Prinzessin Svanvithe.

Du hast wohl von der Sage gehoert, dass hier bei Garz, wo jetzt der Wall ueber dem See ist, vor vielen tausend Jahren ein grosses und schoenes Heidenschloss gewesen ist mit herrlichen Haeusern und Kirchen, worin sie ihre Goetzen gehabt und angebetet haben. Dieses Schloss haben vor langer, langer Zeit die Christen eingenommen, alle Helden totgeschlagen und ihre Kirchen umgeworfen und die Goetzen, die darin standen, mit Feuer verbrannt; und nun ist nichts mehr uebrig von all der grossen Herrlichkeit als der alte Wall und einige Leuschen, welche die Leute sich erzaehlen, besonders von dem Mann mit Helm und Panzer angetan, der auf dem weissen Schimmel oft ueber die Stadt und den See hinreitet. Einige, die ihn naechtlich gesehen haben, erzaehlen, es sei der alte Koenig des Schlosses, und er habe eine gueldene Krone auf. Das ist aber alles nichts. Dass es aber um Weihnachten und Johannis in der Nacht aus dem See klingt, als wenn Glocken in den Kirchen gelaeutet werden, das ist wahr, und viele Leute haben es gehoert, und auch mein Vater. Das ist eine Kirche, die in den See versunken ist, andere sagen, es ist der alte Goetzentempel. Das glaub' ich aber nicht; denn was sollten die Helden an christlichen Festtagen laeuten? Aber das Klingen und Laeuten im See ist dir gar nichts gegen das, was im Wall vorgeht, und davon will ich dir eine Geschichte erzaehlen. Da sitzt eine wunderschoene Prinzessin mit zu Felde geschlagenen Haaren und weinenden Augen und wartet auf den, der sie erloesen soll; und dies ist eine sehr traurige Geschichte.

In jener alten Zeit, als das Garzer Heidenschloss von den Christen belagert ward und die drinnen in grossen Noeten waren, weil sie sehr gedraengt wurden, als schon manche Tuerme niedergeworfen waren und sie auch nicht recht mehr zu leben hatten und die armen Leute in der Stadt hin und wieder schon vor Hunger starben, da war drinnen ein alter, eisgrauer Mann, der Vater des Koenigs, der auf Ruegen regierte. Dieser alte Mann war so alt, dass er nicht recht mehr hoeren und sehen konnte; aber es war doch seine Lust, unter dem Golde und unter den Edelsteinen und Diamanten zu kramen, welche er und seine Vorfahren im Reiche gesammelt hatten und welche tief unter der Erde in einem schoenen, aus eitel Marmelsteinen und Kristallen gebauten Saale verwahrt wurden. Davon waren dort ganz grosse Haufen aufgeschuettet, viel groessere als die Roggen- und Gerstenhaufen, die auf deines Vaters Kornboden aufgeschuettet sind. Als nun das Schloss zu Garz von den Christen in der Belagerung so geaengstet ward und viele der tapfersten Maenner und auch der Koenig, des alten Mannes Sohn, in dem Streite auf den Waellen und vor den Toren der Stadt erschlagen waren, da wich der Alte nicht mehr aus der marmornen Kammer, sondern lag Tag und Nacht darin und hatte die Tueren und Treppen, die dahin fuehrten, dicht vermauern lassen; er aber wusste noch einen kleinen heimlichen Gang, der unter der Erde weglief, viele hundert Stufen tiefer als das Schloss, und jenseits des Sees einen Ausgang hatte, den kein Mensch wusste als er, und wo er hinausschluepfen und sich draussen bei den Menschen Speise und Trank kaufen konnte. Als nun das Schloss von den Christen erobert und zerstoert ward und die Maenner und Frauen im Schlosse getoetet und alle Haeuser und Kirchen verbrannt wurden, dass kein Stein auf dem andern blieb, da fielen die Tuerme und Mauern uebereinander, und die Tuere der Goldkammer ward gar verschuettet; auch blieb kein Mensch lebendig, der wusste, wo der tote Koenig seine Schaetze gehabt hatte. Der alte Koenig aber sass drunten bei seinen Haufen Goldes und hatte seinen heimlichen Gang offen und hat noch viele hundert Jahre gelebt, nachdem das Schloss zerstoert war; denn sie sagen, die Menschen, welche sich zu sehr an Silber und Gold haengen, koennen vom Leben nicht erloest werden und sterben nicht, wenn sie Gott auch noch so sehr um den Tod bitten. So lebte der alte, eisgraue Mann noch viele, viele Jahre und musste sein Gold bewachen, bis er ganz duerr und trocken ward wie ein Totengerippe. Da ist er denn gestorben und auch zur Strafe verwandelt worden und muss nun als ein schwarzer magerer Hund unter den Goldhaufen liegen und sie bewachen, wenn einer kommt und den Schatz holen will. Des Nachts aber zwischen zwoelf und ein Uhr, wann die Gespensterstunde ist, muss er noch immer rundgehen als ein altes graues Maennlein mit einer schwarzen Pudelmuetze auf dem Kopf und einem weissen Stock in der Hand. So haben die Leute ihn oft gesehen im Garzer Holze am Wege nach Poseritz; auch geht er zuweilen um den Kirchhof herum. Denn da sollen vor alters Heidengraeber gewesen sein, und die Helden haben immer viel Silber und Gold mit sich in die Erde genommen. Das will er holen, darum schleicht er dort, kann es aber nicht kriegen, denn er darf die geweihte Erde nicht beruehren. Das ist aber seine Strafe, dass er so rundlaufen muss, wann andere Leute in den Betten und Graebern schlafen, weil er so geizig gewesen ist.


Nun begab es sich lange nach diesen Tagen, dass in Bergen ein Koenig von Ruegen wohnte, der hatte eine wunderschoene Tochter, die hiess Svanvithe; und sie war die schoenste Prinzessin weit und breit, und es kamen Koenige und Fuersten und Prinzen aus allen Landen, die um die schoene Prinzessin warben. Und der Koenig, ihr Herr Vater, wusste sich kaum zu lassen vor allen den Freiern und hatte zuletzt nicht Haeuser genug, dass er die Fremden beherbergte, noch Staelle, wohin sie und ihre Knappen und Staller ihre Pferde zoegen; auch gebrach es fast an Hafer im Lande und Raum fuer alle die Kutscher und Diener, die mit ihnen kamen, und war Ruegen so voll von Menschen, als es nie gewesen seit jenen Tagen. Und der Koenig waere froh gewesen, wenn die Prinzessin sich einen Mann genommen haette und die uebrigen Freier weggereist waeren. Das laesst sich aber bei den Koenigen nicht so leicht machen als bei andern Leuten, und muss da alles mit vieler Zierlichkeit und Langsamkeit hergehen. Die Prinzessin, nachdem sie wohl ein ganzes halbes Jahr in ihrer einsamen Kammer geblieben war und keinen Menschen gesehen, auch kein Sterbenswort gesagt hatte, fand endlich einen Prinzen, der ihr wohl gefiel, und den sie gern zum Mann haben wollte, und der Prinz gefiel auch dem alten Koenige, dass er ihn gern als Eidam wollte. Und sie hatten einander Ringe geschenkt, und war grosse Freude im ganzen Lande, dass die schoene Svanvithe Hochzeit halten sollte, und hatten alle Schneider und Schuster die Fuelle zu tun, die schoenen Kleider und Schuhe zu machen, die zur Hochzeit getragen werden sollten. Der verlobte Prinz aber und Svanvithens Braeutigam hiess Herr Peter von Daenemarken und war ein ueber die Massen feiner und stattlicher Mann, dass seinesgleichen wenige gesehen wurden.

Da, als alles in lieblicher Hoffnung und Liebe gruenete und bluehete und die ganze Insel in Freuden stand und nur noch ein paar Tage bis zur Hochzeit waren, kam der Teufel und saeete sein Unkraut aus, und die Luft ward in Traurigkeit verwandelt. Es war naemlich allda an des Koenigs Hofe auch ein Prinz aus Polen, ein hinterlistiger und schlechter Herr, sonst schoen und ritterlich an Gestalt und Gebaerde. Dieser hatte manches Jahr um die Prinzessin gefreit und sie geplagt Tag und Nacht; sie hatte aber immer nein gesagt, denn sie mochte ihn nicht leiden. Als dieser polnische Prinz nun sah, dass es wirklich eine Hochzeit werden sollte und dass Herr Peter von Daenemarken zum Treuliebsten der schoenen Svanvithe erkoren war, sann er in seinem boesen Herzen auf arge Tuecke und wusste es durch seine Kuenste so zu stellen, dass der Koenig und alle Menschen glaubten, Svanvithe sei keine zuechtige Prinzessin und habe manche Naechte bei dem polnischen Prinzen geschlafen. Das glaubte auch Herr Peter und reiste ploetzlich weg; und der polnische Prinz war zuerst weggereist, und alle Koenige und Prinzen reisten weg. Und das Schloss des Koenigs in Bergen stand wuest und leer da, und alle Freude war mit weggezogen und alle Geiger und Pfeifer und alles Saitenspiel, die sich auf Turniere und Feste geruestet hatten. Und die Schande der armen Prinzessin klang ueber das ganze Land; ja in Schweden und Daenemark und Polen hoerten sie es, wie die Hochzeit sich zerschlagen hatte. Sie aber war gewiss unschuldig und rein wie ein Kind, das aus dem Mutterleibe kommt, und war es nichts als die greuliche Bosheit des verruchten polnischen Prinzen, den sie als Freier verschmaeht hatte.

So ging es der armen Svanvithe, und der Koenig, ihr Vater, war einige Tage nach diesen Geschichten wie von Sinnen und wusste nicht von sich, und ihm war so zumute, dass er sich haette ein Leid antun koennen von wegen seiner Tochter und von wegen des Schimpfes, den sie auf das ganze koenigliche Haus gebracht hatte. Und als er sich besann und wieder zu sich kam und die ganze Schande bedachte, worein er geraten war durch seine Tochter, da ergrimmte er in seinem Herzen, und er liess die schoene Svanvithe holen und schlug sie hart und zerraufte ihr Haar und stiess sie dann von sich und befahl seinen Dienern, dass sie sie hinausfuehrten in ein verborgenes Gemach, dass seine Augen sie nimmer wiedersaehen. Darauf liess er in einen mit dichten Mauern eingeschlossenen und mit dunklen Baeumen beschatteten Garten hinter seinem Schlosse einen duestern Turm bauen, wo weder Sonne noch Mond hineinschien, da sperrte er die Prinzessin ein. Der Turm, den er hatte bauen lassen, war aber fest und dicht und hatte nur ein einziges kleines Loch in der Tuere, wodurch ein wenig Licht hineinfiel und wodurch der Prinzessin die Speise gereicht ward. Es war auch weder Bett noch Tisch oder Bank in dem traurigen Gefaengnis; auf harter Erde musste die liegen, die sonst auf Sammet und Seiden geschlafen hatte, und barfuss musste die gehen, die sonst in goldenen Schuhen geprangt hatte. Und Svanvithe haette sterben muessen vor Jammer, wenn sie nicht gewusst haette, dass sie unschuldig war, und wenn sie nicht zu Gott haette beten koennen. Sie aber war ein sehr junges Kind, als sie eingesperrt ward, erst sechzehn Jahre alt, schoen wie eine Rose und schlank und weiss wie eine Lilie, und die Menschen, die sie liebhatten, nannten sie nicht anders als des Koenigs Lilienstengelein. Und dieses suesse Lilienstengelein sollte so jaemmerlich verwelken in der kalten und einsamen Finsternis.

Und sie hatte wohl drei Jahre so gesessen zwischen den kalten Steinen, und auch der alte Koenig war nicht mehr froh gewesen seit jenem Tage, als der polnische Prinz sie in die grosse Schande gebracht hatte, sondern sein Kopf war schneeweiss geworden vor Gram wie der Kopf einer Taube; aber vor den Leuten gebaerdete er sich stolz und aufgerichtet und tat, als wenn seine Tochter tot und lange begraben waere. Sie aber sass von der Welt ungewusst in ihrem Elende und troestete sich allein Gottes und dachte, dass er ihre Unschuld wohl einmal an den Tag bringen wuerde. Weil sie aber in ihren einsamen Trauerstunden Zeit genug hatte, hin und her zu denken, so fiel ihr die Sache ein von dem Koenigsschatze unter dem Garzer Walle, die sie in ihrer Kindheit oft gehoert hatte, und sie gedachte damit ihre Unschuld, und dass der polnische Prinz sie unter einem falschen Schein schaendlich belogen hatte, sonnenklar zu beweisen. Und als darauf ihr Waechter kam und ihr die Speise durch das Loch reichte, sprach sie zu ihm: „Lieber Waechter, gehe zu dem Koenige, meinem und deinem Herrn, und sage ihm, dass seine arme einzige Tochter ihn nur noch ein einziges Mal zu sehen und zu sprechen wuenscht in ihrem Leben und dass er ihr diese letzte Gunst nicht versagen mag.“

Und der Waechter sagte ja und lief und dachte bei sich: „Wenn der alte Koenig ihre Bitte nur erhoert!“ Denn es jammerte ihn die arme Prinzessin unaussprechlich, und sie jammerte alle Menschen; denn sie war immer freundlich gewesen gegen jedermann, auch hatten die meisten von Anfang an geglaubt, dass sie faelschlich verklagt war und dass der polnische Prinz einen argen Luegenschein auf sie gebracht hatte; denn sie hatte sich immer aller Zucht und Jungfraeulichkeit beflissen vor jedermann.

Und als ihr Waechter vor den Koenig trat und ihm die Bitte der Prinzessin anbrachte, da war der alte Herr sehr zornig und schalt ihn und drohete ihm, ihn selbst in den Turm zu werfen, wenn er den Namen der Prinzessin vor ihm je wieder ueber seine Lippen laufen lasse. Und der erschrockene Waechter ging weg. Der Koenig aber legte sich hin und schlief ein. Da soll er einen wunderbaren Traum gehabt haben, den kein Mensch zu deuten verstanden hat, und er ist frueh erwacht und sehr unruhig gewesen und hat viel an seine Tochter denken muessen, bis er zuletzt befohlen hat, dass man sie aus dem Turm heraufbraechte und vor ihn fuehrte.

Als Svanvithe nun vor den Koenig trat, war sie bleich und mager, auch waren ihre Kleider und Schuhe schon abgerissen, und sie stand fast nackt und barfuss da und sah einer Bettlertochter aehnlicher als einer Koenigstochter. Und der alte Koenig ist bei ihrem Anblick blass geworden vor Jammer wie der Kalk an der Wand, aber sonst hat er sich nichts merken lassen. Und Svanvithe hat sich vor ihm verneigt und also zu ihm gesprochen:

„Mein Koenig und Herr! Ich erscheine nur als eine arme Suenderin vor dir, als eine, die an der goettlichen Gnade und an dem Lichte des Himmels kein Recht mehr haben soll. Also hast du mich von deinem Angesicht verstossen und von allem Lebendigen weggesperrt. Ich beteure aber vor dir und vor Gott, dass ich unschuldig leide und dass der polnische Prinz aus eitel Tuecke und Arglist all den schlimmen Schein auf mich gebracht hat. Und nun hat Gott, der sich mein erbarmen will, mir einen Gedanken ins Herz gegeben, wodurch ich meine unbefleckte Jungfrauschaft beweisen und dich und mich und dein ganzes Reich zu Reichtum und Ehren bringen kann. Du weisst, es geht die Sage, unter dem alten Schlosswalle zu Garz, wo unsere heidnischen Ahnen weiland gewohnt haben, liege ein reicher Schatz vergraben. Diese Sage, die mir in meiner Kindheit oft erzaehlt ist, meldet ferner, dieser Schatz koenne nur von einer Prinzessin gehoben werden, die von jenen alten Koenigen herstamme und noch eine reine Jungfrau sei: wenn naemlich diese den Mut habe, in der Johannisnacht zwischen zwoelf und ein Uhr nackt und einsam diesen Wall zu ersteigen und darauf rueckwaerts so lange hin und her zu treten, bis es ihr gelinge, die Stelle zu treffen, wo die Tore und Treppen verschuettet sind, die zu der Schatzkammer hinabfuehren. Sobald sie diese mit ihren Fuessen beruehre, werde es sich unter ihr oeffnen, und sie werde sanft heruntersinken mitten in das Gold und koenne sich von den Herrlichkeiten dann auslesen, was sie wolle, und bei Sonnenaufgang wieder herausgehen. Was sie aber nicht tragen koenne, werde der alte Geist, der den Schatz bewacht, nebst seinen Gehilfen nachtragen. Hierauf habe ich nun meine Hoffnung eines neuen Glueckes gestellt, ob es mir etwa aufbluehen wolle; lass mich denn, Herr Koenig, mit Gott diese Probe machen. Ich bin ja doch einer Toten gleich, und ob ich hier begraben bin oder dort begraben werde, kann dir einerlei sein.“

Sie hatte die Gebaerde, als wolle sie noch mehr sagen; aber bei diesen Worten stockte sie und konnte nicht mehr, sondern schluchzete und weinte bitterlich. Der Koenig aber winkte dem Waechter leise zu, der sie hereingefuehrt hatte, und alsbald kamen Frauen und Dienerinnen herbei und trugen sie hinaus von dem Koenige weg in ein Seitengemach. Und nicht lange, so ward der Waechter wieder zu dem Koenige gerufen, und er brachte ihr Speise und Trank, dass sie sich staerkte und erquickte, und zugleich die Botschaft, dass der Koenig ihr die gebetene mitternaechtliche Fahrt erlaube. Bald trugen Dienerinnen ihr ein Bad herein nebst zierlichen Kleidern, dass sie sich bedecken konnte, denn sie war fast nackend. Und sie lebte nun wieder in Freuden, obgleich sie ganz einsam sass und gegen niemand den Mund auftat--auch den Dienern und Dienerinnen war das Sprechen zu ihr verboten, sie wussten auch nicht, wer sie war, noch wie sie in das Schloss gekommen, denn von denen, die sie kannten, ward niemand zu ihr gelassen denn allein der Waechter, der ihr immer die Speise gebracht hatte im Turme. Und ihre Schoene fing wieder an aufzubluehen, wie blass und elend sie auch aus dem Turm gekommen war; und alle, die sie sahen, entsetzten sich ueber ihre Huld und Lieblichkeit, und sie deuchte ihnen fast einem Engel gleich, der vom Himmel in das Schloss gekommen sei.

Und als vierzig Tage vergangen waren und der Tag vor Johannis da war, da ging sie zu dem Koenige, ihrem Vater, ins Gemach und sagte ihm Lebewohl. Und der alte Herr neigte noch einmal wieder seinen weissen Kopf ueber sie und weinte sehr, und sie sank vor ihm hin und umfasste seine Knie und weinte noch mehr. Und darauf ging sie hinaus und verkleidete sich so, dass niemand sie fuer eine Prinzessin gehalten haette, und trat ihre Reise an. Die Reise war aber nicht weit von Bergen nach Garz, und sie ging in der Tracht eines Reiterbuben einher. Und in der Nacht, als es vom Garzer Kirchturm zwoelf geschlagen hatte, betrat sie einsam den Wall, tat ihre Kleider von sich, also dass sie da stand, wie Gott sie erschaffen hatte, und nahm eine Johannisrute in die Hand, womit sie hinter sich schlug. Und so tappte sie stumm und ruecklings fort, wie es geschehen musste. Und nicht lange war sie geschritten, so tat sich die Erde unter ihren Fuessen auf, und sie fiel sanft hinunter, und es war ihr, als wuerde sie in einem Traum hinabgewiegt; und sie fiel hinab in ein gar grosses und schoenes und von tausend Lichtern und Lampen erleuchtetes Gemach, dessen Waende von Marmor und diamantenen Spiegeln blitzten und dessen Boden ganz mit Gold und Silber und Edelsteinen beschuettet war, dass man kaum darauf gehen konnte. Sie aber sank so weich auf einen Goldhaufen herab, dass es ihr gar nicht weh tat. Und sie besah sich alle die blitzende Herrlichkeit in dem weiten Saale, wo die Schaetze und Kostbarkeiten ihrer Ahnherren von vielen Jahrhunderten gesammelt und aufgehaengt waren; und da sah sie in der hintersten Ecke in einem goldenen Lehnstuhl das kleine graue Maennchen sitzen, das ihr freundlich zunickte, als wolle es mit der Urenkelin sprechen. Sie aber sprach kein Wort zu ihm, sondern winkte ihm nur leise mit der Hand. Und auf ihren Wink hob der Geist sich hinweg und verschwand, und statt seiner kam eine lange Schar praechtig gekleideter Diener und Dienerinnen, welche sich in stummer Ehrfurcht hinter sie stellten, als erwarteten sie, was die Herrin befehlen wuerde. Svanvithe aber saeumte nicht lange, bedenkend, wie kurz die Mittsommersnacht ist, und sie nahm die Fuelle der Edelsteine und Diamanten und winkte den Dienern und Dienerinnen hinter ihr, dass sie ebenso taeten; auch diese fuellten Haende und Taschen und Zipfel und Geren der Kleider mit Gold und edlen Steinen und kostbaren Geschirren. Und noch ein Wink, und die lange Reihe wandelte, und die Prinzessin schritt voran der Treppe zu, als wenn sie herausgehen wollte; jene aber folgten ihr. Und schon hatte sie viele Stufen vollendet und sah schon das daemmernde Morgenlicht und hoerte schon den Lerchengesang und den Hahnenkrei, die den Tag verkuendeten--da ward es ihr bange, ob die Diener und Dienerinnen ihr auch nachtraeten mit den Schaetzen. Und sie sah sich um, und was erblickte sie? Sie sah den kleinen grauen Mann sich ploetzlich in einen grossen schwarzen Hund verwandeln, der mit, feurigem Rachen und funkelnden Augen gegen sie hinaufsprang. Und sie entsetzte sich sehr und rief: „Oh Herr je!“ Und als sie das Wort ausgeschrien hatte, da schlug die Tuer ueber ihr mit lautem Knalle zu, und die Treppe versank, und die Diener und Dienerinnen verschwanden, und alle Lichter des Saales erloschen, und sie war wieder unten am Boden und konnte nicht heraus. Der alte Koenig aber, da sie nicht wiederkam, graemte sich sehr; denn er dachte, sie sei entweder umgekommen bei dem Hinabsteigen zu dem Schatze durch die Tuecke der boesen Geister, die unter der Erde ihre Gewalt haben, oder sie habe sich der Sache ueberhaupt nicht unterstanden und laufe nun wie eine arme, verlassene Streunerin durch die Welt. Und er lebte nur noch wenige Wochen nach ihrem Verschwinden; dann starb er und ward begraben.

Der Prinzessin Svanvithe war dieses Unglueck aber geschehen, weil sie sich umgesehen hatte, als sie weggehen wollte, und weil sie gesprochen hatte. Denn ueber die Unterirdischen hat man keine Gewalt, wenn man sich umsieht oder spricht, sondern es geraet dann fast immer ungluecklich, wovon man viele Beispiele und Geschichten weiss.

Und es waren viele Jahre vergangen, vielleicht hundert Jahre und mehr, und alle die Menschen waren gestorben und begraben, welche zu der Zeit des alten Koenigs und der schoenen Svanvithe gelebt hatten, und schon ward hie und da von ihnen erzaehlt wie von einem alten, alten, laengst verschollenen Maerchen; da hoerte man hin und wieder, die Prinzessin lebe noch und sitze unter dem Garzer Wall in der Schatzkammer und muesse nun mit dem alten, grauen Urgrossvater die Schaetze hueten helfen. Und kein Mensch weiss zu sagen, wie dies hier oben bekannt geworden ist. Vielleicht hat der kleine graue Mann, der zuzeiten rundgeht, es einem verraten, oder es hat es auch einer der hellsichtigen Menschen gesehen, die an hohen Festtagen in besonderen Stunden geboren sind und die das Gras und das Gold in der Erde wachsen sehen und mit ihren Augen durch die dicksten Berge und Mauern dringen koennen. Und es war viel erschollen von der Geschichte und von dem wundersamen Versinken der Prinzessin unter die Erde, und dass sie in der dunkeln Kammer sitze und noch lebe und einmal erloest werden solle. Sie kann aber, sagen sie, erloest werden, wenn einer es wagt, auf dieselbe Weise, wie sie einst in der Johannisnacht getan hat, in die verbotene Schatzkammer hinabzufallen. Dieser muss sich dann dreimal vor ihr verneigen, ihr einen Kuss geben, sie an die Hand fassen und sie still herausfuehren; denn kein Wort darf er beileibe nicht sprechen. Wer sie herausbringt, der wird mit ihr in Herrlichkeit und in Freuden leben und so viele Schaetze haben, dass er sich ein Koenigreich kaufen kann. Darin wird er dann fuenfzig Jahre als Koenig auf dem Throne sitzen und sie als seine Koenigin neben ihm, und werden gar liebliche Kinder zeugen; der kleine graue Spuk wird dann aber auf immer verschwinden, wann sie ihm die Schaetze weggehoben haben. Nun hat es wohl so kuehne und verwegene Prinzen und schoene Knaben gegeben, die mit der Johannisrute in der Hand zu ihr hinabgekommen sind; aber sie haben es immer in etwas versehen, und die Prinzessin ist noch nicht erloest. Ja, wenn das ein so leichtes Ding waere, wieviele wuerden Lust haben, eine so schoene Prinzessin zu freien und Koenige zu werden! Die Leute erzaehlen aber, der greuliche schwarze Hund ist an allem schuld; keiner hat es mit ihm aushalten koennen, sondern wenn sie ihn sehen, so muessen sie aufschreien, und dann schlaegt die Tuere zu, und die Treppe versinkt, und alles ist wieder vorbei.

So sitzt denn die arme Svanvithe da in aller ihrer Unschuld und muss da unten frieren und das kalte Gold hueten, und Gott weiss, wann sie erloest werden wird. Sie sitzt da ueber Goldhaufen gebeugt; ihr langes Haar haengt ihr ueber die Schultern herab, und sie weint unaufhoerlich. Schon sitzen sechs junge Gesellen um sie herum, die auch mithueten muessen. Das sind die, denen die Erloesung nicht gelungen ist. Wem es aber gelingt, der heiratet die Prinzessin und bekommt den ganzen Schatz und befreit zugleich die andern armen Gefangenen. Sie sagen, der letzte ist vor zwanzig Jahren darin versunken, ein Schuhmachergesell, der Jochim Fritz hiess. Das war ein junges, schoenes Blut und ging immer viel auf dem Wall spazieren. Der ist mit einem Male verschwunden, und keiner hat gewusst, wo er gestoben und geflogen war, und seine Eltern und Freunde haben ihn in der ganzen Welt suchen lassen, aber nicht gefunden! Er mag nun auch wohl dasitzen bei den andern.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Märchen und Sagen