Deutsche Barockstädte

Autor: Zucker, Paul Dr. (1888-1971) deutscher Architekt, Erscheinungsjahr: 1920
Themenbereiche
Enthaltene Themen: Architektur, Baukunst, Barock, Baumeister, Dresden, Würzburg, Bamberg
Die Stadt als Erlebnis

Es wird dem Temperament und dem Geschmack des einzelnen überlassen bleiben, sich zu entscheiden, ob er reisend sich allgemeiner Führung anvertrauen will oder lieber auf eigene Faust versucht, das für ihn Interessante der fremden Stadt, der fremden Landschaft aufzuspüren, dem Reize des Zufalls, der Begegnung, der Entdeckung folgend. Reisen bedeutet Erobern, Eintauchen in eine Atmosphäre, die durchaus vom gewöhnlichen Alltag abweicht. Die Romantik des Reisens ist heute genau dieselbe wie vor hundert oder fünfhundert Jahren. Dass die Technik des Verkehrs Räume verschlingt, Entfernungen überbrückt, widerspricht dem nicht. Dass für uns erst Barcelona das Fremde ist, wie es für den Berliner vor hundert Jahren noch Lübeck war, ist nur eine relative Verschiebung, aber keine prinzipielle Verschiedenheit.
Inhaltsverzeichnis
  1. Die Stadt als Erlebnis
  2. Barock in Deutschland
  3. Ausdrucksformen
  4. Städtebilder
    1. Bamberg
    2. Würzburg
    3. München
    4. Dresden
      1. Abb. 66. Japanisches Palais.
      2. Abb. 69 und 70. Hofkirche
  5. Bibliographie
Es ist auch Irrtum anzunehmen, dass wir in der fremden Stadt etwa nur bestimmte historische Plätze, Gebäude oder gar Museen aufsuchen müßten. Nicht sie sind es, die unseren Eindruck bestimmen. Es ist vielmehr das ganze Gesicht der Stadt, das sich aus tausend fast unwägbaren Einzelheiten zusammensetzt. München ist eben nicht nur die Stadt der Pinakotheken und der Frauenkirche, sondern der Ort, wo einem gleich beim Verlassen des Bahnhofs charakteristischer Malzduft entgegenströmt, die Stadt, wo an den Straßenbahnweichen alte Weiber mit sonderbaren Strohhüten den Dienst versehen, wo man mit Radi und Rettig ausgerüstet in Bräuhäuser geht und das Leben einen Rhythmus hat, der sich noch heute in seiner phäakenhaften Gemächlichkeit und behäbigen Genussfreude von dem aller anderen deutschen Großstädte wesentlich unterscheidet. Diese Fülle der Details, die Art, wie man in den Geschäften bedient wird, das Tempo des Spazierengehens, eine besondere Art des Kochens in den Gasthäusern, all das ist mindestens ebenso entscheidend, wie Asamhaus, Feldherrnhalle und die Parklandschaft des Englischen Gartens.

Ebenso falsch, wie es wäre, achtlos an diesen Einzelheiten des Alltags vorüberzustreifen, die doch in ihrer Gesamtheit das eigentliche Gesicht der Stadt bestimmen, wäre aber auch der Verzicht auf das, was allgemein „Sehenswürdigkeit“ genannt wird. Nur muss man sich über den doppeldeutigen Begriff der Sehenswürdigkeit klar werden. Wenn Reisende aus Rom zurückkehren und berichten, wie ,,schön“ sie das Forum romanum gefunden haben oder wie schön in Marbach das Schillerhaus sei, so spricht das nicht gerade für ihre sinnliche und künstlerische Empfänglichkeit. Denn diese Stätten haben mit dem Begriff der Schönheit nicht das Geringste zu tun, - sie sind rein historisch interessant.

Die Vermischung dieser beiden Begriffssphären ist die große Gefahr aller Führungen und Reisehandbücher. Allzu oft glauben sich harmlose Reisende verpflichtet, etwas schön zu finden, was nur historisch bedeutsam oder landschaftlich wesentlich ist.

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Abb. 1. Fürstbischöfliche, sog. neue Residenz.

Abb. 1. Fürstbischöfliche, sog. neue Residenz.

Abb. 5. Neues Rathaus

Abb. 5. Neues Rathaus