03. Das Minnetrinken

Das Minnetrinken.



War der Wein schon um des Abendmahls willen in der Kirche unentbehrlich, so spielte er aus noch andren Gründen daselbst eine Rolle. Der deutsche Heide nämlich hatte seine Götter und volkstümlichen Heroen durch Zutrinken geehrt, der neubekehrte deutsche Christ aber trank auf jener Heiligen Gedächtniß, die ihm durch Proben geistiger oder leiblicher Stärke Bewunderung abgewannen; und die Kirche in ihrer Duldsamkeit nahm dieses sog. Minnetrinken in ihr Rituale auf, nachdem sie sich Jahrhunderte hindurch vergeblich bemüht hatte, dasselbe zu unterdrücken; kaum gelang es den Bischöfen, die Zahl der Heiligen zu beschränken, deren Gedächtniß oder Minne man trank. So erhielt sich lange in den Niederlanden die St. Gaerteminne oder Gertrudsminne, im Norden die Kanuts- oder Eriksminne, anderwärts die Ulriksminne, der Martins-, Stephans-, Michaelis- und Nikolaustrunk, und bis aus unsre Tage bestand die sog. Johannisliebe, der die Legende des heiligen Evangelisten als Anhaltspunkt diente, um sich in einen kirchlichen Brauch zu verwandeln. Noch wird in der Schweiz der 26. Dezember, der Tag des heiligen Märtyrers Stephanus, mit einer kirchlichen Weinspende begangen, wobei dem Messpriester vorgeschrieben ist, den Wein kelchweise den Versammelten mit den Worten darzureichen: „Bibe fortitudinem St. Stephani.“ Am folgenden Tage, dem 27.Dezember, als am Feste Johannis des Evangelisten, wird in der Messe der Johanniswein verabreicht, zufolge der vom heiligen Augustin herrührenden Angabe, Johannes habe einen Becher voll Gift, nachdem er ihn mit dem Kreuzzeichen gesegnet, schadlos ausgetrunken.




Daher führt dieser Heilige in den kirchlichen Abbildungen einen Kelch, aus dem ein Schlängelein herauszüngelt, und der Messpriester spricht bei der Benediktion des Weins: „Dich rufen wir an, vor dessen Namen die Schlange weicht, der Drache flieht, die Viper schläft und die Giftkröte in ihrer Wut hinstirbt.“ Aus jedem Faß im Keller läßt der Hausvater an jenem Tage etwas Wein ab, bringt ihn auf den Altar, läßt ihn mit Weihwasser besprengen und gießt ihn daheim wieder in seine Fässer; dann wird ihm das ganze folgende Jahr kein Faß abstehen, und aus jedem kann er feinem scheidenden Gast den Johanniswein kredenzen. Ehedem mußte der Wandrer in der Schweiz, wo er auch einkehrte, sich an einem guten Trunk erlaben, der ihm Stärkung für die Reise verlieh. Hatte der Gast schon allerseits Abschied genommen und die Herberge verlassen, so kam der Wirt ihm draußen noch einmal mit dem Scheidetrunk entgegen; er schüttete aus zwei Flaschen roten und weißen Wein zugleich in das Bassglas, das seine Tochter ihm darhielt; erst wenn der Gast diesen Trunk bis auf die Neige geleert, konnte der Wunsch einer glücklichen Reise in Erfüllung gehen. In den Landkirchen der Schweiz spendet der Pfarrer nach der Messe einige Kannen aus, jeder Anwesende soll einen guten Trunk tun. Weil sich aber die schlauen Jungen dabei wiederholt vorzudrängen wissen und sogar die Kleider vor der Tür gegenseitig umwechseln, um unerkannt noch einmal an die Kanne zu kommen, so bleiben die Männer in Folge dessen aus der Reihe weg, und der Brauch des Minnetrinkens geht jetzt seinem Ende entgegen (Grenzboten 1864. Nr. 52).





Dieses Kapitel ist Teil des Buches Geschichte des Weins und der Trinkgelage