Das Wasser in seinen Formen als Wolken und Flüsse, Eis und Gletscher.
Autor: John, Tyndall (1820-1893) Professor der Naturwissenschaften in London, Erscheinungsjahr: 1873
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Themenbereiche
Enthaltene Themen: Wasser, Wolken, Flüsse, Eis, Schnee, Seen, Meere, Gletscher, Wasserdampf, Regen, Dunst,
Vorwort
Nach einer Abwesenheit von zwölf Jahren besuchte ich die Mer de Glace im vergangenen Juni. Sie zeigte in auffallender Weise einen Mehrverbrauch gegenüber der Zufuhr, welcher, wenn es so fortgeht, die Schweizer Gletscher zu bloßen Gespenstern ihres früheren Selbst macht. Als ich die Mer de Glace zuerst sah, ragten ihre Eiszacken über Les Mottets empor und ein Arm des Arveiron, der aus den Eiszacken entspringt, stürzte als ein gewaltiger Wasserfall über, die Felsen. Das Eis ist jetzt weit hinter ihnen zurückgewichen. Eine mächtige Moräne, welche vom zurückweichenden Gletscher zurückgelassen worden ist, wird noch eine Zeit lang seine frühere Größe bezeichnen. Das Gewölbe des Arveiron hat bedeutend abgenommen. Der Weg zum Chapeau hinauf liegt auf der Höhe einer Seitenmoräne, welche einige Jahre früher von der Oberfläche des Gletschers erreicht wurde; die jetzige Oberfläche liegt viel tiefer. Das sichtbare und fortdauernde Zurückweichen von den Moränen, welche auf diese Weise an dem Bergabhange gestrandet sind, erklärt die Abwesenheit alter Spalten an denjenigen Bergstellen, wo die Abhänge steil sind. Der Eisfall des Géant hat viel durch die allgemeine Abnahme gelitten. Seine Risse sind noch immer fürchterlich, aber die Eisriffe und Spalten der früheren Zeiten sind nur noch spärlich vorhanden.
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Nach einer Abwesenheit von zwölf Jahren besuchte ich die Mer de Glace im vergangenen Juni. Sie zeigte in auffallender Weise einen Mehrverbrauch gegenüber der Zufuhr, welcher, wenn es so fortgeht, die Schweizer Gletscher zu bloßen Gespenstern ihres früheren Selbst macht. Als ich die Mer de Glace zuerst sah, ragten ihre Eiszacken über Les Mottets empor und ein Arm des Arveiron, der aus den Eiszacken entspringt, stürzte als ein gewaltiger Wasserfall über, die Felsen. Das Eis ist jetzt weit hinter ihnen zurückgewichen. Eine mächtige Moräne, welche vom zurückweichenden Gletscher zurückgelassen worden ist, wird noch eine Zeit lang seine frühere Größe bezeichnen. Das Gewölbe des Arveiron hat bedeutend abgenommen. Der Weg zum Chapeau hinauf liegt auf der Höhe einer Seitenmoräne, welche einige Jahre früher von der Oberfläche des Gletschers erreicht wurde; die jetzige Oberfläche liegt viel tiefer. Das sichtbare und fortdauernde Zurückweichen von den Moränen, welche auf diese Weise an dem Bergabhange gestrandet sind, erklärt die Abwesenheit alter Spalten an denjenigen Bergstellen, wo die Abhänge steil sind. Der Eisfall des Géant hat viel durch die allgemeine Abnahme gelitten. Seine Risse sind noch immer fürchterlich, aber die Eisriffe und Spalten der früheren Zeiten sind nur noch spärlich vorhanden.
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Inhaltsverzeichnis
- §. 01. Wolken, Regen und Flüsse
- §. 02. Flüsse, die aus Gletschern entspringen
- §. 03. Die Lichtwellen
- §. 04. Die Wärmewellen, welche den Dampf unserer Atmosphäre erzeugen und unsere Gletscher schmelzen
- §. 05. Versuche, welche die vorhergehenden Behauptungen beweisen
- §. 06. Verdunstung des Meerwassers
- §. 07. Tropischer Regen
- §. 08. Die Gebirge als Verdichter
- §. 09. Gefüge des Schnees
- §. 10. Atomische Pole
- §. 11. Bau des Eises auf Landseen
- §. 12. Die Quelle des Arveiron. Eisspitzen, Türme und Klüfte des Gletschers des Bois. Weg auf den Montanvert
- §. 13. Die Mer de glace und ihre Quellen. Unsere erste Besteigung bis zur Schlucht
- §. 14. Eiswasserfall und Schneefelder auf dem Col du Geant
- §. 15. Die Gletscherfrage
- §. 16. Zweige und Mittelmoränen der Mer de Glace von der Kluftstation
- §. 17. Die Talefre und der Jardin. Arbeit zwischen den Spalten
- §. 18. Die ersten Fragen über die Bewegung der Gletscher. Verschiebung von Gegenständen, welche in einer Spalte begraben werden
- §. 19. Die Bewegung der Gletscher. Messungen von Hugi und Agassiz. Treiben von Hütten auf dem Eis
- §. 20. Genaue Messungen von Agassiz und Forbes. Beweis der Ähnlichkeit der Gletscherbewegung mit der Bewegung der Flüsse
- §. 21. Der Höhenmesser und seine Anwendung. Unsere eigenen Messungen
- §. 22. Bewegung der Mer de Glace
- §. 23. Ungleiche Bewegung der beiden Seiten der Mer de Glace
- §. 24. Vermutung einer neuen Ähnlichkeit der Gletscherbewegung mit der Bewegung der Flüsse. Prüfung dieser Vermutung
- §. 25. Neues Gesetz der Gletscherbewegung
- §. 26. Bewegung der Achse der Mer de Glace
- §. 27. Bewegung der Nebengletscher
- §. 28. Bewegung des Gletschers an der Oberfläche und an der Bodenfläche
- §. 29. Seitliche Pressung eines Gletschers
- §. 30. Pressung eines Gletschers der Länge nach
- §. 31. Schieben und Fließen. Hartes und weiches Eis
- §. 32. Winter auf der Mer de Glace
- §. 33. Bewegung der Mer de Glace im Winter
- §. 34. Bewegung des Grindelwald- und des Aletschgletschers
- §. 35. Bewegung des Morteratschgletschers
- §. 36. Entstehung einer Spalte; Betrachtungen
- §. 37. Eiszapfen
- §. 38. Der Bergschrund
- §. 39. Querspalten
- §. 40. Handspalten
- §. 41. Längenspalten
- §. 42. Wie sich die Spalten zur Krümmung der Gletscher verhalten
- §. 43. Moränefirsten, Gletschertische und Sandkegel
- §. 44. Die Gletschermühlen (Moulins)
- §. 45. Die Veränderungen des Wasserumfangs bei Wärme und Kälte
- §. 46. Folgen, welche aus den eben beschriebenen Eigentümlichkeiten des Wassers entstehen. Verbesserung von Irrtümern
- §. 47 Der Molekularvorgang der Wassergefrierung
- §. 48 Die Schmuzstreifen der Mer de Glace
- §. 49 See-Eis und Eisberge
- §. 50 Das Aeggischhorn, der Märgelinsee und seine Eisberge
- §. 51 Die schöne Alp (Bel-Alp)
- §. 52 Der Riffelberg und Görnergletscher
- §. 53 Vormalige Gletscher der Schweiz
- §. 54 Erratische Blöcke
- §. 55 Vormalige Gletscher in England, Irland, Schottland und Wales
- §. 56 Die Eiszeit
- §. 57 Gletschertheorien
- §. 58 Ausdehnungs- und Gleitungstheorien
- §. 59 Plastische Theorie
- §. 60 Die Theorie von der Zähigkeit des Eises
- §. 61 Wiedergefrierungstheorie
- §. 62 Ursache der Wiedergefrierung
- §. 63 Faradays Ansicht von der Wiedergefrierung
- §. 64 Die blauen Adern der Gletscher
- §. 65 Zusammenhang zwischen Aederung und Druck
- §. 66 Schieferspaltung und Gletscherblätterungen
- §. 67 Schluss
Der große Aletsch und seine Nachbarn zeigen ähnliche Beweise von Abnahme. Ich fand außerdem in diesem Jahre, dass die beiden alten, in Satz 364 erwähnten Moränen Teile derselben großen Seitenmoräne sind, welche den Gletscher eine lange Zeit hindurch begrenzte, während welcher seine Größe sich wirklich gleich geblieben sein muss. Der Platz, der von dem alten Eisfluss eingenommen wurde, ist deutlich sichtbar durch diese wohlerhaltene Grenze.
Während meines Aufenthalts auf der Bel-Alp in diesem Jahre ereignete sich eine Katastrophe, welche für jetzt die in §. 50 gegebene Beschreibung des Märgelinsees unzutreffend macht. In Begleitung zweier junger Freunde war ich den Gletscher hinuntergestiegen und durch den Schlund des Massa hindurchgegangen. Bei unserer Rückkehr nach Bel-Alp fanden wir die Dienstboten des Hotels aus den Fenstern herausgelehnt und aufgeregt nach dem Gletscher hinblickend. Von diesem ging ein Geräusch aus, welches dem Rauschen eines Wasserfalles glich. Die Leute meinten, der Märgelinsee müsste durchgebrochen sein. Das war auch der Fall. Eine Zeit lang jedoch floss das Wasser unterhalb des Gletschers; aber an einer Stelle ungefähr in der Mitte zwischen Bel-Alp und dem Aegischhorn brach es nach der Aegischhornseite hervor und bildete einen Strom zwischen dem Gletscher und dem Bergabhang. An einigen Stellen war dieser Fluss mehr als 60 Ellen breit, an andern zog er sich zu weniger als einem Fünftel dieser Breite zusammen. Unterbrochene Wasserfälle von außerordentlicher Höhe wurden durch aufeinanderfolgende vorstehende Eisränder gebildet; der Strom sprang mit unbeschreiblicher Heftigkeit von Rand zu Rand, indem er Wasserstaub in die Luft sprühte. An einer Stelle war der Grund des Stromes tiefer, weicher Sand, welcher, wie man nach Abfluss des Wassers sehen konnte, durch die wirbelnden Strudel über ihm zu großen Trichtern geformt wurde.
Bald nachdem wir bei der eben berichteten Gelegenheit Bel-Alp erreicht hatten, erschien die Vorderseite des Stromes auf der gegenüberliegenden Seite des Tales, indem er alles Bewegliche vor sich hintrieb, und unmittelbar darauf fegte er durch den Hohlweg, den wir kurz vorher am selben Tage durchschritten hatten. Am Ende des Gletschers war ich von der Stärke und dem Umfange des Massa und von der Größe seines Gewölbes überrascht gewesen, aber ich konnte mir nicht die Ungeheuern Eisblocke, welche er andauernd herniederführte, erklären. Unzweifelhaft war der Ausbruch oben teilweise erfolgt, ehe der große Sturz begann. Die Rhône war bedeutend angeschwollen und hatte Ernten beschädigt oder verdorben, und der Führer des Postwagens war äußerst bestürzt, als er sich auf der öffentlichen Landstraße ohne irgendeinen sichtbaren Grund in drei Fuß hohem Wasser befand. Zwei oder drei Tage später erfuhr ich auf dem Aeggischhorn, dass ein Ingenieur hinaufgeschickt worden war, um über die Möglichkeit, einen Kanal zu eröffnen, Bericht zu erstatten, damit irgendeine zukünftige Ansammlung von Wasser im Märgelinsee verhütet werde. Wenn dies geschieht, so wird ein nützlicher Zweck erreicht werden, jedoch auf Kosten einer der größten Schönheiten der Schweiz.
September 1872. J. TYNDALL.
Während meines Aufenthalts auf der Bel-Alp in diesem Jahre ereignete sich eine Katastrophe, welche für jetzt die in §. 50 gegebene Beschreibung des Märgelinsees unzutreffend macht. In Begleitung zweier junger Freunde war ich den Gletscher hinuntergestiegen und durch den Schlund des Massa hindurchgegangen. Bei unserer Rückkehr nach Bel-Alp fanden wir die Dienstboten des Hotels aus den Fenstern herausgelehnt und aufgeregt nach dem Gletscher hinblickend. Von diesem ging ein Geräusch aus, welches dem Rauschen eines Wasserfalles glich. Die Leute meinten, der Märgelinsee müsste durchgebrochen sein. Das war auch der Fall. Eine Zeit lang jedoch floss das Wasser unterhalb des Gletschers; aber an einer Stelle ungefähr in der Mitte zwischen Bel-Alp und dem Aegischhorn brach es nach der Aegischhornseite hervor und bildete einen Strom zwischen dem Gletscher und dem Bergabhang. An einigen Stellen war dieser Fluss mehr als 60 Ellen breit, an andern zog er sich zu weniger als einem Fünftel dieser Breite zusammen. Unterbrochene Wasserfälle von außerordentlicher Höhe wurden durch aufeinanderfolgende vorstehende Eisränder gebildet; der Strom sprang mit unbeschreiblicher Heftigkeit von Rand zu Rand, indem er Wasserstaub in die Luft sprühte. An einer Stelle war der Grund des Stromes tiefer, weicher Sand, welcher, wie man nach Abfluss des Wassers sehen konnte, durch die wirbelnden Strudel über ihm zu großen Trichtern geformt wurde.
Bald nachdem wir bei der eben berichteten Gelegenheit Bel-Alp erreicht hatten, erschien die Vorderseite des Stromes auf der gegenüberliegenden Seite des Tales, indem er alles Bewegliche vor sich hintrieb, und unmittelbar darauf fegte er durch den Hohlweg, den wir kurz vorher am selben Tage durchschritten hatten. Am Ende des Gletschers war ich von der Stärke und dem Umfange des Massa und von der Größe seines Gewölbes überrascht gewesen, aber ich konnte mir nicht die Ungeheuern Eisblocke, welche er andauernd herniederführte, erklären. Unzweifelhaft war der Ausbruch oben teilweise erfolgt, ehe der große Sturz begann. Die Rhône war bedeutend angeschwollen und hatte Ernten beschädigt oder verdorben, und der Führer des Postwagens war äußerst bestürzt, als er sich auf der öffentlichen Landstraße ohne irgendeinen sichtbaren Grund in drei Fuß hohem Wasser befand. Zwei oder drei Tage später erfuhr ich auf dem Aeggischhorn, dass ein Ingenieur hinaufgeschickt worden war, um über die Möglichkeit, einen Kanal zu eröffnen, Bericht zu erstatten, damit irgendeine zukünftige Ansammlung von Wasser im Märgelinsee verhütet werde. Wenn dies geschieht, so wird ein nützlicher Zweck erreicht werden, jedoch auf Kosten einer der größten Schönheiten der Schweiz.
September 1872. J. TYNDALL.
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