18. Beweise für die nationale Trunksucht und ihr Einfluss auf die Sitten

Beweise für die nationale Trunksucht und ihr Einfluß auf die Sitten.



Bei der großen Zechlust des Deutschen kann es nicht befremden, wenn er in allen Ereignissen seines Familien- und Geschäftslebens Gelegenheit zum Trinken fand und sich erschuf. Taufen, Geburtstage, Hochzeiten, Leichenfeier, Käufe und Verkäufe, Aufnahme von Lehrlingen und andern Genossen, Wahl der Bürgermeister, Ratsherren und Zunftvorsteher, Antritt eines Amts, Geschlechterverbindungen, Verträge, kirchliche Feste u. gaben Veranlassung zu Gelagen und oft entschuldigende Gründe zum Vieltrinken. Dem Deutschen ist kein Geschäft zu geringfügig, daß er nicht darauf trinken sollte. Beim Kindtaufschmaus vertrinkt er das Kind, wie er beim Begräbnismahl den Toten oder die Seele vertrinkt. Es ist bekannt, daß Leichenbegängnisse nicht weniger als Hochzeiten unsern Altvordern Anlaß zum geselligen Beisammensein und zur Befriedigung der Zechlust gaben; die unzarte oder vielmehr ekelhaft rohe Sitte des sogenannten Leichentrunks, die sich in einigen Gegenden Deutschlands bis ans den heutigen Tag erhalten hat, war die unausweichliche Begleiterin der traurigsten (Zeremonie und erfüllte das Trauerhaus mit dem unpassendsten Lärm.




Bei jedem Handel oder Kauf ward schon im dreizehnten Jahrhundert ein besonderer Trunk, Weinkauf, vinicopium, nummi bibales, genannt, ausbedungen, den die Zeugen zur Bestätigung des gemachten Handels zu sich nahmen. In den echten Trinkländern herrschte dabei der Brauch, daß die Kanne voll Bier oder Wein offen auf dem Tisch stand, aus der man dann der Reihe nach schöpfte. Wer aber das Versehen machte, die Kanne zuzutun, mußte zur Strafe die halbe Kanne, vermutlich in einem Atem austrinken, wobei alle Anwesenden „Weinkauf, Weinkauf“ riefen. Ein solcher Trunk hieß bei den Bauern im Lande Hadeln Hinkelmannbier. Hier wurden die Freigerichte, eine Art kleiner Landgerichte, gewöhnlich im Krug gehalten, und im Braunschweig-Lüneburgischen war sogar der Kellerverwalter oft der oberste Richter. Ebenso erscheint es höchst bezeichnend für die Wichtigkeit, womit die Deutschen das Trinken betrieben, zu sein, daß das Amt der Schenken bei uns seit alten Zeiten so sehr angesehen war. Die Fürsten hegten besondre Achtung und Liebe gegen diese Klasse ihrer Diener und hielten bald die Besorger des angenehmen Trunks für so tüchtige und fähige Persönlichkeiten, daß sie ihnen auch die Verwaltung andrer Geschäfte übertrugen. Schon unter Karl dem Großen waren einige Flaschenbewahrer zugleich Räte oder Kanzler; andre Schenken wurden Aufseher über Jagd- und Forstwesen, über Polizei und Justiz, und endlich erstand gar aus dem Erzschenken des Kaisers eine der sieben Säulen des deutschen Reichs, ein Kurfürst. Was also im Range anfänglich von einem Hirten kaum unterschieden war, stand nach einem Jahrtausend so unerreichbar hoch über diesem; und der innerste Grund dafür war doch nur die deutsche Trinklust. Da es aber der Fürsten, Grafen und Edelleute sehr viele gab, so vermehrte sich auch jene Spezies von Bedienten beträchtlich, und in Folge dessen ist noch jetzt der Name Schenk sehr häufig in Deutschland. Der Pater Bucellin zählte allein 65 Geschlechter jenes Namens, und noch heutigen Tags sind Oberschenken vornehme Hofbedienten, die dem Range nach über Regierungsräten und andern weit verdienstvolleren Beamten stehen, als Überbleibsel aus der alten Zeit der Barbarei. Am Rhein und im Herzogtum Württemberg hießen ferner, was höchst charakteristisch ist, die fürstlichen Diener, denen in Flecken und Städtchen die herrschaftlichen Einkünfte anvertraut waren, Keller, Amts-, Stabskeller, weshalb auch der Name Keller noch oft vorkommt. Den Fürsten schien also wohl die Weineinnahme und Kellerverwaltung der wichtigste Teil des Amts jener Diener zu sein; sonst hätte man dieselben ja nach der Fruchteinnahme ebenso wohl Amtsspeicher oder Amtsböden u. nennen können. Also, man legte dem Amt nach der Weineinnahme die Hauptbenennung bei, und die Amtskeller behielten selbst noch ihren Titel, als sie später auch die Gerechtigkeitspflege in Händen hatten.

Das Trinken war mit der ganzen Lebensordnung der Deutschen so verwebt, daß der in §.1 erwähnte Schlaftrunk sich allmählich zu einer Art von Trinkgeld gestaltete und im 16. Jahrhundert in Württemberg sogar einen Teil der Besoldung höherer kirchenrätlichen Beamten ausmachte. Die Prälaten auf den Württembergischen Landtagen bekamen als Diäten ihren Morgen-, Tisch- und Schlaftrunk, und in den Württembergischen Kanzleien gab es ebenfalls feststehende Suppen-, Schlaf- und Untertränke, damit die Räte und Schreiberknechte, wie man damals die subalternen Beamten nannte, nachher desto fleißiger arbeiteten, sowie Peter der Große in feiner neu eingerichteten öffentlichen Bibliothek zu Petersburg Schnaps schenken ließ, um Leser anzulocken. (Volz, Württemb. Jahrb. 18S2 p. 174.) In einigen Ländern wurden an 20 Eimer Wein als Teil des jährlichen Gehalts ausgezahlt, und es war Sitte, daß die Beamten in den Bureaux ihre Flaschen neben sich stehen hatten.



Wie zu den Turnieren und Reichstagen eine Menge von Rittern und Fürsten zusammenströmte, so riefen Preisschießen und Volksfeste die Bürger und Bauern oft aus weiter Ferne herbei. Wenn früher auch keine Eisenbahnen das Anhäufen ungeheurer Menschenmengen, wie bei den beliebten Schützen-, Sänger- und Turnerfesten der Neuzeit, erleichterten, so erzählt doch schon Götz von Berlichingen in seiner Selbstbiographie, daß ein Schneider aus Stuttgart, ein guter Bogenschütze, bis nach Köln zum Preisschießen ging und hier den ersten Preis gewann; und aus Fischarts „Glückhaftem Schiff“ sehen wir, daß die Bürgerschaft von Zürich zu gleicher Belustigung nach Straßburg herabkam. Keine solcher Zusammenkünfte aber verlief trocken, alle waren von imposanten Gelagen und heftigen Trinkscharmützeln begleitet. In den echten Zechjahrhunderten der deutschen Geschichte konnte kein Fest, keine Ergötzlichkeit, keine Vereinigung ohne Wein und Bier bestehen. Vom Bauern bis zum Fürsten aufwärts übte man die heitre Kunst des Zechens. War doch der Brauch sehr charakteristisch, daß jedem Kaiser vor seiner Krönung zu Rom die Frage zur Angelobung vorgelegt ward: „Willst du mit Gottes Hilfe dich nüchtern halten?“ — Von den Rittern aber breitete sich das Vieltrinken rasch über die Bürger und Bauern aus, zunächst dadurch, daß die Bürger, namentlich in den Reichsstädten, zugleich Soldaten waren. Ferner taten die Landsknechte, wovon Deutschland zur Zeit Kaiser Max I. übervoll war, ihr Möglichstes, das niedre Volk mit Saufen anzustecken. Ein Zeitgenosse der „frummen Landsknechte“, die freilich nicht die frömmsten Gesellen waren, führt zur Charakteristik ihrer Trunksucht an: „Der Landsknecht Stahl nahm nur 4 Gulden Monatssold; denn nähm' er 8, söff' er sich todt.“

Wie mag erst gar die Soldateska im 30jährigen Krieg zur Verbreitung der Trunksucht beigetragen haben! Überhaupt machen wir die traurige Beobachtung, daß grade damals, trotz der unsäglichen Leiden, welche über unser armes Vaterland hereinstürmten, es doch in einzelnen Kreisen der Gesellschaft lustig herging und daß, während Tausende in ihren Hütten darbten, dagegen Wenige in ihren Palästen von den Gütern schwelgten, die sie vor der Vernichtung gerettet oder auch bei der Auflösung aller gesetzlichen Ordnung unrechtmäßig erworben hatten. Christoph von Grimmelshausen beschreibt uns in seinem „Abenteuerlichen Simplicissimus“ (herausgegeben von Ed. v. Bülow. Leipzig 1836, p. 72) ein Gastmahl beim Gouverneur von Hanau während jener Kriegszeit: „Ich sah,“ sagt der Held jenes berühmten Romans, „daß die Gäste die durch tausendfältige Zubereitungen und Zusätze verpfefferten, überdummelten, vermummten und zum Trunk gerüsteten französischen Potagen und spanischen Ollapotriden fraßen wie die Säue und den edlen Hochheimer, Bacharacher und Klingenberger mit kübelmaßigen Gläsern in die Magen hinuntergossen wie die Kühe. Verständige Leute, die kurz zuvor noch ihre fünf Sinne gesund bei einander gehabt hatten, fingen urplötzlich an närrisch zu tun und die albernsten Dinge von der Welt vorzubringen. Einer beschwur den Andern, auf großer Herren, lieber Freunde oder feiner Liebsten Gesundheit den Wein maßweise in sich zu schütten, worüber manchem vergeblicher Weise die Augen übergingen und der Angstschweiß ausbrach. Man machte mit Trommeln und Pfeifen Lärm und schoß mit Stücken dazu, ohne Zweifel darum, weil der Wein die Magen mit Gewalt einnehmen mußte. Ich staunte, wohin sie ihn alle schütten konnten; denn ich wußte noch nicht, daß sie ihn, ehe er recht warm bei ihnen ward, wiederum mit großen Schmerzen aus eben dem Orte hervorgaben, wohin sie ihn kurz zuvor mit höchster Gefahr ihrer Gesundheit gegossen hatten. So verderbte man mutwillig Speise und Trank, unangesehen der arme Lazarus, den man damit hätte laben können, in Gestalt vieler Hundert vertriebener Wetterauer, denen der Hunger zu den Augen herausguckte, vor unsern Türen verschmachtete. Allgemach ging es drunter und drüber und gewann den Anschein, als ob diese Gasterei eine bestimmte Zeit und Gelegenheit sein sollte, sich gegenseitig mit Vollsaufen zu rächen, einander in Schande zu bringen oder sonst einen Possen zu spielen. Denn wenn Einer so weit gebracht ward, daß er weder mehr sitzen, gehen oder stehen konnte, so hieß es! „Nun ist es wett, du hast mir hiebevor auch so gekocht, jetzt ist es dir eingetränkt“ usw. Wer aber ausdauern und am besten trinken konnte, wußte sich dessen groß zu machen und dünkte sich kein geringer Kerl zu sein. Einer erzählte seine Buhlereien, der Andere seine erschrecklichen Kriegstaten; Einige tummelten sich herum, als ob sie Bilsensamen genossen hätten, Andere lagen da und vermochten nicht den kleinsten Finger zu regen, Einige aßen noch wie die Drescher, oder als ob sie acht Tage Hunger gelitten hätten, Andere brachen von sich, was sie denselben ganzen Tag eingeschluckt hatten. Endlich setzte es ernstliche Streithändel; man warf einander Gläser, Becher, Schüsseln und Teller an die Köpfe und schlug nicht allein mit Fäusten, sondern auch mit Stuhlbeinen, Degen und allerhand Sachen darein, daß Etlichen das Blut über die Ohren lief.“



Auch andre zeitgenössische Quellen berichten von dem unmäßigen Trinken und dem üppigen Wohlleben jeder Art, welches in unserm Land herrschte, grade als es von der wütendsten Kriegsfurie heimgesucht ward. Mit sittlichem Ekel erfüllt uns die Beobachtung, wie unmittelbar neben Szenen des Jammers dieser in Saus und Braus dahinlebende Leichtsinn sich spreizt, welcher jedoch aus der Verzweiflung und dem Bewußtsein hervorzugehen scheint, daß angesichts der unberechenbaren Schicksalsfälle, die der Krieg jeden Augenblick bringen könne, jede Ersparung von Glücksgütern und alles sittliche Leben unnütz seien. In einer andern Schrift aus der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts (Lucifers Seelengejaidt oder Narrenhatz durch Aegidium Albertinum 1617. p. 229) lesen wir folgende merkwürdige Stelle: „Wer die allergrößte Gläser, Becher und Willkomb aussaufen kann, der ist bei den Weingänsen (nämlich den Trinkern) der best; wer am allerlängsten sitzen oder stehen und mit saufen ausharren kann, der ist ein tapferer Saxen Kerl. Ja zu einer ewigen Gedechtnuß schreiben sie ihren Namen an die große Pokal mit diesen Worten: Herr Peter Ochs, Paul Elephant usw. hat dieses Glas in einem einigen Suff ausgetrunken, und in einem einigen Atem und Schlund ausgehebt, daß ihnen die Blätter oder ein Ader möcht zerschnollen sein. Andre Gänsritter möchten gern in die Chronik kommen, derwegen lassen sie in den Wirtshäusern ihre Wappen und Namen entweder in die Fenster oder auf Tafeln mahlen, und in die Trinkstuben zur ewigen Gedächtnis uffhenken, daß sie daselbst ihr Erbgut verschwendt und rein gesoffen haben.“ In der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts klagt Konring über das viele Saufen und nennt den Wein einen Feuertrank, den nicht nur Männer und Erwachsene einschütten, sondern welcher selbst Kindern anstatt der Muttermilch eingegossen wird. (De hab. corp.Germ. 1666. p. III.) Wagenseil war sogar so frei, 1686 zu behaupten: „Wir Deutschen alle, keinen ausgenommen, sind dem schändlichen Laster der Trunkenheit unterworfen.“ (De official. imp.Rom. p. 232.) Mit derselben offnen Liebenswürdigkeit nannte schon Poggius Florentinus in der Mitte des 15. Jahrhunderts die Deutschen Weinfässer und Leute, die keine Kraft hätten, als zum Trinken (Oration. Invect. Epistol. Etc 1511 fol. 72); und Antonius Campanus, Geheimschreiber des päpstlichen Legaten bei Kaiser Friedrich III., sagte von Deutschland: „Nil hic est aliud vivere quam bibere. Der Tod, sagt Seneca, ist Nichtsein; der Germane aber glaubt, daß er Nichttrinken ist.“

So haben zu allen Zeiten ausländische wie einheimische Schriftsteller die Trinklust als Hauptzug des deutschen Charakters angegeben. Schon in den früheren Paragraphen haben wir eine Menge darauf bezüglicher Aussprüche zitiert; davon abweichende Urteile finden wir nur sehr vereinzelt. So lobt sonderbarer Weise Janus Cornarius, ein Zwickauer Arzt, die Deutschen den Italienern gegenüber, daß sie wie der weise Sokrates vom Gelage heimkehrten, ohne trunken zu sein. (Sitt. u. Red. bei Gastmahl, d. alt. Griech. u. uns. gegenwärt. Deutsch. Basel 1548.) Hiezu bemerken wir nur, daß zu Ende des 15. Jahrhunderts in manchen süddeutschen Städten jeden Morgen Betrunkne schlafend auf den Straßen gefunden wurden, daß in Nürnberg der Magistrat einen eignen kleinen Wagen hielt, worin die Seligen nach Haus transportiert wurden, und daß im kleinen Württemberg vom Herbst 1540, nachdem ein vorzüglicher Wein gewachsen war, bis zu den Fasten 1541 über 400 Personen beim Zechen ums Leben kamen. (Volz, Württemb. Jahrb. 1852. p. 179.) Diese einzige traurige Tatsache entkräftet die Behauptung des Cornarius. Es nützt nichts, den Deutschen weißer zu malen, als er ist; vielmehr verlangt der Patriotismus, ihn in seiner ureignen Natur mit all seinen Schwächen und Fehlern nicht weniger als seinen Tugenden und Vorzügen zu erfassen. Wozu verschweigen, daß Trunksucht ein den Deutschen eigentümliches Laster war, da andern Nationen wohl mancher schlimmere Teufel innewohnte? In Italien und Frankreich herrschten dafür Diebstahl, Treulosigkeit, Geiz, Vergiftungen, Ehebruch, Unkeuschheit und widernatürliche Laster. Freilich war die Trunksucht ein Hemmschuh für die Zivilisation unsers Volks und die Verfeinerung seiner Sitten. Zunächst bewirkt das einmalige unmäßige Trinken Heftigkeit, tolle Kühnheit, blinde Leidenschaftlichkeit, die keine Gefahr scheut, weil sie dieselbe nicht sieht. Diese zeitweiligen Gemütszustände werden aber durch die beständige Übung im Trinken zu bleibenden Angewohnheiten, zu einer Art von Hang und Fertigkeit, die wieder auf andre Sitten und Neigungen zurückwirken. Die ganze Denk- und Handlungsweise des Volks erhält durch das Vieltrinken einen gewissen Ton, wenn mir die tropische Anwendung dieses Worts erlaubt ist. Der zur Gewohnheit gewordne trunkne Mut unterhielt im Mittelalter mancherlei Grausamkeiten; nicht nur Wein, sondern leider auch Blut floß bei Gelagen; Schlägereien und Totschläge, damals Blutrunnen und Nedderschläge genannt, waren an der Tagesordnung ; und je häufiger sich dieselben wiederholten, desto mehr stumpfte das Volk gegen feinere Gefühle ab und desto größer ward die allgemeine Rohheit. Die mittelalterlichen Schriftsteller finden in der ganzen Handlungsweise der Deutschen ein gewisses Ungestüm, das sie teils furor, teils impetus teutonicus nennen. Die deutschen Ritter waren von jeher streitbarer und härter, aber auch roher und wilder, als die französischen; und Konrad von Lichtenau, Abt von Ursperg, sagt kurz und treffend: „Die Deutschen sind kriegerisch, grausam, verschwenderisch, unbesonnen, kein Recht, als ihren Willen, anerkennend, unüberwindlich im Streit.“



Eine andere ekelhafte Gewohnheit, die ihre letzte Quelle gewiß ebenfalls im Saufen hatte, war das Fluchen und Schwören. — Allein wenn die Trunksucht diese üblen Einflüsse auf die Sitten übte, so hatte sie auch ihre unverkennbar guten Seiten. Die Gelage eröffneten und erfreuten das Herz, machten den Menschen frei, wohltätig und gefällig. Wie wir mit Stolz und Freude bei allen alten Schriftstellern lesen, beobachtete kein Volk die Gastfreundschaft genauer, als das deutsche; es galt für Sünde, einen Fremden unbeherbergt fortirren zu lassen. Hatte man ihn mit dem Willkommbecher empfangen, so war alle Verstellung und Heimlichkeit verbannt und der Wirt brachte seinem Gast herzliche Freundschaft entgegen. Unsere Nationaltugenden Offenherzigkeit, Treue und Wahrhaftigkeit konnten durch den Wein nur unterhalten werden; Versprechungen und Freundschaft, beim Trunk gemacht, galten soviel, wie Eid und Siegel. Treulosigkeiten waren in der Tat selten und wurden vom Volk durch Spottgesänge öffentlich gerichtet und bestraft. Die Redensart: „auf gut Deutsch“, bedeutet: „ohne Falsch“. Diesen Ruhm der Wahrheitsliebe haben selbst Ausländer den Deutschen gelassen und darin ihrer eignen Nation die unsrige als Muster aufgestellt. Es möge ferner nicht unbeachtet bleiben, daß das viele Trinken nicht lediglich des Vergnügens halber betrieben, sondern auch für einen Teil der Höflichkeit und der guten Lebensart gehalten ward. Der Deutsche glaubte seinen Gast nicht angenehmer unterhalten zu können, als wenn er ihn mit einem langen splendiden Gastmahl berauschte; er hielt es sogar für seine Pflicht, dem ankommenden Fremden sogleich Gelegenheit zu geben, seine Trinkkraft zu zeigen, und stellte daher einen freundlichen Wettstreit an. Becherte der Fremde unablässig um die Wette, so gab er damit den besten Beweis seiner Wohlgewogenheit. Eine Weigerung dagegen, das Zutrinken zu erwidern, galt für ehrenrührig und beschimpfend und ward oft blutig gerächt. 1641 besuchte der Brandenburger Rat Zastrow einen Grafen von Schwarzenberg. Bei Tafel trank ihm ein preußischer Edelmann einen großen Becher zu. Zastrow entschuldigte sich mit seiner Unfähigkeit, es zu erwidern. Darüber geriet der Edelmann, sich beschimpft glaubend, in Zorn und griff den Weigernden mit Schmähworten an. Der Streit ward heftig und Zastrow erstochen. (Sebald. in Breviar. hist. p. 380.) Ähnliche Beispiele könnten wir in Menge anführen. Es scheint früher sogar für eine Bischöflichkeit gegolten zu haben, wenn man beim Zutrinken das Glas nicht völlig leerte.

Sie schenkten voll ein
Und trunken so rein.
Daß man das Glas von oben
Konnt' auf den Nagel proben: —
Das war zu loben.


Ein solcher Trunk auf die Nagelprobe hieß scherzweise auch ein lutherischer Trunk; wohl nicht deshalb, weil sich die Lutherischen desselben vorzugsweise bedienten; es scheint vielmehr darin eine schmeichelhafte Anspielung auf die Gründlichkeit der lutherischen Lehre zu liegen. Allein wenn der Deutsche auch nicht immer sein Glas bis auf die Nagelprobe leerte, so war ihm darum doch der Vorwurf einer Oberflächlichkeit in seiner zechkünstlerischen Bildung überhaupt nicht zu machen. Wie er gern Alles gründlich thut, so trinkt er auch gründlich.

Wen sein Schicksal heißt ertrinken,
Darf drum nicht ins Wasser sinken,
Alldieweil ein deutscher Mann
Auch im Glas ertrinken kann.


Ja er kann nicht nur dies, sondern ist sogar im Stande, das Laster der Trunksucht, so zu sagen, mit Methode und Wissenschaftlichkeit zu betreiben. Auch hat er sich von jeher höchst sinnreich und erfinderisch darin erwiesen, mit einem gewissen Rechte des edlen Rebensafts voll und übervoll zu sein. Er hielt die Zeit, Wein zu trinken, immer für gekommen. Deshalb beantwortet Ramler in seiner Blumenlese die Frage, wann man Wein trinken soll, folgendermaßen:

Das ganze Jahr hindurch soll Wein
Mein Leibtrunk sein.
Im Frühling trink' ich ihn, die Luft
Der holden Jahrszeit zu vermehren,
Zur Kühlung trink' ich im August,
Im Herbst dem Gott des Weins zu Ehren,
Im Winter wärmt sein Feu'r die Brust,
Dann trink' ich ihn, dem Frost zu wehren.


Ein noch witzigeres Seitenstück hiezu hat Rückert nach dem Lateinischen gedichtet:

Man kann, wenn wir es überlegen,
Wein trinken fünf Ursachen wegen
Einmal um eines Festtags willen,
Sodann vorhand'nen Durst zu stillen,
Jngleichen künft'gen abzuwehren,
Ferner dem guten Wein zu Ehren,
Und endlich um jeder Ursach willen.


Auch bei jedem sogenannten Zweck essen ist dem Deutschen nicht das Essen, sondern das Trinken die Hauptsache, und würde das Wort Zwecktrinken dafür weit zweckmäßiger sein. Pflegen wir doch auf einen Koch mindestens drei Kellner zu rechnen. Freilich steht ein Mahl, das des Getränks gänzlich ermangelt, auch bei andern Nationen in üblem Ruf. Der Däne nennt es ein Pferdemahl, der Franzose ein Hundediner, und der Italiener spricht: „Hüte dich vor einem Esser, der nicht dazu trinkt.“






Dieses Kapitel ist Teil des Buches Geschichte des Weins und der Trinkgelage
Götz von Berlichingen (1480-1562), mit der

Götz von Berlichingen (1480-1562), mit der "eisernen Hand", fränkischer Reichsritter

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