§. 03. Die Lichtwellen

20. Aber was ist die Sonne? Wir kennen ihre Größe und ihr Gewicht. Wir wissen auch, dass sie ein Feuerball ist, der viel heißer ist als irgendein Feuer auf der Erde. Aber wir kommen jetzt zu einer anderen Frage. Wir wollen bestimmt erfahren, was unter Sonnenlicht und Sonnenhitze verstanden wird; auf welche Weise teilen sie sich unseren Sinnen mit; durch welche Mittel gelangen sie von der Sonne auf die Erde, und wie bringen sie hier die Wolken unserer Atmosphäre hervor und legen damit den Grund zu unseren Flüssen und Gletschern?

21. Wenn Sie in einem dunkeln Zimmer Ihre Augen schließen und mit dem Finger auf das Augenlid drücken, so wird ein Lichtkreis gegenüber dem gedrückten Punkte sichtbar werden, während ein starker Schlag auf das Auge den Eindruck eines Feuerscheines macht. Es gibt einen Nerven, der besonders den Zwecken des Sehens gewidmet ist und der aus dem Gehirn an die hintere Seite des Auges gelangt und sich hier in feine Fasern teilt, welche zu einer Art von Schirm, Retina oder Netzhaut genannt, zusammengewebt sind. Die Netzhaut kann auf verschiedene Art erregt werden, um die Lichtempfindung zu erzeugen; sie kann, wie wir gesehen haben, durch die rohe mechanische Wirkung eines Schlags auf das Auge erregt werden.


22. Ein gesundes Auge erzeugt keine Lichtempfindung aus sich selbst. Um Sehen zu erzeugen, muss die Netzhaut durch irgendetwas von außen Kommendes erregt werden. Was ist dieses? Auf irgendeine Art haben leuchtende Körper die Eigenschaft, die Netzhaut zu erregen, aber wie?

23. Man hat lange Zeit vermutet, dass von solchen Körpern eine unbegreiflich feine Materie mit unbegreiflicher Geschwindigkeit ausginge, welche durch den Raum fliege, durch die Poren, die man in den Feuchtigkeiten des Auges vermutete, hindurchdränge, hinten die Netzhaut erreiche und durch ihren Stoß gegen die Netzhaut die Lichtempfindung hervorrufe.

24. Diese Theorie, welche von den größten Männern, unter andern auch von Sir Isaak Newton, angenommen wurde, war ausreichend, um eine große Zahl der Lichterscheinungen zu erklären, aber sie war nicht ausreichend, alle zu erklären. Als die Geschicklichkeit und Kenntnis der Forscher wuchs, wurden große Klassen von Tatsachen entdeckt, welche nur dadurch erklärt werden konnten, dass man annahm, das Licht würde erzeugt nicht durch eine feine Masse, welche durch den Raum fliegt und die Netzhaut trifft, sondern durch den Stoß von winzig kleinen Wellen gegen die Netzhaut.

25. Tauchen Sie Ihren Finger in eine Wanne mit Wasser und lassen Sie denselben dann schnell hin- und herschwingen. Von dem Punkte der Störung gehen kleine Wellen aus, welche vom Wasser weitergetragen werden und welche zuletzt an die Wanne anschlagen. Hier haben Sie in dem sich bewegenden Finger die Quelle der Erregung; in dem Wasser haben Sie ein Zuführungsmittel, durch welches die Bewegung des Fingers übertragen wird, und Sie haben endlich die Wand der Wanne, welche den Stoß der kleinen Wellen empfängt.

26. In ähnlicher Weise haben Sie nach der Wellentheorie des Lichts eine Quelle der Bewegung in den schwingenden Atomen oder kleinsten Teilchen des leuchtenden Körpers; Sie haben ein Hilfsmittel der Übertragung in einem Stoff, welcher, wie man annimmt, überall im Raum verteilt und auch in den Feuchtigkeiten des Auges verbreitet ist; und endlich haben Sie die Netzhaut, welche die aufeinanderfolgenden Stöße der Wellen empfängt. Man nimmt an, dass diese Stöße die Lichtempfindung verursachen.

27. Wir haben es hier zum größten Teil nur mit Vermutungen und Voraussetzungen zu tun. Wir haben nie die Atome eines leuchtenden Körpers noch ihre Bewegungen gesehen. Wir haben nie das Medium, welches ihre Bewegungen überträgt, noch die Wellen dieses Mediums gesehen. Wie kommen wir denn dazu, ihr Dasein anzunehmen?

28. Ehe ein solcher Gedanke im menschlichen Geiste Wurzel fassen konnte, musste er durch Beobachtungen und Berechnungen der gewöhnlichen Wellenbewegung gut geschult und vorbereitet sein. Es war notwendig zu wissen, wie Wasserwellen und Schallwellen entstehen und fortgepflanzt werden. Es war vor allen Dingen notwendig zu wissen, wie Wellen, welche durch dasselbe Medium gehen, aufeinander einwirken. So unterwiesen war der Geist vorbereitet, um irgendeine Ähnlichkeit zwischen der Tätigkeit des Lichts und jener der Wellen zu entdecken. Große Klassen optischer Erscheinungen zeigten sich demgemäß, welche auf die vollständigste und befriedigendste Weise erklärt werden konnten, wenn man annahm, dass sie von Wellen herrührten, und welche auf keine andere Weise erklärt werden konnten. Durch ihre Fähigkeit, alle Lichterscheinungen zu erklären, ist die Wellentheorie von Seiten der wissenschaftlichen Leute allgemein angenommen worden. Gestatten Sie mir ein Gleichnis anzuführen. Wir schließen aus den Feuersteinwerkzeugen, welche unlängst in solcher Menge in England und andern Gegenden gefunden worden sind, dass sie von Menschen verfertigt worden waren, und auch dass die Pyramiden in Ägypten von Menschen erbaut sind, weil, soweit unsere Erfahrung reicht, nur Menschen dergleichen Werkzeuge bilden und solche Pyramiden bauen konnten. In gleicher Weise schließen wir von der Erscheinung des Lichts auf die Tätigkeit von Wellen, weil, soweit unsere Erfahrung reicht, keine andere Tätigkeit diese Erscheinung erzeugen könnte.