§. 13. Die Mer de glace und ihre Quellen. Unsere erste Besteigung bis zur Schlucht

113. Hier ist die Aussicht vor uns sehr großartig. Wir sehen über den Gletscher weg die schöne Pyramide der Aiguille du Dru (auf unserm Titelbild dargestellt); und zur Rechten die Aiguille des Charmoz mit ihren scharfen Zacken, gebogen, als wären sie biegsam. Sieht man den Gletscher gerade hinauf, so wird die Aussicht begrenzt von den hohen Kämmen der Grande Jorasse, welche fast 14.000 Fuß hoch ist. Unsere Absicht ist jetzt, in das innere Herz der Berge zu gelangen und den wundervollen gefrorenen Fluss, welchen wir oben überschritten haben, bis zu seinem Ursprung zu verfolgen.

114. Wenn wir von Montanvert ausgehen und den Gletscher unter uns links liegen lassen, erreichen wir bald einige Felsen, welche dem Mauvais Pas ähnlich sind; sie heißen Les Ponts. Wir überschreiten sie und erreichen l‘Angle, wo wir das Land verlassen und auf Eis gelangen. Wir steigen den Gletscher hinan, aber bevor wir das Vorgebirge Trélaporte erreichen, nehmen wir nochmals den Bergweg; denn obgleich er seiner Gefahr wegen hier verboten ist, so sind wir gefasst, uns zum Besten der Wissenschaft Gefahren bis zu einer vernünftigen Grenze auszusetzen. Ein kleiner Gletscher liegt am Abhang zu unserer Rechten. Wir sehen einen oder zwei sehr große Felsblöcke am Ende des Gletschers im Gleichgewicht gehalten, und wenn wir Glück haben, können wir den Block sich loslösen und den Abhang heftig hinabstürzen sehen. Wir haben nur Gegenwart des Geistes nötig, um ganz sicher zu sein; aber Reisende zeigen nicht immer Geistesgegenwart, und daher ist der Weg, welcher sonst über diesen Abhang führte, jetzt verlassen. Der ganze Abhang ist mit Felsmassen übersäet, welche dieser kleine Gletscher herniedergesandt hat. Ich wünschte, Sie könnten dieselben sehen; später soll von diesen noch mehr die Rede sein.


115. Über Trélaporte zur Rechten sehen Sie eine sehr eigentümliche Kluft in dem Felsen, in deren Mitte ein einsamer Pfeiler steht, welcher vom Wetter ausgehauen worden ist. Unsere nächste Absicht ist zu dem Felsenturm links von dieser Kluft zu gelangen, denn von diesem Platz aus gewinnen wir eine beherrschende und lehrreiche Aussicht auf die Mer de glace und ihre Quellen.

116. Die besprochene Kluft mit ihrem Pfeiler kann man rechts auf der vorhergehenden Zeichnung der Mer de glace sehen. Unterhalb der Kluft sieht man auch den soeben besprochenen Gletscher.

117. Wir können diese Schlucht durch eine steile Gosse erreichen, welche von unserm jetzigen Standpunkt aus sichtbar ist und gerade auf die Kluft zuführt. Aber diese Gossen oder Abflüsse sind sehr gefährlich, da sie der Weg für die Steine sind, welche aus den Hohen herabfallen. Wir wollen daher den Weg über die Felsen links von dem Abfluss nehmen, nachdem wir durch genaue Untersuchung ihre besteigbaren Punkte festgestellt haben und sie dort besteigen. In den Alpen wie anderswo können außerordentliche Dinge vollbracht werden, wenn man die Schwierigkeiten fest ins Auge fasst und sie da zu überwinden versucht, wo dies erreichbar erscheint. So gelangen wir an unser Ziel, wo die Pracht des Anblicks und die Einsicht in die Bildung der Mer de glace uns reichlich für die Anstrengung des Besteigens belohnt.

118. Denn wir sehen den Gletscher unter uns seine gefrorene Zunge über Montanvert hinaus erstrecken. Und wir finden jetzt, dass dieser einzige Gletscher sich in drei Arme teilt, deren einige breiter als er selbst sind. Betrachten Sie den Arm zu Ihrer Rechten, den Gletscher du Géant. Er streckt sich in einer langen Entfernung glatt aus, wird dann unterbrochen und verwandelt sich später in einen großen gefrorenen Wasserfall, in welchem das Eis in wilder Verwirrung herniederzustürzen scheint. Über dem Fall sehen Sie ein Schneefeld, welches eine Fläche von einigen englischen Quadratmeilen einnimmt.