Kater Martinchen.

Auf der Halbinsel Wittow auf Ruegen ist ein Dorf, das heisst Putgarten, nicht weit von dem beruehmten Vorgebirge Arkona, wo der alte heidnische Goetze Swantewit weiland seinen Tempel gehabt und sein wuestes Wesen getrieben hat. In diesem Dorfe Putgarten lebte eine reiche Baeuerin, die hiess Trine Pipers. Sie war jung Witwe geworden und hatte keine Kinder, wollte auch nicht wieder freien, obgleich viele Freier um sie warben, denn sie war ein sehr schoenes und frisches Weib. Das konnten die Leute nicht recht begreifen, zumal da sie sonst immer lustig und munter war und bei keinem Tanze und Gelage fehlte. Denn das musste man sagen, einen aufgeraeumteren Menschen gab es nicht als diese Baeuerin, und kein Haus hatte so viel Lustigkeit als das ihrige. Alle hohen Feste hatte es Tanz und Spiel bei ihr; die Fasten wurden von Anfang bis zu Ende durchgehalten und mit Schmaeusen, Spielen und Taenzen gefeiert, Pfingsten und am Johannistage ward unter gruenen Lauben getanzt, und am Martinstage setzte keine Baeuerin so viele gebratene Gaense auf, und wenn sie ihr Korn eingebracht, wenn sie Ochsen oder Schweine geschlachtet oder Wurst gemacht hatte, musste die ganze Nachbarschaft sich mit freuen und mit ihr schmausen. Kurz, diese Baeuerin lebte so praechtig, dass kaum eine Edelmannsfrau besser leben konnte. In ihrem Hause war alles nett und tuechtig und fast ueber das Vermoegen einer Baeuerin zierlich. Ebenso lustig und tuechtig sah es auf ihrem Hofe und in ihren Staellen aus. Ihre Pferde glaenzten immer wie die Aale, und man haette sie Sommer und Winter als Spiegel gebrauchen koennen; ihre Kuehe waren die schoensten und gedeihlichsten im ganzen Dorfe und hatten immer volle Euter; ihre Huehner legten zweimal des Tages, und von ihren Gaenseeiern war nie eines schier, sondern jedes gab ein Junges. Weil ihr Haus lustig und sie freigebig war, so hatte sie auch immer die schoensten und flinksten Knechte und Dirnen auf ganz Wittow.

So lebte Trine manches Jahr, und kein Mensch konnte begreifen, wie sie als Baeuerin das Leben so halten und durchsetzen konnte, und viele hatten schon gesagt: „Nun, die wird auch bald vor den Tueren herumschleichen und schnurren gehen.“ Aber sie focht und schnurrte nicht herum, sondern blieb die reiche und lustige Trine Pipers nach wie vor. Andere, die dies lustige Leben so mit ansahen, meinten, es gehe nicht mit natuerlichen Dingen zu; sie habe Umgang und Gemeinschaft mit boesen Geistern, und die bringen es ihr alles ins Haus und geben ihrem Vieh und ihren Fruechten so wunderbaren Segen und Gedeihen--als wenn Gott nicht der beste und einzige Segenbringer und Segensprecher waere. Viele wollten bei naechtlicher Weile einen Drachen gesehen haben, der wie ein langer feuriger Schwanz auf ihr Haus herabgeschossen sei; das sei ihr heimlicher Buhler, der haenge ihr den Wiem voll Schinken und Mettwuerste, fuelle ihr die Kisten und Kasten mit Silber und Gold und stehe mit am Butterfasse und helfe buttern und gehe mit in den Stall und helfe melken. Andere, noch boshafter, sagten, sie selbst sei eine Hexe und koenne sich unsichtbar machen: so schleiche sie den Nachbarn in die Haeuser, stehle aus Keller und Speisekammer, nehme den Huehnern die Eier aus den Nestern, melke die Kuehe und rupfe den Schafen die Wolle und den Gaensen die Dunen aus. Darum sei sie so glatt und glau und koenne soviele Wohlleben ausrichten und ein Leben fuehren, als wenn es alle Tage Sonntag waere. Das bemerkten einige Nachbarsleute noch und schuettelten die Koepfe dabei, dass Trine eine leidige Freundlichkeit habe, womit sie wohl hexen koenne, und dass sie Kindern nie in die Augen sehe, wieviel sie auch sonst mit ihnen schmeichle und kose; denn sie habe als Hexe kein Kind in ihren Augen, und es tue ihr sehr wehe, wenn sie den unschuldigen Kindern, die noch nichts verbrochen haben, in ihre reinen Augen schauen muesse.


So lief allerlei Geschwaetz unter den Leuten rund, und sie fluesterten und munkelten viel ueber Trine Pipers; aber sie konnten ihr doch nichts anhaben und beweisen. Sie tat all ihr Werk tuechtig vor den Leuten, war redlich in Handel und Wandel, ging fleissig zur Kirche und gab Priester und Kuester willig und freundlich das Ihrige und hatte immer eine offene Tasche und einen offenen Brotkorb fuer die Armen, wenn sie an ihre Tuere kamen. Auch gingen die, welche ihr die Ehre so hinter ihrem Ruecken zerwuschen, recht gern zu ihren Festen und Taenzen und schmeichelten und heuchelten ihr.

Trine Pipers hatte auf diese Weise wohl zwanzig Jahre ihre Wirtschaft gefuehrt, und alles war ihr immer nach Wunsch geraten. Da bekam sie einen bunten Kater ins Haus, und bald ging im Dorfe und in der Nachbarschaft das Gerede: der sei es, das sei der Gewaltige, nun sei es endlich zum Vorschein gekommen, und auch ein Kind koenne es sehen, der trage ihr all das Glueck zu. Denn leider sind die meisten Menschen so, dass sie meinen, es muesse mit einem Menschen was Heimliches oder Ungeheures sein, wenn er die Narrenkappe des Lebens nicht gerade so traegt wie sie, und wenn er die Schellen daran nicht ebenso klingen laesst.

Ein bunter Kater ward in Trines Hause gesehen, und kein Mensch wusste, wo der Kater hergekommen war. Trine laechelte und machte einen Scherz, wenn man sie fragte, und sagte es nicht. Einigen hatte sie wohl gesagt, sie habe einen Bruder, der sei Schiffer in Stockholm, der habe ihr den schoenen Kater einmal aus Lissabon mitgebracht; aber das glaubten sie nicht. Der Kater war gross, bunt und schoen, grau mit gelben Streifen ueber dem Ruecken und hatte einen weissen Fleck am linken Vorderfuss. Da schrien die alten Weiber: „Da sehen wir's ja, da haben wir's! Einen dreifarbigen Kater? Wer hat in seinem Leben gesehen oder gehoert, dass es Kater mit drei Farben gibt?“ Trine liebte den Kater sehr und sass manche Stunde mit ihm allein und spielte mit ihm, der mit wohlgefaelligem Brummen seinen Kopf an ihr streichelte und gegen alles, war ihr zu nah kam, ausprustete und aufpfuchsete: die arme Trine ward aelter, die arme Trine hatte keine Kinder, sie musste was zu spielen haben. So sass sie nun manche Stunde, wo sie sich sonst draussen in ihrer Wirtschaft tummelte, still in der Stube und spielte mit ihrem Martinichen; denn so rief sie den Kater. Martinichen und Mieskater Martinichen klang es in der Stube, Martinichen klang es auf der Flur, Martinichen auf der Treppe und auf dem Boden. Keinen Tritt und Schritt tat sie, Martinichen war immer dabei, und von dem Vorratsboden und aus der Speisekammer brachte er immer seine Bescherung mit im Munde. Kurz, der bunte Kater Martinichen aus Lissabon war ihre Puppe und ihr Spielzeug; er stand mit ihr auf und ging mit ihr zu Bette, ja sie ging nicht in die Nachbarschaft, dass sie ihr Martinichen nicht unterm Arm trug; Martinichen leckte von ihrem Teller und lappte aus ihrem Napf, er war der Liebling, er durfte alles, keiner durfte ihm was tun: Hunde wurden herausgejagt, die ihn beissen wollten, ein Knecht ward verabschiedet, weil er ihn Murrkater und Brummkater, Speckfresser und Mausedieb genannt hatte.

Dies gab Geschichten und Luegen und Maerchen im ganzen Dorfe, bald im ganzen Kirchspiele, dann im ganzen Laendchen: Trine hiess eine Hexe, die einen wundersamen Kater habe, mit dem es nicht richtig sei, und vor dem man sich hueten muesse. Das sei ein Kater, einen solchen zweiten werde man in der ganzen Welt umsonst suchen; den ganzen Tag tue er nichts als fressen und sich hinstrecken und sonnen oder auf Trines Knien herumwaelzen, des Nachts liege er auf ihrem Bette bis an den lichten Morgen, und doch finde der Knecht, wenn er morgens fruehe zur ersten Fuetterung in den Pferdestall gehe, immer zwei grosse Haufen toter Ratten und Maeuse vor der Haustuere aufgetuermt. Was moege das wohl fuer ein Kater sein, der fuer diesen feisten und glatten Faulenzer die Arbeit tue?

Dies Gerede und Gemunkel hatte sich freilich erst draussen herumgetrieben; dann kam es auch in Trinens Haus und zu Trinens Leuten, und ihnen fing an, bei ihr ungeheuer zu werden. Wenn sie mit schmeichelnder Stimme Mieskaterchen! Mies--Mieskaterchen! Martinichen! Misichen--Martinichen! rief und den knurrenden und spinnenden Kater auf den Schoss nahm und ihm den Ruecken streichelte, und er sich dann vor Vergnuegen kruemmte und an ihr strich und brummte, und ihm die gruenen, umnebelten Augen im Kopfe funkelten, dann guckten die Leute die beiden Spieler mit grossen Augen an und waeren um alles in der Welt mit ihnen nicht lange in der Stube geblieben. Trine hatte sonst immer die tuechtigsten und schoensten Leute gehabt, aber die konnten es jetzt in ihrem Hause nicht aushalten; sie zogen weg, und sie konnte zuletzt nichts als Hack und Mack in ihren Dienst bekommen, und auch die blieben nicht lange, und fast jeden Monat hatte sie frische Leute. Alle Welt glaubte nun einmal, Trine sei eine Hexe, und keiner wollte mit ihr zu tun haben. Auch war es mit der alten Gastlichkeit und Froehlichkeit des Hauses vorbei und mit den Schmaeusen und Taenzen, denn keiner wollte kommen; und Trine musste mit ihrem Mieskater Martinichen einsam sitzen und ihre Bratgaense und Wuerste allein verzehren.

Aber ach, du arme Trine Pipers, die du sonst so froh und froehlich gewesen warst und alle gern erfreut hattest, wie ging es dir auf deinen alten Tagen? Nicht allein keine Gesellen und Gesellinnen und Nachbarn und Nachbarinnen kamen mehr, sich des Segens zu freuen, den Gott dir gegeben hatte, und sich mit dir zu erlustigen, sondern in wenigen Jahren verging auch das, wovon du dich haettest erlustigen koennen. Die Leute kopfschuettelten und fluesterten zwar, der Kater sei es, der sei bisher der unsichtbare Bringer und Zutraeger gewesen und habe Scheunen, Kornboeden, Keller, Speisekammern, Milcheimer und Butterfaesser und Geldkatzen und Sparbuechsen gefuellt; aber nun war ja dieser Wundertaeter und Hexenmeister da, warum ging es denn nicht noch gedeihlicher als vorher? Warum ging vielmehr Trinens Wirtschaft von Tage zu Tage mehr zurueck? Die arme Trine hatte Knechte und Maegde, wie sie kaum ein Bettlerkrug willig beherbergt haette, recht was man Kruecken und Ofenstecken nennt; ihre sonst so glatten Pferde magerten ab und verreckten an Rotz und Wurm; ihre Schweine und Kuehe hatten Laeuse und gaben keine Milch mehr; ihre Schafe und Gaense wurden Drehkoepfe, als haetten sie geheime Wissenschaft studiert; ihre Huehner und Enten legten keine Eier und brueteten nicht mehr; ihr Feld trug Disteln und Dornen fuer Korn und Weizen. Kurz, Trine geriet in zwei Jahren in die bitterste Armut: Pferde waren weg, Kuehe waren weg, Schweine ausgestorben, Schafe geschlachtet, Tauben und Huehner vom Marder aufgefressen, der Hund an der Kette verhungert--kein Hahn kraehte mehr auf ihrer Haustuere, kein Bettler seufzte mehr sein Gebet davor. Und Trine sass allein und verlassen mit gelben, gefurchten und gerunzelten Wangen und von Traenen und Jammer triefenden Augen und schneeweissen Haaren in der frierenden Ecke ihres leeren Zimmers und hielt ihren magern und in der Asche verbrannten Kater auf dem Schosse und weinte jaemmerlich ueber den kargen Brocken, die man ihr von fern zuwarf; denn keiner mochte ihr gern nah kommen.

So hat man sie eines Morgens gefunden tot auf dem Boden ihres Stuebchens hingestreckt und ihren treuen Mieskater Martinichen tot auf ihr liegend. Die Leute haben mit Grauen davon erzaehlt. Und die sonst so reiche Trine, die der Kirche und Geistlichkeit immer so gern gab, als sie noch was zu geben hatte, ist begraben, wie man Bettler begraebt, ohne Sang und Klang, ohne Glocken und Gefolge; kein Nachbar hat sie zum Kirchhof begleiten wollen, kein Verwandter ist ihrer Leiche gefolgt, sie hatte ihnen ja nichts nachgelassen. O kalte Welt, wie kalt wirst du denen im Alter, die dann nichts haben, womit sie sich die Fuesse zudecken koennen, und ach, auch die irdischen Maengel, die man mit schaerferen Augen an den Alten betrachtet!

Als Trine nun tot war, erzaehlen die Leute, ist sie immer als Hexe umgegangen und geht bis diesen Tag als Hexe um in der Gestalt einer alten, grauen Katze, die man daran kennt, dass sie Augen hat, die wie brennende Kohlen leuchten, und dass sie ganz entsetzlich laut spruehet und prustet, wenn man sie jagt. Sie wird noch alle Mitternaechte auf der Stelle gesehen, wo ehedem Trinens Haus war, und heult dort erbaermlich; im Winter aber, wann in den Scheunen und auf den Daechern die wuetigen Katzenhochzeiten sind, ist sie immer voran auf der hoellischen Jagd und fuehrt das ganze Getuemmel und miaulet und winselt auf das allerscheusslichste. Diese Stimme verstehen die Leute in Putgarten so wohl, dass alt und jung gleich rufet: „Hoert! Da ist wieder die alte Trine!“

So ist es Trine Pipers gegangen, und so geht es vielen Menschen bis diesen Tag. Sie ist eine arme, elendige Bettlerfrau geworden und hat ihren christlichen, guten Namen verloren, weil sie den bunten Kater Martinichen lieber gehabt hat als Menschen. Denn wenn sie auch keine Hexe gewesen ist, so haben die Nachbarn und Nachbarinnen es doch geglaubt, weil sie sich in ihrer unnatuerlichen und haesslichen Liebe zu der unverstaendigen Kreatur so in des Katers Gemuet und Gebaerden hineingestohlen und hineinvertieft hatte, dass sie Menschen nicht mehr so suchte und liebte wie sonst. Sie mag zuletzt auch mit Katzenfreundlichkeit geblinzelt und mit Katzenaugen geschielt und mit allerlei Katzenmaennchen sich gekruemmt und gewunden haben, so dass kein Mensch und kein Vieh und also auch kein Glueck es laenger bei ihr hat aushalten koennen und sie zuletzt mit ihrem Mieskater Martinichen ganz allein geblieben und so im groessten Elende umgekommen ist.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Märchen und Sagen