Rückblick auf 1865

Populärwissenschaftliche Beiträge zur Geschichte und Landeskunde
Autor: Redaktion - Baltische Monatsschrift, Erscheinungsjahr: 1866
Themenbereiche
Enthaltene Themen: Baltikum, Kurland, Estland, Livland, Russland, Landeskunde, Völkerkunde, Deutschland, Religion, Wirtschaft, Politik, Geschichte
Aus: Baltische Monatsschrift. Populärwissenschaftliche Beiträge zur Geschichte und Landeskunde Ost-Europas. Dreizehnter Band. Riga, Verlag von Nikolai Kymmels Buchhandlung. 1866

Das Jahr 1865 war für die europäische Staatengeschichte ebenso reich an Ereignissen, wie arm an Resultaten: wie aus die unbillige Masse Sekt, die John Fallstaffs Rechnung auswies, nur für einen halben Penny Brot kam, so sind die zahllosen Kombinationen, Anläufe zu großen Taten, die diplomatischen Noten und parlamentarischen Reden der letzten zwölf Monate von außerordentlich wenig greifbaren Errungenschaften begleitet gewesen, die sich auch nur in das nächste Jahr hinübernehmen ließen. Als hätte der Dichter Recht, der die Weltgeschichte schon vor einem halben Menschenalter über den Ozean nach Westen flüchten ließ, ist das größte, wichtigste Ereignis des Jahres — der Sieg, den die Sache der Freiheit in Nordamerika erfochten — aus der neuen Welt zu uns herübergekommen, um der überlebten Staatsweisheit zu spotten, die gerade in den Kulturländern Westeuropas, in England und Frankreich, ihr Interesse an die unterlegene Sache der Sklavenhalter geheftet hatte. Am Ausgang desselben Jahres, bei dessen Beginn die Waagschale des Krieges noch genügsam geschwankt hatte, um die erfahrensten politischen Kalkulatoren Alt-Englands irre zu führen, ist von der Unionsarmee kaum noch der fünfte Teil unter Waffen, und während die preußische Militär- und Junkerpartei das Jahr 1865 hindurch fast ununterbrochen mit den Sporen klirrte, die sie durch verhältnismäßig geringe Anstrengung bei Düppel und vor Alsen erworben, lesen wir, dass die ruhmbekränzten Führer der Potomac- und der Mississipi-Scharen längst in den Reihen des Volks verschwunden sind, dass Burnside, der tapfere aber unglückliche Kämpfer von Fredericksburg, als Eisenbahnagent Pensylvanien durchreist, Butler, der Befreier von New-Orleans, an seine Webstühle nach Massachusets zurückgekehrt, die Generäle Sigel und Schurz, die dem deutschen Namen in der Fremde mehr militärische Anerkennung erworben haben als die Wrangel und Gablenz, in die Reihe simpler Zeitungsschreiber herabgestiegen sind. Und wie um die Überlegenheit der neuen Welt über die alte — in der einer militärischen Errungenschaft regelmäßig die entsprechende diplomatische Dummheit folgen muss — vollständig darzutun, beschließt der nordamerikanische Kongress in den letzten Tagen des abgelaufenen Jahres, die übereilte, den Interessen der südlichen Aristokratie allzu vorteilhafte Rekonstruktions-Politik Johnsons zu hemmen und sichere Garantien für den nachhaltigen Sieg der Ideen zu verlangen, um welcher willen der Norden das Schwert gezogen.

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An dem Maßstab so großartiger Ereignisse und Aussichten gemessen schrumpft beinahe alles, was die europäische Geschichte der letzten zwölf Monate auszuweisen hat, zusammen. Es bedarf einer Erinnerung an den vielgestaltigen Reichtum der Einzelentwicklung innerhalb unseres Weltteils, um den durch Betrachtung amerikanischer Zustände an riesige Verhältnisse und rapide Resultate gewöhnten Blick vor der Gefahr einer Unterschätzung der jüngsten Erlebnisse des europäischen Völkerlebens sicher zu stellen. Nicht nur als die Werkstatt all' der wissenschaftlichen und künstlerischen Gedanken, welche die Kulturwelt diesseits und jenseits des Ozeans bewegen, auch als die Mutter und Schmerzensträgerin der Menschheitsentwicklung von der Unfreiheit zur Freiheit, steht die europäische Gesellschaft noch immer im Mittelpunkt der Geschichte. In dem Bewusstsein, dass es die drei großen europäischen Stämme sind, denen die Herrschaft über die Erde zugefallen ist und die um die Grenzen derselben streiten, dass jede auch die kleinste Veränderung innerhalb der europäischen Staatengebiete in dieser Rücksicht von einem Einflusse ist, wie er kaum den größten außereuropäischen Grenzverrückungen zugeschrieben werden kann und dass zum guten Teil nur der Reichtum unserer Vergangenheit die Schuld daran trägt, wenn wir an der raschen Bewegung in der Gegenwart vielfach behindert sind, während die ahnen- und traditionslose Gesellschaft drüben weder sich selbst noch ihrer Geschichte besondere Rücksichten schuldet — in diesem Bewusstsein werden wir die Geduld wieder gewinnen, den feingesponnenen Fäden der europäischen Politik, den endlosen Episoden und Einschaltungen der deutschen Geschichte nachzugehen und uns schließlich in die Geschicke der kleinen Welt am Busen der Ostsee, die wir als einen der westlichsten Teile des großen russischen Reiches die unsrige nennen zu vertiefen.

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Die eigentümlichen Wechselwirkungen zwischen innerer und äußerer Politik haben während der letzten Jahrzehnte die Alternative: Machtstellung und Geschlossenheit nach außen oder freiheitlicher Entwickelung im Innern der Reihe nach fast an alle Staaten des europäischen Kontinents treten lassen. Die Lehre von der Unversöhnlichkeit dieses angeblichen Gegensatzes wurde zuerst in Frankreich aufgestellt und durch die Geschichte des neuen Imperialismus illustriert, diesseits des Rheins schien sie einen Augenblick in Deutschland, zumal in Preußen Boden zu gewinnen, während sich die Unmöglichkeit ihrer Lösung im Sinne der Unfreiheit beinahe gleichzeitig ihrer ganzen Schärfe nach in Österreich offenbarte, dessen schwierige ethnographische Verhältnisse die Notwendigkeit einer absolutistischen Zentralisation am ehesten zu rechtfertigen schien. Nur das junge Italien hat den kühnen Versuch gewagt, beiden Schwierigkeiten gleichzeitig ins Auge zu sehen und inmitten der harten Arbeit um die Wiederherstellung einer seit einem Jahrtausend zerstörten Reichseinheit ein festes Bollwerk der Humanität und der Menschenrechte zu begründen, ebenbürtig dem der Volksfreiheit Englands, das die Gegensätze, um deren Lösung der Kontinent sich müht, schon in ihrer Kindheit überwunden hat.

Friedrich Wilhelm III. König von Preußen (1770-1840)

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Pommersches National-Kavallerie-Regiment. Preußen.

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Alexander I. Zar von Russland

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  007. Sitzung des Unterhauses Aus R. Ackermann. Microcosm of London. 1811

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008. König Georg III. Kupferstich von W. Woollett nach dem Bilde von A. Ramsay

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Feierabend am Kamin

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Landleben in USA

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Horse Wrangler - Pferdetreiber

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