Juedische Ärzte und ihr Einfluss auf das Judentum.

Autor: Scherbel, Simon Dr., Erscheinungsjahr: 1905
Themenbereiche
Inhaltsverzeichnis
  1. Erstes Kapitel - Samuel. Binjamin. Gamaliel Batraah. Zedekias. Israeli. Dunasch ben Tamini. Sahbatai Donnolo.
  2. Zweites Kapitel - II.Chasdai. Ibn-G’annach. Jizchaki. Ibn-Schalbib. Ibn-Almuallem. Ibn-Kamnial.
  3. Drittes Kapitel - Jehuda Halevi. Ibn-Alamaui. Samuel ben Chananja. Ibn-Daud Halevi. Scheschet Benveniste. Ibn-Tibbon. Samuel Ibn-Tibbon. Ibn-Algami. Nathanael.
  4. Viertes Kapitel - Mose ben Maimuni (Maimonides).
  5. Fünftes Kapitel - Abulmeni Abraham. Isaak Benveniste. Isaak Halevi. Nachmani. Ibn-Alkonstantini. Ibn-Alfachar. Ben Sabara. Mose Tibbon. Tortosi. Farag. Isaak ben Mardochai. Hillel. Schaltiel-Chen.
  6. Sechstes Kapitel - Saad-Addaula. Todros Abulafia. Jakob Tibbon. Salomo de Lünel. Salomo ben Jakob. Nathanael Ibn-Amali.
  7. Siebtes Kapitel - Immanuel Romi. Aaron ben Joseph. Ibn-Wakar. Gersonides. Nissim Gerundi. Josua Allorqui. Profiat Duran. Meir-Alguadez. Astrüc-Cohen. Simon Duran.
  8. Achtes Kapitel - Vidal. Jakob von Strassburg. Reuben. Sara. Da Rieti. Ibn-Musa. Joseph Albo. Hekim. Hamou. Bibago.
  9. Neuntes Kapitel - Portaleone. Messer Leon. Elia. Isaak Hamon. Ibn-Jachja. Leon Medigo Abrabanel. Joseph Vecinho. Ibn-Schoschan. Joseph und Mose Hamon.
  10. Zehntes Kapitel - De Lates. Zarfati. De Balmes. De Blanis. De Sforno. Mantin. Chalfon. Loan. Joseph Kohen. Amatus Lusitanus. Salomo Aschkenasi.
  11. Elftes Kapitel - De Pomis. Montalto. Zacuto Lusitano. Bendito de Castro. Musaphia. De Silva. Delmedigo. Orobio de Castro. De Rocamora. Cardoso. Nieto.
  12. Zwölftes Kapitel - Marcus Herz. Levisohn. De Lemon. Graziadio Nepi. Ascher. Steinheim. Volta. Erter.
Vorwort.

Es ist eine merkwürdige Erscheinung, wie wir sie bei keinem andern Volke in den Büchern der Weltgeschichte verzeichnet finden, dass Männer aus einer bestimmten Klasse der Bevölkerung einen so hervorragenden und oftmals entscheidenden Einfluss auf die Geschicke ihrer Nation ausgeübt haben, wie es beim israelitischen Volke der Fall war, und wie es sich ausprägt in der bedeutungsvollen Stellung, welche jüdische Jünger der Heilkunde zu verschiedenen Zeitpunkten inmitten ihrer Glaubensgenossen eingenommen haben. Wodurch dies begründet war, wodurch gerade die Ärzte im Volke der Juden so oft berufen wurden, zumal an den Wendepunkten seiner Geschichte, eine das Allgemeinwohl fördernde Tätigkeit zu entfalten, die dies Volk immer weiter hinaufführte auf die Höhe der Aufgabe, welche es als Träger einer heiligen und erhabenen Mission zu erfüllen hatte, es ist ein Rätsel, wie es deren ja so viele gibt in dem wunderbaren Werdegange, den das Judentum im Laufe der Jahrtausende genommen hat.

Viel hat sicherlich der Umstand dazu beigetragen, dass die Gesetzeskundigen im jüdischen Volke, die ja stets unter ihren Glaubensgenossen eine maßgebende Stellung einnahmen, vielfach die Heilkunde als Brotstudium getrieben haben, weil sie für die Auslegung der Gesetze und den Unterricht darin lange Zeit hindurch nicht besoldet wurden. Dabei sind sie wohl immer mehr zu der Einsicht gelangt, wie sehr sie als Ärzte den Schlüssel in Händen hatten für die Herzen derjenigen, welche die Geschicke der Juden beeinflussten, und wie sie dadurch nicht nur zu ihrem eigenen Vorteil, sondern vor allem zu Gunsten ihrer Stammesbrüder wirken konnten.

Freilich, wenn auch die Heilkunde schon seit uralten Zeiten unter den Juden gepflegt wurde, so deutet doch nichts darauf hin, dass der Stand der Heilkünstler in der Jugendzeit des israelitischen Staatslebens irgend welche Vorrechte unter den übrigen genossen hat. Bekanntlich war die ärztliche Wissenschaft in den Kreisen der Leviten heimisch, vielleicht, weil der Opferdienst, den sie zu verrichten hatten, sie mit dem Bau des tierischen Organismus bekannt machte und ihnen analoge Schlüsse nahe legte auf den Menschen und seine innere Körperbeschaffenheit. Allein, das Ansehen der Leviten unter den übrigen Stämmen war nicht sehr groß, da sie größtenteils arm und ohne Landbesitz waren und ihre Einkünfte lediglich in dem Zehnten und den sonstigen Beiträgen für den Kultus bestanden, welche die übrigen Stämme zu leisten hatten.

Dazu kam, dass der Aberglaube, der durch Jahrhunderte die Gemüter der Juden in den alten Zeiten beherrschte, viele Krankheiten auf die Einwirkung schädlicher Dämonen und sonstiger zauberischer Einflüsse zurückführte, so dass man, anstatt zur Beseitigung von hartnäckigen Lähmungen, von Aussatz, von anhaltenden Blutungen usw. den Rat des Arztes zu suchen, sich lieber an die Dämonenbeschwörer wandte, deren es besonders unter den Essäern viele gab, damit sie nach den Vorschriften des Salomonischen Geheimbuches (Sefer Refuôt) die bösen Geister austreiben und dadurch das Übel beseitigen sollten. Natürlich wurde dadurch die Achtung vor dem ärztlichen Stande bei der Menge nicht gerade gehoben.

Sodann gab es damals unter den frommen Israeliten viele, welche die Heilkunst verschmähten und als ein sündiges Tun betrachteten, weil die körperlichen Leiden nur durch Gebet zu Gott abgewendet werden sollten. Jesua Sirach war es unter anderen, der demgegenüber, freilich mit wenig Erfolg, betonte, dass die Ärzte und ihre Mittel notwendig und dass auch sie von Gott zu diesem Zwecke geschaffen seien.*)

Allmählich jedoch hat, wie gesagt, die Heilkunde mit fortschreitender Erkenntnis auch bei den Gesetzeslehrern Pflege gefunden, und diese, welche die Geister ihres Volkes beherrschten, haben denn auch die ärztliche Wissenschaft im Laufe der Zeiten auf eine höhere Stufe der Anerkennung und der Wirksamkeit gebracht.

So war Rabbi Chanina ben Chama**) aus Sepphoris (um 18o — 260) zugleich Amoräer (Erklärer der Mischnah) und Kenner der Arzneikunde.


*) Sirach 38,1 flgd.

**) Ich bin in diesen, sowie in den meisten der folgenden Angaben hauptsächlich den vorzüglichen Geschichtswerken von Grätz, sodann auch von Zunz, Jost, Hirsch u. a. gefolgt.