Die Prüfung der Augen der Schulkinder.

Vor 25 Jahren habe ich bei Gelegenheit der Prüfung der Augen von 10.000 Schulkindern die 166 Klassenzimmer untersucht, in denen diese Kinder saßen, und die allererbärmlichsten Stuben bezeichnet, die in den engen Gassen und die dicht an den hohen Kirchen gelegen sind. Ich konnte nachweisen, daß die in der Weißgerbergasse, in der Harrasgasse, in der Nikolaistraße, „in der Straßen quetschender Enge“ gelegenen finsteren Volksschulen 8-15% die in den neuen vor den Thoren der Stadt in den breiten Straßen gelegenen hellen Volksschulen nur 2-7% Kurzsichtige enthielten. Es konnte sich nicht um Zufall handeln, da ich 20 Volksschulen mit rund 5.000 Schülern prüfte.

Bei den höheren Schulen, die dicht an hohen Kirchen lagen, zeigten sich ganz ungeheuerliche Zustände. Im Elisabet-Gymnasium sehen 28%, im Magdalenen-Gymnasium sehen 24% der Schüler von ihren Plätzen aus kein Stückchen Himmel!


Durch photometrische Messungen, welche monatelang fortgesetzt wurden, fand ich, dass die geringste Helligkeit eines Arbeitsplatzes eine solche von 00 Meterkerzen sein müsse, d. h. eine Helligkeit, welche entspricht dem Lichte von 10 Kerzen, die einen Meter vom Arbeitsplatz entfernt aufgestellt werden. Diese Minimalzahl wurde von allen späteren Forschern als richtig akzeptiert.

In 13 Klassen des Elisabeth und Magdalenen-Gymnasiums fand ich aber eine Anzahl Plätze, bei denen die Schüler Mittag um 11 Uhr bei trübem Wetter bei weniger als einer Meterkerze Tageslicht schreiben mußten. Solche Lokale nannte ich augenmörderische. Ich habe hier in den verschiedensten Vorträgen auf diese Missstände hingewiesen, völlig vergebens. Ich habe trotz des erhobenen Vorwurfs, es mangle mir an Lokalpatriotismus, jede Gelegenheit auch auswärts benutzt, wo man mich eingeladen hatte, über schulhygienische Fragen zu referieren, so die Naturforscher-Versammlung in Danzig, So die internationalen hygienischen Kongresse in Genf, Haag und Wien, ganz unumwunden über unsere alten Schulhöhlen (denn anders kann man sie nicht bezeichnen) zu sprechen und auf sie mit Fingern hinzuweisen. Ich tat dies in der Hoffnung, daß die einmütige Billigung meiner Kritik seitens der Fachmänner und der Druck der öffentlichen Meinung allmählich das starre Festhalten an den hervorgehobenen schädlichen Einrichtungen zum Heile unserer Schulkinder endlich erschüttern werde.

Dass man solche Schulzimmer nicht im ersten Augenblicke beseitigen konnte, gebe ich zu; daß sie aber jetzt, nach einem Vierteljahrhundert noch immer weiter zu Schulzwecken benutz werden, das ist es, was ich, unbekümmert um die vielen Feinde, die ich mir dadurch aufs neue mache, immer wieder öffentlich geißle und so lange geißeln werde, bis man diese Lokale schließen wird.

Mit der Vertuschung und Beschönigung bewirkt man in der Hygiene gar nichts; immer wieder von neuem müssen die Behörden auf derartige Übelstände hingewiesen werden von Demjenigen, der jene Lokale kennt und es mit der Jugend wirklich wohlmeint. Aber obgleich das alles jahrzehntelang von mir wiederholt worden ist, wird doch in der Weißgerbergasse, in der Harrasgasse, in der Nikolaistraße, in den finsteren Stuben des Elisabei- und Magdalenen-Gymnasiums weiter Unterricht gegeben, wie vor 25 Jahren!

Dass diese Lokale schädlich sind, wird auch von den Schulbehörden gar nicht bestritten; es wird aber zur Entschuldigung gesagt. Wir haben keine Plätze und keine Baustellen im Innern der Stadt, wohin wir hellere Schulen setzen könnten. Und so will man es rechtfertigen, dass man im Jahre 1867, ein Jahr nachdem die schlesische Gesellschaft ein vortreffliches Promemoria über gesundheitsgemäße Schulbauten an den Magistrat gesendet hat, das Magdalenen - Gymnasium wieder dicht an die hohe das Licht raubende Kirche neu hingebaut hat. Die große Inschrift über dem Portale ,,An dieser Stelle von Grund auf neu aufgebaut im Jahre 1867“ klingt für jeden Hygieniker wie ein Hohn auf die moderne Schulhygiene.

Es ist eben gar nicht nötig, dass die Schüler, die im Zentrum der Stadt wohnen, auch im Zentrum selbst die Schule haben müssen. Wenn sie vor das Tor frühmorgens wandeln müssen, so ist ihnen dies viel gesünder, als wenn sie 1/4 Stunde später aufstehen, da sie ihre Schule jetzt so schnell erreichen. Und ein größerer Rückweg nach Hause wird nach fünfstündigem Sitzen auf ihren Appetit nur günstig einwirken. In den Vorstädten gibt es genug und billigere Bauplätze als im Innern der Stadt.

Aber es kümmert sich eben Niemand darum. Die Direktoren und Lehrer dozieren ruhig in den finstern Zimmern weiter. Ja es wird sogar immer weiter in dem berüchtigten Winkelzimmer in der engen Harrasgasse unterrichtet, über welches ich schon vor Jahren vorgetragen. Dort ist nämlich gegenüber der geräuschvollen Haupt-Feuerwehrwache ein Schulzimmer im Parterre, in welchem ein mächtiger Winkel in die Klasse einspringt, so dass die eine Hälfte der Bänke nach Westen, die andere nach Süden sieht. In der dem einspringenden Winkel gegenüberliegenden Ecke zwischen beiden Bankarten steht das Katheder, so daß der Lehrer mit dem rechten Auge auf die rechts von ihm sitzenden Kinder, mit dem linken auf die links sitzenden schielen muss, wenn er auf dem Katheder steht. Aber es kümmert sich eben Niemand darum, selbst die alten kleinen Fensterchen hat man in dieser finstern Klasse nicht vergrößert; es geht seit 25 Jahren so weiter und immer weiter. Wenn ein wirklicher Schularzt da wäre, der immer wieder die Behörden auf die Finsternis in den Anstalten aufmerksam machte, dann wäre schon längst Hilfe gekommen.


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Die Schule der Zukunft.