17. Einfluss der nationalen Trinksucht auf die Sprache

Einfluß der nationalen Trinksucht auf die Sprache.



Wie die Sprache jedes Volks ein treues Spiegelbild seiner Sitten ist und deshalb ihre charakteristischen Eigentümlichkeiten hat, so beweist die deutsche Sprache sehr deutlich, wie innig das Trinken mit dem Charakter unsrer Nation verknüpft ist. Die Sprache der Römer als eines kriegerischen Volks war reich an Ausdrücken für „kämpfen“ und „Waffengeräte“ aller Art; die Sprache der Deutschen ist noch weit reicher an synonymen Redensarten für „trinken“ und „sich betrinken“. Lichtenberg zählt derselben etwa 150 auf, von denen freilich einige nur lokale Provinzialismen sind. (Beitr. zur Mythol. d, Deutschen.) Noch interessanter aber ist die Tatsache, daß unsre Sprache so reich an Ausdrücken, Bildern und Sprichwörtern ist, welche geistige Zustände und geistige Bestrebungen bezeichnen, denen aber lediglich die Begriffe des Durstes, des Trinkens und der Trunkenheit als Grundlage dienen. Für Drang oder heiße Begierde giebt es keinen stärkeren Ausdruck, als Durst, für süße Bewusstlosigkeit keinen bessern, als Trunkenheit. Wir erinnern an die Wörter Tatendurst, Golddurst, Rachedurst, Blutdurst, siegestrunken, wonnetrunken, freudetrunken, schlaftrunken, Liebesrausch, Freudenrausch, Sinnentaumel u. Ramler sagt sogar:


Unglücklicher, der schon von Hoffnung trunken
Des Ozeans Gebieter ist.


Und Uz singt:

Die Lerche steigt aus trunkner Saat.

Klopstock sagt in einer Ode an Cidli:

Denn ach, ich sah dich, trank die Vergessenheit
Der süßen Täuschung mit feurigem Durste.


Und in einer Ode an den Erlöser heißt es:

Auch du wirst einmal mehr wie Verwesung sein,
Der Seele Schatten, Hütte, von Erd' erbaut,
Und andrer Schauer Trunkenheiten
Werden dich dort, wo du schlummerst, wecken.


Schwerlich würden diese Verse, in eine andre Sprache übersetzt, einen Sinn geben. Hören wir endlich Wielands Poesie:

Wer hätte nicht in süßer Trunkenheit
Solch einen Mund mit Küssen überschneit? —
So ward er oft, eh' ihn der Jahre Last entkräftet,
Im Taumel süßer Lust an ihre Brust gedrückt.


Also selbst das Wort taumeln, das doch die häßlichen Gebärden eines Trunkenbolds bezeichnet, durfte man auf reizende Begriffe übertragen. Die Redensart „klaren Wein einschenken“ heißt soviel als „die Wahrheit sagen“ und bewies ehemals Freundschaft und Gutherzigkeit. Die Namen Innungen und Gilden wurden offenbar von den Trinkgesellschaften auf die Handwerkszünfte übertragen. Auch ist es keineswegs gleichgiltig, sondern sehr bezeichnend, daß wir die konventionellen Geldgeschenke, womit wir Kellner und Dienstboten, freilich selten für geleistete Dienste, gewöhnlich für gar nichts belohnen, Trinkgeld nennen, ein Wort, das sich sogar unser wälscher Nachbar übersetzt hat. Der Portugiese und Spanier gibt statt dessen sein Tabaksgeld, der Russe sein [Schnapsgeld, der Türke sein Kaffeegeld, und in andern Sprachen kann der wahre Begriff des Trinkgelds nur durch Umschreibungen gegeben werden.







Dieses Kapitel ist Teil des Buches Geschichte des Weins und der Trinkgelage
Wieland Christoph Martin (1733-1813), deutscher Dichter und Übersetzer

Wieland Christoph Martin (1733-1813), deutscher Dichter und Übersetzer

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