Die polnische Judenfrage

Autor: Segel, Binjamin (1866-1931) galizischer Autor, Journalist und Ethnologe, Erscheinungsjahr: 1916

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Themenbereiche
Enthaltene Themen: Judenfrage, Juden, Judentum, Polen, Emanzipation, Autonomie, Russen, Russland, Ostjuden, Zionismus, Antisemitismus, Pogrome, Judenverfolgung, Hass, Sprache, Judendeutsch, Jüdische
Aufrollung der Judenfrage in Polen. — Das Berliner Komitee zur Befreiung der Juden. — Die Juden in den polnischen Gebieten. — Was sind „völkische Rechte"? — Individuelle und völkische Emanzipation. — „Nationaljudentum" und religiöses Judentum. — „Jiddischisten" und „Hebräisten". — „Jiddisch" oder Jüdisch? Kulturwert, Bedeutung und Zukunft des Jargons. — „Völkische Gemeinschaft" der Juden. — Die Jargonuniversität. — Das Rennersche Projekt und die nationale Autonomie der Juden. — Deren Exterritorialität. — Die Vierländersynode in Polen. — Boykott und nationale Autonomie. — Forderung der nationalen Autonomie für die Juden in Deutschland, Ungarn und Amerika. — Die Judenfrage in Rumänien auf dem Berliner Kongress. — Die nationale Autonomie der Juden in Polen und die Gleichberechtigung des Jargons, eine Forderung der russischen Politik. — Vernichtung kleiner Völker. — Russisch-zionistische Polenhetze. — Triumph des russischen Nachrichtendienstes. — Wer hat die Pogrome in Polen veranstaltet? — Überwuchern des Denunziantentums. — Einige Fürsprecher der polnischen Juden. — Eroberung von Warschau durch die . . . Juden. — Deutsche und Juden in Polen. — Der Standpunkt der Polen. — Mission der „Ostjuden" — „Divide et impera" einst und jetzt. — Prinzipielle Fragen. — Unlösbare Rätsel. — Zionismus und „nationale Autonomie", ein Widerspruch. — Aufpeitschen des Hasses zwischen Polen und Juden im Interesse des Zarismus. — Polen und Russen in ihrem Verhältnisse zu den Juden. — Ein Blick hinter die Kulissen. — Polnische Juden als Handelsobjekt.— Aufgaben für die Zukunft.

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. . . cum ira ac studio . . .

Die Judenfrage in Polen ist plötzlich wieder lebendig geworden. Schon im zweiten und dritten Kriegsmonat sind Broschüren und Artikel verfasst worden, in denen die zukünftige Gestaltung der Lage der polnischen Juden gründlich erörtert und deren Verfassung nach verschiedenen am Schreibtisch wohldurchdachten Plänen festgelegt erscheint. Dabei wurden nicht nur diejenigen, die über Verteilung und Abgrenzung der Länder zu bestimmen haben würden, nicht um ihre Meinung gefragt, sondern die polnischen Juden selber ganz und gar nicht zu Rate gezogen. Und dennoch hätte mindestens letzteres geschehen sollen. Denn unter allen den Staatsmännern, die über das künftige Schicksal der Juden in Polen jetzt entschieden haben, ist kein einziger, der am eigenen Leib die Segnungen seines Systems zu genießen oder dessen Folgen zu tragen haben würde. Alle stehen sie fern vom Schuss und werden nicht erst nötig haben, sich, wie Lykurg, zurückzuziehen und die Entwicklung; ihrer Gesetzgebung von der Ferne zu beobachten.

Es ist nun wichtig, dass auch wir polnischen und insbesondere galizischen Juden einmal zu allen diesen Plänen und Entwürfen und den ihnen zugrunde liegenden Tendenzen und Anschauungen Stellung nehmen. Ich halte es darum für notwendig, die Aufmerksamkeit meiner Landsleute und Leidensgenossen, aber auch der weitesten Öffentlichkeit, auf diese Fragen zu lenken.

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Schon im September 1914 hörte ich, dass in Berlin ein Komitee zur Befreiung der östlichen Juden sich gebildet hätte, und verstand nicht recht, was für Ziele dieses Komitee verfolgen könnte. Die Befreiung der Gebiete, wo diese Juden wohnten, besorgten die verbündeten Armeen, und dass weder die Österreich-ungarische noch die deutsche Regierung die Juden in den von ihnen eroberten Gebieten knechten oder ihnen geringere Rechte einräumen würde, als den christlichen Bewohnern, unterlag keinem Zweifel.

Ebensowenig konnte man bezweifeln, dass jene politischen Parteien in Polen, die man unter dem Namen Unabhängigkeitsparteien zusammenfasst und die für die Wiederherstellung Polens mit Hilfe und unter dem Schutze Deutschlands und Österreich-Ungarns tätig sind, an dem Prinzip der vollen Gleichberechtigung der Juden nicht zu rütteln gedenken. Wir kennen das Programm dieser Parteien, kennen, die führenden Männer, deren Tätigkeit wir seit Jahren beobachten. Wir galizischen Juden im besonderen kennen die Männer des Obersten Nationalkomitees in Krakau ebenso wie die Mitglieder des Polenklubs in Wien aus ihrem langjährigen öffentlichen Wirken, und keinem Vollsinnigen könnte es einfallen, diese Männer zu verdächtigen, dass sie die Gleichberechtigung der Juden anzutasten fähig wären. Im übrigen: ein mächtiger Staat kann sich hartnäckig weigern, einem verschwindend kleinen Bruchteil seiner Untertanen Bürgerrechte zu verleihen; wie aber könnten vernünftige, ihr Vaterland liebende Männer daran denken, 10 bis 14 Prozent ihrer Mitbürger Krieg anzusagen und sie der Rechte zu berauben, deren sie sich im Lande seit Jahrzehnten erfreuen, zumal in einem Lande, das nach grenzenlosen Leiden zu neuem Leben erwacht und der Zusammenfassung aller Kräfte zur friedlichen Arbeit bedarf — zumal diese Rechte von ihren eigenen Vorfahren erfochten und proklamiert worden sind. Man darf nämlich nicht vergessen, dass die Gleichberechtigung der Juden in Österreich zu einem guten Teil den Polen zu verdanken ist, die, mit Franz Smolka und seinen Genossen an der Spitze, seit 1848 für diese Idee kämpften. Schon der österreichische Reichstag im Jahre 1848 votierte unter dem Vorsitz Smolkas fast einstimmig den Grundsatz der bürgerlichen Gleichberechtigung der Juden. Im Jahre 1861 beriet der konstitutionelle Ausschuss der ersten Legislaturperiode des Wiener Reichsrates unter dem Vorsitz Smolkas über das sogenannte Mühlfeldsche Religionsedikt, welches die Gleichstellung aller Konfessionen vor dem Gesetz bestimmte. Es stellte sich am Ende Stimmengleichheit heraus und Smolka als Vorsitzender entschied zugunsten der uneingeschränkten Gleichberechtigung. Smolka ist also der eigentliche Urheber der Gleichberechtigung der Juden in Österreich. Ganz verwirklicht wurde dieses Prinzip erst durch die Verfassung vom 22. Dezember 1867. In den Sitzungen vom 30. September und 8. Oktober 1868 hob der galizische Landtag die restlichen aus dem Vormärz stammenden Beschränkungen der Juden in der Gemeindeverwaltung auf, und zwar auf Betreiben von Smolka, Gniewosz, Agenor Goluchowski, Wezyk, Rogawski. — Im Königreich Polen hinwiederum hat der Marquis Alexander Wielopolski als Chef der Zivilverwaltung unter dem Statthalter Großfürsten Konstantin am 8. Juni 1862 die Gleichberechtigung der Juden durchgeführt und in den Staatsrat einen Juden berufen. Dass im Königreich Polen die Juden in Ruhe gelassen und nicht ausgetrieben wurden, dass die aus den anderen russischen Provinzen ausgetriebenen Juden dort in großer Anzahl Zuflucht finden konnten, ist also dieser Tat des Marquis Wielopolski zu verdanken. In Polen wurden die Juden, wie wir sehen, sechs oder sieben Jahre, bevor dies in Preußen endgültig geschah, emanzipiert, in Preußen, das doch die Wiege des Emanzipationsgedankens war. — Nur eine Partei unter den Polen gibt es heute, die (wenigstens in der Theorie) die Behandlung der Juden nach russischen Prinzipien anstreben würde. Das sind die Nationaldemokraten, die sich mit den ,,echt russischen Leuten'' auf dem gemeinsamen Boden des Antisemitismus zusammengefunden und seit 1905 mit der russischen Regierung einen Pakt geschlossen haben. Aber diese Partei hätte nur dann Aussicht auf Erfolg, wenn Russland siegen und die Zentralmächte unterliegen sollten. In diesem Falle jedoch wären alle Bemühungen des Berliner Befreiungskomitees aussichtslos.

Was sollte also die Tätigkeit des besagten Komitees? Wir galizischen Juden brauchten höchstens, gleich den anderen Landesbewohnern, eine Befreiung von der russischen Invasion, aber eine solche konnte das gute Komitee beim besten Willen nicht bewerkstelligen. Zum Glück war das aber auch gar nicht nötig, und man konnte es ruhig den Generalstäben der beiden Zentralmächte überlassen — wie ja die Folge gezeigt hat. Immer rätselhafter wurde mir also, was das geheimnisvolle Komitee sich zum Ziel gesetzt hatte und auf welchem Wege es dieses Ziel zu erreichen strebte.

Ein Geheimnis umgab auch die Zusammensetzung des Komitees Es war mir unmöglich, zu erfahren, aus welchen Persönlichkeiten es bestand. Das war allerdings begreiflich, denn da seine Tätigkeit nur in der Einflussnahme auf die allermaßgebendsten Kreise der Regierenden bestehen konnte, so durfte es, wie alle hohe Diplomatie, nicht in die gemeinen Niederungen und in die grelle Beleuchtung der Öffentlichkeit hinabsteigen. Eins war indessen durchgesickert, nämlich, dass das Komitee gar nicht daran denkt, mit der Gewährleistung der bürgerlichen Gleichberechtigung an die Juden Polens sich zu begnügen, sondern fest entschlossen ist, ihnen „völkische Rechte" zu erkämpfen, und müsste es zu dem Zwecke gegen Himmel und Hölle Krieg führen.

Völkische Rechte? Was ist das? Lange zerbrach ich mir den Kopf darüber, was für Rechte darunter zu verstehen wären, die ich, als Bewohner Galiziens im Besitz aller staatsbürgerlichen Rechte, bisher so schmerzlich entbehrt haben sollte, und die mir nun von dem Berliner Komitee geschenkt werden würden. Ich konnte es trotz aller Anstrengungen nicht erraten. Das war aber um so wichtiger zu wissen, als wir polnischen Juden dadurch über alle andern Juden der ganzen Welt, auch die in Deutschland und in Amerika, erhöht werden sollen, die im Besitze aller bürgerlichen Rechte sind, aber der „völkischen Rechte" entbehren, solche auch niemals beansprucht haben.

Was hat man also unter „völkischen Rechten" zu verstehen ?

Da drang abermals zu mir eine unsichere Kunde aus dem Heiligtum, dass es sich darum handle, den „Sprachen der Juden", nämlich dem Hebräischen und dem „Jargon", Rechte zu erkämpfen. Das war mir nun noch rätselhafter. Uns in Galizien hat kein Mensch und kein Gesetz jemals verwehrt, uns der hebräischen Sprache nach Belieben zu bedienen und sie nach Herzenslust zu pflegen. Dasselbe gilt von dem sogenannten Jargon, oder wie wir lieber sagen, dem Jüdischen. Diese Sprachen bedürfen also keineswegs der Befreiung, da sie unter keinem Joche seufzen. Aber da wurde ich dahin aufgeklärt, dass das Berliner Komitee danach strebe, diesen beiden Sprachen — nach einer anderen Version nur einer von ihnen, aber unbekannt welcher — die Gleichberechtigung in Schule, Gericht und Administration zu erwirken. Das erschien mir nun schon vollends unverständlich und ganz unglaublich. Ich kann mich nämlich nicht entsinnen, dass einer oder der andere galizische Jude es jemals drückend empfunden hätte, dass ihm der Steuerzettel oder die Postanweisung nicht in hebräischer Sprache oder in Jargon überreicht wurde, dass keine hebräische Aufschrift über gewissen Türen in den Bahnhöfen prangte, oder dass der Beamte mit ihm nicht in hebräischer Sprache ein Protokoll aufnahm. Im Gegenteil, solche „Rechte" würden von den Juden in Galizien als eine drückende Last, mindestens als Absurdität empfunden werden. Sollte es jemand fertig bringen, eine Volks- oder Mittelschule mit dem Jargon als Vortragssprache zu eröffnen, so würde das Publikum sie meiden, und nicht mit Pferdekraft brächte man zwei Schüler hinein. Das Hebräische war in den Volks- und Mittelschulen vorgeschrieben, aber dies „ Recht" hat die Kenntnis des Hebräischen arg geschädigt. Eine Sprache, die man nicht oder nur sehr wenig im täglichem Gebrauch hat, gedeiht im staatlich garantierten und beaufsichtigten Schulbetrieb sehr kümmerlich. Man denke an die beiden klassischen Sprachen. Nach acht- oder sechsjährigem Unterricht, der acht Stunden wöchentlich verschlingt, retten die Schüler am Ende kaum ein paar Brocken. Nachdem man bei uns mit dem staatlich geförderten Unterricht im Hebräischen schlimme Erfahrungen gemacht, fing man an, andere Methoden zu versuchen, um der künftigen Generation eine gediegenere Kenntnis des Hebräischen zu sichern. Aber für eine „Verstaatlichung" dieses Unterrichts würden wir uns sehr energisch bedanken. Es war also schwer zu ergründen, worin diese „völkischen Rechte" bestanden, welche das Berliner Rettungs- oder Befreiungskomitee für uns zu erfechten entschlossen war.

Da kam aus Warschau Aufklärung. Das dortige Komitee der Zionisten oder der „jüdischen Nationalisten" hatte ebenfalls beschlossen, für die Juden „völkische Rechte" zu fordern, nämlich für den Fall, dass die Versprechungen des russischen Generalissimus eingehalten und Polen eine Landesautonomie gewährt werden sollte. Unter anderen unbedeutenderen Dingen besagte ein Punkt: der künftige Statthalter oder Vizekönig von Polen solle verpflichtet sein, den künftigen polnischen Reichstag auch mit einer Rede im Jargon zu eröffnen. Es war nicht etwa ein Witzblatt, in dem das gedruckt stand.

Indessen half mir ein glücklicher Zufall, mit einem der Herren vom Berliner Komitee Fühlung zu nehmen. An einem Freitagabend, bald nach dem Gottesdienst, kam ein Bekannter zu mir und bat mich im Namen eines Herrn, eines Professors, diesen aufzusuchen, um ihm einige Fingerzeige betreffs der Judenfrage in Polen, besonders in Galizien, zu geben. Die Sache wäre dringend und unaufschiebbar, denn der Professor reiste in hochwichtiger politischer Mission nach Wien. Obwohl der Weg vom Professor zu mir nicht länger war, als von mir zum Professor, beeilte ich mich, der Einladung zu folgen. Erstens hoffte ich, irgendeine Dummheit verhüten zu können, sodann hatte ich vielleicht die Möglichkeit, Näheres über dieses geheimnisvolle, in so dichte Nebel gehüllte Komitee zu erfahren. Ich täuschte mich nicht. Der Professor war richtig Mitglied des Komitees, das ihn mit der Aufgabe betraut hatte, nach Wien zu reisen, wo er offenbar beim Kaiser Franz Joseph zugunsten der galizischen Juden Fürsprache halten sollte. Die Angelegenheit muss von höchster Wichtigkeit gewesen sein, da der Abgesandte keinen Tag zögern konnte und just am Freitagabend die Reise antreten musste. Vor mir stand ein älterer junger Mann, der höchst anständig, zufrieden und wohlgenährt aussah und ersichtlich sehr vorsichtig in der Wahl seiner Schwiegermutter gewesen war. Das war der Träger einer wichtigen Mission vom Berliner Komitee an die kaiserliche Regierung in Wien in Sachen der polnischen Juden. Aber da er, wie er mir erklärte, von den Verhältnissen und Bedürfnissen der polnischen oder galizischen Juden „nicht die blasseste Ahnung hatte", legte er in seiner Gewissenhaftigkeit und Gründlichkeit Gewicht darauf, das halbe Stündchen, das ihm bis zur Abreise noch blieb, zu benützen, um sich von mir über besagte Verhältnisse informieren zu lassen. Als Gegenlohn erbat ich mir Aufklärung über das Wesen der „völkischen Rechte". Solche wurde mir zuteil: Zunächst eine Jargon-Kultur-Autonomie, also ein eigenes Jargon-Schulwesen für die Juden, eventuell mit einem eigenen obersten Jargon-Schulrat, ferner eigene Museen, ein eigenes Theaterwesen. Sodann besondere Jargon-Wahlkurien: alle, die sich zum Jargon als ihrer „völkischen" Sprache bekennen, sollen zu einer besonderen Wahlkurie vereinigt werden und es soll ihnen eine bestimmte Anzahl von Volksvertretern zugestanden werden mit dem Rechte, sich des Jargons im Parlament zu bedienen. Und so weiter. Ob der Herr Professor Hebräisch verstehe? fragte ich. — Sehr wenig. Die Bibel im Original zu lesen sei er nicht imstande. Obwohl er ein Orientalist und der Koran nebst einem arabischen Wörterbuch vor ihm aufgeschlagen war. Er erforscht die Religion und die Sitten des Islams, kann sich aber nicht erklären, was es bedeute, dass die Orthodoxen sich scheuen, am Sabbat Gebrauchsgegenstände bei sich zu tragen. Ich fing an, so gut ich’s konnte, auf seine Fragen zu antworten, aber gleich meldete das Dienstmädchen, dass das Automobil unten wartete. Der Herr Professor empfahl sich. Tags darauf protegierte er die polnischen und insbesondere die galizischen Juden beim Kaiser Franz Joseph und seiner Regierung.

Vom Professor erfuhr ich etwas über die Persönlichkeiten, die in dem Befreiungskomitee sitzen. An der Spitze steht der Justizrat Dr. Bodenheimer aus Köln, der auch die Seele und das Gehirn des Komitees ist. Dr. Franz Oppenheimer ist dessen Mundwerk, Trieb- und Schreibfeder. Ersterer bekleidet eine sehr hohe Würde in der zionistischen Weltorganisation, letzterer ist eine der maßgebendsten Persönlichkeiten der Kolonisationsarbeit in Palästina, wo er namentlich die von ihm ersonnene „Siedlungsgenossenschaft" auszuprobieren bestrebt ist.

Der Name des Justizrats Dr. Bodenheimer war mir bekannt. Vor mehr als 15 Jahren las ich das von ihm neu herausgegebene und mit einer Einleitung versehene Buch von Moses Heß „Rom und Jerusalem" und gewann den Eindruck, dass der Herausgeber mit bewundernswürdiger Abgekehrtheit den Dingen und den Wissenschaften dieser profanen Welt gegenüberstand. Von der Spektralanalyse z. B., die Heß natürlich nicht kannte, hatte auch sein Herausgeber noch keine Notiz genommen. Was „Alleiner" und „Alleinheit" bedeutete, war mir schwer zu erraten. Erst nach langem Nachsinnen kam ich dahinter, dass Heß „All-Einheit" und „All-Einer" sagen wollte, und Dr. Bodenheimer in diesen philosophischen Terminis einen Sinn vermutete, der mit „Alleinsein" und „Einsamkeit" verwandt ist. Auch der Gang der Weltereignisse von Heß bis Bodenheimer sowie die Ergebnisse der jüdischen Geschichtsforschung in dieser Zeitepoche ignorierte Dr. Bodenheimer vollständig. Das war, dachte ich bei mir, offenbar einer jener altjüdischen Typen, die, in vollkommener Weltfremdheit herangewachsen, sich in das hebräische Schrifttum ganz und ausschließlich versenken und auf Kosten der „profanen" Bildung eine einseitige aber souveräne Beherrschung der jüdischen Wissenschaften erwerben. Ich beschloss, bei Herrn Dr. Bodenheimer um eine Audienz nachzusuchen, und um mich auf sie vorzubereiten, befragte ich mehrere mir bekannte Zionisten über diesen ihren Führer. Die meisten hatten als Antwort nur ein merkwürdiges Lächeln. Einer sagte mir, Dr. Bodenheimer sei ein „gutes Pferd", womit er gewiss andeuten wollte, dass die guten Gaben dieses edlen Tieres dem Führer eignen. Bismarck, der ja auch kein unbedeutender Staatsmann war, verglich sich bekanntlich ebenfalls mit einem guten Pferd.

Ich wurde von Dr. Bodenheimer empfangen und fand einen feinen, gutmütigen, stillen, alten Herrn, sehr liebenswürdig und mitteilsam. Er machte aus seinem Herzen keine Mördergrube. Von den Zuständen, Bedürfnissen und Wünschen der „Ost-Juden", für deren völkische Rechte er bis auf den letzten Mann unentwegt zu kämpfen entschlossen war, hatte er nicht die geringste Ahnung. Allen diesen Problemen stand er mit der Unschuld eines zwölfjährigen Schulmädchens gegenüber. Nicht die leiseste Sachkenntnis trübte seine Objektivität und Unvoreingenommenheit. Er hielt es auch für ganz überflüssig, auf Kleinigkeiten und Einzelheiten einzugehen, da der Mensch am Ende doch nichts wissen könne. Aber was mich am meisten rührte, war, dass Herr Dr. Bodenheimer so tapfer für die beiden Sprachen der Juden focht, obgleich er von keiner
dieser Sprachen etwas verstand. Ja, nicht einmal das hebräische Alphabet war ihm geläufig. Ich traf ihn schwitzend über ein mit seltsamen Hieroglyphen bedecktes Blatt gebeugt, welches unverständliche Worte in hebräischen und lateinischen Lettern enthielt. Er war so gütig, mir die Bedeutung dieses Dokuments zu erklären. Um nämlich die Welt zu überzeugen, dass der jüdische „Jargon" der deutschen Sprache verwandt sei, ließ er zu einem Jargon-Text eine interlineare lateinische Transskription anfertigen, derart, dass jeder lateinische Buchstabe über dem entsprechenden hebräischen in der Ordnung von rechts nach links zu stehen kam. Man kann sich leicht denken, wie das aussah.

Ich nahm dem Dr. Bodenheimer diese unbedeutenden Schönheitsfehler keineswegs übel. Wer nicht Deutsch kann, ist darum noch nicht verpflichtet, Hebräisch zu können, und wenn man nichts von Physik versteht, ist man darum noch nicht gehalten, ein gewiegter Talmudist oder ein Kenner der jüdischen Geschichte und Literatur zu sein. Aber ich wunderte mich doch. Man kann ja nur für eine Sache kämpfen, die man liebt. Wie kann man aber zwei Sprachen lieben, von denen man keine blasse Ahnung hat, denen man vollkommen fremd gegenübersteht? Das war offenbar die reine, die uneigennützige Liebe.

Aber ich entsann mich folgender Tatsache. Als Dr. Theodor Herzl auftrat, versuchte einer seiner feurigsten Anhänger, den Dr. Güdemann in Wien als Parteigänger zu werben. Güdemann bemerkte, es falle ihm schwer, als Messias einen Mann anzuerkennen, der nicht einmal das hebräische Alphabet kenne und der so naiv sei, dieselbe Unkenntnis bei allen Juden vorauszusetzen. Im „Judenstaat" heißt es nämlich: „Wer von uns ist imstande, in hebräischer Sprache am Schalter ein Eisenbahnbillett zu verlangen?" Darauf antwortete der feurige Anhänger: Gerade die vollkommene Unkenntnis des Hebräischen und aller jüdischen Sitte, Gefühls- und Denkweise von Seiten des Dr. Herzl sei ein Beweis für seine Berufung. Bei allen Völkern, die nach langer Lethargie zu neuem Leben erwachen, sei solches der Fall. Die Griechen, Rumänen, Bulgaren haben ja auch Männer zu Souveränen gehabt, die der Sprache dieser Nationen nicht mächtig waren.

Seit damals habe ich unter den eminentesten Zionistenführern zahlreiche Souveräne gesehen. In der Person des Dr. Bodenheimer hatte ich wieder einen solchen vor mir. Ich muss sagen, wir könnten es uns leisten, nicht einen, sondern ein Schock Judenstaaten zu gründen, und was immer da kommen mag, an Souveränen wird es uns auf Generationen hinaus nicht fehlen.

In zweistündiger Audienz suchte ich zunächst zu ergründen, warum in der neuen weltgeschichtlichen Epoche, die nach dem Kriege beginnen wird, nur die paar Millionen polnischer Juden allein der völkischen Rechte und der völkischen Autonomie teilhaftig werden, während alle anderen ungefähr viermal so zahlreichen davon ausgeschlossen bleiben sollen? Man sollte meinen, dass die Juden in Ungarn, Niederösterreich, Böhmen, Holland, vor allem aber die Juden Deutschlands und Amerikas, in keiner Weise niedriger stehen, als wir polnischen „Ostjuden", die wir von Seiten unserer abendländischen Brüder so oft harte Urteile über uns ergehen lassen müssen. Auf alle meine diesbezüglichen Fragen hatte der Dr. Bodenheimer nur eine Antwort: „Hier haben sie das Recht, dort haben sie das Recht nicht." Das sollte heißen: In Polen haben die Juden das Recht, völkische Rechte zu fordern, sonst in der ganzen Welt haben sie dieses Recht nicht. Warum? Darauf erhielt ich keine Erklärung. In den 25 Jahren, seit er in der vordersten Reihe der zionistischen Bewegung steht, hat Herr Dr. Bodenheimer offenbar keine Zeit gehabt, über dieses Problem nachzudenken.

Aber der tätigste im ganzen Komitee ist ein sonst in der Weltgeschichte ziemlich unbekannter Herr namens Dr. Adolf Friedemann, Assessor seinem Range nach. Er hat das Amt eines Marschalls inne, und vermittelt den Verkehr des Komitees mit der Regierung. Dazu ist er wie geschaffen, vermöge seiner vornehmen Erziehung, und seiner diplomatischen Geschicklichkeit im Umgang mit Staatswürdenträgern, wie Ministerialkastellane, Botenmeister, Diätare, Torhüter, bis hinauf zum wirklichen geheimen Registratur. Er überbringt die Botschaften des Komitees an die Minister, und ist unermüdlich, bis es ihm gelingt, sie tatsächlich dem Portier persönlich abzugeben. Einige Male ist es seiner Beharrlichkeit sogar geglückt, direkt bis zum Stellvertreter des Oberkanzlisten vorzudringen, und ihm eigenhändig seine Ideen auseinanderzusetzen. Was dieser Staatsfunktionär darüber denkt, verschließt er vorläufig sorgsam in seinem Busen. Erst die späte Nachwelt soll es erfahren.

Ostjüdisches Antlitz

Ostjüdisches Antlitz

Ostjude

Ostjude

Der greise Jude

Der greise Jude

Bärtiger Jude

Bärtiger Jude

Alter Jude

Alter Jude

Lesender Jude

Lesender Jude

Meditierender Ostjude

Meditierender Ostjude

Ostjude vor seinem Gebetbuch

Ostjude vor seinem Gebetbuch

Jude beim Lesen eines Buches

Jude beim Lesen eines Buches

Jude bei der Arbeit

Jude bei der Arbeit

Ostjude beim Studium

Ostjude beim Studium

Typisches Gesicht eines Ostjuden

Typisches Gesicht eines Ostjuden

Kohle schleppender Jude

Kohle schleppender Jude

Der Ostjude und sein Hobby

Der Ostjude und sein Hobby

Ostjude bei der Arbeit

Ostjude bei der Arbeit

Arbeitender Jude

Arbeitender Jude

Vollbärtiger Jude

Vollbärtiger Jude

Fleißiger Jude

Fleißiger Jude

Greise Jüdin des Ostens

Greise Jüdin des Ostens

Jüdin

Jüdin

Jüdischer Mädchenkopf

Jüdischer Mädchenkopf

Jude des Ostens

Jude des Ostens

Jugendliche Jüdin

Jugendliche Jüdin

Ostjüdin mit Kind

Ostjüdin mit Kind

Ostjüdin mit Kopftuch

Ostjüdin mit Kopftuch

Jüdische Schülerin

Jüdische Schülerin

Ostjüdische Schönheit

Ostjüdische Schönheit

Jüdin des Ostens

Jüdin des Ostens

Seitenansicht einer schönen Jüdin

Seitenansicht einer schönen Jüdin

Jüdischer Lockenkopf

Jüdischer Lockenkopf

Ostjüdin

Ostjüdin

Jude auf dem Weg zum Gebet

Jude auf dem Weg zum Gebet

Jude mit Tabakspfeife

Jude mit Tabakspfeife

Jüdischer Schüler

Jüdischer Schüler

Ostjude mit Mütze

Ostjude mit Mütze

Jude

Jude

Bärtiger Jude mit Pelzmütze

Bärtiger Jude mit Pelzmütze

Lernender Judenjunge

Lernender Judenjunge

Jude beim Arbeiten

Jude beim Arbeiten

Eingemummte Jüdin

Eingemummte Jüdin