Sechste Fortsetzung

Wie erwähnt, weiß keiner zu sagen, wie sich dieses Programm im wirklichen Leben bewähren würde. Aber gesetzt, es wäre ausführbar — würde es uns Juden auch Segen bringen? Um sich diese Frage zu beantworten, braucht man nur folgendes zu erwägen: Dieses Programm geht darauf hinaus, den Kampf zwischen den Nationalitäten dadurch zu beseitigen, dass die Nationalitäten streng isoliert werden, jede nähere Berührung unter ihnen, jede gegenseitige Beeinflussung aufhört. Dadurch wird der einen wie der anderen Seite benommen, Individuen fremder Nationalität zu sich hinüberzuziehen, zu „entnationalisieren", und sich numerisch auf deren Kosten zu bereichern. Aber trotz dieser strengen Absonderung in Schule, Administration, Gerichtswesen usw. bleiben die einander bekämpfenden Nationalitäten noch durch vielfache Bande miteinander verknüpft, innerhalb des Staates und des Landes, das sie gemeinsam bewohnen. Es sind dies das Rassenbewusstsein, in tausend Fällen sogar Familienverwandtschaft, Gemeinsamkeit des Berufs und das daraus erwachsende Klassenbewusstsein, vor allem aber der mächtigste Faktor des Seelenlebens, die Religion. In derselben Kirche kann morgens ein deutscher und nachmittags ein tschechischer, polnischer, ungarischer, ruthenischer oder slowakischer Gottesdienst abgehalten werden. Die verschiedener, Nationalitäten können bei demselben Priester beichten, sich von ihm die Sakramente spenden lassen: sie feiern dieselben Feste, üben dieselben Zermonien, beten dieselben Gebete, wenn auch in verschiedener Sprache (insofern sie Katholiken sind, sogar vielfach in derselben Sprache), verehren dieselben Heiligtümer, und nachdem sie sich wegen etwaiger sprachlicher Lappalien blutig befehdet haben, finden sie sich friedlich in gemeinsamer Feier zusammen, oder zu gemeinsamem Streit gegen denselben religiösen Gegner. Diese Sympathiebande sind stark genug, um feindliche Nationalitäten zu einer nach außen hin fest zusammenzuhaltenden Gemeinschaft zu einen, die schwere gemeinsame Lasten tragen, Gefahren von dem Staat und der Allgemeinheit abwenden kann, und um jenes Zusammenarbeiten und gegenseitiges V erstehen und Zutrauen zwischen Bürgern zu bewirken, ohne welches das bürgerliche Leben im modernen Staat keine Stunde dauern könnte.

Anders bei den Juden. Die tiefe Kluft, die die Religion zwischen uns und unserer nichtjüdischen Umgebung ausgehöhlt, hat bis auf die neueste Zeit hingereicht, um uns den schwersten Verfolgungen auszusetzen. Dazu kommt die seit Jahren besonders in Deutschland gepflegte Rassentheorie, welche überall im Bewusstsein der breitesten Massen das Gefühl unserer Fremdheit noch gesteigert hat. Soziale Unterschiede trennen überdies, namentlich in Polen, Juden von Nicht-Juden. Der Jude ist überwiegend Städter, der Nicht-Jude Landmann. Auf dem Lande ist der Jude Großgrundbesitzer, der Nicht-Jude-Bauer. Der Jude ist Unternehmer, welcher nichtjüdische Arbeiter beschäftigt. Der Jude ist Klein- und Zwischenhändler, der Nicht-Jude Konsument. Der Jude ist Kaufmann, der Nicht-Jude Beamter. Sogar in der Kleidung unterscheiden sich die großen Massen der Juden von den Nichtjuden. Es ist leicht zu ersehen, was für eine Menge von Gegensätzen und Spannungen aus diesen Unterschieden erwächst, die durch gewissenlose Agitation oder in gefährlichen Lagen zu loderndem Hass werden können. Sie können indessen alle, wenn nicht aufgehoben, so doch gemildert werden, vor allem durch ein sprachliches Band, welches eine gegenseitige Aussprache und Verständigung ermöglicht, ferner dadurch, dass man auf der Schulbank zusammensitzt, wo man sich gegenseitig Trennen lernt und einander näher tritt und wo große gegenseitige Sympathien entstehen können, die auch in späteren Jahren vorhalten; dass man einem gemeinsamen Gesetz unterliegt, welches alle gleichmäßig bindet und allen gleiche Rechte und Freiheiten gewährt; dass man in gemeinnützigen Institutionen und in verantwortlichen öffentlichen Körperschaften zusammenwirkt; dass man ein gemeinsames Wahlrecht ausübt, welches zum Nachdenken über gemeinsame Pflichten und gemeinsame Ziele nötigt.


Alles das wird wegfallen, wenn uns die ,,völkische Emanzipation", eine ,,Volksemanzipation auf der Grundlage einer festgeschlossenen und durch oberste Reichsgesetze gesicherten Organisation" gewährt wird, und wir ,, nicht als einzelne Juden, sondern als geschlossene feste Volksmasse einem Staat einverleibt werden". Wir werden nicht nur überall exterritorial, sondern überall wirklich fremd, überall beargwöhnt, nirgends beheimatet sein. Wir werden von der nichtjüdischen Bevölkerung aller Klassen und Stände als ein Fremdkörper, als ein Pfahl im Fleische empfunden werden. Da die ganze Erziehung der Massen sich im Jargon abspielen wird, so werden die glücklichen Zeiten wiederkehren, als ein Jude in der Landessprache kein Eisenbahnbillet zu verlangen vermochte, da er nicht den Mund auftun konnte, ohne durch seine Aussprache lächerlich zu werden. Das neue Ghetto, in das uns diese „völkische Organisation" einpferchen will, würde uns noch stärker isolieren, als die Mauern des Ghettos in Frankfurt a. M. und in andern deutschen Städten bis in die neueste Zeit hinein. Wie sollen wir da, eine geringe Minorität von 10 oder 14 %, unter den restlichen 90 oder 86% leben und gedeihen? In normalen Zeiten würde ein latenter Hass und ein stiller Kampf gegen den exterritorialen Fremdling wühlen, den mit der übrigen Bevölkerung kein Band der Sympathie und des Verständnisses verbindet, der in allen Äußerungen der Seele und in allen bürgerlichen Betätigungen von ihm geschieden ist, der hier nur wohnt, wie ein flüchtiger Gast, der in lein Absteigequartier einkehrt, Bei der geringsten wirtschaftlichen, sozialen oder politischen Krise aber würde ein Hass und eine Wut gegen uns auflodern, die uns vertilgen könnten. Wo in aller Welt gibt es einen Staat, der sich einen solchen ,,Knochen in der Gurgel" gefallen ließe? Glaubt jemand, dass die Juden in Polen Kraft und Lust hätten, die Last eines solchen neumodisch konstruierten Judentums auf sich zu nehmen? Und zu welchem Zweck? Was würden sie dadurch für sich und ihre Nachkommen, für die Welt erretten und erhalten? Den Jargon, dieses heilige Palladium der „Nationalität"? Alle Juden haben das sichere Gefühl, dass sie das Judentum erhalten müssen, dass sie jede Existenzberechtigung verlören, sobald sie das Judentum untergehen ließen, dass sie in diesem Falle alle Leiden, die ihnen je zugefügt worden, nachträglich rechtfertigten. Sie haben das untrügliche Gefühl, dass kein Opfer zu groß und zu teuer ist, um das Judentum zu erhalten, das Judentum in seiner Eigenart und seiner Sondergestaltung: obgleich das Wichtigste seines Inhaltes bereits in das Bewusstsein der Welt übergegangen und Gemeingut der Kulturvölker geworden ist, so hat es noch so viel Besonderes und Einzigartiges, dass dieser Eigenton aus der Weltharmonie nicht verschwinden darf, ohne dass wir, seine Erben und Träger, einen furchtbaren Frevel auf uns laden, ohne das unser Leben schal und leer würde, inhaltslos, ohne Verbindung mit dem Ewigen, Überpersönlichen — nichts als eine Reihe physiologischer und ökonomischer Funktionen. Ich sage: das Gefühl, denn ein Gefühl ist es, unbeweisbar, keines Beweises bedürftig; es braucht keinem Juden erst plausibel gemacht zu werden. Man wende nicht ein, dass jeden Tag soundso viele Juden um armseliger Vorteile willen, oder um der Drangsalierung zu entgehen, das Judentum verlassen. Die Tausende von Selbstmorden, die alle Tage in den friedlichsten Zeiten begangen werden, beweisen nichts gegen den Wert des Lebens. Das Verhältnis des einzelnen Juden zur Lehre sowie zum Situs, zur Lebensanschauung sowie zur Betätigung des Judentums kann bisweilen sehr kritisch oder locker sein; aber das entspringt nur einem Gefühl des Vertrauens und der Beruhigung, dass der Bestand gesichert sei. Sobald jedoch dem Bewusstsein sich die Überzeugung aufdrängen würde, dass der Fortdauer des Judentums ernste Gefahr drohe, würde alle Kritik sofort verstummen und alle Lockerheit sich in wilden Eifer, sogar in Fanatismus verwandeln. Aber gehört der Jargon zu den höchsten Gütern des Judentums? Das kann nur den „Neujuden" einfallen, den Juden von gestern, deren Judentum nicht vom Sinai, sondern von Basel herstammt, die das Judentum nicht gelebt, die es nicht von ihren Eltern übernommen haben und es ihren Kindern nicht vererben werden; für seine werte Person legt sich solch einer ein papierdünnes, sehr bequemes, kaum merkbares, wie Nebel zerfließendes Judentum zurecht, aber die andern möchte er in einen unerträglichen, plumpen, sinnlosen Panzer einzwängen.

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Man muss sich nämlich die Vorschläge der Herren vom Befreiungs- und Rettungskomitee näher besehen. Danach werden die Juden in Polen auf Grund des Jargons zu einer besonderen „Sprach- und Kulturgemeinschaft" zusammengefasst, die eine öffentlich-rechtliche Korporation bildet, Sie ordnen für sich gesondert, nach eignem Ermessen und ohne dass die andern Gemeinschaften und die staatlichen Behörden ein Einspruchsrecht besitzen, ihre Mittel-, Fach- und Hochschulen, Museen, Theater usw., begründen und erhalten sie aus den von ihren Angehörigen erhobenen Steuern, über die sie frei verfügen. Diese Gemeinschaftssteuern werden von der staatlichen Einkommensteuer in Abzug gebracht. Die Sprach- und Kulturgemeinschaft gewährt ihren Angehörigen den erforderlichen Rechtsschutz, wenn sie vor Gericht mit Angehörigen anderer Gemeinschaften zu erscheinen haben, und besonders hat sie die Übersetzung der Staatsgesetze und Verordnungen ins Jiddische zu besorgen oder zu überwachen. (Der Jude muss nämlich immer so tun, als ob er außer ,,Jiddisch" keine andere Sprache verstehe.) Die Gemeinschaft hat einen eigenen Gemeinderat, eine Bezirksvertretung usw. Nicht etwa einen jüdischen Kultusrat, Gott behüte! Mit der Ordnung und Überwachung der konfessionellen Angelegenheiten und Anstalten des religiösen Lebens hat nämlich die Gemeinschaft nichts zu tun, das ist Sache der kirchlichen Korporationen, die unabhängig neben ihr dastehen, mit eigenen Organisationen, Matrikeln resp. Steuerregistern. Über die Zugehörigkeit der einzelnen zu ihrer Gemeinschaft entscheidet lediglich ihre Willenserklärung. Jeder erwachsene Familienvorstand hat sich in die Matrikel einer Gemeinschaft einzutragen, ihr gehört er so lange an, bis er sich in eine andere Matrikel eintragen lässt, wie das in gewissen gesetzlichen Fristen zulässig ist. Wir haben gesehen, dass die Juden in den Städten eine Autonomie erhalten, nicht etwa Autonomie der Kultus-, Religions-, oder Synagogengemeinde, wie bisher. Pfui, wie rückschrittlich! Sondern eine richtige gesonderte Gemeindeautonomie, mit der die „kirchliche" nichts zu tun hat. In Wirklichkeit fallen bei den Juden beide Gemeinschaften, die kirchliche und die völkische, zusammen, aber sie müssen gesondert funktionieren. Ich bin ein Doppelwesen, vormittags Jude als Jargonredender, nachmittags Jude als Bekenner der Lehre Mosis oder auch umgekehrt. Die Organisation der Gemeinschaft gliedert sich nach ihren Bedürfnissen. An der Spitze steht ein „Oberster Rat", im Ministerium ist für die Gemeinschaft ein besonderer Referent im Range eines Sektionschefs eingesetzt, im Parlament bedient sich der Minister dieses Referenten bei der Behandlung der Angelegenheiten dieser Gemeinschaft. Es gibt nämlich auch „allgemeine" Körperschaften, die über den Gemeinschaften stehen: z. B. einen Landtag, einen Reichsrat. In diesen Körperschaften sowie im Oberhaus ist die Gemeinschaft ihrer Mitgliederzahl entsprechend vertreten. Kurzum, wir sind mit allen Bedürfnissen versehen. Indessen werden einige Schwierigkeiten eintreten. Wir haben z. B. eine gesonderte Gemeindeautonomie und eine gesonderte Kommunalverwaltung mit einem eigenen Gemeinderat. Auf der einen Seite der Straße wohnen Juden, auf der andern ,,Fremdsprachige". Die Straßenreinigung auf der rechten Seite besorgt demnach der Jargongemeinderat, auf der linken der polnische. Die Laternen auf der rechten Seite werden im Jargon, die auf der andern in polnischer Sprache angezündet. Das wäre etwas kompliziert. Ich wohne an einem Ende der Stadt, wo nicht genug Juden wohnen, um eine eigene Schulgemeinde zu bilden. Ich muss also meine Kinder nach dem entgegengesetzten Ende der Stadt, in das jüdische Territorium schicken, wo die Jargonschulen sind, wenn ich will, dass sie Juden bleiben. Das ist, zumal im Winter bei Influenza-Wetter, ziemlich unbequem. Wir haben ein besonderes Steuerwesen, ein besonderes Justizwesen, ein besonderes Schulwesen. Warum nicht auch ein besonderes Militärwesen? Ich will mich nicht anders als im Jargon gegen den äußeren Feind verteidigen lassen! Indessen, was diesen Punkt anbetrifft, werde ich mit mir reden lassen; ein Krieg bricht ja nicht alle Tage aus. Aber was die Feuerwehr anbelangt, bleibe ich stark. Ich muss meine Jargonfeuerwehr haben. Ich will nicht, dass der erste beste kleine Goj mir höhnisch zurufen kann: „Bist du eine Nation, wo ist deine Feuerwehr?" Ich verlange eine nationale Jargonfeuerwehr! Nun wohne ich im dritten Stock, in den unteren Etagen hausen Fremdsprachige, Ruthenen und Polen. Wenn bei mir Feuer ausbricht, so rufe ich mir die Jargonfeuerwehr herbei. Sollte aus Versehen eine anderssprachige herbeieilen, schicke ich sie heim, denn ich ziehe es vor, zu Asche zu verbrennen, als dass ich mich von einer fremdsprachigen Feuerspritze retten ließe und meinen lieben Jargon verleugnete. Was denkt ihr euch? Ist es nicht einem Juden streng verboten, sich aus Lebensgefahr zu retten, wenn er dabei seine Religion verleugnen muss? Und soll etwa der Jargon, dieses Wahrzeichen unserer Nationalität, uns minder heilig sein, als die Konfession, dieses ganz obsolete Ding, das ja aufgehört hat, das teuerste Erbe Israels zu sein? Wie aber, wenn ein Dachstuhlbrand ausbräche, nämlich ein Brand in dem Dach, das sich über uns alle wölbt, uns alle schützt, die wir dieses Haus bewohnen, Juden, Polen und Ruthenen gleichmäßig? Darüber wird sich der Oberste Rat schon den Kopf zerbrechen . . . Aber einstweilen, wenn wir alle diese Gebote erfüllen und diese Wege wandeln, verspricht uns Herr K.-K. zum Lohn, dass wir in einem Staat leben werden, ,,der in seiner rechtlichen und wirtschaftlichen Organisation gewissermaßen vollkommen ist, dessen Wirtschaftsleben keine Lücken aufweist", „dass wir schon in der Diaspora bewiesen haben werden, dass wir ein Volk sind. Allerdings fürchtet Herr K.-K., dass „das Ganze zu schön sei, um Wirklichkeit zu werden ". Das fürchte ich auch. Ich fürchte aber auch noch etwas anderes, nämlich, dass schon die Diskussion über all diese Albernheiten gefährliche Folgen zeitigen kann. Dass es je ernsten Staatsmännern einfallen könnte, eine solche Maschinerie ins Leben zu rufen, ist ja ausgeschlossen. Aber in Ländern, wo die Juden noch nicht einmal die so geringgeschätzte persönliche Emanzipation besitzen oder sie vor kurzem erst erkämpft haben, könnte man sich sagen: Wenn die Juden die bürgerliche Gleichberechtigung erlangen, so kommt ihnen das Gelüste, einen Staat im Staate zu bilden, die Einheitlichkeit des Landes durch eine Reihe „völkischer Gemeinschaften" zu zerbröckeln, die, in eigenen Miniatur-Territorien über das Land zerstreut, keine höheren sozialen Funktionen erfüllen, sondern nur die normale Entwicklung stören, die notwendige straffe Zusammenfassung aller Kräfte hindern, das regelmäßige Funktionieren des staatlichen Lebens erschweren und in Zeiten einer Krisis oder öffentlichen Not zur Gefahr werden können. Wäre es da nicht besser, den Juden jede Gleichberechtigung überhaupt zu verweigern, oder dort, wo sie gewährt wurde, wieder aufzuheben: Man muss nämlich bedenken, dass ein übelwollendes, oder auch nur gleichgültiges Auge in diesen Phantasiegebilden nicht in erster Reihe das Alberne, Aussichtslose, Knabenbaft-Utopistische, sondern etwas Drohendes, Gemeingefährliches erblickt, das rechtzeitig im Keime erstickt werden müsse. Die berechtigten Forderungen einer vertieften Pflege und Förderung des jüdischen Kulturlebens, einer intensiveren jüdischen Erziehung und des Ausbaues der jüdischen Institutionen werden dadurch in ein verdächtiges Licht gerückt. In Polen wäre es früher keinem in den Sinn gekommen, etwas Bedenkliches darin zu erblicken, dass die Juden Jüdisch redeten, oder die hebräische Sprache als ein heiliges Erbteil pflegten und in ihr eine reiche Literatur besaßen. Erst als der entartete politische Zionismus mit seiner lärmenden Demagogie sich breit zu machen anfing, erst als von Petersburg aus auf Grund des Jargons und des Hebräischen eine „jüdische Nationalität" im staatspolitischen Sinne, aber nur für Polen, konstituiert wurde und von der Zuerkennung politischer Sonderrechte an diese Nationalität und der Gleichstellung des „Jiddischen" mit dem Polnischen als Amtssprache in Schule und Administration die (Gewährung) der städtischen Selbstverwaltung an Polen abhängig gemacht wurde — da witterte man in jeder Äußerung eines jüdischen Eigenlebens ein gefährliches, zersetzendes Element. Es machen sich vielfach Bestrebungen geltend, das Hebräische aus dem jüdischen Religionsunterricht in den Volksschulen auszuschalten, seitdem der Argwohn auftauchte, dass mit der Pflege dieser Sprache nationalistische Sonderbestrebungen verknüpft sein könnten. In manchen einflussreichen, tonangebenden jüdischen Kreisen Deutschlands wird man schon nervös, wenn der Ausdruck jüdisches Volk gebraucht wird, weil darin „völkische“ Aspirationen zu einem Staat im Staate vermutet werden könnten — Aspirationen, die kein moderner Staat dulden würde, und die darum die Gleichberechtigung der Juden ernstlich in Frage zu stellen geeignet sind.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Die polnische Judenfrage