Siebente Fortsetzung

Wie erwähnt, überreicht unser Rettungskomitee allemal Denkschriften und Botschaften an die Regierung in Sachen der polnischen Juden. Diese Schriftstücke werden hoch oben sicher mit gebührender Ehrfurcht behandelt, keiner hält sich für würdig, sie zu lesen, und so darf man hoffen, dass sie uneröffnet und unversehrt der Nachwelt überliefert werden. Einmal passierte es aber, dass ein junges Schreibmaschinenfräulein aus Versehen eines davon öffnete und einen Blick hineinwarf. Flugs — Ihr sollt Damen keine Staatsgeheimnisse anvertrauen! — , flugs verbreitete sich die Kenntnis des Inhaltes in ganz Berlin. Man flüsterte sich zu, dass die ,,völkische Autonomie" der Juden in Polen an die ehemalige ständische Organisation der Judenheit dieses Landes angeknüpft wird, an deren Spitze die Vierländersynode stand, bis sie nach 200jähriger Dauer, 1764, als den Zeitumständen nicht mehr entsprechend, aufgehoben wurde (ohne dass ein Mensch ihr eine Träne nachgeweint hätte). Diese Organisation wiederherzustellen wird die deutsche Regierung aufgefordert, indem ihr nahegelegt wird, dass dies für ihr ureigenstes Interesse dringend zu wünschen sei. Wenn das Komitee alle seine vier Beine anstrengt, so sind sie mit vereinten Kräften nicht imstande, ein einziges Dokument der erwähnten Synode zu entziffern. Aber wenn die Wiederkehr der damaligen Zustände so erwünscht ist, muss man konsequent sein, und auch die Wiedereinführung der Bücherzensur und der Aufsicht über die Kleiderordnung verlangen, die der Vierländersynode zustand. Man müsste ferner die besondere Judensteuer wieder einführen, die in Polen allerdings meist nur zwei Gulden auf den Kopf betrug; endlich müsste man den christlichen Kaufleuten und Handwerkergilden wieder gestatten, sich nach dem Magdeburger Recht zu regieren, welches ihnen die Möglichkeit gab, die Juden aus Gewerbe, Handel und Handwerk zu verdrängen. Erst dann wäre der passende Rahmen für die erneuerte völkische Organisation und Autonomie geschaffen.

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Eine Partei gibt es in Russland und in Polen, deren vollen Beifall und Förderung die völkische Emanzipation und Organisation der Juden sicherlich finden wird, das sind die echt russischen Leute und die polnischen Nationaldemokraten, die in den letzten Monaten unter Führung der russischen Bureaukratie mit den Kosaken so schön Hand in Hand gegangen sind. Diese Parteien werden die Isolierung der Juden auf allen Gebieten des Lebens mit Begeisterung begrüßen; dann wird es ein Leichtes sein, die Juden überflüssig zu machen und schließlich kampflos zu verdrängen oder zu vernichten. Namentlich das gesonderte Schulwesen, in dem die jüdische Jugend so wenig als möglich mit der Sprache der Landesbevölkerung in Berührung kommt, würde die heranwachsende Generation im Lebenskampfe so wehrlos machen, dass sie allen Erscheinungen und Evolutionen des wirtschaftlichen und sozialen Lebens verständnis- und hilflos gegenüberstünden, wie Träumer und Nachtwandler. Der geringste Windstoß würde sie zu Boden werfen. Diese Parteien würden noch weiter gehen, und, um die völkische Organisation der Juden ganz ungetrübt und fleckenlos zu erhalten, ihnen verbieten, eine andere Sprache als den Jargon zu lernen, gleichwie z. B. den Letten in Kurland seinerzeit verboten war, die Sprache des herrschenden Stammes, das Deutsche, zu erlernen und in den holländischen Kolonien das Erlernen des Holländischen den Eingeborenen untersagt ist. Dadurch würden die Juden stumm, ihnen jede Geltendmachung ihrer Rechte, jede Einflussnahme auf die öffentliche Meinung unmöglich gemacht werden. Nichts wäre dem Huliganismus erwünschter, als ein solcher Zustand.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Die polnische Judenfrage