Zehntes Kapitel - De Lates. Zarfati. De Balmes. De Blanis. De Sforno. Mantin. Chalfon. Loan. Joseph Kohen. Amatus Lusitanus. Salomo Aschkenasi.

Auch zu Ende des 15. und anfangs des 16. Jahrhunderts wählten in Italien Päpste und Kardinäle vorzugsweise jüdische Leibärzte, Es scheint, dass bei dem geheimen Kriege, dem Ränkeschmieden und der Giftmischerei, welche seit Alexander VI. in der Curie im Schwunge waren, wo einer in dem andern einen geheimen Feind argwöhnte, jüdische Ärzte deswegen beliebter waren, weil von ihnen nicht zu befürchten war, dass sie statt des Heilmittels einen Giftbecher reichen würden. Alexander VI. hatte einen jüdischen Arzt um sich, Bonet de Lates, aus der Provence eingewandert, der auch Sternkunde verstand und später Leibarzt des Papstes Leo X. wurde, auf dessen Entschlüsse er Einfluss hatte. Julius II. hatte Simeon Zarfati zum Leibarzt, der auch sonst bei ihm in höhen Ehren stand. Abraham de Balmes aus Lecce war Leibarzt eines Kardinals, besaß philosophische Kenntnisse und hat ein Werk über die hebräische Sprache verfasst. Außerdem hatten die Ärzte Juda de Blanis und Obadja de Sforno damals in Italien einen großen Ruf. Der letztere trieb auch biblische und philosophische Studien, wurde aber auf diesem Gebiete noch überragt durch Jakob Mantin, der sehr sprachkundig war und medizinische und metaphysische Schriften aus dem Hebräischen oder Arabischen ins Lateinische übersetzt hat. Er stand als Leibarzt in hohem Ansehen bei dem Papste Paul III. und bei dem Gesandten des Kaisers Carl V., Diego Mendoso in Venedig. Mantin war es, der den messianischen Schwärmer Salomo Molcho in Rom aufs gehässigste verfolgt hat und auch mit dem talmudkundigen Arzte Elia Menahem Chalfon in Venedig eine erbitterte Fehde hatte.

Selbst der Kaiser Friedrich III. hatte — eine Seltenheit in Deutschland — einen jüdischen Leibarzt, den gelehrten Jakob Loan, dem er viel Gunst zugewendet und den er zum Ritter ernannt hat. Auf seinem Totenbette soll Friedrich seinem Sohne die Juden warm empfohlen haben, sie zu beschützen und den verleumderischen Anklagen gegen sie kein Ohr zu leihen, zu welcher Empfehlung wohl die Liebe zu seinem Leibarzte viel beigetragen hat, der ihn bis zur Sterbestunde gepflegt hat. Wie es scheint, hat Loan auch bei dem Kaiser Maximilian in hoher Gunst gestanden. Loan ist späterhin Reuchlin’s erster Lehrer in der hebräischen Sprache und Literatur geworden; der zweite war der Arzt Obadja de Sforno aus Rom, der schon vorher genannt wurde.


Als dann der getaufte Jude Pfefferkorn seine giftigen Anklagen gegen die Juden erhob (um 1509), haben jüdische Ärzte ihren Einfluss bei ihren fürstlichen Gönnern geltend gemacht, um Pfefferkorn’s Anschuldigungen als erlogen darzustellen und unwirksam zu machen. Dafür schwärzte sie Pfefferkorn in seiner Schrift „Der Judenfeind“ an, dass sie nur Quacksalber wären und das Leben ihrer christlichen Patienten gefährdeten. Reuchlin hat bekanntlich die Partei der Juden und des gefährdeten Talmuds gegen Pfefferkorn und die Kölner Dominikaner ergriffen, an deren Spitze der Ketzermeister Hochstraten stand. Und als diese judenfeindlichen Verbündeten das Verbrennungsurteil über seine Schrift „Der Augenspiegel“ aussprachen, da wandte sich Reuchlin an den schon erwähnten jüdischen Leibarzt des Papstes Leo X., an Bonet de Lates, mit einem hebräischen Briefe, den Papst günstig für seine Sache zu stimmen. Es lässt sich denken, dass Bonet de Lates seinen Einfluss beim Papste zu Gunsten Reuchlin’s geltend gemacht hat, und seinem Eifer ist es wahrscheinlich zuzuschreiben, dass Leo ein Breve an die Bischöfe von Speier und Worms erlies, in der Streitfrage zwischen Reuchlin und Hochstraten das Urteil zu fällen. Aus dem Prozesse, der zu Speier geführt wurde, ist denn Reuchlin als Sieger hervorgegangen, und damit war auch der Talmud vor dem Scheiterhaufen gerettet.

Alle jene Wechselfälle im Leben des jüdischen Volkes, sein ununterbrochenes Martyrium, sein trotzdem und alledem ungebeugter Mut und stets wiederkehrendes Vertrauen auf die weise Führung einer höheren Hand brachten in jener Zeit einigen scharfbeobachtenden Juden die Überzeugung bei, dass nicht der Zufall in der Geschichte walte, sondern die Vorsehung durch Blut und Tränenströme ihren Ratschluss zu Ende führe. Daher betrachteten sie die Geschichtserzählung als Trösterin derjenigen, die bei dem wilden Ansturm der einander jagenden Begebenheiten zu Boden geworfen und zertreten wurden; und welcher Volksstamm bedurfte wohl mehr des Trostes, als der jüdische, der zu Leiden geboren schien und sein Brot stets mit Tränen aß? Unter den geistesgeweckten Juden, die damals die Aufgabe ins Auge fassten, sich in der Geschichte umzusehen und der jüdischen Welt ihre ehernen Tafeln vorzuhalten, war einer der Bedeutendsten der Arzt Joseph Kohen aus Avignon (1496— 1575). Er scheint Leibarzt im Hause des Dogen Andreas Doria zu Genua gewesen zu sein. Für seine Glaubensgenossen schlug sein Herz warm, und er hat es nicht an Eifer fehlen lassen, das Los der Unglücklichen unter ihnen zu erleichtern. Nach seiner Ausweisung aus Genua ließ er sich in Voltaggio nieder und vollendete dort sein Geschichtsvverk: „Jahrbücher der Könige von Frankreich und des otmanischen Hauses“, worin er den weltgeschichtlichen Verlauf als einen Kampf zwischen Asien und Europa, zwischen dem Halbmonde und dem Kreuze darstellte. Der hebräische Geschichts-Stil belebt seine Darstellung ungemein, die zwar von wenig Gestaltungskunst, aber von Wahrheitsliebe und Genauigkeit zeugt. Die biblische Gewandung und die dramatischen Wendungen geben ihr einen eigenen Reiz und heben das Werk über den Stand einer trocknen Chronik hinaus. Seine Hauptaufgabe aber ist, die gerechte Waltung Gottes in den geschichtlichen Begebenheiten, die Belohnung des Guten und die Vergeltung für das Böse nachzuweisen.

Joseph Kohen hat noch die neuen Verfolgungen erlebt, welche in Italien unter dem fanatischen Papste Paul IV. (Caraffa) über die Juden hereinbrachen. Während noch Papst Julius III. zwei jüdische Leibärzte hatte. Vital Alatino aus Spoleto, und den Marranen Amatus Lusitanus, verbot eine Bulle Paul’s IV. vom Jahre 1555 den jüdischen Ärzten, Christen ärztliche Hilfe zu leisten. Schwere Strafe war für die Übertretung dieses Verbotes verhängt. So musste Amatus Lusitanus, der nicht nur ein berühmter, gewissenhafter, geistvoller Arzt, sondern auch ein Wohltäter der Menschheit, die Zierde seiner Zeit war, wie ein Verbrecher nach Pesaro fliehen und später nach Saloniki in der Türkei wandern.

Hier im türkischen Reiche gelangte der frühere Leibarzt des Königs von Polen Sigismund August, Salomo Aschkenasi, am Hofe des Sultans Selim zu hohem Ansehen, indem er seinen Glaubensgenossen, den Staatsmann Joseph Nassi, Herzog von Naxos, allmählich verdrängte. Er verstand Talmud und wurde Rabbi genannt, besaß aber vor allem hervorragende diplomatische Fähigkeiten und wurde deshalb vom Großvezier Mohammed Sokolli, dem Feinde Josephs von Naxos, begünstigt. Als Sigismund August von Polen starb und die Frage über die Königswahl ganz Europa in Aufregung setzte, da wusste es Aschkenasi durch seinen Einfluss auf den Großvezier durchzusetzen, dass Heinrich von Anjou als Heinrich III. zum König von Polen erwählt wurde. Salomo Aschkenasi wurde auch von der Pforte, welche im Kriege mit Venedig lag, abgeordnet, um einen Frieden abzuschließen, und dies ist ihm auch gelungen. Dabei ist er für seine Glaubensgenossen in Venedig als rettender Engel aufgetreten. Das schon fertige Ausweisungsdekret gegen die Juden wurde widerrufen (1573), und Salorao erlangte von der Republik auch das Versprechen, dass die Juden nie mehr mit Ausweisung bedroht werden sollten.

Infolge des Einflusses des Joseph von Naxos auf den Sultan Selim und des Salomo Aschkenasi auf den ersten Minister Mohammed Sokolli war die Stellung der Juden in der Türkei eine außerordentlich günstige. Dadurch wurde eine gehobene Stimmung unter ihnen erzeugt und ihr Geist wieder zum Schaffen angeregt. So gab der Arzt Samuel Schulam, ein Spanier von Geburt, von der bei der Sultanin in Ansehen stehenden jüdischen Frau Esther Kiera unterstützt, Zacuto’s Chronik heraus und fügte zur Ergänzung die arabische Chronik des Abulfarag Barhebraeus hinzu, zu der er selbständig die türkische Geschichte nachgetragen hat. Von großem Werte waren besonders zwei Urkunden, die er der Zacuto’schen Chronik hinzugefügt hat: Scherira’s geschichtliches Sendschreiben und die wichtigen Nachrichten des Nathan Babli über die gaonäische Zeit.

Als der Nachfolger Selims, der Sultan Murad, in Anwandlung einer Laune den Befehl erließ, sämtliche Juden im türkischen Reiche zu töten, weil sie und namentlich ihre Frauen übertriebenen Aufwand machten, wurde das Vertilgungsdekret durch Vermittlung von Salomon Aschkenasi zurückgenommen und in eine Luxusbeschränkung verwandelt. Salomon blieb Ratgeber und diplomatischer Agent bei sämtlichen Großvezieren, die Murad eingesetzt hat; sogar unter dem folgenden Sultan Mohammed IV. hatte er noch bedeutenden Einfluss. Ein anderer Arzt Benveniste stand bei Siavus Pascha in ‘Gunst, welcher dreimal Großvezier war.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Juedische Ärzte und ihr Einfluss auf das Judentum.