Einfluss des Schularztes bei der Erstellung des Lehrplanes.

Natürlich wird der Schularzt auch bei Aufstellung des Lehrplans seine Stimme erheben und dafür sorgen, daß mündliche und schriftliche Tätigkeit in einer Weise wechseln, daß das Auge nicht allzu sehr angestrengt werde, und daß, wie in den Kadetten-Anstalten körperliche und geistige Übungen miteinander wechseln. Der Schularzt wird im Interesse der Lehrer und Schüler dafür sorgen, daß die Klassen nicht überfüllt, daß in den unteren Klassen höchstens 40, in den oberen nur 20-30 Schüler zusammen unterrichtet werden.

Er wird die Extemporalien beschränken; die Leistungen eines Schnellmalers oder Schnelldichters können nie mit denen eines langsam arbeitenden Künstlers verglichen werden; lasse man den Kindern zum Nachdenken Zeit.


Der Arzt wird für längere Pausen zwischen den Stunden sorgen; dann wird auch die Aufmerksamkeit der Kinder um so größer sein. Ganz zu vermeiden ist der fünfstündige Vormittagsunterricht.

Wie kann die geistige Aufnahmefähigkeit in der fünften Unterrichtsstunde sein? Der Nachmittagsunterricht wäre besser, zumal ja die Kinder doch zum Turnen, Singen, Zeichnen, Religionsunterrichte meist nochmals nachmittags in die Schule laufen müssen.

Alljährlich wird jeder Schularzt einen Bericht über die Gesundheitsverhältnisse seiner Schüler nach bestimmtem Schema, eine wahre Statistik der Schülerkrankheiten abfassen, einen Bericht, der mir mindestens ebenso wichtig erscheint, wie die Berichte über die deutschen Aufsätze der Sekundaner. Er wird sein Resumé dem Regierungskollegium einreichen, in welchem ein Regierungsschularzt Sitz und Stimme haben wird. Die Regierungsschulärzte werden ihre gesammelten Berichte an das Ministerium senden, in welchen ein Reichsschularzt jährlich einen Gesamtüberblick über die Schulhygiene des Reichs veröffentlichen wird.

In dem Schulkunstwerk der Zukunft muss sich aber bei der Vereinigung aller Künste der Erziehung zur Hygiene der Lokalitäten und zur Hygiene der Schüler auch die Hygiene des Unterrichtes gesellen. Sie ist freilich heute noch nicht vollkommen durchstudiert. Das beste verdankt man dem Prof. Loewenthal in Paris, der ein geistsprühendes Buch über Unterrichtshygiene geschrieben, sowie den verdienstvollen Arbeiten von Prof. Preyer und Dr. Göring in Berlin. Ihnen können wir uns in den meisten Punkten anschließen.

Da die Erziehung die absichtliche Leitung der Entwickelnd ist, so muss der Erzieher die Natur des zu entwickelnden Kindes und die Gesetze der Entwickelung kennen, er muss Anatomie, Physiologie, Hygiene gelernt haben. Bis jetzt habe ich davon wenig gesehen. Viele Jahre lang habe ich hier publice ein Kolleg ,,über Hygiene des Auges besonders in den Schulen“ für Zuhörer aller Fakultäten angekündigt und vor Hunderten von Studenten gelesen; aber die Mediziner waren die große Majorität, - die Philologen und Pädagogen dagegen in verschwindend kleiner Zahl vorhanden. Wenn schon jeder Künstler Anatomie hören muss, wie viel mehr der Lehrer!

In der Zukunftsschule werden die also vorgebildeten Lehrer auch wissen, daß es sich mit der geistigen Nahrung genau so verhält, wie mit der körperlichen. Hier werden die Nahrungsmittel zu Nährstoffen verarbeitet und diese zur Bildung neuer Zellen verwendet. Bei der geistigen Nahrung bewirken die Sinneseindrücke die Entstehung von Nährstoffen und durch ihr Festhalten, Einordnen und Verbinden werden neue Begriffe, d. h. Wissen gebildet. Auch die geistige Nahrung muss verdaulich sein; die dem Begriffe zu Grunde liegende Anschauung muss zunächst den Sinnen zugänglich gemacht werden. Die geistige Nahrung muss aber auch der jeweiligen Verdauungstätigkeit entsprechen und darf nicht im Übermaß gereicht werden.

Dass jedes Kind Sehnsucht nach geistiger Nahrung wie nach körperlicher hat, steht ganz fest; sie muss ihm nur zur rechten Zeit und im rechten Maße gereicht werden. Die Lernmethode wird also künftig eine ganz andere sein. Da man, wie Loewenthal sehr ansprechend entwickelt, ausschließlich nur vom Greifbaren zum Begriff, vom Bekannten zum unbekannten, von der Kenntnis der Vorgänge zu ihrem Verständnis gelangt und nur so gelangen kann, so wird der Lehrer in allen Fächern vom Allgemeinen zum Besonderen gehen und das Kind zur geistigen Selbsttätigkeit im Beobachten, Denken und Anwenden anleiten, während jetzt der Lehrer für das Kind verdaut, und (wie Loewenthal es höchst treffend bezeichnet) das Kind gewissermaßen nur als leidendes Aufnahmegefäß für fertige Begriffe behandelt und damit vollgepfropft wird.

In der Zukunftsschule wird daher auch das Auswendiglernen sehr beschränk werden. Gewiss übt Auswendiglernen das Gedächtnis, aber nur dann, wenn man Verstandenes und Sinn lernt, nicht aber wenn man nur unverstandene Regeln und Worte einpaukt. Herder nannte dies schon ,,den zu ewiger Vergessenheit gelernten Unrat“ und fragte, warum wir die Jugend damit töten sollen. Allein viele Pädagogen sind noch heute nicht davon abzubringen; so findet man noch jetzt auf einer in den Genfer Schulen einführten Grammatik im Ernst das Motto: „Die Erziehung des Kindes muss der des Papageien gleichen.“ Tiefes Papageien-Nachgeplapper ist aber gerade das größte Unglück. Denn mit welcher Wonne wird dieser ganze Wortballast unmittelbar nach dem Examen über Bord geworfen. Das ist eben der Hauptkrebsschaden der ganzen jetzigen höheren Schulen, daß sie nicht besucht werden um der dort zu erwerbenden Bildung wegen. Sondern um das Abiturientenzeugnis oder die Berechtigung zum Freiwilligendienst herbeizuschaffen.

Der Landwirtschaftsminister Lucius hat am 30. Januar d. J. im preußischen Abgeordnetenhause in höchst treffender Weise alles in den sechs Worten ausgesprochen ,,unsere ganze Schulentwickelung krankt am Berechtigungswesen.“

Loewenthal hat mit Recht zum Beweise dafür, daß die Papageien-Abrichtungsmethode Vorteil bringt, die Pressen erwähnt, die in wunderbar kurzer Zeit zu allen möglichen Prüfungen vorbereiten und sich in den Zeitungen brüsten mit hundert glücklich Durchgebrachten, meistens ja sehr wenig begabten jungen Leuten, die in den Schulen gar nicht mitkommen konnten.

In der Zukunftsschule wird eben auch das Prüfungswesen ein ganz anderes sein. Nicht eine Menge von eingepaukten Einzelheiten, sondern das Denken wird geprüft werden. Heute bekommt derjenige Schüler die beste Zensur, der am meisten auswendig gelernt hat und am Schnellsten herunterschnurren kann; in Zukunft aber wird der Schüler aus einer Reihe von Thematen eines auswählen und es im freien Vortrage erörtern; einige Querfragen werden bald das Auswendiggelernte und das Verstandene zu Tage fördern. -


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Die Schule der Zukunft.