Drittes Kapitel - Jehuda Halevi. Ibn-Alamaui. Samuel ben Chananja. Ibn-Daud Halevi. Scheschet Benveniste. Ibn-Tibbon. Samuel Ibn-Tibbon. Ibn-Algami. Nathanael.

Dem dritten rabbinischen Zeitalter gehört auch die Zierde und der Stolz des Judentums an, Jehuda Halevi, der Dichterfürst aus Altcastilien, geboren um 1085. Er war ein vollendeter Dichter, ein vollendeter Denker, ein würdiger Sohn des jüdischen Volks, das er durch Dichten und Denken verklärt und idealisiert hat. Sein tiefsittlicher Ernst war mit Lebensheiterkeit verbunden, und doch war er bei aller tiefen Empfindung weit entfernt von Schwärmerei, Jehuda Halevi hat sich nicht nur die hebräische Sprache und die Kunstform neuhebräischer Poesie so sehr zu eigen gemacht, dass er sie meisterhaft beherrschte, sondern hat sich auch Verständnis des Talmuds verschafft, sich in Naturwissenschaften umgetan, in die Tiefe der Metaphysik versenkt und war in allen Fächern der Wissenschaft heimisch.

Als Arzt scheint er viel Vertrauen genossen zu haben und viel beschäftigt gewesen zu sein. Aber bei der Beschäftigung mit dem Leibe unter Siechen und Sterbenden ging ihm die Seele nicht unter, und er rettete seine ideale Lebensanschauung.


So lange er jung war, verschwendete dieser größte neuhebräische Dichter das Gold seiner reichen Poesie an leichten Flitterkram, schuf tändelnde Liebeslieder, sang von Wein und Freuden und dichtete Rätsel. Die schwierigsten Versmasse überwand er dabei mit Leichtigkeit.

Jehuda Halevi’s Bedeutung als Dichter liegt jedoch in seinen nationalreligiösen Schöpfungen. Da, wo er aus der Tiefe seiner Dichterbrust schöpft, wo sein ganzes Wesen in Begeisterung aufgeht, wo er Zion und seine einstige und zukünftige Herrlichkeit besingt, wo er über seine jetzige Knechtsgestalt sein Haupt verhüllt, da ist seine Dichtung Wahrheit, da ist nichts Gekünsteltes, nichts Gemachtes, alles ist voll und ganz empfunden. Seine „Zioniden“ (Gesänge von Zion) erinnern am meisten an die Psalmen. Jehuda Halevi hatte sich ein hehres Ziel gesetzt: Israel, seinen Gott und seine Heiligtümer, seine Vergangenheit und Zukunft, seine Hoheit zu besingen und seine Niedrigkeit zu beweinen. Er war Nationaldichter; darum ergreifen seine Lieder jedes jüdische Herz mit unwiderstehlicher Gewalt.

Jedoch Jehuda Halevi war nicht nur vollendeter Dichter, er war auch geistvoller Denker. Poesie und Philosophie waren in seiner Brust innig verschwistert, und beide dienten ihm dazu, das Judentum und seine heilige Aufgabe zu verklären und zu preisen. Er stellte eigene Gedanken auf über das Verhältnis Gottes zur Welt, des Menschen zu seinem Schöpfer, über den Wert der metaphysischen Spekulation, über ihr Verhältnis zum Judentum und über die Bedeutung desselben gegenüber dem Christentum und Islam. Sein Werk (Chozari) sollte die Wahrheit des Judentums beweisen und die vielfach geschmähte Religion rechtfertigen.

Er hat in diesem Werke den Satz aufgestellt, dass die Philosophie keine Berechtigung habe, gegen offenkundige Tatsachen anzurennen, sondern sie müsse diese anerkennen, dieselben sich zurecht legen und sie mit Gedanken durchleuchten. Wie im Reiche der Natur das Denken die tatsächlichen Erscheinungen, so auffallend und vernunftwidrig sie auch auftreten, nicht wegleugnen darf, sondern sich bemühen muss, sie zu fassen, ebenso müsse es sich auf dem Gebiete der Gotteserkenntnis verhalten. Das Judentum könne gar nicht von der Philosophie angefochten werden, weil es auf einem festen Grunde ruhe, den der Denker respektieren müsse, auf dem Grunde der Tatsachen. Diesen Gedanken, der erst in der neuesten Zeit nach vielen Irrgängen der Philosophie sich Bahn bricht, hat Jehuda Halevi zuerst ausgesprochen.

Eine andere originelle Ansicht ist die, dass Adam aus der Hand des Schöpfers, körperlich und geistig vollkommen, hervorgegangen sei, und dass diese angeborene Tugendhaftigkeit auf den Stammvater der Israeliten, auf Abraham, und auf die Ahnen der zwölf Stämme sich vererbt habe. Das israelitische Volk bilde daher das Herz und den Kern der Menschheit, das für die göttliche Gnade, namentlich für die Prophetengabe, ausschließlich befähigt sei. Die Eigentümlichkeit des Judentums machten aber nicht die Pflichten der Sittlichkeit und nicht die Vernunftgesetze aus, sondern den Kern des Judentums bilden die Religionspflichten, die dazu geeignet sind, das göttliche Licht, die göttliche Gnade, die fortdauernde prophetische Erweckung im israelitischen Volke zu erhalten.

Die hohe Bedeutung des Judentums und des Volkes, das es bekennt, ist noch niemals beredter gepredigt worden, als von Jehuda Halevi. Gedanken und Gefühle, Philosophie und Poesie haben sich in diesem eigenartigen System verschmolzen, um ein hohes Ideal aufzustellen, das der Vereinigungspunkt von Himmel und Erde sein soll. Der kastilische Religionsphilosoph verschmäht jeden äußeren Maßstab als unzureichend für die Größe des Judentums. Er geht von festen Tatsachen aus, denen soviel Beweiskraft innewohne, dass sie der eigensinnigste Zweifler selbst nicht anzufechten vermöge, und auf diesem Grunde hat er den Tempel des Judentums aufgebaut.

Nach Beendigung seines unsterblichen Werkes, des Chozari, gab Jehuda Halevi seinem Innern Drange, seiner Sehnsucht nach dem Lande der Väter nach und trat eine Reise nach Palästina an. In Alexandrien wurde er aufs herzlichste von dem angesehensten Manne der dortigen Gemeinde, dem Arzt und Rabbiner Aaron Ben Zion Ibn-Alamani, der selbst liturgischer Dichter war, aufgenommen. Desgleichen von dem jüdischen Fürsten Abu-Manssur Samuel ben Chananja, dem Leibarzte des fatimidischen Chalifen von Ägypten, dessen Ruhm, dessen Freigebigkeit und Fürsorge für die Glaubensgenossen Jehuda Halevi in herrlichen Liedern besungen hat. Auf dem heiligen Boden von Palästina ist Jehuda Halevi gestorben, er, der das verklärte Bild des sich selbst bewussten israelitischen Volkes war, welches sich in seiner Vergangenheit und Zukunft gedanklich und künstlerisch darzustellen sucht. (Seine Gedichte „Diwan“ sind 1851 von Geiger herausgegeben worden.)

Auf dem Wege von ihm zu dem größten Manne, den das Mittelalter in dem Judentum hervorgerufen hat, treffen wir noch auf einige Ärzte, deren Streben und Wirken nicht ohne Einfluss auf ihr Volk geblieben ist.

Abraham Ibn-Daud Halevi (geb. um 1110, gest. als Märtyrer 1180) stammte mütterlicherseits von dem Fürsten Isaak Ibn-Albalia. In Liebe zum Judentum und zur Wissenschaft kamen ihm wenige seiner Zeitgenossen gleich. Er war nicht nur in den Talmud, sondern auch in sämtliche Fachwissenschaften damaliger Zeit vollständig eingeweiht und verlegte sich auch auf die Kenntnis der Geschichte, der jüdischen, wie der allgemeinen. Er lehrte besonders, dass die philosophische Erkenntnis die heiligste Lebensaufgabe sei, und dass das Judentum die Philosophie nicht zu scheuen brauche, da seine Grundlehren mit ihr im Einklang stehen. Das Ziel aller philosophischen Theorie aber sei die praktische Verwirklichung sittlicher Zwecke, ein Gedanken, den keiner seiner Vorgänger so scharf und klar ausgesprochen hat, wie Abraham Ibn- Daud.

Besonders große Verdienste hat er sich aber durch sein Geschichtswerk um die jüdische Literatur erworben. Er nannte dies hebräisch geschriebene Werk: „Die Reihenfolge der Überlieferung“ (Seder ha-Kabbalah) und stellte darin die biblische, nachexilische, talmudische, saburäische, gaonäische und rabbinische Zeit chronologisch zusammen.

Gleichzeitig mit Ibn-Daud lebte in Barcelona, als der Angesehenste der dortigen Gemeinde, Scheschet Benveniste, ein philosophisch gebildeter Arzt, Diplomat, Talmudkenner und Dichter. Gewandt in der arabischen Sprache, wurde er von dem König von Aragonien zu diplomatischen Geschäften verwendet und erlangte Ehren und Reichtümer. Gleich Samuel Ibn-Nagrela, dem Regenten des Königreichs Granada, unterstützte Scheschet Benveniste die Männer der Wissenschaft und der Talmudgelehrsamkeit. Die Dichter priesen seine edle Gesinnung und seine Freigebigkeit, und Charisi nennt ihn sogar den „Fürsten der Fürsten, von dessen Namen Ost und West verkünden“.

Ein Zeitgenosse von Ibn-Daud und Scheschet Benveniste, aber in Südfrankreich (Lunel) wohnhaft, war Ibn-Tibbon. Er war ein so beliebter Heilkünstler, dass er von Fürsten, Rittern und Bischöfen gesucht und sogar übers Meer geholt wurde. Die hebräische Sprache pflegte er mit Schwärmerei. Er war ein gewissenhafter Übersetzer und übertrug die Hauptwerke Ibn-Gebirol’s, Jehuda Halevi’s, Saadia’s und anderer aus dem Arabischen ins Hebräische.

Sein Sohn Samuel Ibn-Tibbon übertraf den Vater noch in der Übersetzungskunst und im Verständnisse philosophischer Materien. Er übertrug jedoch nicht nur Werke jüdischer Schriftsteller, sondern auch teilweise den Aristoteles und den Alfarabi.

In Ägypten war zu dieser Zeit Rabbi Nathanael oder Ibn-Algami Leibarzt des letzten fatimidischen Chalifen Aladhid. (Auch der jüdische Leibarzt des damaligen byzantinischen Kaisers Emanuel, mit Namen Salomon, stammte aus Ägypten). Ibn Algami leitete das Lehrhaus in der ägyptischen Hauptstadt und war ein Mann von bedeutender Bildung und hervorragenden Kenntnissen.

Den selben Namen Nathanael (arabisch Hibat Allah) trug ein berühmter Arzt in Bagdad, der wegen seiner außerordentlichen Leistungen „der Einzige seiner Zeit“ (Wachid-al-Zeman) hieß. Er war mit der Philosophie und der hebräischen Sprachkunde vertraut und verfasste einen Kommentar zum Prediger (Kohelet). Er ist später, zusammen mit dem Sohne Ibn-Esra’s, zum Islam übergetreten.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Juedische Ärzte und ihr Einfluss auf das Judentum.