§. 11. Bau des Eises auf Landseen

96. Wir haben uns auf diese Weise mit den schonen, sich aus den Molekülen des Wassers bei ruhiger kalter Luft bildenden Schneeblumen bekannt gemacht. Zeigen die Moleküle diese aufbauende Kraft auch, wenn gewöhnliches Wasser gefriert? Wie ist z. B. der Bau des Eises, auf welchem wir im Winter Schlittschuhlaufen? Ganz ebenso wunderbar wie die Schneeblumen. Die Beobachtung, dass bei langsam gefrierendem Wasser sechseckige Eissterne sich bilden und frei auf der Oberfläche schwimmen, ist selten, vielleicht noch gar nicht gemacht worden; doch habe ich es mehrmals gesehen. Diese Form des sechseckigen Sterns ist übrigens typisch für den Bau des Eises auf Landseen. Dieses setzt sich durch wunderbare Verschlingung solcher Formen zusammen.

97. Nehmen Sie eine Platte festen Eises und bringen Sie dieselbe in den Weg eines konzentrierten Sonnenstrahls. Beobachten Sie den Gang des Strahls durch das Eis. Ein Teil des Strahls wird aufgehalten, und ein Teil geht hindurch; der Erstere erzeugt inneres Schmelzen, der zweite hat keinen Einfluss auf das Eis. Aber das Schmelzen findet nicht gleichmäßig statt. An verschiedenen Stellen des Eises sieht man kleine leuchtende Punkte funkeln. Jeder dieser Punkte ist von einer schonen flüssigen Blume mit sechs Blättern umgeben.


98. Eis und Wasser sind sich im Aussehen so ähnlich, dass, wenn das Licht nicht geeignet auf diese Blumen fällt, Sie dieselben nicht sehen können. Aber was ist der in der Mitte liegende Punkt? Ein leerer Kaum. Eis schwimmt auf Wasser, weil es bei gleichem Rauminhalt leichter ist als Wasser; hieraus folgt, dass wenn Eis schmilzt, es an Umfang abnimmt. Können daher die geschmolzenen Blumen den ganzen Raum des geschmolzenen Eises einnehmen? Offenbar nein. Es bildet sich ein kleiner leerer Raum zugleich mit den Blumen, und dieser Kaum oder vielmehr seine Oberfläche glitzert in der Sonne mit dem Glanz von poliertem Silber.

99. In allen Fällen bilden sich die Blumen in paralleler Richtung zur Oberfläche des Gefrierens. Sie werden bei Sonnenschein auf dem Eis jedes Sees gebildet; zuweilen in ungeheurer Anzahl und so klein, dass man sie nur durch ein Vergrößerungsglas sehen kann. Sie sind immer zu erzielen, aber ihre Schönheit wird oft durch innere Mängel des Eises verdorben. Selbst ein Teil des nämlichen Stückes Eis kann sie vorzüglich zeigen, während ein anderer Teil sie unvollkommen zeigt.

100. Es folgt hierbei eine sehr unvollkommene Zeichnung dieser schonen Figuren (S. 44).

101. Hier haben wir ein Gegenstück zum Vorgange der Kristallisation. Der eindringende Sonnenstrahl ist fein genug, um die Moleküle zu verschieben, ohne die Anordnung ihres Baues zu stören. Machen Sie diesen Versuch für sich mit einer Taschenlinse an einem sonnigen Tage. Sie werden die Blumen nicht in Unordnung finden; sie liegen alle gleichlaufend mit der Oberfläche des Gefrierens. Auf diese ausgezeichnete Art ist jedes Stück Eis, über welches unsere Schlittschuhläufer im Winter gleiten, zusammengesetzt.

102. Ich sagte im Satz 97, dass ein Teil des Sonnenstrahls vom Eise aufgehalten wird und dasselbe schmilzt. Welcher Teil ist das? Die dunkle Wärme der Sonne. Der größte Teil der Lichtwellen und selbst ein Teil der dunkeln Wellen gehen durch das Eis, ohne etwas von ihrer erwärmenden Kraft zu verlieren. Wenn sie auf geeignete Weise auf brennbaren Körpern vereinigt werden, offenbart sich ihre verbrennende Kraft, selbst nachdem sie durch das Eis gegangen sind.

Flüssige Blumen in See-Eis

103. Und das Eis selbst kann dazu gebraucht werden, um sie zu vereinigen. Mit einer Eislinse hat Dr. Scoresby oft in den Polargegenden die Sonnenstrahlen vereinigt, um durch sie Holz in Brand zu setzen, Schießpulver abzubrennen und Blei zu schmelzen; dies beweist, dass die Strahlen ihre wärmende Kraft, beibehalten, selbst nachdem sie durch eine so kalte Substanz gegangen sind.

104. Wenn wir die Strahlen einer elektrischen Lampe parallel machen und sie dann durch eine Eislinse fallen lassen, so erhalten wir dieselben Wirkungen, wie sie Dr. Scoresby durch die Sonnenstrahlen erlangte.