St. Petersburg - zweitgrößte Stadt Russlands, gegründet von Peter dem Großen

Zwei Jahre in Petersburg

Aus den Papieren eines alten Diplomaten
Autor: Klinger, Friedrich Maximilian von (1752-1831), Erscheinungsjahr: 1848
Themenbereiche
Enthaltene Themen: St. Petersburg, Fanny Tarnow, Friedrich Maximilian von Klinger, Russland, Winterpalast, Peter der Großen
Herausgegeben von Fanny Tarnow (1779-1862)
Es ist ein ewiger Cyklus gegeben zwischen der Kunst, zu beobachten, und der Kunst, die Beobachtungen zu erklären. Dieser Cyklus lebt als Gesetz in uns, und wir können das Eine so wenig lassen als das Andere: es ist die Axe, auf der der forschende Geist sich fortbewegt; ihre Scheitelpunke sind Erfahrung und Idee.


Vorwort zu Zwei Jahre in Petersburg

Es drängt von Außen sich in jeder Richtung
Ein Strom von Bildern in des Menschen Sinne,
Der strebt, daß er ihm Wahrheit abgewinne;
Umsonst, die Wirklichkeit ist nur Erdichtung.

Er zittert ob des theuern Scheins Vernichtung,
Bekümmert, daß ihm alles Sein zerrinne.
Da zeigt sich ihm zu schönerem Gewinne
Die Welt der Wahrheit in der Welt der Dichtung.

So schwinden in ihr Nichts die Truggestalten
Der Nacht, wenn durch des Aethers weite Räume
Die Sonne sich ergießt im ew’gen Lichte.

Beglückt, wem mitten in dem Land der Träume
Der Dichtung Sonnenblicke sich entfalten,
Daß sich sein Leben schmücke zum Gedichte.

Zum Lebewohl an alle mir Wohlwollende.

Mit ernster Wehmuth trete ich aus der stillen Abgeschiedenheit von allem literarischen Verkehr, in der ich seit Jahren lebe, noch einmal hervor, um dem Publicum die zweite Auflage eines Buches zu überreichen, welches bei seinem ersten Erscheinen eine so günstige Aufnahme fand, daß die ganze Auflage in wenig Wochen vergriffen wurde und nun schon seit Jahren kein Exemplar mehr im Buchhandel aufzufinden war. Es ist mir aber jetzt, wo ich mich mit raschen Schritten dem Ziele meiner irdischen Laufbahn nähere, eine heilige Pflicht, dies Denkmal der Ehrfurcht und der Liebe, das mein Herz dem edlen Freunde weihete, auf dessen Wunsch es geschrieben wurde, zu erneuern, und es möge mir zugleich vergönnt werden, den Verehrern des großen Mannes Einiges von meinem Verhältniß zu ihm zu sagen, da ich die einzige vertraute Freundin bin, die er in den letzten 30-40 Jahren seines Lebens gehabt hat und die sich seines Vertrauens erfreuen durfte.

Ganz fremd, unbekannt und ohne alle Empfehlungsbriefe ging ich nach Petersburg, um die geliebteste, unvergeßliche Freundin meiner Jugend wieder zu sehen, die dort seit einem Jahre verheirathet lebte. Ein glücklicher Zufall war von dem entscheidendsten Einflusse auf meine dortigen Verhältnisse, weil er mir zwei Freunde zuführte, die beide mit einander wetteiferten, mir den Aufenthalt in Petersburg reich und gehaltvoll zu machen. Dem Einen gab, als er Odessa verließ, um nach Petersburg zurückzureisen, eine deutsche Frau einen Band meiner Erzählungen mit, um ihn während der einförmigen Reise zu lesen, und als er bei seiner Ankunft in Petersburg zufällig erfuhr, die Verfasserin derselben sei vor einigen Wochen aus Deutschland angekommen, suchte er mich auf und bot Alles auf mir den Aufenthalt in der prachtvollen Kaiserstadt angenehm zu machen, wozu ihm bei seinem glänzenden Verhältnisse viele Mittel zu Gebote standen. - Klinger las nie Romane - aber auch ihm spielte mein guter Genius eine deutsche Literaturzeitung in die Hände, in der er eine Recension meines Romans. ,,Thorilde von Adlerstein“ fand und er, der in tiefer Einsamkeit lebend, nie Besuche machte und in keiner Gesellschaft erschien, fand sich doch bewogen, die junge deutsche Schriftstellerin aufzusuchen, und noch jetzt, nach so vielen Jahren, am Rande des Grabes, segne ich die Stunde, in der er es that, als die schönste meines Lebens. Ich habe, Gott sei Dank! in meinem Leben edle Menschen kennen gelernt und der Name des Mannes meiner ersten, schönen und heiligen Jugendliebe wird von ganz Deutschland noch jetzt mit feiernder Hochachtung genannt - allein nur Klinger verdanke ich das seltene und hohe Glück, Ehrfurcht vor dem sittlichen und geistigen Werthe eines Mannes empfunden, und seinen Werth mit allem Zauber einer Begeisterung erkannt zu haben, die mir zum Vorgefühl der Seligkeit eines höhern Daseins geworden ist. In meinen Briefen aus Petersburg habe ich den Eindruck geschildert, den Klinger’s Besuch auf mich machte - darf ich es mir aber wol erlauben von dem Eindrucke zu reden, den ich auf ihn machte? Oft in meinem Leben bin ich mir einer großen, von mir unwillkürlich und unwissentlich geübten Macht über Menschen bewußt geworden; nie hat sich diese aber mächtiger bewährt als bei Klinger’s erstem Besuch, der sich zu Stunden ausdehnte und wo er mir zuletzt von den tiefsten Schmerzen seiner Seele, von dem Verlust seines einzigen Sohnes und dem Kummer seiner Frau sprach, die seit dem Tode desselben täglich zu der Stunde, wo sie die Todesbotschaft erhielt, in furchtbare Krämpfe verfiel. Ein solches vertrauungsvolles Sichgehenlassen war aber bei Klinger etwas so ganz Ungewöhnliches, daß er mit sich darüber zürnte und es mir nicht vergeben konnte, Thränen in seinen Augen gesehen zu haben. Es vergingen Wochen, ehe ich ihn wieder sah; endlich aber kam er doch und dann immer häufiger, so daß es bald zur Regel wurde, daß er wöchentlich zwei- bis dreimal Vormittags zu mir kam und einige Stunden blieb. Klinger liebte sein deutsches Vaterland treu und kräftig; er war stolz darauf ein Deutscher zu sein; aber von diesem innig geliebten Vaterlande glaubte er sich vergessen und er war es auch wirklich vor 30 Jahren. Sein Name klang nur noch wie eine Sage aus der Sturme und Drangperiode unserer Literatur und das schmerzte ihn tief. Ich kam nun im Jahre l815 nach Petersburg, voll der glühendsten Begeisterung für die erlebte, große Zeit des Befreiungskrieges und mit einer ihn überraschenden Kenntniß seiner Jugendzeit, seines jugendlichen Lebens und Wirkens und der Zeitgenossen desselben. Seit meinem dreizehnten Jahre hatte ich täglich einige Seiten in Klinger’s Werken gelesen und als gleich in der ersten Zeit meines Aufenthalts in Petersburg ein Aufsatz über ihn im Morgenblatte erschien, den ihm unser beiderseitiger Freund Graf Gustav Sivers mittheilte, dankte er mir herzlich dafür. ,,Am Abend meines Lebens,“ äußerte er, ,,wird mir noch die nicht mehr gehoffte Freude, mich von Ihnen verstanden zu fühlen, wie mich nie ein Mann verstanden hat.“ Um dieses Wortes willen vergönne ich es mir, jenen Aufsatz hier einzuschalten.

,,Wenn Sie mich fragen, was mich von Allem, was ich in Petersburg gesehen, gehört, erlebt habe, am tiefsten ergriffen und den lebendigsten unvergänglichsten Eindruck in mir zurückgelassen hat, so nenne ich Ihnen Friedrich Maximilian Klinger, dessen persönliche Bekanntschaft in mir die Verehrung noch tiefer begründet hat, mit der ich mir früher seinen Namen als Dichter nannte. Wohl weiß ich, daß ich den Adlerflug des Geistes eines solchen Mannes nur zu bewundern, nicht zu fassen vermag, und oft geblendet meinen Blick vor der Feuerglut der Wahrheit senke, in die er kühn und unverwandt blickend, nur das Licht eines seinem Geiste verwandten Elements erkennt; aber ich fühle auch, daß ich in allen seinen Werken den Gang seiner Empfindung mit zu empfinden vermag und daß daher sein Bild in einer Lebendigkeit vor mir steht, die die Wahrheit der innersten Anschauung verbürgt. In dieser Hinsicht allein wage ich es, auch Ihnen, lieber H., einige schattenähnliche Umrisse zu dem Bilde dieses wahrhaft großen Mannes mitzutheilen.“

,,Klinger ist von Gestalt sehr groß und trägt sich stolz und edel. Seine Haltung ist nicht steif, aber militairisch, und vorzüglich liegt in der Art, wie er den Kopf trägt, etwas sehr Charakteristisches. Man sieht es ihm an, daß er immer gerade gestanden und sich nicht gebeugt hat. Das Bild vor der neuesten, in Königsberg erschienenen Ausgabe seiner Werke sieht ihm sprechend ähnlich; nur ist es viel jünger als er, wenn man ihm gleich auch im Leben seine sechzig Jahre und darüber nicht ansieht. In seinem Gesicht ist kein Zug der Milde, keine Freundlichkeit; aber auch durchaus nichts Hartes und Abstoßendes; nur Gepräge der Großheit und einer ernsten, im Laufe der Jahre vielleicht eisern gewordenen Kraft. Sein Sprachton ist herbe und doch hat sein Accent eine so erschütternde, so zermalmende und tiefgreifende Gewalt über das Gemüth, daß ich ihm aus meinem Leben und Empfinden durchaus nichts zu vergleichen weiß. Sie wissen es, H., wie ich aller weichlichen Empfindelei entschieden abhold bin und mich der Herrschaft über mein schnell- und tiefbewegliches Gefühl rühmen darf; allein so wie ich diesem Titanen gegenüber zum ersten Mal in meinem Leben den vollen Ernst der reinsten Ehrfurcht vor Menschengröße empfunden habe, so habe ich auch in der ersten Unterhaltung mit ihm bei einigen seiner Aeußerungen mein Blut kälter und immer kälter durch meine Adern rieseln fühlen. Ich weiß für den Eindruck, den er auf mich gemacht hat, nur einen Vergleichungspunkt, den des Erbebens, das mich bei Lesung des griechischen Trauerspiels: „Prometheus in Fesseln,“ durchschauert hat.“

,,Klinger’s äußere Verhältnisse sind sehr ehrenvoll und glänzend. Er ist General, Curator der Universität Dorpat, Director des Pagen- und Cadettencorps, sowie auch mehrerer der Erziehungs- und Wohlthätigkeits-Institute der Kaiserin Mutter unter seiner Aufsicht stehen. Seine Lebensweise weicht von der hier gewöhnlichen sehr ab, da er, außer bei Hofe, fast nur in seinem Geschäftskreise sichtbar ist, keine Gesellschaft, kein Schauspiel, kein Concert besucht, und, mit sehr seltenen Ausnahmen, nur für seine Pflichten und für seine Bücher lebt. In seinem Leben als Mensch, Gatte und Vater hat das Schicksal seine Kraft furchtbar ernst geprüft. Der Schmerz eines solchen Mannes hat etwas so Ehrfurchtgebietendes, daß ich ihn kaum anzudeuten wage. Er verlor in der Schlacht bei Borodinow seinen einzigen Sohn, der nach dem allgemeinen Urtheil werth war, der Sohn eines solchen Vaters zu sein; die Sonne des väterlichen Lebens versank mit der Blüte aller seiner Hoffnungen in dies Grab. Die unglückliche Mutter weinte sich über den Verlust ihres Lieblings blind.“ - -

,,Er hat hier viel Feinde; man schilt ihn rauh, hart, menschenfeindlich; allein auch die erbittertsten seiner Gegner lassen ihm den Ruhm einer strengen, unbestechlichen Rechtschaffenheit. Das ist auf jedem Standpunkt im Leben ein hoher, vor Gott und Menschen ehrenwerther Ruhm, auf dem, wo Klinger seit dreißig Jahren steht, ein sichrer Bürge des moralischen Heroismus in der Seele des Mannes, der ihn bewährte. Und kann man, darf man denn von dem Löwen erwarten und fordern, daß er wie eine Schlange schleichen, wie ein Fuchs listig, wie ein Lamm sanft sein soll? - dürfen gewöhnliche Menschen es sich anmaßen, für die Kraft und den Kampf eines solchen Geistes einen Maßstab haben zu wollen? - Ich kann natürlich über Klinger’s staatsbürgerliche Wirksamkeit kein Urtheil haben; mein Blick ist für dergleichen Gegenstände zu beschränkt, als daß ich mir getrauen dürfte, den Sinn, in dem er handelt, immer richtig deuten und fassen zu können; allein man muß doch voraussetzen, daß er den Standpunkt, von dem aus er wirkt, hell und scharf ins Auge gefaßt und klar zu überschauen vermag, was geleistet werden soll und in welchem Geiste es geleistet werden darf. Als eine Deutsche an liberale Ansichten gewöhnt; gewöhnt, die edelsten Männer unseres Volkes in ihrer Würdigung derselben übereinstimmen zu sehen, hat nun für mich Vieles von dem, was man hier hört und sieht, etwas recht schmerzlich Beklemmendes. So z. B. der streng militairische Zwang, der in Dorpat auf den edleren der dort studierenden Jünglinge wie ein eisernes Joch liegt, allen jugendlichen Aufschwung des Geistes lähmt und nur die Bildung zu mechanischen Geschäftsmaschinen für den Staat dulden und erzwingen zu wollen scheint. Wie schön, wie groß, wie wahrhaft königlich ist Gustav des Dritten in Upsala gesprochenes Wort: „in diesen Mauern kann man nie zu frei sein.“ Darf man denn die Würde des Jünglings als Mensch der bürgerlichen Zweckmäßigkeit so unterordnen, daß man ihm das Glück des frischen, jugendlichen Lebensmorgens verkümmert und seine Bildung zur Größe des Weitblickes hemm? Soll denn nicht die Universität für ihn ein Ort sein, wo er sich zum Menschen bildet, ehe er Staatsdiener wird, und muß sie, wenn er sich zu dem Ersten bilden soll, nicht für ihn ein Asyl der Freiheit sein? Ist unsere Zeit nicht darin edel, daß die blos mechanische Thätigkeit einer bestimmt begrenzten Geschäftsbildung ihrem Geiste nicht mehr für ihre Söhne genügt? - Nie wird der Wille des Einzelnen, selbst nicht der Wille des Herrschers, dem Lebensstrom der Menschheit eine willkürliche Richtung zu geben vermögen; aber er soll das Organ des Selbstbewußtseins derselben für die Menge werden und das Rauschen jenes mächtigen Stromes, den wir Zeitgeist nennen, soll uns durch die Willensthätigkeit der Lenker und Führer wie ein freies vernunftmäßiges Fortschreiten erscheinen. - Wer möchte glauben, daß es Klinger an Achtung für die Jugend und das edelste Ziel ihrer Bildung fehlen könnte? - Wo man das Wirken eines solchen Mannes nicht versteht, muß man schweigen, vorzüglich da, wo es so schwer auszumitteln ist, inwiefern sein Wirken ihm eigenthümlich angehört. Ihn darüber in Anspruch nehmen zu wollen, wäre ungeziemende Kühnheit; nicht für den, der als freier Mann den Beruf hat, das Heiligthum des innern Lebens, Feiheit, Wahrheit, Recht zu vertheidigen; wohl aber für mich, die ich als Frau keineswegs meine Gefühlsansicht als klare, geistige Anschauung auszusprechen, berufen und fähig bin*).“




*) Im Jahre 1817 erbat Klinger seine Entlassung als Curator der Universität Dorpat.

Der Kaiserliche Winterpalst

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Auf dem Vieh- und Fleischmarkt in St. Petersburg

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Russische Parlamentaria beim Verlassen der Duma

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Volksleben in Petersburg

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