Die neueste Geschichte des jüdischen Volkes (1789-1914) Band 3

Die Epoche der zweiten Reaktion (1881 — 1914)
Autor: Dubnow, Simon Markovich (1860-1941) russisch-jüdischer Historiker, Schriftsteller und Aktivist, Erscheinungsjahr: 1923
Themenbereiche
Enthaltene Themen: Juden, Judentum, Judenheit, Entwicklungsprozesse, Geschichte des Jüdischen Volkes, Antisemitismus, Progrome, Vertreibung, Leidensgeschichte, Auswanderung
                    Vorwort zur deutschen Ausgabe.

Als zu Beginn des Sommers 1914, nach dem Erscheinen des ersten Bandes des vorliegenden Werkes in russischer Sprache, der Jüdische Verlag sich an mich mit dem Anerbieten wandte, es in deutscher Übersetzung herauszugeben, gab ich gern meine Zustimmung. Es schien mir notwendig, die der vorliegenden Arbeit zugrunde liegende historische Konzeption jenen Kreisen der westlichen Judenheit mitzuteilen, die die Entwicklungsprozesse unserer neuesten Geschichte ganz anders auffassen. Dass diese Konzeption volle wissenschaftliche Objektivität mit Recht für sich beanspruchen kann, habe ich bereits wiederholt dargelegt und ich kann mich an dieser Stelle nur mit einem kurzen Zitat aus dem Vorwort zu der russischen Ausgabe begnügen:

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Inhaltsverzeichnis
    I. Der Antisemitismus in Deutschland (1881 — 1900)

    II. Kapitel: Der Antisemitismus in Österreich Ungarn (1881-1900)
    III. Kapitel: Pogrome und Rechtlosigkeit in Russland unter Alexander III. (1881-1894)
    § 121. Die Pahlensche Kommission und die Steigerung der Rechtlosigkeit. (1883— 1889)
    § 122. Die innere Krisis der achtziger Jahre
    § 123. Die russischen Pharaonen und der englische Protest. (1890)
    § 124. Die Moskauer Massenausweisung. (1891)
    § 125. Die Sanktion des Exodus, verstärkt durch Repressionen. (1892 — 94)
    IV. Kapitel: Die kleinen Zentren des Judentums in Europa vor dem Ende des XDC. Jahrhunderts
    § 126. Der Antisemitismus in Frankreich
    § 127. Die Dreyfuß-Affäre
    § 128. Das innere Leben der französischen Juden
    § 129. England, Holland, Belgien, Italien, Schweiz, Skandinavien, Spanien und Portugal
    § 130. Das judenfeindliche Rumänien
    § 131. Die Balkanstaaten (Bulgarien, Serbien, Griechenland und die europäische Türkei
    V. Kapitel: Die große Wanderung und die neuen Zentren in Amerika und Palästina (1881-1900)
    § 132. Das neue Diasporazentrum in Amerika
    § 133. Die neue Kolonisation Palästinas
    § 134. Kanada, Argentinien, Süd-Afrika
    VI. Kapitel: Die nationale Bewegung (1897-1905)
    § 135. Herzl und der Judenstaat
    § 136. Die ersten zionistischen Kongresse. (1897 — 1900)
    § 137. Der politische Zionismus bis zum Tode Herzls. (1904)
    § 138. Der geistige Zionismus
    § 139. Der Autonomismus als die Lösung des Diasporaproblems
    § 140. Die sozialistischen Parteien
    VII. Kapitel: Die Juden in Russland unter Nikolaus II. bis zum Ende der Revolution von 1905/1906
    § 141. Die Fortsetzung der Unterdrückung. (1895 — 1902)
    § 142. Die nationale Bewegung und die Renaissance der Literatur
    § 143. Das Massaker von Kischinew und der Beginn der politischen Pogrome
    § 144. Der japanische Krieg (1904)
    § 145. Die Revolution und die Pogrome des Jahres 1905
    § 146. Das Manifest vom 17. Oktober 1905 und die allrussischen Pogrome
    § 147. Die Reichsduma und die Pogrome des Jahres 1906
    VIII Kapitel: Die jüdische Welt im Beginn des XX. Jahrhunderts bis zum Ausbruch des Weltkriegs
    § 148. Deutschland. (1901 — 1914)
    § 149. Österreich-Ungarn. (1901 — 1914)
    § 150. Russland während der siebenjährigen schwarzen Reaktion (1907— 1914)
    § 151. Das Wachstum der nationalen Bewegung
    § 152. Frankreich, England und Italien. (1901 — 1914)
    § 153. Rumänien, die neue Türkei und der Balkankrieg
    § 154. Palästina
    § 155. Amerika
    § 156. Die Splitter der alten und der neuen Diaspora außerhalb Europas
    Quellen und Literatur
„In der Geschichte des 19. Jahrhunderts schien es mir besonders wichtig, die Methode anzuwenden, nach der die verschiedenen Seiten des Lebens des jüdischen Volkes — die politische, sozial-ökonomische, kulturell-geistige — auf dem Hintergrunde der Entwicklung seiner nationalen Persönlichkeit, deren Wachstums oder Sinkens betrachtet werden, da unter der Einwirkung der Krisen, an denen dieses Jahrhundert reich ist, die Formen des Kampfes der Nation um ihre Existenz und ihr Verhältnis selbst zu diesem Kampf sich notwendigerweise ändern mussten. Eine solche Methode entspricht vollauf den Erfordernissen der wissenschaftlichen Objektivität, denn bei der Erforschung der verschiedenen Lebensäußerungen eines Kollektivums, das seinen Existenzkampf unter so exzeptionellen Bedingungen zu führen hat, ist vor allem zu verfolgen, inwieweit seine Individualität sich behauptet und entwickelt und inwieweit sie sich nivelliert oder verwischt,“

Der Weltkrieg verschob die Veröffentlichung der deutschen Ausgabe der „Neuesten Geschichte des jüdischen Volkes“ um einige Jahre: die beiden ersten Bände erschienen erst im Jahre 1920, als der Verfasser an dem dritten und letzten Bande mitten unter dem Terror der Bolschewiki in Russland arbeitete. Nun ist es möglich geworden, auch diesen letzten Band, aus dem russischen Manuskript übersetzt, herauszugeben, und die Leser erhalten somit die Möglichkeit, die Richtigkeit meiner historischen Auffassung in größerem Umfange, zumindest innerhalb der neuesten Geschichte, zu prüfen. Getrost sehe ich dem Urteile der wissenschaftlichen Kritik entgegen. Die Anerkennung meines Systems wird mich, als Symptom der Klärung der Geister, freuen; seine Ablehnung *) wird mich nicht verwundern, da in eben diesem Werke, durch eine lange Tatsachenreihe hindurch, jener historische Prozess dargelegt ist, der in fataler Weise zur Verwerfung der nationalen Auffassung des Judentums überhaupt führte.

Ich für mein Teil kann nur mit reinem Gewissen feststellen, dass bei meiner Darstellung der historische Stoff in seiner ganzen Kompliziertheit und Mannigfaltigkeit meine Anschauungen bestimmte, nicht aber umgekehrt.

Berlin, den 24. Februar 1923. S. Dubnow.

*) Versuche nach dieser Richtung hin sind bereits gemacht worden. Vgl. z. B. die Einleitung von Dr. Rieger, Landesrabbiner in Braunschweig, zu der neuen Auflage der „Neuesten Geschichte des jüdischen Volkes“ von Martin Philippson.