§. 02. Flüsse, die aus Gletschern entspringen

17. Es gibt jedoch Flüsse, deren Quellen etwas verschieden sind von denen der eben erwähnten. Sie haben nicht ihren Ursprung in Wasser, welches von einem Bergabhang heruntersickert, noch kann man sie bis zu einer Quelle verfolgen. Gehen Sie z. B. an die Mündung der Rhone und verfolgen Sie sie rückwärts bis Lyon, wo sie nach Osten umbiegt. Biegen Sie um Chambéry herum, so kommen Sie zuletzt an den Genfersee, aus welchem der Fluss herauskommt und welchen Sie geneigt sein konnten für die Quelle der Rhône zu halten. Aber gehen Sie an das andere Ende des Sees, da werden Sie finden, dass die Rhône dort eintritt, und dass der See in Wirklichkeit eine Art Ausbreitung des Flusses ist. Verfolgen Sie diesen aufwärts; Sie finden, dass schmälere Flüsse von rechts und links ihm zulaufen. Überschreiten Sie diese und setzen Ihre Reise noch höher hinauf fort. Zuletzt kommen Sie zu einer unermesslichen Eismasse — das Ende eines Gletschers — , welche das Rhônetal ausfüllt, und aus dem Fuße des Gletschers entspringt der Fluss. So finden Sie im Rhônegletscher die Quelle des Rhôneflusses.

18. Aber wiederum haben wir nicht den wahren Anfang des Flusses erreicht. Sie werden sich bald überzeugen, dass dieses erste Wasser der Rhône aus dem Schmelzen des Eises entstanden ist. Sie besteigen den Gletscher und gehen auf ihm weiter. Nach einer Weile verschwindet das Eis, und Sie gelangen auf Schnee. Wenn Sie ein geübter Bergsteiger sind, so können Sie bis zu der wirklichen Spitze dieses großen Schneefeldes gehen, und wenn Sie die Spitze übersteigen und an der anderen Seite hinabgehen, so hört der Schnee zuletzt auf, und Sie gelangen auf einen andern Gletscher, Trift genannt, aus dessen Fuß ein kleinerer Fluss als die Rhône entspringt.


19. Sie ersehen bald, dass der Bergschnee den Gletscher ernährt. Durch das eine oder andere Mittel wird der Schnee in Eis verwandelt. Aber woher kommt der Schnee? Wie der Regen kommt er aus den Wolken, welche wir bis zu ihrem Ursprung als Dampf, der von der Sonne hervorgerufen wird, verfolgen können. Ohne das Sonnenfeuer könnten wir keinen atmosphärischen Dampf haben, ohne Dampf keine Wolken, ohne Wolken keinen Schnee und ohne Schnee keine Gletscher. So sonderbar auch diese Schlussfolge klingen mag, so können wir doch sagen, das kalte Eis der Alpen hat seinen Ursprung in der Hitze der Sonne.