk, er verzehrte sein Frühmahl so wenig trocken als sein Spätmahl, er schob zwischen beide Hauptmahlzeiten einen Unter- oder Zwischen-Trunk ein und nahm ganz abgesondert vom Spätmahl noch einen Schlaftrunk beim Zubettgehen. Das Getränk aber, welches er leidenschaftlich liebte, war ein aus Gerste oder Weizen gezogener Saft, der, wie Tacitus sich treffend ausdrückt, zu einiger Ähnlichkeit mit Wein verderbt war. Dies ist der Anfang des seither so sorgsam ausgebildeten Nationalgetränks, welches jetzt unter dem Namen „Deutsches Lagerbier“ die Runde um den Erdball macht. Durch den Verkehr mit den Römern ward den Deutschen aber auch schon früh der Wein bekannt. Die den Ufern des Rheins am nächsten wohnenden und mit den Römern grenzenden Stämme kauften schon zur Zeit des Tacitus fremden Wein, wenngleich die Sueven ihn für entnervend hielten und seine Einfuhr verboten. Zuweilen holten ihn sich die Deutschen auch wohl ohne Geld, mit Gewalt, weshalb der Kaiser Gratian, 37S—394 nach Chr., die Weinausfuhr zu ihnen verbot, um ihre Lust nicht zu reizen. Bei den Völkerwandrungen waren es der Wein und die köstlichen Früchte eines milden südlichen Himmels, welche die Deutschen aus ihrer rauhen, unwirtbaren Heimat über den Rhein und nach Italien lockten.




Dieses Kapitel ist Teil des Buches Geschichte des Weins und der Trinkgelage