Elftes Kapitel - De Pomis. Montalto. Zacuto Lusitano. Bendito de Castro. Musaphia. De Silva. Delmedigo. Orobio de Castro. De Rocamora. Cardoso. Nieto.

In Italien hob der Papst Sixtus V. (1585 — 1596) den Bann auf, welcher auf den jüdischen Ärzten seit Gregor XIII. lastete, christliche Leidende nicht behandeln zu dürfen. Diese wichtige Toleranz haben wahrscheinlich die zu jener Zeit berühmten jüdischen Ärzte, David de Pomis und Elia Montalto, für sich und ihre Kollegen vom Papste erwirkt.

Der erstere besaß hervorragende Sprachkenntnis und Belesenheit in der jüdischen und klassischen Literatur, schrieb elegant Hebräisch und Lateinisch und verstand auch Philosophie. Um die undurchdringlichen Vorurteile gegen die Juden und namentlich gegen die jüdischen Ärzte in ihr Nichts aufzulösen, arbeitete de Pomis ein lateinisches Werk: „Der hebräische Arzt“ aus, das ein sehr günstiges Zeugnis für seine edle Gesinnung und seine gediegene Bildung ablegt. Mit einem Aufwände von Beredsamkeit führte de Pomis den Beweis, dass der Jude von seiner Religion verpflichtet sei, den Christen als seinen Bruder zu lieben, und dass der jüdische Arzt, weit entfernt, dem leidenden Christen Schaden zufügen zu wollen, ihm vielmehr die aufmerksamste Sorgfalt zuzuwenden pflege. Zum Schlusse teilte de Pomis Kernsprüche aus dem Talmud in lateinischer Übersetzung mit, um darzutun, dass dieses verlästerte Buch nicht so verderblich sei, wie die Judenfeinde angeben. Diese Apologie für das Judentum und die jüdischen Ärzte widmete er dem Fürsten Francisco Maria von Urbino; eine zweite bedeutende literarische Arbeit, ein talmudisches Wörterbuch in drei Sprachen, hat er Sixtus V. gewidmet.


In ähnlicher Weise war auch Elia Montalto, jüngerer Bruder des bereits erwähnten Amatus Lusitanus, für seine Glaubensgenossen tätig, indem er in elegant abgefassten Schriften für sie eintrat, besonders als er, nach längerem Aufenthalte in Livorno und Venedig, Leibarzt der Königin Maria von Medici in Paris geworden war.

Weniger bedeutend als de Pomis und Montalto war der Arzt und Schriftsteller Abraham Portaleone, der unter dem Papste Gregor XIV, lebte.

Unter den folgenden Päpsten kehrte jedoch das unduldsame System Paul’s IV., Pius’ V. und Gregor’s XIII. in Behandlung der Juden wieder; ihre Lage in Italien wurde immer elender. Da war es denn eine günstige Fügung der Vorsehung, dass die Juden im Anfange des siebzehnten Jahrhunderts in Holland zugelassen wurden, und dass Amsterdam ein neuer Mittelpunkt wurde für das im Süden Europa’s gequälte und verfolgte Judentum. Aus Spanien, Portugal und Italien wanderten sie zahlreich nach dem „neuen großen Jerusalem“ im Norden und nahmen dort bald eine angesehene Stellung ein. Auch jüdische Arzte erlangten daselbst schnell großen Ruf; so Abraham Zacuto Lusitano, der von marranischen Eltern in Lissabon geboren, schon im achtzehnten Jahre den Doktorgrad sich erworben hatte^ vor den Schergen der Inquisition nach Amsterdam entflohen war und hier der Wissenschaft und dem Judentume lebte. Er stand in brieflicher Verbindung mit dem judenfreundlichen Fürsten Friedrich von der Pfalz und dessen gelehrter Gemahlin, jenem unglücklichen Eintagskönigspaare von Böhmen, das gleichsam den Janustempel zum dreißigjährigen Kriege aufgeschlossen hat. Christliche wie jüdische Fachgenossen verkündeten sein Lob in Poesie und Prosa.

Auch in Hamburg haben sich damals Juden niedergelassen, zuerst als portugiesische Marranen, später offen und frei als Bekenner des mosaischen Glaubens. Freilich wurden ihnen viele Schwierigkeiten in den Weg gelegt, besonders sahen die christlichen Ärzte mit Ingrimm auf die schnell wachsende Beliebtheit jüdischer Fachgenossen und suchten nicht nur sie, sondern die Judenheit überhaupt zu verdächtigen und gegen sie zu hetzen. Diese Verleumder fertigte Bendito de Castro oder Baruch Nehemias ab (1598 bis 1684), ein tüchtiger jüdischer Arzt, Sohn des berühmten Hamburger Arztes Rodrigo de Castro, der zur Pestzeit viel Mut und Aufopferung bewiesen hatte. Bendito verfasste in zierlichem Latein eine geharnischte Gegenschrift (Flagellum Calumniantium sive Apologia 1631), welche einen guten Eindruck machte. Der Verfasser wurde späterhin Leibarzt der Königin Christine von Schweden.

Zur Bestärkung der im Christentume geborenen und erzogenen Marranen in dem jüdischen Bekenntnisse wurden von den Juden Hamburgs gegenchristliche Schriften verbreitet und sogar bei Christen in Umlauf gesetzt, wobei der Arzt und Lexicograph Dionys (Benjamin) Musaphia besonders tätig war. Der Judenfeind Johannes Müller, Senior an der Petrikirche in Hamburg, verfasste dagegen eine Schmähschrift: „Judaismus oder Judentum“ (1644), worin er die vollständige Knechtung der Juden wünschte und besonders gegen die Zulassung jüdischer Ärzte zu christlichen Kranken eiferte. Er wurde darin durch die theologisch-lutherischen Fakultäten von Wittenberg, von Strassburg und Rostock unterstützt. Allein obgleich Johannes Müller sein Buch dem König Christian IV. von Dänemark, dem Schutzherrn des Protestantismus, widmete, hat letzterer dennoch den erwähnten Benjamin Musaphia zu seinem Leibarzt angenommen.

Die Gegensätze, die im Anfange des siebzehnten Jahrhunderts sich auf grelle Weise im Judentum bemerkbar zu machen anfingen, einerseits stockgläubige Frömmigkeit, mit dem Auswuchse der wirren kabbalistischen Mystik, auf der andern Seite Negation der Grundfesten des Judentums bis zum vollständigen Unglauben, diese Gegensätze lassen sich zu jener Zeit auch in den Reihen der jüdischen Ärzte erkennen. Francisco Maldonad da Silva, Arzt in Lima (Peru), der als Marrane dorthin gekommen war und sich später öffentlich zum Judentum bekannte, lebte wie ein Naziräer, ohne Wein und Fleischgenuss und nannte sich Eli Nazareno. Das Inquisitionstribunal warf ihn in den Kerker und veranstaltete von Zeit zu Zeit Bekehrungsdisputationen mit ihm; und da die unwissenden peruanischen Geistlichen der Schriftgelehrsamkeit Eli’s nicht gewachsen waren, so blieb nichts übrig, als ihn durch die Glut des Scheiterhaufens stumm zu machen.

Ein anderer Marrane dagegen, der aus Portugal m Palästina eingewandert war, der Arzt Jakob Zemach, war ein fanatischer Kabbalist und Mystiker, ebenso wie Joseph Chamiz, ein Schüler Leon Modena’s, des Wühlers von Venedig, dessen Großvater Mardochai Modena, ein berühmter Arzt seiner Zeit, von Kaiser Carl V. zum Ritter des goldenen Vliesses ernannt worden war, und der talmudisch fromm und voller Aberglauben war.

Diesen altgläubigen und kabbalistisch gesinnten jüdischen Ärzten steht ein Mann, wie Joseph Salomo Delmedigo, gegenüber, ein Wühler gleich Leon Modena und Uriel Acosta, welch letzterer bekanntlich gegenüber dem jüdischen Arzte Samuel da Silva (1623) behauptet hatte, dass die Seele nicht unsterblich sei und wegen dieser und anderer Ketzereien vom Amsterdamer Rabbinat mit dem Banne belegt wurde. Delmedigo (1591 bis 1655), Arzt aus Candia, Schüler Galilei’s, war ein Vielwisser. Er hatte im Hause Leon Modena’s und im Kreise der jüdisch-italienischen Freidenker seinen naiven Glauben eingebüßt und war von Zweifeln an der Wahrheit des Überkommenen beschlichen worden. Infolge seiner freieren Denkweise wurde er in Candia verfolgt und trat nun ein Wanderleben an, welches ihn schließlich nach Polen führte. Hier wurde er Leibarzt des Fürsten Radziwill in Wilna. Nach einiger Zeit verlies er das geldarme Polen und ging nach Hamburg, wo er trotz seines Freisinns eine Verteidigungsschrift der Kabbala geschrieben hat, um dort eine Predigerstelle zu erhalten. Schließlich kam er nach Amsterdam, der Stadt Uriel Acosta’s, wo er sich in den Ruf strengster Gläubigkeit brachte. Allein seine wahre Gesinnung kam bald zu Tage; er musste das Predigeramt, das er hier übernommen, aufgeben, ging nach Frankfurt, wo er ärztlich tätig war und starb bald nachher in Prag. Delmedigo hat viel verheißen, aber wenig geleistet; er hat mehr geschadet als genützt durch seine Unaufrichtigkeit und Heuchelei und hat die ohnehin urteilslose, wahnbetörte Menge durch das Gewicht seiner hervorragenden Kenntnisse in der Nebelhaftigkeit noch mehr bestärkt und verführt, indem er dem Unwesen der Kabbala das Wort redete.

Während Spinoza zu Amsterdam in seinem theologisch politischen Traktat seine weltbewegenden philosophischen Ideen entwickelte und den Grundbau des Judentums zu erschüttern suchte, stand ein Mann mit ihm im ’erkehr, dessen Überzeugung und Liebe zum Judentum durch nichts, selbst nicht durch die Torturen der Inquisition wankend gemacht werden konnten. Es war Orobio de Castro (1620 — 1687), der als Marrane in Spanien Leibarzt des Herzogs von Medina-Celi gewesen war und große Reichtümer erworben hatte; der, des Judaismus angeklagt, drei Jahre im Kerker schmachtete und standhaft alle Folterqualen über sich ergehen ließ; der dann zwei Jahre hindurch das Schandhemde trug und endlich, als er aus Spanien verwiesen wurde, nach Amsterdam ging und sich dort zum Judentum bekannte. Er bewährte sich als mutiger und geschickter Kämpfer für die Religion seiner Väter und versetzte dem Christentum, wie wenige vor ihm, so nachhaltige Schläge, dass sich ein angesehener protestantischer Theologe, van Limborch, gedrungen fühlte, es gegen Orobio’s Angriffe in Schutz zu nehmen. Sein Umgang mit Spinoza war ohne Einfluss auf seine treue Anhänglichkeit an die jüdische Religion; er hat sogar eine ernstliche Widerlegung seiner philosophischen Ansichten versucht. Dagegen mögen die spinozistischen Lehren nicht ohne Einwirkung auf Dionys Musaphia, Arzt und Naturforscher in Amsterdam, geblieben sein, der eine Zeit lang im Dienste des dänischen Königs Christian IV. stand, philosophisch gebildet war und sich an diesem und jenem in Talmud und Bibel zu zweifeln erlaubte. Nichtsdestoweniger hat er im Alter als Rabbiner in Amsterdam fungiert und wurde sogar, wie der bereits erwähnte Bendito de Castro in Hamburg, ein eifriger Anhänger des messianischen Schwärmers Sabbatai Zewi, der damals im Orient sein Unwesen trieb. Ein Gesinnungsund Zeitgenosse von Orobio de Castro war Isaak de Rocamora, der als Mönch in Valencia den Namen Fray Vincente de Rocamora trug, bis zum Beichtvater der Infantin Maria aufstieg, jedoch aus Spanien entfloh, nach Amsterdam gelangte, dort als Vierziger Medizin studierte und späterhin Parnes (Gemeindevorstand) und Vorsteher jüdischer Wohltätigkeitsanstalten wurde. Er war auch ein guter Dichter und hat gelungene spanische und lateinische Verse gemacht.

Die Wandlungen, welche die portugiesischen Juden seit ihrer Vertreibung durchgemacht, sind in einer originellen Persönlichkeit gleichsam verlebendigt, nämlich in Miguel (Abraham Michael) Cardoso (1630-1706). Von marranischen Eltern geboren, studierte er wie sein älterer Bruder Fernando (Isaak) Cardoso Medizin; aber während dieser sich mit Ernst den Wissenschaften ergab, vertändelte Miguel in dem üppigen Madrid seine Tage in süßem Nichtstun, sang zur Laute Liebeslieder unter dem Balkon schöner Damen und dachte sehr wenig an die Kabbala oder an das Judentum. Späterhin wanderten beide nach Venedig aus und kehrten zur Religion ihrer Väter zurück. Während jedoch Isaak Cardoso sich in die jüdische Literatur vertiefte und das Judentum verherrlichte, hat Abraham Michael Cardoso es geschändet. In Livorno von dem Kabbalisten Mose Pinheiro in die Geheimlehre eingeweiht, hat er sich, nachdem er Leibarzt des Bey von Tripolis geworden, immer mehr der Phantasterei ergeben und wurde ein Parteigänger Sabbatai Zewi’s, des falschen Messias von Smyrna. Selbst dann, als der letztere vom Judentum abgefallen und zum Islam übergetreten war, richtete Michael Cardoso Sendschreiben überall hin, um den sabbatianischen Schwindel aufrecht zu erhalten und sich als Prophet zu geberden. Er stand in dieser Beziehung nicht allein, denn selbst fromme und talmudisch gelehrte Männer hingen dem messianischen Schwärmer auch nach seinem Abfall vom jüdischen Glauben noch weiter an, wie der Arzt Meir Rofe aus Hebron, Sohn des Arztes und gediegenen Talmudisten Chija Rofe. Doch Michael Cardoso war vermöge seines Bildungsganges in christlichen Schulen den übrigen sabbatianischen Aposteln bei weitem überlegen, wusste dem Blödsinn einen Anstrich von Vernünftigkeit zu geben und blendete dadurch die Befangenen und selbst solche, welche zuerst dem Treiben Sabbatais abgeneigt waren. Männer, welche späterhin viel Unheil im Judentum gestiftet, wie Mardochai aus Eisenstadt und Jonathan Eibeschütz, haben ihre vergiftenden kabbalistisch-sabbatianischen Ideen den Schriften Michael Cardoso’s entnommen.

Isaak Cardoso dagegen hat in einem Buche: „Die Vorzüglichkeit der Hebräer“ die Anschuldigungen gegen die Juden von Hostienschändung, von Gebrauch des Christenblutes usw. urkundlich widerlegt, hat sie als das von Gott auserwählte Volk hingestellt und die Tugenden hervorgehoben, die ihnen vor allem eigen seien, nämlich Mitgefühl, Wohltätigkeitssinn und Züchtigkeit.

Unter den wenigen Männern von Bedeutung, die das Judentum zu Anfang des 18. Jahrhunderts, also zu einer Zeit, wo in der christlichen Welt vor dem hereinbrechenden Lichte der Philosophie die Nebel der Vorurteile allmählich zu schwinden begannen, aufzuweisen hatte, ragt hervor David Nieto in London (1654— 1728), ein gebildeter Rabbiner, zugleich Arzt und Mathematiker, der das Judentum vielfach gegen Verunglimpfungen in Schutz genommen hat.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Juedische Ärzte und ihr Einfluss auf das Judentum.