Neunzehnte Fortsetzung

Die Rolle aber, die uns Juden bei diesem Prozess zugemutet wird, ist die des heimlichen Wurmfraßes, des stillen Krebsschadens. Wir sollen uns in den Leib dieser Völker hineinfressen, seine Säfte aussaugen, sein Wachstum hindern, seine Kräfte zerstören, seine Arbeit lähmen, und dabei stets uns bewusst sein, dass wir damit — die „germanische Idee" vertreten, und die „Interessen der Deutschen wahrnehmen", gewissermaßen den Deutschen das Terrain vorbereiten, so dass sie schließlich nur nötig hätten, hinzukommen, und im „Bunde" mit uns die so zermürbten und zerfaserten Völker und ihre Länder einfach in Besitz zu nehmen. Jeder, der nicht ganz den Verstand verloren hat, muss sich sagen, dass, wenn eine solche Bundesgenossenschaft von unserer Seite möglich wäre, sie die Deutschen mit einem Schauder von Widerwillen und Ekel erfüllen müsste. Aber man darf sich doch wohl fragen: Ist das die germanische Treue, zu der die Kaplun-Kogan und Nachum Goldmann sich berufen fühlen, uns zu erziehen? Würde Siegfried-Puttkamer sich erdreisten, auch seinen Deutschen irgendwo in der Welt eine derartige Rolle zuzumuten, oder sie ihrer für fähig zu halten?

Glauben aber die Herren, dass sich in Polen ein Dutzend Juden finden, die noch eine Unze Gewissen und einen Funken Ehre im Leibe haben, die ihrem Volke in Wort oder Schrift das anraten würden? Und wenn sie sich fänden — so sind wir andern ja auch noch da. Glaubt jemand, dass wir ruhig zusehen könnten, wie eine Handvoll verkäuflicher Schufte unser Volk auf die Bahn der Ehrlosigkeit, in den Abgrund der Schande verführte, und den jüdischen Namen mit ewiger Schmach bedeckte? Wir würden schweigend beiseite stehen — nur um das Wohlgefallen etlicher Berliner
Hintertreppenpolitiker zu erwerben!


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Allein es ist ratsam, bei solchen Plänen auch den anderen Teil ein klein wenig zu berücksichtigen. Wenn jene 70 bis 80 Millionen Nichtgermanen jemals dahin gebracht werden sollten, im Ernst zu glauben, dass die 5 oder 6 Millionen Juden von den 100 Millionen Deutschen vorgeschoben werden, um diesen die Wege zu ihrer Eroberung und Unterjochung zu bahnen — was, glaubt man wohl, wäre dann das Schicksal dieser paar Millionen Juden? Ein Hass würde sich gegen sie erheben, wie ihn die Weltgeschichte noch nie gesehen hat, ein infernalischer, grausamer, unerbittlicher Hass, viel schlimmer noch: ein gerechter Hass! Kann es mir jemand verübeln, wenn ich den Wurm hasse, der mir im Fleische sitzt und an mir nagt, um mich für die Invasion des Sensenmannes reif zu machen? Welches Volk in der Welt, das noch einen Fünkchen Kraft in sich fühlt, kann in seiner Mitte ein Element dulden, dessen eine fremde Macht zu jeder Zeit nach ihrem Gutdünken sich bedienen darf? Ein Kampf würde gegen uns entfesselt werden, der vom Schwarzen und vom Ägäischen Meere bis zur Ostsee toben würde. Überall in diesen Ländern gibt es Juden, und überall würde man in ihnen verkappte Landesverräter sehen, die im Dienste einer auswärtigen Macht arbeiten. Ein Grund mehr für diese Völker, sich ganz an Russland anzuschließen, denn die russische Regierung wäre die einzige, welche die richtige Methode besitzt, um mit den Juden fertig zu werden. Es wäre ein Kampf ums Dasein, ein erbarmungsloser Vernichtungs- und Ausrottungskampf. Alles, was wir bisher erlebt haben, der Boykott in Warschau, die russischen Pogrom; seit 35 Jahren, die Gräuel der russischen Heere in Polen wären ein Kinderspiel dagegen. Wer darin den Kürzeren ziehen würde, ist kein Zweifel. Haben die Herren Kaplun-Kogan und Nachum Goldmann, die Herren Dr. Hirsch aus Köln, Marschall Friedemann und Siegfried-Puttkamer schon eine Armee auf die Beine gebracht, um uns in diesem Kriege zu Hilfe zu kommen?
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Die polnische Judenfrage