Die Schule der Zukunft.

Vortrag, zum Besten der ärztlichen Witwenkasse gehalten am 27. Februar 1890 im Musiksaale der Kgl. Universität Breslau.
Autor: Cohn, Hermann Dr. med. et phil. Professor in Breslau, Erscheinungsjahr: 1890
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Vielleicht finden sich in Berlin oder in einer anderen großen Stadt eine Anzahl vermögender Männer, welche die nötigen Mittel für die Ausführung der Idee geben und mit dem Wahlspruch „Für unsere Kinder ist nur das beste gerade gut genug“ ein Kunstwerk schüfen mit der Inschrift.

„Die Schule der Zukunft.“
„Zukunftsmusik!“ das war das höhnende Geschrei, welches sich vor mehr als 30 Jahren in Deutschland und Frankreich erhob, als Richard Wagner mit seinen Werken hervorgetreten war. Man beschuldigte ihn, diesen Ausdruck für sein neues Genre von Musik eingeführt zu haben. Auch heute noch ist diese Ansicht verbreitet; ich hatte sie selbst, bis ich mich in das Studium von Wagners gesammelten Werken vertiefte. Da fand ich aber einen Brief Wagners an Berlioz vom Februar 1860, der also jetzt vor 30 Jahren geschrieben worden, in welchem Wagner entrüstet auseinandersetzt, daß nicht er der Erfinder der „Zukunftsmusik“ sei, sondern ein deutscher Musikreferent, Professor Bischoff in Köln. Veranlassung zur Erfindung dieses tollend Wortes, wie es Wagner nennt, scheint Herrn Bischoff ein ebenso blödes als böswilliges Missverständnis einer umfangreichen schriftstellerischen Arbeit gegeben zu haben, die Wagner 10 Jahre vorher (1850) unter dem Titel „Das Kunstwerk der Zukunft“ veröffentlicht hatte.

Richard Wagner untersucht in jenem schwer geschriebenen, philosophischen, großen Aufsatze das Verhältnis der einzelnen Künste zu einander und kommt zu dem Schlusse, daß da, wo die Grenzen der einen Kunst unübersteiglich sich einfänden, mit Sicherheit die Wirkung der anderen Kunst beginne. Es müssen somit in einem Drama sich alle Künste im höchsten Maße vereinigen: die Baukunst, die Bildhauerkunst, die Malerkunst, die Tanzkunst, die Tonkunst und die Dichtkunst. Somit war Wagners Ziel, die Möglichkeit eines Kunstwerkes zu zeigen, ,,in welchem das Höchste, was der Menschengeist zu fassen im stande ist, auf die dem einfachsten Receptionsvermögen rein menschlicher Gefühle verständlichste Weise mitgeteilt werden könnte“, und dieses Werk nannte er das „Kunstwerk der Zukunft“.

Ebenso wie Wagner sehr richtig wünschte, daß die Zukunftsmusik nicht allein Musik, sondern durch die Vereinigung aller Künste ein Kunstwerk der Zukunft sein solle, so soll auch die Zukunfts-Schule nicht allein Schule, sondern ein Kunstwerk der Zukunft sein. Sie soll nicht eine Abrichtungsanstalt sein zur Erwerbung von Kenntnissen, die für ein bestimmtes Examen gebraucht werden, nicht eine Anstalt, die den Schüler mit überflüssigem Ballast jahrelang belastet, und die ihn mit einer in allen Beziehungen unvollendeten allgemeinen Vorbildung entlässt, sondern alle Künste der Erziehung des Körpers, des Geistes, des Gemütes und des Charakters sollen sich in der Zukunftsschule vereinigen, damit eine harmonische Bildung erreicht werde, damit die Kinder zu körperlich und geistig gefunden, für die Anforderungen. die das moderne Leben an den Gebildeten stellt, gehörig vorbereiteten Menschen erzogen werden.

Dass in einer Stunde weder die Zukunftsmusik, noch die Zukunftsschule erschöpfend besprochen werden kann, ist selbstverständlich; bei der erdrückenden Fülle des Stoffes kann es sich hier nur um Aphorismen und Anregungen handeln.