Dreizehnte Fortsetzung

Die Polen verteidigen sich gegen diese horrende Verleumdung, die sie mit Ekel und Abscheu erfüllt, sie wehren sich verzweifelt und ungeschickt, denn sie haben keine Ahnung, wie die Dinge zusammenhängen, und wähnen, dass irgend eine geheimnisvolle, alle Juden der Welt repräsentierende Organisation bestehe, die sich verschworen habe, in dieser für die Polen so schweren Zeit ihren guten Ruf in der Welt zu vernichten, ihre Freiheitsbestrebungen zu verleumden. Langsam fangen manche an, sich zu sagen, wenn die Juden der ganzen Welt so hartnäckig darauf beharren, dass wir eingefleischte Antisemiten seien und Pogrome veranstalten, und dass man die Welt gegen uns aufhetzen müsse, wohlan, wir wollen versuchen, ihre Ansicht zu rechtfertigen. Merklich vollzieht sich unter dem Einfluss der Polenhetze ein Umschwung in der Besinnung der Polen, besonders in Galizien beobachte ich ihn seit Dezember vorigen Jahres. Ich frage mich mit Bangen, was soll daraus werden? Dias Rettungskomitee in der Behrenstraße wird (Schließlich in alle Winde zerstieben, die Schreiberlein in Wien, Berlin, Frankfurt a. M. und Köln, oder auch die in Petersburg und Moskau oder New York werden ruhig dort sitzen und an der zionistischen Krippe fressen, während wir im Lande jahrzehntelang an dem Hass und dem Misstrauen werden zu schleppen haben, die die ungebetenen Retter gegen uns aufstacheln. Die Frucht der Verhetzung fängt schon an zu reifen. Vor einigen Monaten ist in Krakau etwas geschehen, was noch vor einem halben Jahre in Galizien ganz undenkbar gewesen wäre. In dem Leitartikel eines angesehenen Krakauer Blattes denunzierte Dr. Jan Hupka die Juden, sie hätten beim Einzug der Russen in Lemberg vor Freude die Kosakenpferde geküsst. Diese infame Denunziation erregte in Galizien allgemeines Staunen wegen ihrer bodenlosen, kindischen Albernheit, und man erklärte sich den Streich des Dr. Hupka, der ein Großgrundbesitzer ist, damit, dass er bestrebt war, die von der Regierung für den Großgrundbesitz ausgeworfene Kriegsunterstützung den Juden zu entziehen, damit auf den einzelnen Kopf der christlichen Standesgenossen ein größerer Anteil falle. Ein unsauberes Motiv, das ich aber nicht ohne weiteres gelten lassen möchte. Mir scheint die Schandtat mehr der Dummheit entsprungen zu sein. Die ganze Welt weiß, dass, wenn die Juden sich bei den Russen hätten anbiedern wollen, sie hierin die Konkurrenz der Allpolen nicht hätten aushalten können, denen Dr. Hupka, allerdings nur, was den Judenpunkt anbetrifft, nahestand. Für unsere berufsmäßigen Polenhetzer war das aber ein gefundenes Fressen. Sofort hallte es durch die Reihen unserer ungebetenen Beschützer: „Die Polen denunzieren schon wieder, die Polen wollen Pogrome veranstalten, nehmt euch vor den Polen in acht!" „Die Polen" schlechthin. Ganz wie es von Seiten der Antisemiten immer heißt. ,,die Juden", wenn irgendein Jude etwas angestellt. hat. Dabei übersah man, wie viel schwere Denunziationen und Hetzereien die einflussreiche konservative und antisemitische Presse z. B. in Deutschland seit einem Jahr, trotz des Burgfriedens und strenger Zensur, gegen die Juden verübt hat. Erst vor kurzem brachte ein Abgeordneter von der Tribüne des Reichstages eine gehässige Verdächtigung der deutschen Juden betreffs des Militärdienstes vor. Überhaupt tritt die Denunziersucht jetzt seuchenartig auf und moralisch nicht ganz immune Naturen verfallen ihr nur zu leicht. (Haben sich ja auch die deutschen Behörden, und zwar in Gebieten, die fern vom Kriegsschauplatz liegen, gezwungen gesehen, scharfe Erlässe gegen die Angeberwut herauszugeben.) Aber es ist keinem Menschen eingefallen, jetzt geschwollene Leitartikel über die Deutschen als Antisemiten zu schreiben und die deutschen Juden gegen ihr Vaterland und ihre deutschen Mitbürger aufzuhetzen.

In Wirklichkeit verhält sich die Sache so: Der Krakauer ,,Czas", wo die Denunziation des Dr. Hupka erschien, ist ein streng konservatives Blatt, in welchem seit jeher eine stark antisemitisch angehauchte Richtung, mit Dr. Hupka an der Spitze, nach Geltung ringt, aber von der maßgebenden verantwortlichen Leitung niedergehalten wird. In einer buchstäblich, nicht bloß figürlich, unbewachten Stunde schmuggelte Dr. Hupka seinen Artikel durch und kühlte sein Mütchen wieder einmal nach langer Zeit. Ich habe dem Dr. Hupka, unter dem Beifall der maßgebenden Instanzen, die gebührende Züchtigung verabreicht, habe es aber nicht für nötig gehalten, die Sache an die große Glocke zu hängen, und diese meine ,,Heldentat" durch die Zeitungen ausposaunen zu lassen. Im Grunde aber bin ich Herrn Dr. Hupka für seine Niederträchtigkeit sehr dankbar. Wenn nämlich vordem meine polnischen Freunde mir die Verleumdungen vorhielten, die meine Glaubens- und Stammesgenossen wider sie in der Welt verbreiten, musste ich beschämt und traurig den Kopf senken. Jetzt aber antworte ich: „Und wie steht es mit eurem Dr. Hupka? Dabei sind unsere jüdischen Denunzianten Landfremde, denen die Unkenntnis als Entschuldigung dienen kann, sie sind unbedeutende, verantwortungslose junge Leute, die niemanden repräsentieren, von niemandem als von sich selber ernst genommen werden, und deren Stimmchen bald spurlos verhallen werden. Dr. Jan Hupka dagegen ist Abgeordneter und außerdem mit mancherlei Würden behaftet, ist eine Stütze der Gesellschaft, ein Mann der Öffentlichkeit und der „Czas" ist ein angesehenes, einflussreiches Organ, vortrefflich redigiert, wird nicht von dummen Jungen, sondern von einem Teil der herrschenden Gesellschaftsklasse gelesen." Indem ich so sprechen kann, fühle ich mich wie befreit, während die Denunziation ihr Ziel nicht erreicht hat und niemandem Schaden zufügen konnte.


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Aber die Lorbeeren des Dr. Hupka ließen unsere Vorkämpfer nicht schlafen, und so erlebten wir, dass einer von ihnen einen Artikel vom Stapel ließ, der wohl das Schamloseste und Niedrigste an Denunziation und Verleumdung bietet, was jemals geleistet worden ist. Ich meine den Artikel ,,Die polnische Frage" in der Berliner „Jüdischen Presse'' Nr. 34 vom 20 August d. J. Der Verfasser, ein Herr Dr. Gustav Witkowsky, verübt in dieser seit dem Ableben ihres früheren Herausgebers verwitweten und, wie gewisse charakterschwache Weiber nach dem Tode ihrer Männer, auf Abwege geratenen Wochenschrift öfter derartige Leitartikel. Er darf sich rühmen, den Dr. Hupka übertrumpft zu haben. Denn dieser denunzierte bloß ein kleines Häuflein Juden einer Lemberger Vorstadt, als die Kosaken anrückten, ihnen aus Todesangst geschmeichelt zu haben. Der Dr. Witkowsky aber denunziert die ganze polnische Nation, die Auslese ihrer Führer und verantwortlichen Männer vor aller Welt, aus kalter Berechnung und schnöder persönlicher Gewinnsucht den Kaiser Franz Joseph und die österreichisch-ungarische Monarchie an den Moskowiter verraten zu haben. Jeder Jude weiß, dass der Midrasch den Denunzianten dem Meuchelmörder gleichstellt.

Es ist bisher noch nie vorgekommen, dass ein Jude eine solche Schandtat verübt hätte, es sei denn einer von der Sorte, die man bei uns im ostjüdischen Ghetto mit dem Namen „Mussor" brandmarkt, von der alle ehrlichen Menschen weit abrücken, die man vor Zeiten in den Bann tat und nach ihrem Tode abseits (min hazzad) begrub. Auch ein anderer Witkowsky hat eine ähnliche, wenngleich viel gelindere Denunziation gegen die Polen vorgebracht, aber jener Witkowsky heißt längst schon Harden! Dabei tut dieser Herr, als ob er die polnische Presse vom Anbeginn verfolgte, und in die ,,Schliche" ihrer Politik gründlich eingeweiht wäre, während er in Wirklichkeit kein Wort Polnisch versteht, und wohl noch nie im Leben mit einem wirklichen Polen über diese Dinge gesprochen hat. Er hat nicht die leiseste Ahnung, wie bitter die allpolnischen Russophilen von den anderen polnischen Parteien befehdet werden, und welche heroischen Anstrengungen es kostete, um die Förderung, die diese Partei von außen erhielt, zu paralysieren. Schon früher hatte dieser Herr den guten Geschmack, die polnischen Legionäre, die ihr Blut im Kampfe gegen Russland an der Seite der Deutschen und Österreicher vergießen, auf das Unflätigste zu beschimpfen. In den Legionen dienen Hunderte von Juden, darunter viele Zionisten, als Mannschaften und Offiziere, aber der Herr Witkowsky beschimpft sie, in der Hoffnung, dadurch die Gunst der Hakatisten und Konservativen zu erwerben, die von der „Jüdischen Presse" in letzter Zeit eifrig umbuhlt werden. Und ahnt nicht, dass ein konservativer Deutscher, mag er der verbissenste Hakatist sein, sich einem Polen noch immer näher fühlt als allen Witkowskys zusammen, auch wenn sie zehnmal getauft sind, auch wenn sie seine Stiefel mit größtem Eifer und Devotion lecken. Die Legionäre beschimpfen kann nur ein feiger Literat. Der deutsche Kaiser ehrt sie, hohe deutsche Generäle bewundern ihre Tapferkeit und Todesverachtung, die österreichisch-ungarischen Heerführer verwenden sie zu den gefährlichsten militärischen Unternehmungen, der Kaiser Franz Joseph gliedert sie seiner Armee ein und verleiht ihren Führern höchsten Rang und Auszeichnung, aber Dr. Witkowsky auf seiner Bank hinter dem Ofen beschimpft sie. Der Kanzler des Deutschen Reiches spricht im deutschen Reichstag von seiner „Achtung vor der leidenschaftlichen Vaterlandsliebe und Zähigkeit, mit der das polnische Volk seine alte westliche Kultur, seine Freiheitsliebe gegen das Russentum verteidigt und auch durch das Unglück dieses Krieges bewahrt hat." Und er gibt der Hoffnung Ausdruck, dass ,,die alten Gegensätze zwischen Deutschen und Polen aus der Welt geschafft, und das vom russischen Joch befreite Land einer glücklichen Zukunft entgegengeführt werde, in der es die Eigenart seines nationalen Lebens pflegen und entwickeln kann." Aber da erhebt sich die „Jüdische Presse" und ruft ,,Nein!'' und abermals „Nein!" Das wird sie nicht zulassen.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Die polnische Judenfrage