Märchen und Sagen

Autor: Arndt, Ernst Moritz (1769-1860)
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Leseprobe aus Kapitel 26 - Thrin Wulfen.

Nicht weit von Schoritz, zwischen Schoritz und Puddemin, an dem Wege, wo man von Garz nach dem Zudar faehrt, lag einst ein kleines Dorf, das hiess Guenz, worin ein paar Bauern wohnten, die nach Schoritz zu Hofe dienten. Die sind aber ganz zerstoert mit Haeusern und mit Gaerten, so dass man dort keine Spur mehr sieht, dass jemals Menschen dort gewohnt haben. In diesem Dorfe Guenz wohnte ein Bauer, der hiess Jochen Wulf, der hatte eine Frau, und die hiess Thrin; das war eine arge Hexe, von deren losen Kuensten und boesen Streichen die Leute noch heute zu erzaehlen wissen. Dass sie aber eine Hexe war, konnte man ihr anmerken an ihrer ausserordentlichen Freundlichkeit und Leidigkeit, woraus List und Schelmerei oft hervorlaechelten, und an den schoenen und leckeren Sachen, die sie immer bei sich trug, und womit sie die Hunde und kleinen Kinder an sich lockte. Davor hat den Leuten auch gegraut, dass ihr, wohin sie immer gekommen, die Katzen von selbst auf den Schoss gesprungen sind, was diese Tiere, die eben keine Menschenfreunde sind, sonst nimmer mit Fremden tun. Denn durch die Kinder und durch Leckereien, die sie den Kindern geben, und durch Saelbchen und Kraeuterchen, womit sie bei Kinderkrankheiten immer gleich zur Hand sind, draengen sich die alten Hexen in alle Haeuser, und Hunde und Katzen duerfen sie nicht zu Feinden haben, weil ihre Arbeit meistens des Nachts ist, wo die andern Christenmenschen schlafen. Doch merkten die Leute ihr und ihrem Manne ihr heimliches und verbotenes Handwerk dadurch an, dass sie sehr reich wurden, und dass der Bauer Wulf dreimal soviel Korn und Weizen verkaufen konnte wie seine Nachbarn, und dass seine Pferde und Kuehe, wenn er sie im Fruehling ins Gras trieb, so glatt und fett waren wie die Aale, und als ob sie aus dem Teige gewaelzt waeren. Auch sagten alle Leute, sie habe einen Drachen, und den haben sie des Nachts oft auf ihr Dach herabschiessen sehen, wo er ihr Raub und Schaetze von andern zutrug. Das ist auch gewiss, und viele Leute haben es erzaehlt, die bei naechtlicher Weile bei Guenz vorbeigegangen sind, dass es dann auf dem Wege oft geknarrt und geseufzt hat, wie die Raeder an schwerbeladenen Waegen knarren und seufzen. Da haben die Leute sich umgesehen oder sind aus dem Wege gesprungen, damit sie nicht uebergefahren wuerden; sie haben aber weder Pferde noch Wagen gesehen, und es ist ihnen ein entsetzliches Grauen angekommen. Das ist aber auch der alte, heimliche Drache gewesen, der den Nachbarn die Garben gestohlen und sie in des Wulfs Scheunen hat einfahren lassen. Dass die Thrine Wulfen eine arge Wetterhexe war, hat man am meisten auf der Weide und Brache an dem jungen Vieh sehen koennen. Wenn sie einmal unter eine Herde kam, gleich streckte ein Kalb alle viere von sich und hatte den Frosch, oder ein paar Dutzend junge Gaenschen machten nicht zum Vergnuegen den Drehhals, oder einige Laemmer und Jaehrlinge wurden Kopfhaenger und Kopfschuettler, oder eine Schar Saeue tanzte den Dreher. Sie gebaerdete sich bei solchem Anblick, als tue es ihr sehr leid (die alten Hexen aber koennen es nicht lassen, junges, freudiges Vieh zu behexen, und wenn es ihr eigenes waere), und sie sagte den Hirten oder Nachbarn, sie habe und wisse manche heilsame Mittel gegen solche Uebel; sie sollen nur zu ihr kommen und sich eine Salbe holen und die kranken Tierchen damit bestreichen, gleich werde es dann besser mit ihnen werden. Das haben einige getan, und wirklich hat es stracks geholfen, aber den meisten hat gegraut, ueber ihre Schwelle zu treten, und da hat das liebe Vieh denn dran gemusst. Alle aber haben sich zugefluestert, Thrin Wulfen habe sie behext und ihnen den Schabernack angetan. So zum Beispiel hatte sie eine Frau, welche sich mit ihr erzuernt und sie eine alte Wetterhexe gescholten hatte, in ihrem eignen Hause festgezaubert, dass sie nicht ueber die Schwelle zu gehen wagte und alle Tueren und Fenster dicht versperrt hielt. Denn sie glaubte, sie sei in eine Erbse verwandelt, und jeder Vogel, der vorueberflog, war ihr so fuerchterlich, dass sie bei seinem Anblick schrie, als fliege ihr Tod heran, ja dass sie bei dem Ton eines Gefieders aus der Luft schon in Ohnmacht fiel und mit Haenden und Fuessen zappelte; fuer die Enten, Huehner und Tauben aber in ihrem Hofe war der juengste Tag gekommen, und sie hatten ihnen allen sogleich beim Beginn ihrer Krankheit die Haelse umdrehen lassen. Auch hatte die alte Boesewichtin es dem Mann dieser Frau angetan, dass er wie ein kindischer und besoffener Narr tanzen musste, sobald er einen Ziegenbock springen sah. Und dies ist allen Leuten laecherlich und aergerlich anzusehen gewesen, und das aergste dabei ist noch gewesen, dass die Einfaeltigen vor dem Mann eine Art Grauen bekommen haben, als sei er auch von der Ziegenbocksgesellschaft und von den Blocksbergfahrern; die Klugen aber haben wohl gewusst, von wem diese Bocksspruenge herruehrten, doch keiner hat es ihr beweisen koennen. Und man kann wohl denken, wie die alte Bosheit in sich gelacht hat, dass der unschuldige Mann fuer ihren Gesellen gehalten worden ist. Ihr Vieh war immer das fetteste und mutigste in der ganzen Dorfherde, und man konnte an vielen Zeichen sehen, dass der Teufel sein Spiel damit hatte; denn fast nie ist ein Stueck davon krank worden, und sie hat ihnen solche Kraft und Staerke angezaubert, dass von ihren kleinsten Kaelbern die groessten Ochsen sich stossen liessen, und dass ihre Ferkel die wuetendsten Eber aus dem Felde schlugen.

Auch haben die Leute sie in mancherlei Verwandlungen umherlaufen und herumfliegen gesehen, aber niemand hat sich unterstanden, sie anzupacken oder ihr etwas zu tun; auch haben sie die allerwunderlichsten bunten Hunde und Katzen und sogar Fuechse und Wiesel bei Tage und bei Nacht um ihren Hof laufen gesehen, aber keiner hat sie angetastet; sie wussten wohl, aus wessen Stall dieses gefaehrliche Vieh war. Von Elstern und Kraehen aber huepften immer ganze Scharen auf ihrem Hofe und ihren Daechern, und von ihrem einzigen Hausgiebel uhuheten des Nachts mehr Eulen, denn von allen Haeusern und Daechern in Swantow und Puddemin zusammen.

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