Siebtes Kapitel - Immanuel Romi. Aaron ben Joseph. Ibn-Wakar. Gersonides. Nissim Gerundi. Josua Allorqui. Profiat Duran. Meir-Alguadez. Astrüc-Cohen. Simon Duran.

Dem ärztlichen Stande hat wohl auch Immanuel Romi (1265 — 1330), in Rom wohnhaft, angehört. Er ist der „Heine des Mittelalters“: voll sprudelnden Witzes, übermütiger Laune und beißender Satire. Keiner der neuhebräischen Dichter und Denker vor Immanuel hat aus der heiligen Sprache der Propheten und Psalmisten soviel Funken sprühenden Witzes zu schlagen gewusst. Seine Lieder und Novellensammlung entbehrten jedoch auch der Frivolität nicht. Er war in Bibel und Talmud vollkommen eingeweiht, und philosophische Studien zogen ihn an und beschäftigten seinen Geist. Sogar über die Kabbala hat er eine Schrift verfasst.

Immanuel war mit dem größten Dichter des Mittelalters, mit Dante, bekannt und hat die italienische Kunstform zuerst auf die neuhebräische Poesie übertragen. Voll feiner Satire ist Immanuels Beschreibung der Hölle und des Paradieses, worin er seinem Freunde Dante nachahmte. Aber während der christlich-romantische Dichter Ernst und Erhabenheit in seiner poetischen Schöpfung zeigt, bedient sich sein jüdischer Freund Immanuel der höllischen und himmlischen Szenen lediglich zu dem Zwecke, um seine launige Phantasie auszusprudeln.


Nach Immanuel verstummte die hebräische Muse wieder auf lange Zeit, und es bedurfte einer neuen kräftigen Anregung, um sie aus ihrem tiefen Schlummer zu erwecken.

Unter den Karäern stand damals Aaron ben Joseph der Ältere, Arzt in Konstantinopel, in hohem Ansehen (1270 — 1300). Sein Hauptwerk ist der Pentateuch-Kommentar. Er war duldsam gegen die Rabbaniten und hat in der karäischen Gebetordnung (Siddur Tefila), die er vollständig abschloss, auch religiöse Hymnen von G’ebirol, Jehuda Halevi und andern rabbanitischen liturgischen Dichtern aufgenommen.

Um die Mitte des 14. Jahrhunderts erfreuten sich die Juden in Castilien einer günstigen Stellung; sie verdankten dieselbe vielleicht auch dem Einflüsse Samuel Ibn-Wakar’s, der Leibarzt beim Könige Alfonso XI. war. Allmählich aber verschlechterte sich auch hier ihre Lage, als der Arzt Abner-Alfonso von Valladolid in seinem sechszigsten Lebensjahre zum Christentume übertrat und nun nicht müde wurde, Angriffe gegen seine früheren Glaubensgenossen zu schleudern.

Die Träger einer gewissen Gedankenhöhe waren jedoch damals nicht diesseits, sondern jenseits der Pyrenäen zu suchen, in Südfrankreich, wo es eine Art Verein gab, welcher philosophischen Studien oblag und sie förderte. Einer der bedeutendsten unter den dortigen warmen Parteigängern für die metaphysische Klärung des Judentums war Leon de Bagnols, auch Gersonides genannt (1288 — 1345). Er war Arzt und in die verschiedenartigsten Fächer der Wissenschaften eingeweiht. Als gründlicher Talmudist genoss er bedeutendes Ansehen und, da er Ordnung liebte, verfasste er eine methodologische Schrift zur Mischnah. Er war überhaupt ein fruchtbarer Schriftsteller; keines seiner Werke hat indess soviel Aufsehen gemacht, als sein religions-philosophisches (Milchamot Adonai), worin er die kühnsten metaphysischen Gedanken mit einer Ruhe und Rücksichtslosigkeit auseinandersetzte, als kümmerte er sich gar nicht darum, dass er wegen dieses Abgehens von dem hergebrachten Vorstellungskreise verketzert und geächtet werden könnte. Er wollte die Wahrheit um ihrer selbst willen ans Licht ziehen, selbst wenn sie der Thora aufs stärkste widersprechen sollte. Stimme dann die gefundene Wahrheit mit den Aussprüchen der Bibel überein, so sei es um so erfreulicher. Gersonides hat in der Rücksichtslosigkeit des Denkens unter jüdischen Forschern nur an Spinoza seinesgleichen. Auch folgte er nicht sklavisch den für unfehlbar gehaltenen Autoritäten der Philosophie. Er stellte vielmehr seine selbständige Ansicht nicht bloß Maimuni und Averroes, sondern auch Aristoteles entgegen.

Jedenfalls hat er das Verdienst, nebelhafte Vorstellungen beleuchtet und zerstreut zu haben. Die allerverwickeltsten und subtilsten Themata wusste er mit überraschender Leichtigkeit auseinanderzusetzen und in ihre Elemente zu zerlegen. Dabei liebte er es, die Tatsachen der Natur und der menschlichen Erfahrung zu Rate zu ziehen. Leon de Bagnols hat kein vollständiges, abgerundetes System geschaffen, sondern lediglich die Fragen, welche die Denker der damaligen Zeit interessierten, schärfer und straffer gefasst, als seine Vorgänger.

In Castilien lebte zur Zeit König Pedros (1350 bis 1369), der einen jüdischen Leibarzt, Abraham Ibn-Zarzal, hatte, der Arzt Rabbi Nissim Gerundi zu Barcelona. Er hat Kommentarien zum Talmud und zu Alfassi verfasst. In der rabbinischen Literatur gilt Rabbi Nissim Gerundi als eine der letzten Autoritäten und wird noch zu den „ersten oder ältesten“ gezählt.

Als gegen Ende des 14. Jahrhunderts die großen Judenverfolgungen in Spanien hereingebrochen waren, Hessen sich, „der Not gehorchend, nicht dem eigenen Triebe“, auch viele Ärzte taufen. Jedoch manche dieser Neubekehrten traten als Ankläger auf gegen ihre früheren Glaubensgenossen; so Astüc Raimuch aus Fraga, der als Jude zu den Säulen der Rechtgläubigkeit gehört hatte und nun unter dem Namen Francisco Gottfleisch in gewandtem hebräischem Stil für die christlichen Glaubenslehren eintrat.

Sogar ein Rabbiner Salomo Levi aus Burgos ist damals unter dem Namen Paulus de Santa Maria zum Christentum übergetreten und hat mit Wort und Schrift das Judentum bekämpft. Er richtete ein Sendschreiben an seinen ehemaligen Bekannten, den Leibarzt des Königs Carl III. von Navarra, Großrabbiner der navarrensischen Gemeinden, Joseph Orabuena, desgleichen an einen andern Oberrabbiner und Leibarzt des castilianischen Königs Heinrich III., an Meir Alguadez, und suchte sie ebenfalls dem jüdischen Glauben abwendig zu machen. Allein seine Angriffe auf das Judentum blieben nicht unerwidert, und einer der bedeutendsten unter seinen, jüdischen Gegnern war der Arzt Josua Allorqui, ein früherer Schüler des Paulus de Santa Maria, der in seinem Sendschreiben an den letzteren die Gründe für den Abfall desselben untersuchte und dabei in schlagender Weise die Grundfesten des Christentums zu erschüttern verstanden hat.

Niemals jedoch, seitdem Juden und Christentum in Schriften und Disputationen mit einander rangen, ist eine so gespitzte Satire von jüdischer Seite losgelassen worden, als diejenige, welche der Arzt, Astronom, Geschichtsforscher und Grammatiker Profiat Duran (Efodi) veröffentlicht hat, der vom christlichen zum jüdischen Glaubensbekenntnis wieder zurückgekehrt war. Sein Sendschreiben ist so täuschend gehalten, das Christen es für eine Schutzschrift zu Gunsten des Christentums genommen haben, während es in Wirklichkeit voll Ironie ist gegen das Christentum, wie sie nicht feiner ausgedrückt werden kann. Profiat Duran hat auch ein anderes gegenchristliches Werk ausgearbeitet, aber nicht in satirischem Tone, sondern in der ruhigen Sprache geschichtlicher Auseinandersetzung, worin er, vertraut mit dem neuen Testament und der Kirchenliteratur, nachwies, wie sehr das Christentum im Laufe der Zeiten entartet sei.

Profiat Duran hat auch Maimuni’s philosophisches Werk kommentiert, hat in einem Geschichtswerke die Verfolgungen zusammengestellt, welche sein Stamm seit der Zerstreuung erlitten und hat eine hebräische Grammatik (Maasse Efod) verfasst, worin er sogar den Ansatz zur Lehre einer hebräischen Syntax machte.

Trotz der Bemühungen des Apostaten Paulus de Santa Maria, den König Heinrich III. von Castilien gegen die Juden einzunehmen, gelang ihm dies doch nicht, dank des Einflusses, den besonders seine beiden jüdischen Leibärzte, der schon erwähnte Meir Alguadez und Mose Zarzal, auf ihn ausübten. Meir Alguadez ist auch als Schriftsteller aufgetreten, indem er Aristoteles’ Sittenlehre (Ethik) ins Hebräische übertrug und den Juden zugänglich gemacht hat, welche sie mehr im Leben angewendet haben, als die Griechen, aus deren Schoss sie hervorging, und als die Christen, welche sich durch Glaubensformeln und Kirchenlehren über die Moral erhaben dünkten. Meir Alguadez ist später nach dem Tode Heinrich III., hauptsächlich infolge des Hasses, den Paulus de Santa Maria gegen ihn hegte, aufs grausamste hingerichtet worden.

Infolge der Verfolgungen in Spanien waren viele Juden nach den nordafrikanischen Berberstaaten hinübergewandert. Der angesehenste Rabbiner Isaak ben Scheschet Barfat, welcher ebenfalls der Verfolgung entgangen war und sich in Algier ansiedelte, wurde vom König von Tlemsan als Oberrabbiner und Richter über sämtliche Gemeinden anerkannt, und ein beliebter Arzt, Saul Astrüc Cohen, war ihm dazu besonders behilflich. Letzterer hatte überhaupt viele Verdienste und übte seine Kunst nicht nur unentgeltlich aus, sondern spendete noch von seinem Vermögen an Mohammedaner und Juden ohne Unterschied. Später, als die einheimischen Juden den weitern Zuzug der spanischen Marranen verhindern wollten, wusste Astrüc Cohen diesen die gewünschte Aufnahme im Lande zu verschaffen.

Nach Isaak ben Scheschet’s Tode folgte ihm im Lehramte sein Gegner, der Arzt Simon Duran (1361 bis 1444). Da er fast als ein Bettler nach Algier gekommen war, so hat er für seine rabbinischen Funktionen Gehalt von der Gemeinde angenommen, was bis dahin in spanisch-jüdischen Gemeinden ohne Beispiel war.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Juedische Ärzte und ihr Einfluss auf das Judentum.