Zweites Kapitel - II.Chasdai. Ibn-G’annach. Jizchaki. Ibn-Schalbib. Ibn-Almuallem. Ibn-Kamnial.

Als das Gaonat zu Sura und Pumbadita in Babylonien, zu Anfang des zehnten Jahrhunderts zu erlöschen und damit die Pflegestätte des religiösen Wissens im Judentum zu veröden drohte, da war es ein Arzt, Chasdai ben Isaak Ibn-Schaprut, aus der edlen Familie Ibn-Esra, welcher das religiös -wissenschaftliche Leben in Andalusien zur neuen Blüte brachte und dadurch wieder einen einigenden Mittelpunkt für das Judentum schuf. Er war es, der den geistigen Bestrebungen seiner Glaubensbrüder in Spanien einen festen Halt gegeben und die lange Reihe jener hochgesinnten und hochgestellten Persönlichkeiten (zum großen Teile auch wieder Ärzte) eröffnet hat, welche die Beschützung und Förderung des Judentums zu ihrer Lebensaufgabe gemacht haben. Chasdai war eine völlig moderne Gestalt; sein Charakter und seine Haltung wichen ganz ab von dem Typus der vorangegangenen geschichtlichen Träger des Judentums. Sein leichtes, geschmeidiges, anmutiges Wesen Hess weder die Schwerfälligkeit des Orientalen, noch den düstern Ernst des Juden erkennen; seine Handlungen und Äußerungen lassen ihn vielmehr als Europäer erscheinen, und mit ihm erhält die jüdische Geschichte ein — wenn man so sagen darf — europäisches Gepräge.

Außer der Arzneiwissenschaft pflegte er auch die Sprachkunde. Wegen seiner hervorragenden diplomatischen Befähigung ernannte ihn der Chalif Abdul Rahman III zu seinem Dolmetscher und diplomatischen Vertreter. Später wurde er sogar in einem gewissen Sinne Minister der auswärtigen Angelegenheiten. Er hatte die fremdländischen Gesandtschaften zu empfangen, ihre Geschenke und Diplome entgegenzunehmen und ihnen Gegengeschenke von Seiten des Chalifen einzuhändigen. Er war aber auch zugleich Handels- und Finanzminister, indem durch seine Hände die Landeseinnahmen für Produkte und Zölle in die Staatskasse flössen.


Chasdai hat zuerst unter den andalusischen Moslemin eine günstige Stimmung für seine Glaubensgenossen erweckt und sie durch seinen Zutritt zur Person des Chalifen vor Unbilden schützen können. Darum konnte ein jüdischer Sänger ihn mit den Worten preisen:

„Er nahm von seinem Volke das drückende Joch,
Weihte ihm seine Seele und nahm es ins Herz,
Zerbrach die Geissei, die es verwundete,
Und schreckte dessen herzlose Bedrücker von ihmzurück.

Der Unvergleichliche sandte ihn seinem Überreste Zum Tröste und zum Heile.“

Chasdai war in der Tat für die nahen und ferneren Gemeinden ein Tröster und Befreier. Seine hohe Stellung und seine Reichtümer machte er für seine Glaubensgenossen nutzbar. Über die jüdische Gemeinde der Hauptstadt Cordova hatte er eine Art richterlicher und politischer Oberhoheit inne, sei es, dass sie ihm sein Gönner, der Chalif, übertragen, oder dass sich die Gemeinde ihm freiwillig untergeordnet hat. Die babylonische Hochschule, der er reiche Spenden zufließen ließ, erteilte ihm den Titel: Oberhaupt des Lehrhauses (Resch Kallah). Die Gesandten der vielen Herren, welche des Chalifen Gunst oder Schutz suchten und auch für Chasdai Geschenke zu bringen pflegten, um sich seiner Fürsorge zu vergewissern, fragte er über den Stand der Juden unter ihnen und stimmte sie günstig für seine Glaubensbrüder. Er ist auch mit dem Könige der Chazaren, des. jüdischen Volkes an der Mündung der Wolga, in freundschaftliche Verbindungen getreten,

Mit großer Freigebigkeit unterstützte er die Talente, und ihm gebührt der Ruhm, die Blüte der andalusischjüdischen Kultur entfaltet zu haben. Er zog begabte Forscher und Dichter nach Cordova in seine Nähe, und diese belohnten ihn dadurch, dass sie ihn durch ihre Lieder und ihm gewidmete Schriftwerke verewigten:

„In Hispania weit und breit
Ward betrieben zu Chasdai’s Zeit
Die Pflege der Weisheit.
Und sein Lob ward besungen
Von beredten Zungen.“
(Charisi, Makame 18).

Von den Gelehrten und Dichtern dieser Zeit wurden besonders Menahem ben Saruk und Dunasch ben Labrah von Chasdai begünstigt und gefördert.

Bisher hatte die Dichtkunst nur einen synagogalen Charakter; sie war immer zerknirscht und büßermäßig und kannte kein frohes Lächeln. Selbst wenn sie sich zum Hymnus verstieg, legte sie den düstern Ernst nicht ab und war immer schleppend und holprig. Chasdai gab den Dichtern Gelegenheit, das Thema zu wechseln. Seine imposante Persönlichkeit, seine hohe Stellung, seine Taten und fürstliche Freigebigkeit wirkten begünstigend auf die Dichter, und indem sie ihn aus vollem Herzen mit Schwung und Feuer feierten und verherrlichten, hauchten sie der scheinbar abgestorbenen hebräischen Sprache Verjüngung ein und machten sie fortbildungsfähig und wohllautend.

Chasdai ermunterte Menahem ben Saruk, sich auf die Erforschung der heiligen Sprache zu verlegen und deren verschiedene Formen und Wortbedeutungen zu ermitteln. Menahem arbeitete infolgedessen ein vollständiges hebräisches Wörterbuch aus (Machberet um 955). Die Gesetzmäßigkeit und Feinheit der hebräischen Sprache aufzudecken, war der Zweck seines Werkes, und er hat durch dasselbe die hebräische Sprachforschung auf eine höhere Stufe erhoben.

Chasdai hat, wie erwähnt, auch dem Talmudstudium eine Heimat in Spanien gegründet. Rabbi Mose ben Chanoch, der nach Spanien gekommen war, um für die suranische Hochschule zu sammeln, wurde von Chasdai bewogen, in Cordova ein eigenes Lehrhaus zu eröffnen, und dieses hat allmählich die babylonische Talmudschule in den Schatten gestellt. Chasdai ließ auf seine Kosten Talmudexemplare in Sura aufkaufen, wo sie durch das Eingehen der Hochschule in Massen unbenutzt lagen, um sie an die Jünger zu verteilen, wie er auch wahrscheinlich für deren Lebensunterhalt sorgte. So wurde durch Chasdai’s Eifer und Fürsorge Spanien nach vielen Seiten hin der Mittelpunkt des Judentums.

Ungefähr hundert Jahre nach Chasdai, im ersten rabbinischen Zeitalter (1027 — 1070), stoßen wir m Spanien auf den Arzt und Grammatiker Ibn-G’anach, der zuerst in Cordova, später in Saragossa lebte. Er war der tiefste Kenner der hebräischen Sprache in alter Zeit und war nicht weniger eine Zierde der spanischen Judenheit als sein Zeitgenosse, der Wesir Ibn-Nagrela an dem Hofe des mohammedanischen Fürsten Habus von Granada, mit dem er manchen wissenschaftlichen Streit hatte.

Er schrieb einige Werke über Medizin, aber sein Augenmerk war besonders auf eine gründliche Bibelexegese gerichtet, und der grammatische Apparat war ihm nicht Hauptsache, sondern lediglich Mittel zum sinngemäßen Verständnis der heiligen Schrift. In seinem Alter arbeitete er sein vorzüglichstes Werk aus, worin er die Summe seiner Forschungen und den ganzen Reichtum seines Innern Lebens niederlegte. Er wurde damit nicht bloß der Schöpfer der hebräischen Syntax, sondern hat sie auch der Vollendung nahe gebracht. Aber noch bedeutender als seine grammatischen Gesichtspunkte sind die lichtvollen exegetischen Grundsätze, die er in diesem Werke auseinander setzte. Keiner vor ihm und nur sehr wenige nach ihm bis auf den heutigen Tag haben die Kunstwerke der heiligen Literatur in allen ihren Feinheiten so richtig verstanden und so trefflich zu beleuchten gewusst, wie Ibn-G’anach. Der verschrobenen Auslegungsweise, welche die heilige Schrift die Sprache der Kinder und Gedankenlosen reden lässt, setzte er eine einfache, tief in den Sinn eindringende Erklärungsweise entgegen, welche den Geist der heiligen Verfasser um so strahlender erscheinen lässt. Dieses sein Hauptwerk nannte er: „Kritik“ (Al-Tanchik).

Das erste rabbinische Zeitalter war so reich an originellen Geistern, dass es auch eine Persönlichkeit erzeugte, deren Richtung dahin ging, den festen Grund des Judentums zu erschüttern. Es war dies der Arzt und Philosoph Isaak Ibn-Kastar ben Jasus, bekannter unter dem Schriftstellernamen Jizchaki, Aus Toledo stammend war er Leibarzt des Fürsten von Denia, Mugahid, und seines Sohnes, Ali Ikbal-Addaula. Er verfasste eine hebräische Grammatik unter dem. Titel: „Zusammensetzungen“ und ein anderes Werk unter dem Namen: „Sefer Jizchaki,“ worin er eine überraschende Kühnheit in der Bibelauffassung zeigt. Er behauptete nämlich, dass das Stück des Pentateuchs (Genesis), welches von den Königen Idumaea’s handelt, nicht von Mose geschrieben, sondern erst viele Jahrhunderte später hinzugefügt sei, eine kritische Behauptung, welche im Mittelalter ganz vereinzelt dasteht und erst in jüngster Zeit wieder geltend gemacht wurde.

Auch christliche Könige hatten damals jüdische Leibärzte; so der König Hugo Capet von Frankreich und König Alfonso VI. von Castilien. Der des letzteren hieß Amram ben Isaak Ibn-Schalbib und war zugleich Diplomat am castilischen Hofe. Da Ibn-Schalbib die arabische Sprache gut verstand und Einsicht in die politischen Verhältnisse der damaligen Zeitlage hatte, so ernannte ihn der König zu seinem Geheimsekretär und vertraute ihm wichtige Geschäfte an. So verwandte er ihn auch zu diplomatischen Sendungen an die Höfe der mohammedanischen Fürsten in Spanien, bei welcher Gelegenheit jener sein Leben verloren hat. Al Mutamed nämlich, König von Sevilla, an den Ibn-Schalbib im Auftrage seines Königs Forderungen zu stellen hatte, die für den ersteren unausführbar waren, ließ den Gesandten, der unbeugsam auf seiner Forderung bestand, töten und an den Galgen nageln. Die einflussreiche Stellung, die Ibn-Schalbib am königlichen Hofe hatte, hat sicher viel beigetragen zu den günstigen Verhältnissen, unter denen die Juden im christlichen Spanien damals lebten.

Im dritten rabbinischen Zeitalter (1105 — 1171) treffen wir auf Salomon Ibn-Almuallem aus Sevilla, Leibarzt des Chalifen Ali. Er führte den Titel „Fürst“ und „Wesir“ und war ein hervorragender Dichter. Von seinen Dichtungen urteilt ein Kunstrichter, „dass sie die Lippen der Stummen beredt und das Auge der Blinden hellsehend machen.“

Eine hohe Stellung am Hofe Ali’s nahm auch der jüdische Arzt Ibn-Kamnial aus Saragossa ein, der ebenfalls den Titel „Wesir“ führte. Die größten Dichter der Zeit verherrlichten ihn wegen seines Gesinnungsadels, seiner Freigebigkeit und seiner Teilnahme an dem Schicksal seiner Glaubensgenossen in schwungvollen Versen.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Juedische Ärzte und ihr Einfluss auf das Judentum.