Frankreich

Wenn wir von diesen Betrachtungen über die Lage Österreichs zu den Westmächten Frankreich und England und zu Italien übergehen, so können wir uns bezüglich dieser kürzer fassen, weil es sich in ihnen während des Jahres 1865 nicht um neue Wege und Ziele gehandelt hat. Für die beiden Großmächte des Westens haben die Vorgänge in Nordamerika eine ungleich größere Rolle gespielt als die Schachzüge der europäischen Politik. In Frankreich, wo Prinz Napoleon im Januar mit dem Vize-Präsidium des Geheimrats betraut worden war, aus dem er im Juni wegen seiner demokratischen Sünden in Ajaccio auftreten musste, ruhte das Heft nach wie vor beinahe ausschließlich in den Händen des Kaisers; trotz ihrer Energie und der Talente, die sie unter ihre Fahnen versammelt hat, ist es der Opposition noch nicht gelungen, einen direkten Einfluss auch nur auf den Gang der inneren Politik zu erobern, und von freiwilligen Konzessionen an das politische Betätigungsbedürfnis der Nation ist vollends nicht die Rede gewesen, die „Krönung des Gebäudes“ in die letzten Blätter des Fabelbuchs geschrieben. Weder die Händel mit den Bischöfen, welche die ersten Monate des Jahres erfüllten und von dem Minister Barsche mit entschiedenem Unglück geführt wurden, noch Thiers Angriffe auf die italienische Politik des Kaisers, noch auch die allgemeine Abneigung aller halbwegs unabhängigen Leute gegen die Fortdauer der mexikanischen Expedition, oder das verhältnismäßige Fiasko, das der kaiserliche Schriftsteller mit seiner „Vie de César“ gemacht hat, haben die Regierung zu erschüttern vermocht; auch die Aufregung über die beabsichtigte Zerstörung des Luxembourg-Gartens und die Pariser Studentenkravalle sind ohne nachhaltige Bedeutung geblieben. Von wesentlichen Erfolgen ist nirgends die Rede gewesen: der Friede in Algier ist trotz des kaiserlichen Besuchs, der kaiserlichen Broschüre und der Union africaine noch nirgends wiederhergestellt worden, die Lage der Finanzen hat sich in nichts gebessert, die im finanziellen Interesse so dringend gebotene Militärreduktion hat sich in eine Seifenblase ausgelöst, die von Duruy so dringend befürwortete Reform des Volksunterrichts ist auf halbem Wege stehen geblieben, die Hoffnungen aus Konsolidierung des mexikanischen Kaisertums sind seit der Wiederherstellung der nordamerikanischen Union vollends in die Brüche geraten und haben ernsten Befürchtungen vor einem Konflikt mit dem Washingtoner Kabinett Platz gemacht, das dem Kaiser seine Sympathien für die rebellischen Sklavenhalter des Südens schwerlich vergessen wird. Mehr denn je hat es sich ausgewiesen, dass das neue Empire seine Hauptstütze in der Person des Kaisers besitzt, dem die letzten Jahre seine treuesten und brauchbarsten Diener (im März d. J. verstarb Morny) entrissen haben. Die Regentschaft, welche die Kaiserin während des Ausflugs nach Algier führte, hat dem Herrschertalent derselben in der öffentlichen Meinung kein so vollgültiges Zeugnis ausgestellt als die jüngste Thronrede; die stets wiederkehrenden Konflikte mit dem Sohne Jerome’s sind jedesmal von peinlichen Erwägungen über die Zukunft der Dynastie begleitet und die Gefügigkeit der kaiserlichen Staatsmänner gegen den Willen des Herrschers lässt es fraglich erscheinen, ob die Drouin, Lavalette und Walewski ohne denselben im Stande sein werden den Thron zu stützen und kommenden Verwickelungen kräftig zu begegnen. Die Unterordnung unter die Verhältnisse ist jenen Männern zu sehr in Fleisch und Blut übergegangen, um bei einem Wechsel der Dinge irgend welche Garantien zu bieten und an unabhängigen Anhängern ist das französische Kaisertum niemals reich gewesen.

Wir können unsern Bericht über Frankreich nicht abschließen, ohne der hervorragenden Söhne dieses Landes zu gedenken, die während des Jahres 1865 ins Grab sanken. Morny's ist schon oben erwähnt worden. In viel engerem Zusammenhange mit der Nation als dieser abenteuernde Staatsmann stand der im Januar verstorbene Obrist Charras, ein Republikaner aus der Schule Cavaignacs, der sich durch seine militärgeschichtlichen Schriften, insbesondere seine Geschichte der Schlacht bei Waterloo, einen Namen gemacht hat und als edler, mannhafter Charakter den Besten seines Volkes zugezählt wird. Im September folgte ihm ein anderer Gefährte Cavaignacs, der General Lamoricière, der die Untätigkeit des Exils nicht ertragend, seit 1859 in päpstliche Dienste getreten war und so die ihm versagte Schlachtenarbeit für das heiß geliebte Vaterland mit der Heerführerschaft zum Schutze des Pfaffenstaats, den Republikanismus mit dem Romanismus vertauscht hatte. Ein in der Tat tragisches Geschick! Zu Anfang des Jahres starb auch Proudhon, der kühne, ja oft paradox scheinende und doch höchst ernsthafte Denker. Über ihn, sowie über die Gesamtheit der mit dem Namen des Sozialismus bezeichneten Theorien, wird erst ein späteres Zeitalter, aus der Grundlage mancher erst zu machenden Erfahrungen, gerechtes Gericht halten können; dem unsrigen ist es noch nicht gegeben, die darin enthaltenen fruchtbaren Keime einer neuen Weltordnung von dem allerdings noch häufiger vorkommenden Dunst und Schwindel deutlich zu unterscheiden; leicht aber möchte man schon jetzt Proudhon für den wissenschaftlichsten aller bisherigen Sozialisten anerkennen, falls er überhaupt dieser Klasse zuzuzählen ist. — Im Oktober endlich beschloss der greise Dupin sein erfahrungsreiches Leben, der so viele Regierer Frankreichs gesehen, unter allen als ein Kenner und Hüter des Rechts sich verdient gemacht und schließlich auch mit den Mächten der letzterlebten Phase seinen Frieden gemacht hatte.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Rückblick auf 1865