Die Chinesen

Die Geschichte lehrt uns, daß der Wein lange vor der christlichen Zeitrechnung in den südlichen Provinzen des himmlischen Reichs, nämlich in Kianfi, Kensi, Petscheli, Quanton, Yunnan und Hukang, gebaut ward. Noch älter jedoch als der Traubenwein ist der Reiswein, dessen Erfindung in Zeit der Dynastie Hia, 2207—1766 vor Chr. fällt. Als dem Kaiser Yute auf einer Reise durch sein Reich, etwa um 2200 vor Chr., von diesem neuen Getränk eine Probe gereicht ward, rief er aus: „Ach wie viel Unheil sehe ich aus diesem Getränk für China entspringen! Man verweise den Erfinder aus des Reiches Grenzen und gestatte ihm nie wieder die Rückkehr.“ Trotz der Verbannung des Erfinders erhielt sich der Reiswein gegen die zahllos wiederholten Verbote bis auf den heutigen Tag als eine Zierde der chinesischen Tafel. Mit derselben Hartnäckigkeit, wie an jeder alten Satzung und Ordnung hängt jenes Volk an diesem Zwittergetränk, welches zwischen Wasser und Branntwein schwebt, nicht heiß und nicht kalt genossen wird und anfänglich feist machen, später aber Appetitlosigkeit, ja selbst Auszehrung und Tod hervorrufen soll. Es war daher natürlich, daß die väterlichen Kaiser, die sich ihrer Untertanen wie leibhaftiger Kinder annahmen, dies schädliche Getränk verboten und zum Teil selbst mit gutem Beispiel vorangingen; der menschenfreundliche und gelehrte Kaiser Konghi trank, wie er selbst sagt, für gewöhnlich gar keinen Reiswein und brachte ihn bei Gelagen und Festen bloß an seine Lippen.



Für das höchste Alter des Traubenweins läßt sich nur das ungewisse Zeugnis von dem mutmaßlichen Verfasser des Tschuly, dem Tschukong, anführen, welcher 1122 vor Chr. auf den Thron stieg. In allen altern Liedern der Nation wird der Wein genannt und besonders derjenige vom Flusse Kiang gepriesen. Die chinesischen Annalen erwähnen, ohne von den frühern Zeiten zu reden, des Weinstocks und des Weins zuerst unter der Regierung des Kaisers Wouty, welcher 140 vor Chr. auf den Thron kam; von ihm an läßt sich der Gebrauch des Weins von Dynastie zu Dynastie bis ins 15. Jahrhundert verfolgen. Den Statthaltern, Vizekönigen und selbst den Kaisern pflegte ein Ehrenwein dargeboten zu werden; zum letzten Male überreichte solchen die Stadt Taiyuen 1373 dem Kaiser Taitsu. Die Kaiser Konghi, Yongtsching und Kinlong, welcher letztre 1787 regierte, begünstigten den Weinbau nach Kräften und bezogen aus fremden Ländern eine Menge neuer Reben; besonders rühmt der große Konghi in seinen Schriften von sich, daß er drei neue Sorten vom köstlichen Gewächs aus Hami eingeführt habe, und daß ihm das Gelingen dieses Unternehmens lieber sei, als wenn er hundert Porzellantürme erbaut hätte. Zu verschiedenen andern Zeiten wurden Schösslinge aus Samarkand, Persien, Tibet, Kaschgar und Turfu eingeführt. Ohne Zweifel war in China zur Zeit des Mittelalters der Weinbau weit glänzender als jetzt, und die Lieder aller Dynastien von Yven bis auf Han bezeugen auch, daß der Wein den Chinesen immer sehr behagt habe. Gleichwohl mußte, wie es scheint, die Rebe bei jenem Volke mancherlei Schicksale erleben; niemals war sie ausgeschlossen, so oft Befehl erging die Bäume auszureißen, welche die zum Getreidebau geeigneten Felder bedeckten. Diese Maßregel ward unter gewissen Kaisern so weit getrieben, daß in einigen Provinzen sogar die Erinnerung an die Rebe völlig verloren ging. Allein mehr noch als die Abnahme des Getreidebaus durch die Weinkultur fürchtete man von oben herab die geistige Wirkung des Weins auf das Volk. Was konnte in einem so regelrechten Räderwerk, wie der chinesische Staat ist, gefährlicher sein, als eine unregelmäßige Bewegung in den Köpfen, hervorgerufen durch den Wein. Freiheit des Gedankens und der Rede, Heraustreten ans dem alten Gleise, Übertretung vergilbter Zeremonien — das alles waren Wirkungen des Weins, die einem unbeweglichen pedantischen Staatsoberhaupte immer höchst gefährlich bedünken mußten. Ein gewisses Buch aus der Dynastie Tschu (Mémoires sur les Chinois IX, p. 114) gibt der Regierung den warnungsvollen Aufschluss, daß, wenn unter den Völkern Chinas damals ein Geist der Rebellion und des Aufruhrs herrschte, wenn sie von ihren alten Tugenden und Grundsätzen viel verloren hätten, davon der Wein die einzige Ursache sei. Man verbot daher die Bereitung des Weins, oder man beschränkte seinen Gebrauch auf Feste und Opfer, oder erlaubte ihn nur Fremden und kraftlosen Greisen. Bei königlichen Gastmählern ward ein eigner Mandarin bestellt, der den Prinzen auf die Finger sah, daß sie nicht mehr als drei Gläser tranken. Jedem Glase, das Einer trank, mußten bestimmte Zeremonien, weitläufige Gesundheiten und Reverenzen vorhergehen. Alle Gelage waren einer strengen Etikette unterworfen, und selbst bei Festen, wo der Wein gestattet war, durfte doch die steifste Rangordnung in Sitz, Speise und Trank nicht fehlen. Immer war nur eine bescheidene Freude erlaubt, und der Hauptzweck aller Feste bestand darin, die Sittsamkeit und den konventionellen Anstand zu wahren; der Präsident las eigens zu diesem Zweck gewisse Gesetzartikel im Namen des Kaisers vor, worin ausdrücklich daran erinnert ward, daß man sich nicht wegen des Vergnügens an Speise und Trank versammelt habe, sondern um die Treue gegen den Herrscher aufzufrischen. Auf solche und ähnliche Sitten haben unzählige Gesänge der Nation Bezug, und zur Genüge läßt sich jene pedantische Nüchternheit aus dem Schi-King, den uns Rückert übersetzt hat, ersehen; könnte man von einem nüchternen Rausche reden, so wäre solcher vortrefflich in folgendem charakteristischen Liede des Schi-King ausgedrückt:

Unsre Gäste werden trunken,
Und der Anstand höret auf,
Ihre Augen sprühen Funken,
Und die Zung' hat freien Lauf.
Die verschobnen Mützen schwanken,
Hangen nur an einem Haar;
Steife Bein' im Tanze wanken,
Alte Stimmen singen klar.
Da du mir nur Becher leertest,
Bist du schon wie ausgetauscht,
Wenn du um noch einen kehrtest,
Wärest du wohl gar berauscht.
Zwar ich muß mich deiner schämen,
Weil ich völlig nüchtern bin; —
Doch, willst du mit heim mich nehmen,
Führe sacht mich immerhin!
Zwar du führest mich in Pfützen,
Doch mir selber schwankt der Kopf;
Laß auf deinen Arm mich stützen,
Und ich halte dich beim Schopf.


In der höchsten Ekstase behält der wackere Zecher seine Besinnung; die Trunkenheit ist ein Laster, welches im himmlischen Reich durchaus verpönt ist; äußerst selten sieht man Chinesen betrunken; besonders grell stechen von ihnen auf den hinterindischen Inseln die europäischen Soldaten ab, die teilweise einer hochgradigen Trunksucht ergeben sind. Auch in Kalifornien, wo so mancher Länder Kinder zusammenströmen, sind die Chinesen fast die einzigen, auf deren Nüchternheit unter allen Umständen zu rechnen ist. — Allein wozu in aller Welt nützt diese Nüchternheit, wenn sie gleichzeitig mit den ausgesuchtesten Sinnengenüssen und der raffiniertesten Wollust verbunden ist? Während jeder laute Ausbruch der Freude sowohl wie des Unwillens in China gewaltsam unterdrückt wird, wuchern unter dem Volk die giftigsten und heimlichsten Laster üppig fort, ohne daß sich nur eine Stimme dagegen erhöbe oder Gesetze zur Abwehr gegeben würden. Übrigens ist auch die Enthaltsamkeit im Weingenuss dort so wenig ein Verdienst als eine Kunst, wo der Werth des Weins gar nicht bekannt ist, wo die Konvenienz die Zunge bindet, wo ein Zeremonientribunal existiert und der Teekessel nicht vom Feuer kommt. Außerdem hat die lange Gewohnheit an anderweitige berauschende Getränke, die man zu Zeiten, wo der Weinstock ausgerottet war, erfand, um den Wein zu ersetzen, den Chinesen allmählich den Geschmack an diesem Getränk verleidet, wovon nur noch wenig verfertigt wird; sie ziehen ihren Reiswein und sogenannten Lammwein, ihre Branntweine und süßen Liqueure den reinen Weinen vor. Dazu kommt, daß sie ungeachtet des warmen Klimas fast alle ihre künstlichen Getränke heiß trinken; diese zimperliche Verweichlichung mag dazu beitragen, daß sie den natürlichen Wein nicht mehr lieben, der doch kalt getrunken werden muß. Trotz der Güte und Menge der Trauben, die zumal der nördliche Teil Chinas liefert, verkaufen die meisten Winzer und Grundbesitzer dieselben lieber als Tafelobst oder lassen sie zu Rosinen abtrocknen, anstatt sie zu keltern: was die Reisenden fast einstimmig bedauern, welche die geringe Menge von Wein, die sie überhaupt in China antrafen, ganz vorzüglich fanden. (Gervin. Hist. Schrift. Bd. VII. Entw. z. Gesch. d. Zechk.)






Dieses Kapitel ist Teil des Buches Geschichte des Weins und der Trinkgelage