Sechstes Kapitel - Saad-Addaula. Todros Abulafia. Jakob Tibbon. Salomo de Lünel. Salomo ben Jakob. Nathanael Ibn-Amali.

Damals (gegen 1284) war auch ein jüdischer Arzt die angesehenste Persönlichkeit am Hofe des persischmongolischen Großchans, Argun, dessen Gebiet sich vom untern Euphrat und der Grenze Syriens bis zum Kaspischen See erstreckte. Sein Name war Saad-Addaula, und er lebte in Bagdad als königlicher Leibarzt, Er war Ratgeber des Königs und stieg allmählich bis zum Range des höchsten Staatsbeamten. Saad-Addaula war ein Mann von reichen Kenntnissen, ein Beschützer seiner Glaubensgenossen, ein Beförderer jüdischer Poesie und Wissenschaft. Aus den entferntesten Ländern strömten Juden nach dem persischen Chanat, um sich in der Gunst des jüdischen Ministers zu sonnen. Freilich war es nur ein kurzer Sonnenblick des Glücks. Als Saad-Addaula ermordet worden war, sanken die morgenländischen Juden allmählich wieder in ihre frühere gedrückte Stellung zurück.

Inzwischen erlangte die Kabbala einen immer größeren Einfluss auf die Gemüter. Wie Nachmani, so hat sie auch der bereits erwähnte Todros Abulafia von Toledo, Arzt am Hofe Sancho’s IV., gefördert und weiter verbreitet. Todros Abulafia wurde von seiten der Juden als Fürst (Nassi) angesehen und geachtet. Er war ein entschiedener Gegner der Philosophie und ihrer Jünger, während ihm die Geheimlehre als göttliche Weisheit galt, deren Schleier zu lüften für Laien mit Gefahr verbunden sei.


Von ganz andern Gesinnungen war sein Zeitgenosse Jakob ben Machir Tibbon (Don Profiat oder Profatius) aus Montpellier (zw. 1245 und 1320) erfüllt. Jakob Tibbon, der als Mann der Wissenschaft so sehr geachtet war, dass er von der medizinischen Fakultät zum Regenten (Dekan) ernannt wurde, betrachtete Judentum und Wissenschaft als zwei Zwillingsschwestern, die sich aufs beste mit einander vertragen. Er meinte: in der glücklichen Zeit des jüdischen Volkes seien die Wissenschaften in seiner Mitte heimisch gewesen, Verbannung und Leiden haben es aber zur Unwissenheit heruntergebracht, und die ehemaligen Meister in der Wissenschaft müssten nun Schüler werden, um sich die Ergebnisse fremder Völker anzueignen. Jakob Tibbon hatte ein sehr edles Ziel im Auge. Er wollte seine Glaubensgenossen in den Augen der christlichen Welt heben und die Schmähung ihrer Feinde verstummen machen, welche höhnisch ihnen zuriefen: sie seien aller Kenntnisse bar!

Als Abba Mari (Don Astrüc de Lünel), ebenfalls aus Montpellier, ein Anhänger Nachmani’s, Jakob Tibbon zumutete, ihm beizustehen bei’ seinen Bemühungen, die jüdische Jugend vom Studium der Wissenschaften fernzuhalten, da wies Jakob Tibbon dieses Ansinnen mit Unwillen zurück und wurde dabei von Salomo de Lünel unterstützt, einem beliebten Arzte und einem Manne von großem Gewicht.

Auf das Ersuchen der römischen Gemeinde, welche Maimuni’s Mischnah-Kommentar vollständig zu besitzen wünschte (Charisi und Samuel Ibn-Tibbon hatten nur einen Teil aus dem Arabischen ins Hebräische übertragen), hat Salomo ben Aderet, der berühmte Rabbiner aus Barcelona, unter anderen zwei Ärzte aus Saragossa, Salomo ben Jakob und Nathanael Ibn-Amali, mit der schwierigen Aufgabe betraut, den Mischnah-Kommentar in allen seinen Teilen ins Hebräische zu übersetzen, so dass die jüdische Literatur diesen Männern den Besitz des so wertvollen maimunischen Werkes zu verdanken hat.

Derselbe Ben Aderet war es jedoch auch, der (im J. 1305) an der Spitze des Ketzergerichtes stand, welches die profanen Wissenschaften in den Bann getan hat und lediglich das Studium der Arzneikunde gestattete, weil die Pflege derselben im Talmud zugelassen ist.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Juedische Ärzte und ihr Einfluss auf das Judentum.