Der Wolf und die Nachtigall.

oder wie zwei arme Koenigskinder verwandelt und zuletzt nach vieler Noth doch wieder zu Menschen geschaffen wurden.

In alten Zeiten, da es alles noch ganz anders war in der Welt als jetzt, lebte ein Koenig in Schottland, der hatte die schoenste Koenigin in allen Landen, von einer so seltenen Schoenheit und Lieblichkeit, dass sie weit und breit als die Allerschoenste besungen und von Dichtern und Erzaehlern der schottische Vogel Phoenix zugenannt ward. Diese schoene Koenigin gebahr dem Koenige zwei Kindlein, einen Sohn und eine Tochter, und starb dann in ihrer Jugend hin. Der Koenig trauerte viele Jahre um sie und konnte sie nie vergessen, sagte auch, er wolle nimmer wieder heirathen. Aber der Menschen Sinn ist wankelmuethig und kann sich auf sich selbst nicht verlassen; denn als viele Tage vergangen und die Kinder schon gross waren, nahm er sich doch wieder eine Frau. Diese Frau war sehr boes und eine schlimme Stiefmutter gegen die Kinder des Koenigs. Es waren aber der Prinz und die Prinzessin rechte Spiegel der Huld und Lieblichkeit, und der Hass der Stiefmutter gegen die Kinder kam auch daher, dass die Leute, bei welchen die verstorbene Koenigin in gutem Andenken stand, immer noch von dieser sprachen, sie aber verschwiegen, und dass sie, wenn sie mit der jungen Prinzessin erschien, gegen diese aufjauchzeten und riefen: sie ist gut und schoen, wie ihre Mutter war. Das verdross sie, und sie ergrimmte in sich und sann auf arge Tuecke, barg aber ihr boeses Herz unter Freundlichkeit. Denn sie durfte sichs vor dem Koenige nicht merken lassen, dass sie den Kindern gram war, und das Volk wuerde sie gesteinigt und zerrissen haben, wie sie ihnen ein Leides gethan haette.


Die Prinzessin, des Koenigs Tochter, welche Aurora hiess, war nun fuenfzehn Jahre alt geworden und bluehete wie eine Rose und war die schoenste Prinzessin weit und breit. Und es zogen viele Koenigssoehne und Fuersten und Grafen her und buhlten um sie und begehrten sie zum Gemal; sie aber sprach zu ihnen: mir gefaellt die froehliche und ledige Jungfrauschaft besser, als alle Freier, und damit mussten sie wieder hinreisen wo sie hergekommen waren. Endlich aber kam der Rechte: es war ein Prinz aus Ostenland, ein gar schoener und stattlicher Herr. Diesem verlobte sie sich mit Einwilligung des Koenigs und ihrer Stiefmutter. Und schon war der Hochzeitkranz gewunden und die Spieler zum Tanze bestellt, und alles Land war in Freude ob der Vermaelung der schoenen Prinzessin Aurora. Aber die Stiefmutter dachte ganz anders in ihrem Sinn, als sie sich gebehrdete, und sprach: Ich will Spielleute bestellen, die sollen zu einem andern Tanze aufspielen, und die Fuesse sollen anderswohin tanzen als ins Brautbett. Denn sie sprach bei sich: Diese verdunkelt mich ganz und wird mich noch mehr verdunkeln, und vor dieser Aurora muss meine Sonne untergehen, zumal wenn sie einen so stattlichen Mann zum Gemal bekommt und dem Koenige ihrem Vater Enkel bringt; denn ich bin unfruchtbar und kinderlos. Auch haengt das Volk ihr an und schreit ihr nach, mich aber kennen sie nicht und wollen sie nicht kennen; und doch bin ich die Koenigin: ja ich bin die Koenigin! und bald sollen sie es alle wissen, dass ich es bin und nicht Aurora. Und sie sann nun auf viele arge Listen Tag und Nacht hin und her, wie sie die Prinzessin und ihren Bruder verderben wollte; aber es wollte ihr keine einzige gelingen: denn sie waren zu gut bewacht und behuetet von den Dienern und Dienerinnen, die sie hatten. Diese sahen auf sie wie auf ihren Augapfel und wichen Tag und Nacht nicht von ihnen wegen der Liebe, die sie zu ihrer Mutter, der seligen Koenigin, trugen. Als nun keine Zeit mehr uebrig und der Hochzeittag schon da war und sie sich nicht mehr zu helfen wusste, gedachte sie der allerboesesten Kunst, die sie wusste, und kam zu den Kindern mit der leidigsten Freundlichkeit und bat sie, einen Augenblick mit ihr in ihren Rosengarten zu kommen, sie wolle ihnen eine wunderschoene Blume zeigen, die eben aufgebrochen sey. Und sie gingen gern mit ihr, denn der Garten war hart hinter dem Schlosse; auch konnte niemand an etwas Arges denken, denn es war der helle Mittag, und der Koenig und die Prinzen und Prinzessinnen des Landes waren alle in dem grossen Schlosssaale versammelt, da gleich die Vermaelung geschehen sollte. Und sie fuehrte die Kinder in die hinterste Ecke des Gartens, wo ihre Blumen standen, unter einen dunkeln Taxusbaum, als wollte sie ihnen da etwas Besonderes zeigen. Sie aber murmelte einige leise Worte fuer sich hin, brach dann einen Zweig von dem Baum, und gab dem Prinzen und der Prinzessin einige Streiche damit auf den Ruecken. Und alsbald wurden sie in Thiere verwandelt. der Prinz sprang als ein reissender Wolf ueber die Mauer und lief in den Wald, und die Prinzessin flog als ein kleiner grauer Vogel, der Nachtigall heisst, auf den Baum, und sang ein trauriges Lied.

Die Koenigin spielte ihr Spiel so gut, dass auch kein Mensch etwas merkte. Sie lief laut schreiend dem Schlosse zu und sank mit zerrissenen Kleidern und zerzausten Haaren an den Stufen des Saales hin, als sey ihr ein grosses Leid geschehen, und der Koenig hiess sie von den Kammerfrauen wegtragen. Es verging wohl eine gute Viertelstunde, ehe sie wieder zu sich kam. Da gebehrdete sie sich sehr traurig und weinte und schrie: Ach! du arme Aurora, welchen Brauttag hast du erlebt! ach du ungluecklicher Prinz! So schrie sie einmal ueber das andere, und erzaehlte dann, ein Schwarm Raeuber sey ploetzlich hinten in den Garten gedrungen und habe die beiden Koenigskinder mit Gewalt von ihrer Seite gerissen und entfuehrt; sie aber haben sie zu Boden geschlagen und halbtodt liegen lassen; und sie zeigte eine Beule an der Stirn, die sie sich absichtlich an einem Baum gestossen hatte. Und alle glaubten ihren Worten, und der Koenig hiess alle seine Herren und Grafen und Ritter und Knappen aufsitzen und den Raeubern nachjagen. Diese durchritten nach allen Seiten den Wald und alle Schluechte und Klippen und Berge rings um das Schloss wohl zwei drei Meilen weit, aber von den Raeubern und von dem Prinzen und von der Prinzessin fanden sie auch nicht die geringste Spur. Und der Koenig ruhete nicht und liess weiter suchen und forschen viele Wochen und Monate, und sandte Boten und Kundschafter aus in alle Laender; aber sie kamen immer vergebens zurueck, und mit dem Prinzen und der Prinzessin war es, als ob sie nie gelebt haetten: so ganz waren sie verschollen. Der alte Koenig aber glaubte, die Raeuber haetten sie wegen der kostbaren Juwelen und Edelsteine entfuehrt, die sie am Hochzeitstage trugen, und haetten sie beraubt und dann todt geschlagen und irgendwo eingescharrt, damit man ihnen nie auf die Spur kommen koennte; und er graemte sich so sehr, dass er bald starb. Bei seinem Sterben uebergab er, weil er keine Kinder hatte, der Koenigin das Reich, und bat seine Unterthanen, dass sie ihr treu und gehorsam seyn moegten, wie sie ihm gewesen waren. Sie thaten es auch und erkannten sie als ihre Koenigin, mehr aus Liebe zu ihm als aus Liebe zu ihr.

So waren vier Jahre verschienen und der Koenig schon das andere Jahr todt, und die Koenigin fing an mit grosser Gewalt ueber die Laender zu herrschen, und kaufte sich fuer die Schaetze, die der alte Koenig ihr hinterlassen hatte, viele fremde Soldaten, die sie ueber das Meer kommen liess und die ihre Krone und ihr Schloss bewachten. Denn sie wusste, dass sie von den Unterthanen nicht geliebt war, und sprach: Nun moegen sie aus Furcht thun, was sie aus Liebe nicht thun wuerden. So geschah es, dass sie von Tage zu Tage bei jedermaenniglich mehr verhasst ward, aber keiner durfte es sich merken lassen, denn auf das leiseste Gefluester gegen die Koenigin war der Tod gesetzt. Aber die Leute lassen das Wispern und Fluestern darum doch nicht, und weil das Sprichwort wahr ist: Es ist nichts so fein gesponnen, es kommt endlich an die Sonnen, so hatte es von Anfang an gemunkelt*, als die Koenigskinder verschwunden waren: kein Mensch koenne wissen, was der Spaziergang der Koenigin bedeutet habe. Denn es waren Leute genug, die ihr wegen ihrer scharfen Augen und ihrer unnatuerlichen Freundlichkeit boese Kuenste zutraueten. Diese Munkelung unter dem Volke dauerte nun immer fort und nahm noch zu; sie aber kuemmerte sich darum nicht, und dachte: die werden schon Thiere bleiben, was sie sind, und mir wird keiner die Koenigskrone nehmen. Aber es begab sich alles ganz anders, als sie gedacht hatte. -------------------------- * Munkeln sagt man von Pferden, die im Sommer wegen der Bremsen mit dem Kopf schuetteln; Munkeln heisst also: die Koepfe gegen einander bewegen, leise fluestern. --------------------------

Den armen Koenigskindern ging es indessen doch recht schlecht.

Der Prinz war als ein brauner Wolf in den Wald gelaufen, und er musste sich gebehrden wie ein Wolf und heulen wie ein Wolf und durch die oeden und wuesten Orte laufen bei Tage und bei Nacht, und wie ein Dieb einhergehen; denn auch die woelfische Furcht war in ihn gefahren. Und er musste sich naehren wie die andern Woelfe von allerlei Raub von Wild und Voegeln, auch musste er in der traurigen Winterzeit zuweilen wohl mit einem Maeuschen vorlieb nehmen und den Bauch einziehen und zaehneklappen und zwischen den harten und kalten Steinen sein Lager nehmen. Und dies war gewiss keine prinzliche Lebensart, wie er sie vorher gefuehrt hatte, ehe er aus der koeniglichen Pracht und Herrlichkeit in dieses wilde Elend verstossen war. Das war aber das Besondere an ihm, dass er allein Thiere angriff und zerriss und nie nach Menschenblut geluestete. Doch nach einer haette ihn wohl geluestet, nach der boesen Frau, die ihn verwandelt hatte; aber diese huetete sich wohl, dahin zu kommen, wo sie den Zaehnen dieses Wolfes begegnen konnte. Man soll aber nicht glauben, dass der Prinz, der nun ein Wolf war, noch menschliche Vernunft hatte; nein es war sehr finster in ihm geworden, und mit dem Bilde des Thieres, in welchem er durch die Waelder laufen musste, hatte er auch nicht viel mehr als thierischen Verstand. Das ist wahr, ein dunkler Trieb trieb ihn oft gegen das Schloss und den Schlossgarten hin, als haette er dort einen Fang zu holen; doch hatte er keine deutliche Erinnerung der Vergangenheit: wie haette er es dann auch in der Wolfshaut aushalten sollen? In den Augenblicken, wo er diesen Trieb fuehlte, war er mit einem besondern Grimm behaftet; aber immer, wie er ihnen auf tausend Schritt nahe kam, fuhr ein kalter Schauder in ihn und jagte ihn zurueck. Und die Koenigin hatte dies mit ihrer Hexerei verschuldet, dass sie ihn bis so weit gebannt hatte; denn weiter hatte sie nicht gedurft. Sie aber stellte dem Wolfsprinzen nach dem Leben und liess viel jagen in dem Forst, der sich um das Schloss herumzog, weil sie dachte, dass er wohl darin seyn mogte. Deswegen ward fast alle Woche zweimal eine grosse Schalljagd und Klapperjagd auf Woelfe und Fuechse angestellt; und damit sie einen fleissigeren Vorwand dazu haette, hatte die Koenigin viele niedliche Dammhirsche in diesen Forst ausgesetzt, von welchen unser koeniglicher Wolf allerdings manchen verzehrte. Aber er rettete sich immer aus aller Gefahr, wie oft die Hunde ihm mit ihren Rachen auch das Haar auf dem Ruecken schon zerbliessen und wie oft die Jaeger auf ihn schossen. Er wich dann fuer den Augenblick abseits, und wann der Schall sich gesaenftet hatte und die Jagdhoerner verstummt waren, kam er in das Dickicht zurueck, welches dem Schlosse nahe war, und sonnte sich haeufig auf Plaetzen, wo er als Knabe und Juengling zuweilen gespielt hatte. Er wusste aber nichts mehr von der Vergangenheit, sondern es war eine verborgene Liebe, die ihn dahin lockte.

Die Prinzessin Aurora hatte als ein kleines Voegelein auf den Baum fliegen muessen und war in eine Nachtigall verwandelt worden. Ihr aber war in ihrem leichten und duennen Federkleide die Seele nicht so verdunkelt, als dem Prinzen in der Wolfshaut, sondern sie wusste viel mehr von sich und von den Menschen und Dingen; nur sprechen konnte sie nicht. Dafuer aber sang sie desto schoener in ihrer Einsamkeit, und oft so wunderschoen, dass die Thiere vor Freuden huepften und sprangen und die Voegel sich alle um sie versammelten und die Baeume dazu rauschten und die Blumen nickten. Ich glaube, auch die Steine haetten vor Lust getanzt, wenn sie so viel Liebe in sich haetten; aber deren Herz ist zu kalt. Auch die Menschen haetten wohl bald auf den kleinen Vogel gemerkt als auf einen besonderen Vogel und waere wohl ein Gerede und Gemunkel davon unter den Leuten entstanden, wenn nicht etwas sie abgehalten haette von dem Walde, dass sie die Nachtigall nie singen hoerten. Es verhielt sich damit folgendergestalt:

Wie die Koenigin dem armen verwandelten Prinzen mit den vielen Schall- und Klapperjagden gern das letzte woelfische Lebenslicht ausgeblasen haette und wie er dadurch ueber die ganze Wolfsfamilie grosses Unglueck brachte, habe ich schon erzaehlt. Aber auch ueber die kleinen Voegel ging es schlimm her, und in diesen Tagen der Tyrannei war es ein Unglueck, in der Gegend des Schlosses als Amsel Grasmuecke und Nachtigall gebohren zu seyn. Die Koenigin nemlich, nachdem der alte Herr gestorben war und sie die Gewalt allein hatte, gebehrdete sich ploetzlich, als habe die Krankheit sie befallen, dass sie nicht allein das Geschrei und Gekraechze und Geschnatter unleidlicher Voegel nicht ertragen koenne, sondern dass selbst das lieblichste Geklingel und Gezwitscher der lustigen kleinen Singvoegelein sie unangenehm bewege. Und damit sie das allen Menschen glaublich machte, war sie bei solchen Gesaengen, deren sich sonst alle Welt zu freuen pflegt, ein parmal in Ohnmacht gefallen. Das war aber nur ein Schein, sie wollte eine boese That, sie wollte den Tod der kleinen Nachtigall, wenn sie etwa in diesen Hainen und Gaerten herumflatterte. Das wusste sie aber wohl, dass das Voegelchen dem Schlosse auf tausend Schritt nicht nahen durfte, denn sie hatte es unter denselben Hexenbann gelegt, als seinen Bruder. Unter dem Titel dieser Unleidlichkeit und Empfindlichkeit gegen zarte und feine Klaenge und Schalle ward denn freilich nicht bloss der kleinen liebenswuerdigen Nachtigallprinzessin sondern allen andern Voegeln nach der Kehle gegriffen; sie waren alle in die Acht und Aberacht gethan, sie waren alle fuer vogelfrei erklaert, und die Foerster und Jaeger der Koenigin erhielten den strengsten und gemessensten Befehl, auf alles, was Federn traegt, Jagd zu machen, und auch das Rotkehlchen ja nicht einmal den Zaunkoenig zu verschonen, auf welchen ein guter Jaeger sonst nie einen Schuss verliert. Dieser schreckliche Zorn der Koenigin ward ein Unglueck fuer das ganze befiederte Volk, nicht bloss fuer die, welche im Freien flogen oder in Forsten und Hainen lebten, sondern auch fuer die, welche auf Hoefen und in Zimmern gehalten werden. In der Hauptstadt und in der Umgegend des koeniglichen Schlosses blieb auch nichts Gefiedertes leben; denn die Leute meinten sich bei der Koenigin sehr einzuschmeicheln und ihre Gunst zu gewinnen, wenn sie es ihr nachmachten. Es war ein Schlachten und Morden der Unschuldigen wie der bethlehemitische Kindermord des Koenigs Herodes weiland. Wie vielen tausend Kanarienvoegeln und Zeisigen und Nachtigallen und Distelfinken, ja selbst wie manchen ostindischen und westindischen Papageien und Kakadus wurden da die Haelse umgedreht! Schreihaelsen und Liederkehlen, Schwaetzern und Verschwiegenen drohete Ein Schicksal, und das sogar war ein Verbrechen, als Gans oder Puter oder Hahn gebohren zu seyn, und die gemeinen Haushuehner fingen an so selten zu werden als chinesische Goldfasane. Und haette die Koenigin noch einige Jahrzehende so gewuethet gegen das Federvoelkchen, so waere es allmaelig ausgestorben in dem Koenigreiche. Das war die Ursache, warum die Voegel nicht allein gemordet wurden sondern auch fast kein Mensch mehr in den Wald spazieren ging, weil es so haette gedeutet werden koennen, als wollten sie da Vogelgesang hoeren. So kam es denn, dass niemand die Wundertoene der kleinen Nachtigall belauschen konnte, als etwa hie und da ein einsamer Jaeger. Der liess sich aber nichts merken, damit er von der Koenigin nicht gestraft wuerde, dass er den Vogel nicht geschossen. Denn das muss man zur Ehre der Weidmaenner sagen, dass sie doch meistens ihrer wackern Natur folgten und selten einen der kleinen Voegel schossen; aber platzen durch den Wald mussten sie, dass es knallte. Und dadurch schon ward es still von Gesaengen und auch viele Voeglein zogen weg aus dem unaufhoerlichen Getuemmel und kamen nimmer wieder. Die kleine Nachtigall aber, welche Gott behuetete, dass sie sich von allen diesen Nachstellungen rettete, konnte den gruenen Wald hinter dem Schlosse nicht lassen, wo sie in ihrer Kindheit so viel gespielt und gesprungen hatte, sondern wenn sie auch wegflog, so bald die Jagdhoerner anbliesen und es mit Hurra und Wo Wo durch die Buesche tosete, kam sie doch immer bald wieder. Und obgleich ihre Liedlein, als aus einem traurigen Herzen klingend, meistens traurig und klaeglich waren, daeuchte es ihr doch recht anmuthig, so unter den gruenen Baeumen und bunten Blumen zu leben und dem Mond und den Sternen etwas Suesses vorzuklingen; und nur wenige Monate war sie ungluecklich. Dies war die Zeit, wo der Herbst kam und wo sie mit den andern Nachtigallen in fremde Laender ziehen musste, bis es wieder Fruehling ward.

Das kleine Prinzessinvoegelein hielt sich nun meist zu den Baeumen, Angern und Auen, wo sie als Kind gespielt oder als Jungfrau mit Gespielen ihres Alters Kraenze gewunden und Reigen aufgefuehrt hatte, oder wo sie gar in den gluecklichsten Tagen ihres Lebens mit dem Geliebten die Einsamkeit gesucht hatte. Am liebsten und am meisten wohnte sie in einer dichten gruenen Eiche, die sich ueber einen rieselnden Bach beugte und oft das suesse Gefluester der Liebe in ihren Schatten geborgen hatte. An dieser Stelle sah sie denn auch oft den Wolf, den ein dunkles Gefuehl der Vergangenheit dahin fuehrte; aber sie wusste nicht, dass es ihr armer Bruder war. Doch gewann sie ihn lieb, weil er sich so oft unter ihren Gesaengen hinstreckte und lauschte, als verstaende er etwas davon; und sie beklagte ihn wohl zuweilen, dass er ein zorniger und harter Wolf seyn musste und nicht flattern konnte und fliegen von Zweigen zu Zweigen, wie sie und andere Voegelein. Und nun muss ich auch noch von einem Manne erzaehlen, der in dem einsamen Walde zuweilen der Zuhoerer der kleinen Nachtigall war. Dieser Mann war der Prinz aus Ostenland, ihr Braeutigam, als sie noch Prinzessin war.

Der Koenig, dieweil er noch lebte, hatte diesen Prinzen wegen seiner Tugend und Tapferkeit vor allen Maennern geliebt und ihn auf seinem Todbette der Koenigin empfohlen als einen Rath und Helfer in allen schlimmen und gefaehrlichen Dingen, besonders als einen frommen und trefflichen Kriegsmann. Auch war er nach des Koenigs Tode bei der Koenigin geblieben bloss aus Liebe zu dem seligen Herrn. Doch ward er bald inne, dass die Koenigin ihn hasste, ja dass sie ihm nach dem Leben trachtete, und entwich daher ploetzlich von ihrem Hofe und aus ihrem Lande. Sie aber liess ihm nachsetzen als einem Verraether und Fluechtling und liess einen Bann ausgehen, wodurch sie ihn fuer vogelfrei erklaerte, dass jeder, wem es beliebte, ihn erschlagen und ihr seinen Kopf bringen mogte, worauf sie einen hohen Preis gesetzt hatte. Er entwich wieder in das Land seines Vaters, das viele hundert Meilen gegen Osten von dem Schlosse der Koenigin lag, und wohnte bei ihm. Aber im Herzen hatte er keine Ruhe noch Rast und die Trauer um die verschwundene Prinzessin wollte ihn nie verlassen. Ja das Wunder begab sich mit ihm, dass er alle Jahre einmal heimlich verschwand, ohne dass ein Mensch wusste, wohin. Er sattelte aber dann sein Ross und ruestete sich in unscheinbarer Ruestung, und ritt ploetzlich davon, so dass niemand seinen Pfad kannte. Er musste aber in das Land der Koenigin reiten, die ihn vogelfrei gemacht hatte, und jenen Wald besuchen, worin die Prinzessin verschwunden war. Dieser gewaltige Trieb kam ihm jedes Jahr kurz vor der Zeit, in welcher die Prinzessin verschwunden war, wo er durch wilde wueste und verborgene Orte traben musste, bis er zu wohlbekannten Staetten gelangte, wo er einst mit seiner Braut gewandelt hatte. Und da war auch ihm die gruene dunkle Eiche am Bache die Lieblingsstelle. Da brachte er dann vierzehn Naechte in Thraenen und Gebeten und Klagen um die Geliebte zu; die Tage aber verbarg er sich in dem entlegeneren Dickicht. Da hat er die kleine Nachtigall oft gesehen und gehoert und sich ihres wundersamen und wunderlieblichen und fast uebervoegelischen Gesanges erquickt. Sie haben aber nichts weiter von einander gewusst. Doch hatte das Voegelchen immer eine grosse Sehnsucht im Herzen, wann der Ritter wieder geritten war, sie wusste aber nicht, warum; und auch ihm klang ihr tiefes und schmachtendes Tiu! Tiut! lange nach, wann er wieder in das Land seines Vaters ritt. Es ging ihm aber wie den meisten Menschen, die etwas Geheimes thun oder haben, worueber andere Leute sich viel die Koepfe zerbrechen, dass er um sein eignes Geheimniss nicht wusste. Denn dass er jedes Jahr einmal heimlich wegritt, das wusste er wohl; warum er aber reiten musste, das wusste er nicht.

Und es waren manche Tage vergangen seit dem Tode des alten Koenigs und es ging in das sechste Jahr seit dem Verschwinden der Kinder, und die Koenigin lebte herrlich und in Freuden, und liess die Thiere jagen und auf alle Voegel schiessen, und war auch gegen ihre Unterthanen nicht weniger hart, als gegen das Wild und Gefieder des Waldes. Sie daeuchte sich fast allmaechtig und meinte, ihr Glueck und ihre Herrschaft koenne kein Ende nehmen. Doch hatte sie seit jenem Tage den Wald nicht betreten um das Schloss und den Schlossgarten, sondern eine heimliche Furcht hatte sie davon zurueckgehalten. Sie liess sich aber nicht merken, was es war, und dass eine Hexenangst dahinter steckte. Nun begab es sich, dass sie einmal ein grosses Fest und Gastmal angestellt hatte, wozu alle Fuersten und Fuerstinnen des Reichs und alle Grossen des Landes und alle vornehmsten Diener und Dienerinnen geladen waren, und es war den Nachmittag eine grosse Wolfsjagd beschlossen in dem Forst, und die Fuersten baten sie, dass sie mitgehen moegte. Sie weigerte sich lange unter allerlei Vorwaenden, endlich aber liess sie sich bereden. Sie setzte sich aber auf einen hohen Wagen und hiess drei ihrer tapfersten Kriegsmaenner sich wohlbewaffnet neben sich setzen; zugleich hiess sie viele hundert gewaffnete und geruestete Reisige vor, neben und hinter dem Wagen reiten, und eine lange Reihe Wagen voll Herren und Frauen folgten ihr nach. Und ihr war der Wolf immer im Herzen, doch dachte sie bei sich: lass den Wolf nur kommen, ja lass hundert Woelfe zugleich kommen, diese tapfere Schaar wird ihnen wohl das Garaus machen. So verblendet Gott auch die Kluegsten und Feinsten, wann sie zur Strafe reif sind; denn ihr war geweissagt worden von andern Meistern ihrer losen Kunst, sie solle sich vor dem sechsten Jahre in Acht nehmen. Daran hatte sie heute nicht gedacht.

Und es war ein schoener heiterer Fruehlingstag, und sie fuhren mit Trompeten und Posaunen in den Forst, und die Rosse wieherten und die Ruestungen klirrten und die gezueckten Speere und Degen funkelten in der Sonne; die Koenigin aber funkelte am hellsten, mit ihren praechtigsten Kleidern und all ihrem Juwelenschmuck hoch im Wagen thronend. Und schon schallte ihnen die Jagd entgegen mit Hussa und Hurra und den schmetternden Hoernern der Jaeger und den gellenden Stimmen der Hunde. Und es lief ein Loewe vorueber und ein Eber fuhr durch die Reihen; und sie erschracken nicht sondern hielten und standen ein jeglicher fest auf seinem Stand, und machten die Ungeheuer nieder. Aber nicht lange, und es ergab sich ein Schrecken, das ihnen zu maechtig war. Ein fuerchterlicher Wolf fuhr aus dem Dickicht hervor auf einen gruenen Anger, und heulte so graesslich, dass Jaeger, Hunde und Reiter vor ihm ausrissen. Der Wolf lief, wie man einen Pfeil vom Bogen schiesst, nein er lief nicht sondern flog durch die Maenner und Rosse dahin, und keiner dachte daran, dass er Bogen, Spiess und Eisen trug, so schrecklich war des Unthiers Ansehen und so wuethig bleckte er den funkelnden Rachen auf. Die Koenigin, die ihn auf ihren Wagen zuspringen sah, schrie Huelfe! Huelfe! die Weiber schrien und fielen in Ohnmacht, viele Maenner schrien auch wie die Memmen: Keiner wehrte dem Wolf, er sprang mit Einem langen weiten Sprung auf den hohen Wagen, riss das stolze Weib herunter, und wusch sich Zaehne und Rachen in ihrem Blute. Die andern waren alle geflohen oder standen und hielten von ferne.

Und o Wunder! als sie sich ermannen wollten und das Thier anfallen, sahen sie es nicht mehr, sondern, wo es eben noch gestanden hatte, erhob sich die Gestalt eines schoenen und reisigen Juenglings. Die Maenner staunten ob dem Zauber, doch zuckten einige die Waffen, als wenn sie ihn als ein zweites Ungethuem jagen und faellen wollten. Da sprang ploetzlich ein Greis vor, der mit im Zuge war, der Kanzler des Reichs, und verbot es ihnen, und rief ueberlaut: bei meinem grauen Haar, Maenner, haltet ein! ihr wisset nicht, auf wen ihr stossen wollet--und, ehe sie sich besinnen konnten, lag er schon vor dem Juenglinge auf der Erde, und kuesste ihm Kniee und Haende und rief: Sey uns gegruesst, du edle Blume eines edlen Vaters, die du wieder aufgegangen bist in deiner Schoene! und freue dich, o Volk, dein rechter Koenigssohn ist wieder gekommen, und dies ist jetzt dein Koenig. Und auf diese Worte liefen viele herzu und erkannten den Prinzen wieder und huldeten ihm als ihrem Herrn, und die uebrigen thaten desgleichen. Und alle waren zugleich voll Schrecken und Staunen und Freude, und dachten nicht mehr an die zerrissene Koenigin noch an den Wolf; denn dass er der Wolf gewesen, das wussten sie nicht.

Der junge Koenig aber gebot allen, dass sie ihm nachfolgeten und mit ihm in das Schloss seines Vaters zoegen; er hiess auch sogleich die Jagd stillen und die Hoerner und Trompeten, welche eben noch den Wald und das Wild aufgeschreckt hatten, seinem froehlichen Einzuge voranblasen. Und als er daheim war und von den Zinnen seiner Vaeter schauete, da traten ihm die Thraenen in die Augen und er weinte beides schmerzlich und froehlich; denn er gedachte nun alles Jammers wieder und der zu schweren Vergangenheit, wo es wie ein dumpfer und thierischer Traum auf ihm gelegen hatte. Und nun ward es ihm ploetzlich hell, und er konnte es dem Kanzler und den Vornehmsten melden, wie es mit ihm geschehen war und dass er nur durch das Herzblut der alten greulichen Hexe, die seine Stiefmutter und ihre Koenigin geheissen, wieder hatte verwandelt werden koennen. Und das Geruecht von diesem erstaunlichen Wunder ging alsbald in die ganze Stadt und unter alles Volk aus; und sie freueten sich, dass der geliebte Koenigssohn wiedergekommen und dass die Koenigin, welche alle hasseten, von Wolfszaehnen, die sie selbst geschaffen, zerrissen war.

Aber als der Prinz sich nun allmaelig wiedergefunden und ueber sich besonnen hatte, da fiel es ihm schwer auf das Herz, wo die koenigliche Prinzessin Aurora seine geliebte Schwester wohl seyn moegte und ob sie auch noch wohl unter irgend einer Thierhaut oder Federdecke steckte; denn nun fiel ihm ihr trauriger Hochzeittag ein. Und er fragte und liess fragen; aber alle schwiegen und keiner konnte von ihr etwas melden. Da ward der Prinz wieder sehr traurig und sorglich, aber Gott wandelte diese Traurigkeit auch bald in Freude.

Denn als dieser Jagd- und Wolfslaerm im Walde tosete, steckte auch der arme traurende Prinz aus Ostenland grade in seinem Dickicht, und das kleine liebliche Nachtigallvoegelchen hielt sich schweigend unter den gruenen Blaettern seiner Eiche verborgen. Es fuhr aber ein wunderbares Gefuehl durch sein Herzchen, sobald der durstige Wolfszahn seines Bruders das Herzblut der alten Koenigin geschluerft hatte. Als nun die Jagd verschollen und der Wald still geworden und die Sonne niedergegangen war, da kam der Prinz aus seiner dunkeln Waldschlucht unter seine gruene Eiche und lehnte sich gar traurig an den Stamm und netzte das Gras mit seinen stummen Thraenen, wie er alle Naechte pflag; und ihm daeuchte viel wehmuethiger um sein Herz zu seyn als gewoehnlich. Das Voegelein in den Zweigen ueber ihm fing eben an zu singen nach seiner Gewohnheit; und es daeuchte ihm auch, dass es gar anders sang als sonst, und viel bedeutsamer und raethselhafter und fast wie mit menschlicher Stimme. Und dem Manne kam ein Grausen an, und fast voll Angst rief er in die Zweige hinauf: Voegelein, Voegelein, sage mir, kannst du sprechen? Und das Nachtigallvoegelein antwortete ihm mit Ja, wie Menschen zu antworten pflegen, und es verwunderte sich selbst, dass es sprechen konnte, und fing an vor Freuden darueber zu weinen, und schwieg lange. Darauf that es sein Schnaebelchen wieder auf und erzaehlte dem Manne mit vernehmlicher menschlicher Stimme die ganze Geschichte von seiner Verwandelung und von seines Bruders Verwandelung, und durch welches Wunder er wieder ein Mensch geworden. Denn es war ihr nun alles in Einem Augenblicke klar geworden, als haette ein Geist es ihr zugefluestert. Der Mann aber jauchzete in seiner Seele, als er ihre Rede hoerte, und er sann viel in sich hin und her; und das Voegelchen spielte und flog zutraulich um ihn herum; doch wiewohl sie sich und alle Dinge so hell wieder erkannte und wusste, von ihm wusste sie nicht, wer er war. Und er lockte das Voegelchen und schmeichelte und kosete ihm schoen, und bat, es solle mit ihm kommen, er wolle es in einen Garten setzen, wo ein ewiger Fruehling bluehe und nie ein Falke rausche noch ein Jaeger tose; das sey doch viel lustiger, als so in wilden Hainen umzufliegen und vor dem Winter und vor Jaegern und Raubvoegeln und Schlingen zu zittern. Das Voegelein aber wollte davon nichts hoeren und lobte seine gruene Freiheit und seine gruene Eiche hier und schwaetzte und floetete und spielte und flatterte um den Mann herum und hatte sein wenig Acht, denn er gebehrdete sich, als sey er in andern Gedanken.

Aber siehe, welche Gedanken er gehabt hat! Denn ehe das Voegelchen sich dessen versah, hatte der Mann es bei den Fuesschen erfasst und lief eilends davon, schwang sich auf sein Ross und flog im sausenden Galopp, als sey ein Sturmwind hinter ihm, einer Herberge zu, die er in der Stadt unweit des Schlosses kannte, und bestellte sich ein einsames Zimmer, worin er sich mit dem Voegelein einsperrte. Das Voegelein, als es sah, wie er die Schluessel herauszog und andere Zeichen eines Gefaengnisses machte, fing an jaemmerlich zu weinen und zu flehen, dass er es fliegen liesse; denn es daeuchte ihm gar beklommen und angstvoll in dem verschlossenen Zimmer und es musste an seine gruenen Baeume und an die liebliche Freiheit denken. Aber der Mann machte sich aus dem Weinen und Flehen des Voegelchens nichts und wollte es nicht lassen. Da ward das Voegelein boese und fing an sich zu verwandeln, damit es den Mann erschreckte, dass er Thueren und Fenster oeffnete und froh waere, wenn das Voegelein davon floege. So machte es sich zu Tigern und Loewen, zu Ottern und Schlangen, zu Skorpionen und Taranteln, zuletzt zu einem scheusslichen Lindwurm, der sich um den Mann flocht und mit giftiger Zunge auf ihn fuhr. Aber das alles schreckte ihn nicht sondern er blieb fest auf seinem Sinn, und das Voegelein musste alle seine Arbeit verlieren und wieder ein Voegelein werden. Und der Mann stand in tiefen Gedanken, denn es fiel ihm etwas ein aus alten Maehrchen. Und er zog ein Messer aus der Tasche und schnitt sich ein Loch in den kleinen Finger der linken Hand, der immer das lebendigste Herzblut hat. Und es troepfelte Blut heraus, und er nahm des Blutes und bestrich des Voegeleins Koepfchen und Leib damit. Und kaum hatte er das gethan, so stand auch das Wunder fertig da. Das Voegelein ward in der Minute zu der allerschoensten Jungfrau, und der Prinz lag alsbald zu ihren Fuessen und kuesste ihr zuechtig und ehrerbietig die Haende. Die Nachtigall war nun wieder Prinzessin Aurora geworden und erkannte in dem Manne ihren Braeutigam wieder, den Prinzen aus Ostenland. Sie war noch eben so jung und schoen, als sie vor sechs Jahren zur Zeit der Verwandelung gewesen. Denn das ist den Verwandlungen eigen, dass die Jahre, die einer darin bleibt, ihn nicht aelter machen sondern tausend Jahre gelten da nicht mehr als eine Sekunde.

Man kann denken, wie diese beiden sich gefreut haben; denn wenn zwei verliebte Herzen, die einander treu geblieben, nach langer Zeit wieder zusammenkommen, das ist wohl die groesste Freude auf Erden. Doch saeumten sie nicht lange sondern liessen dem Koenige ansagen, es seyen zwei fremde Prinzen aus fernen Landen an seinen Hof gekommen und begehrten fuerstliche Herberge. Und der Koenig trat heraus, dass er sie bewillkommete, und erkannte seine liebe Schwester Aurora und seinen theuren Freund den Prinzen aus Ostenland, und freuete sich ueber die Maassen; und alles Volk freuete sich mit ihm, dass so alles wiedergekommen und das Reich nicht bei Fremden bleibe.

Und nach wenigen Tagen setzte er sich die koenigliche Krone auf und fing an zu regieren an seines Vaters Statt, seiner Schwester aber gab er eine ueberaus praechtige Hochzeit mit Taenzen und Festen und Ritterspielen; auch erhielt sie nebst ihrem Prinzen an Land und Leuten eine gar stattliche Abfindung, wovon sie fast wie Koenige leben mogten. Die Prinzessin Aurora aber hatte ihren Bruder um den Wald gebeten, in welchem sie als Voegelein so manchen froehlichen und auch so manchen traurigen Tag umhergezogen war, und er hatte ihn ihr gern geschenkt. Sie baute sich daselbst ein stolzes koenigliches Schloss an dem Bache, wo sie so oft gesessen und gesungen hatte, und die gruene und dichte Eiche kam mitten in ihrem Schlossgarten zu stehen und hat noch manches Jahr nach ihr gegruent, so dass ihre Urenkel noch darunter gespielt und sich beschattet haben. Sie aber liess das Gebot ausgehen, es solle der Wald fuer ewige Zeiten stehen bleiben in seiner natuerlichen Herrlichkeit; auch gab sie den kleinen Singvoegelein den Frieden und verbot auf das allerstrengeste, in diesem heiligen Bezirke Schlingen und Fallen zu stellen und die Kleinen mit irgend einem Gewehr anzugreifen. Und ihr Bruder hat als ein grosser und frommer Koenig regiert, sie aber hat mit ihrem tapfern Gemal bis in ein schneeweisses Alter in gluecklicher Liebe gelebt und viele Kinder und Kindeskinder gesehen, bis sie endlich im Segen Gottes und der Menschen sanft entschlafen ist. Das hat auch gegolten seit ihrer Zeit unter ihren Kindern und Nachkommen, dass der aelteste Prinz ihres Hauses immer Rossignol und die aelteste Prinzessin immer Philomela getauft wurde. Sie wollte nemlich eine fromme Erinnerung stiften fuer alle Zeiten von dem wundersamen Unglueck, das ihr widerfahren war, da sie in eine Nachtigall verwandelt worden. Denn diese Worte bedeuten in der Sprache ihres Landes, was zu teutsch Nachtigall genannt wird, und Rossignol heisst eigentlich Rosenvogel--denn die Nachtigallen singen meist zur Zeit der Rosen--und Philomela Liederfreundin; der teutsche Name Nachtigall heisst aber so viel als Nachtsaengerin, und ist wohl der allerfeinste.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Märchen und Sagen