05. Die Weinkultur in Norddeutschland

Die Weinkultur in Norddeutschland.



Die Lokalitäten des Weinbaus erleiden im Lauf der Jahrhunderte mannigfache Veränderungen. So gab es eine Zeit, wo in Deutschland weit mehr Wein gepflanzt ward, als jetzt; von Botzen bis Sachsen wurde Wein, natürlich in abnehmender Menge und Güte, gewonnen; in der Weichselgegend, der Mark Brandenburg, in Hannover, Mecklenburg und Schleswig-Holstein finden sich heute noch viele Gegenden, die den Namen „Weinberg“ oder „Weingarten“ tragen, obgleich daselbst seit lange keine Spur eines Rebstocks mehr zu schauen ist. Man gab hier den Weinbau aus ebendenselben Gründen wieder auf, wie in Großbritannien und dem nordwestlichen Frankreich, wo nur in seltnen warmen Jahren ein guter Wein erzielt ward. Die erste namhafte Bezeichnung angelegter Weinberge findet sich in Sachsen unter dem Herzog Heinrich, dem nachmaligen Kaiser. Seine Nachfolger, die Ottone, sorgten eifrigst für die Pflanzenkultur in ihren Stammlanden, so daß zu Ende des 10. Jahrhunderts der Weinbau in Sachsen nicht weniger, als in Böhmen schon in Flor stand; nannte doch der Bischof Dithmar von Merseburg damals Sachsen „das blumige Paradies und den Überfluß in allen Dingen“. Der Bischof Benno von Meißen brachte 1073 den ersten Weinstock nach Thüringen, im 11. Jahrhundert finden sich auch Spuren von Weinbau bei Hildesheim und Göttingen, 1128 kam der Bischof Otto von Bamberg mit einem Faß voll Reben nach Pommern, um sie hier anzupflanzen, 1150 führten die Rheinländer, welche Albrecht der Bär in seinem Lande aufnahm, den Weinbau in der Altmark ein; 1285 ward um Stendal schon so viel Wein gewonnen, daß man damit Handel treiben konnte; und im 16. Jahrhundert existierte Weinkultur in Mecklenburg, bei Lübeck, bei Rathenow an der Havel, und vor allem bei Guben in der Lausitz. Gubensche Weine wurden damals überall in Norddeutschland getrunken und paradierten selbst auf den Tafeln der Fürsten. — Als der kriegerische deutsche Orden die Eroberung von Ostpreußen vollendet hatte, zog er Kolonisten aus den benachbarten sächsischen und wendischen Staaten herbei; besonders wandte der Hochmeister des Ordens, Winrich von Kniprode, alle Mittel an, um die innern Kräfte seines Landes zu wecken und es in einem blühenden Zustand seinem Nachfolger zu hinterlassen. Er ließ für schweres Geld erfahrne Winzer aus Süddeutschland und Italien kommen. So entstanden Weinberge bei Rastenburg, Lüneburg, Polska, Hohenrode, Tapliau und Thorn an der Weichsel. Über Königsberg hinauf, selbst bei Tilsit und Memel, wurde Weinbau getrieben, wo er seit drei Jahrhunderten bereits wieder verschwunden ist. 1379 belief sich der Ertrag aller Weinberge des Hochmeisters auf 608 Tonnen, die teils verschenkt, teils eingekellert wurden. Wenn bei der Ernte das erste und das letzte Faß gefüllt wurden, pflegte eine frohe Gesellschaft von Rittern zusammenzukommen und ein Fest zu feiern, das man das Füllungsfest nannte; sie versammelte sich an dem Orte, wo das Faß stand, und erwartete unter beständigem Trinken das Vollwerden der Fässer und — ihrer selbst. Auf das Zeichen des Kellermeisters, daß das Faß voll wäre, erhoben alle zugleich ein fröhliches Evoe und tranken auf das Wohl des Hochmeisters. Dann ging es zum Tanz, wobei die schönen Winzerinnen erscheinen und Bockspfeifer aufspielen mußten. — Der Großkomthur und der Marschall des Ordens hatten die Erlaubnis, für ihren Gebrauch so viel Wein aus dem Hofteller zu nehmen, als sie wollten. Vor allen versorgten die Weinberge bei Thorn die deutschen Ritter mit Wein bei der Messe sowohl, wie bei Trinkgelagen. Als der Herzog Rudolf von Baiern 1363 in Marienburg, wo der Orden feinen Sitz hatte, bewirtet wurde, mußte der Mundschenk beim Schlusse der Tafel einen großen goldnen Becher mit Wein aus den Thorner Bergen füllen, den zuerst die Herzöge, dann der Hochmeister und die übrigen Ritter auf gut Kriegsglück leerten. Da sagte Rudolf: „Langt mir noch einmal den Becher her, der Trank ist echtes Öl, davon Einem die Schnauze anklebt.“ Der Mundschenk füllte den Becher abermals, und der Herzog leerte ihn auf das Andenken des Kaisers Ludwig von Baiern, wobei alle Ritter ein hohes Freudengeschrei erhoben und ebenfalls die Becher zu Ludwigs Ehren anstießen.




Seitdem die Weinkultur Ostpreußen verlassen hat, ist die Mark Brandenburg die nördlichste Grenze nicht nur Deutschlands, sondern der ganzen Erde, wo überhaupt noch Wein gekeltert wird; und zwar erlangte der Weinbau im 16. Jahrhundert hier seine größte Blüte. Von der Menge des damals in der Mark gewonnenen Weins kann man sich einen Begriff machen, wenn man alte Nachrichten liest, wonach ein einziger Weinberg bei Tasdorf 150 Tonnen Wein gab; Biesenthal und Oderberg mußten 20 Tonnen weißen und 20 Tonnen roten Wein an das Joachimsthalsche Gymnasium für die Lehrer und Schüler liefern, und in der Neumark war der Landwein wohlfeiler, als das Krossener Bier. (Möhsen, Gesch. d. Wissensch, d. Mark Brand, von der ält. Zeit bis zu Ende d. 16. Jahrh.) Heute noch wachsen bei Potsdam und Grüneberg, zwischen 52 und 53 Grad nördl. Br., jene edlen Sorten, welche der Volkswitz als Strümps-, Wende- und Dreimännerwein bezeichnet. Die Bedeutung dieser Namen kennt der liebe Leser, aber nur vom Hörensagen, wie ich ihm wünschen will, nicht aus eigner Erfahrung; oder sollte er doch selbst ein armer Sünder gewesen sein, der schon einmal von zwei Opferpriestern gehalten ward, als er dem Bacchus seine Libation darbrachte? „Denn Einer kann es nicht allein, es müssen immer Dreie sein.“

Die märkischen und schlesischen Weine verkümmern am lauwarmen Strahl der Sonne in einem siechen Leben und sind nur in den bessern Weinjahren genießbar, während sie in den übrigen durch ihre liebliche Säure genugsam den Breitengrad ihrer Heimat verraten. Eben so wenig sind die thüringischen Weine von besonderer Qualität, wenn sie auch nicht den Vorwurf verdienen, den Asmus ihnen in den halsbrechenden Versen macht:

Thüringens Berge, zum Exempel, bringen
Gewächs, sieht aus wie Wein,
Ist's aber nicht, — man kann dabei nicht singen,
Dabei nicht fröhlich sein.


Melanchthon bemerkt von Thüringen in einem Briefe: „Ubi nativum montes lacrymantur acetum.“ Auch die meisten kurhessischen Weine stehen nur als Sauerache und Rachenputzer im Ruf; und daß der mecklenburgische Wein, der im 16. Jahrhundert beim Städtchen Plau und in unserem Jahrhundert auf kurze Zeit bei Crivitz gewonnen ward, besser war, als der berühmte Grüneberger, ist durch nichts erwiesen; dagegen ist es möglich, daß seiner Zeit die Kinder mit einem Glase Plauer gedroht wurden, wenn sie nicht ruhig sein wollten.






Dieses Kapitel ist Teil des Buches Geschichte des Weins und der Trinkgelage