Über Klinger als Schriftsteller

"Ueber Klinger als Schriftsteller hört man hier so beschränkte und albern absprechende Urtheile, daß man ganz verdutzt wird, wenn man sie hört. So sagte mir z. B. noch vor einigen Tagen eine junge, durch ihre Geistesbildung hier sich auszeichnende Dame, die mir mit recht wohlgefälligem Behagen von Voltaire’s Witz und seiner, freilich unnachahmlichen und unübertrefflichen Gabe, das Heiligste in den Sumpf der Persiflage herabzuziehen, gesprochen hatte, mit einer Art von frommem Entsetzen: sie habe nie eine Zeile von Klinger gelesen, da seine Werke als gotteslästerlich viel zu verrufen seien, als daß sie es wagen möge, sie zu lesen. Ja freilich hat er nicht für unbärtige Knaben und empfindelnde Mädchen geschrieben! Der furchtbare Ernst seiner Dichtungen fordert ein Gemüth, das in sich die Kraft hat, ohne Schwindel in die finstre Tiefe blicken zu können, die das Menschendasein, von so Vielen zu ihrem Glücke ungeahnet, hat. Auch ist es wahr, daß, einzeln genommen, vielen seiner Werke die Versöhnung fehlt, so daß sie, so gelesen und beurtheilt, das Herz zerreißen; aber sie bilden ein Ganzes und nur als solches müssen sie aufgefaßt werden. Von Allem, was ich von der neuern europäischen Literatur kenne, erscheint mir nichts so plastisch schön, als Klinger’s Werke; ihnen fehlt der süße Reiz, die frische Lebenswärme, der milde Farbenzauber, mit dem die Malerei ihre Gebilde schmückt; sie sind, wie Marmorbilder, nur durch den Wiederschein geistiger Schönheit schön. Man hat in den letzten Jahrzehenden so viel über antik und modern geschrieben, so Vieles als Vergleichungspunkt und Beispiel des Gegensatzes zwischen beiden aufgestellt; aber, wie mich dünkt, den großen Reichthum an Ideen, der auch in dieser Hinsicht durch ein Studium von Klinger’s Werken erweckt und benutzt werden könnte, zu wenig beachtet. Klinger ist als Schriftsteller in mehr denn einer Rücksicht unvergleichbar. Die edle Einfalt seiner Diction, die Reinheit seiner Sprache, die Fülle seiner erhabenen Begeisterung, seine seltene Welt- und Herzenskenntniß, sein ächt philosophischer und dabei zugleich so genialisch kühner Blick in den geheimnißvollen Grund alles Daseins, in die verborgenste Tiefe des Menschengemüths, sind von wenigen erreicht, vielleicht von Keinem übertroffen. Was ihn besonders und eigenthümlich auszeichnet, ist die Verbindung des philosophischen Geistes mit dem Dichtergenius in ihm, eine Verbindung, die sich so innig unter den Deutschen, außer bei Klinger, vielleicht nur noch in Schiller offenbart hat; doch die innere Selbstthümlichkeit des Menschen spricht sich bei dieser Gleichheit des Strebens Beider sehr verschieden aus; in Schiller als reine Idealität, in Klinger als Heroismus der moralischen Kraft. Was Klinger geworden sein würde, wenn er in Deutschland gelebt, sich unter seinem Volke und mit seinem Volke fortgebildet hätte, ist ein interessantes Problem; allein nun lebt er seit dreißig Jahren in Rußland, in der Sumpf- und Stickluft des Hof- und Weltlebens. - Er, dessen Element die reinste Alpenluft moralischer Würde und erhabener Liebe hätte sein müssen, wenn seine hohe, reiche Natur zu einer ganz harmonischen Ausbildung hätte ge-langen sollen. Klinger’s Sinn, sein Thun und Sein brandmarkt alle feige, moralische Schwächlinge unserer Zeit; der Charakter des Mannes ist der Triumph der innern unbezwinglichen Willenskraft über das äußere Verhältniß, was er aber in diesen Verhältnissen nicht bewährt hat, was seinem Leben und seinen Werken fehlt, ist Glaube an die Kraft der Liebe. Das ist die große Schuldforderung, mit der dieser hohe Geist einst vor das Weltgericht treten wird und die nur ein höheres Dasein von ihm einlösen kann.“

,,Was ich von Klinger’s Werken mit vorzüglich liebe, sind seine beiden Trauerspiele: „Der Günstling“ und „Damokles.“ Ich ahne wol, daß ihnen etwas fehlt, um nach den Regeln der Dramaturgie und den einmal, Gott weiß von wem, zugeschnittenen Kunstformeln vollendete dramatische Meisterwerke zu sein; allein mit allen Kunsttheorien unbekannt, wird meinem Gefühle dadurch der Genuß derjenigen Schönheit nicht verkümmert, der sie für mich zu einem ewig frischen Duell der Erhebung und der Begeisterung macht. Von dem Jünglinge, der beide Trauerspiele lesen könnte, ohne daß wie ein Blitz durch alle Adern seines Empfindens die Flamme der unvergänglichen Sehnsucht nach einer großen That, nach einem großen Menschen schlüge, würde ich überzeugt sein, daß er der Alltäglichkeit angehöre für immer. Als Tragiker erinnert Klinger an Alfieri und Alfieri an ihn, und es ist der Beobachtung werth, wie sich der Norden und der Süden in der Tiefe des Gemüths beider Dichter eint.“


,,Klinger’s Romane umfassen Natur und Staat, Ideal und Wirklichkeit, alles Hohe und Nichtige des Lebens, alles Ewige und Vergängliche des Menschenherzens. Wer mit dem Glücke einer friedlichen Beschränkung auszureichen vermag, wem das Schicksal die Gunst gewährte, das, was keinVerstand der Verständigen ergründet, in der seligen Einfalt eines kindlich gläubigen Gemüths im Herzen zu tragen, der lasse Klinger’s Werke ungelesen. Sie können ihm nur rauben, wofür es keinen Ersatz hienieden gibt. Wessen Geist sich aber einmal die dunklen Räthselfragen des Schicksals über Zweck des Daseins, Willensfreiheit, Vorsehung und Ewigkeit selbst aufgeworfen hat, wer zu seinem innersten Sein, zum vollkräftigen Gefühl seines Lebens, der Begeisterung für Tugend und Wahrheit bedarf; wessen Herz blutet bei dem rastlosen Kampfe des Guten mit dem Bösen und bei all den zahllosen Gräueln der Weltgeschichte, bei dem scheinbaren Sieg der Finsterniß, bei der Gebrechlichkeit des Menschenherzens und der Zufälligkeit von - Menschentugend; - wer von hoffnungslosen Zweifeln sein Leben verfinstert, sein Herz beklemmt, seine Seele beängstet fühlt, der befreunde sich mit Klinger’s Genius, mit seinem kühnen Forschungsgeiste und dem erhabenen Sinn, dem die Menschheit auch in ihrer Erniedrigung noch Menschheit bleibt, und kräftige sich an seiner Kraft zu der Würde; sich selbst über das Gemeine in Welt und Leben unentstellt empor zu halten.

,,„Faust,“ „Raphael“ und die „Reisen vor der Sündflut“ stellen uns die Resultate auf, die die metaphysische Speculation, die Theologie und die Geschichte als Antwort auf jene dunklen Räthselfragen, dem Geist des Forschers bieten. Man hat Klinger vorgeworfen, Faust sei nur darauf berechnet, alle Illusionen der Phantasie in Bezug auf das wirkliche Leben zu zerstören, und einen tiefen Schatten auf das edelste Streben des Menschen zu werfen. In Faust ist uns freilich mit furchtbarer Energie das Bild eines edlen Geistes aufgestellt, in dessen Seele der Durst nach Wahrheit verzehrrend brannte, weil die Wissenschaft, von der er Labung hoffte, ihm nur Zweifel gab und Unmuth gegen den in ihm erweckte, der ihn fähig schuf, das Licht zu ahnen, und ihm doch die Macht versagte, aus der Nacht zum Lichte durchzudringen. Faust fühlt die Kette der Nothwendigkeit um den nach Feiheit strebenden Menschengeist geschlungen; keine Erdenmacht vermag sie zu sprengen und er fühlt sich schutzlos dem Hohn der dunkeln Macht dahingegeben, die durch die Folgen unserer Thaten der Freiheit des Willens und der Tugend des Menschen zu spotten scheint. Er geht unter und sein Untergang verkündet uns, daß die Speculation nur Räthsel aufzuwerfen, nicht sie für Glück und Frieden genügend zu lösen vermag.“

,,Gewährt die Theologie, was die Speculation versagt? Hat das, was sie uns, über die Grenzen der Vernunfterkenntniß hinaus, als Antwort auf die Räthselfragen der Speculation verkündet, Menschenwohl gegründet und edle Geister befriedigt? - Raphael ist eine schaudervolle Antwort auf diese Frage. Es gibt nichts tragischeres in der Geschichte der Menschheit, als daß sie Klinger den Stoff bot, seinen Raphael zu schreiben, und doch durfte dieser in dem Cyklus seiner Schriften nicht fehlen, ohne für Welt- und Menschenkenntniß eine Lücke zu lassen, die, damit das Ganze vollendet heißen konnte, ausgefüllt werden mußte. Wir wenden uns entsetzt von diesem gräßlichen Misbrauch des Heiligsten ab und forschen, welche Auskunft uns denn die Geschichte über jene in der Brust des denkenden Menschen ewig sich erneuernden Fragen zu geben vermag. Sie zeigt uns in den Reisen vor der Sündflut, wie der Mensch Religion, Staat und Wissenschaft zu Werkzeugen seines Unglücks durch Misbrauch erniedrigt hat und wie nur die dürftige Beschränkung eines rohen Naturzustandes ihm Frieden sichern und Ruhe gewährren zu können scheint. Aber darf er sich an diesem genügen lassen? Kann er es, da ihn ein zu seinem eigensten Wesen gehörender, von seinem Menschsein nicht zu sondernder Trieb rastlos treibt, das Warum seines Daseins ergründen zu wollen? - Und wo, wo soll er denn nun die Antwort auf das fragende Wort seiner Seele suchen? – „Giasar“ eröffnet einen neuen Weg, sie zu erhalten. Wir sehen in ihm die Bestimmung des Menschen in hoher Würde aus der moralischen Weiheit seines Willens entwickelt, und in ihr lösen sich die schreienden, herzzerreißenden Mistöne der früher erhaltenen Antworten in reine Harmonie auf. Giasar stirbt im Kerker den Tod des Verbrechers, aber sterbend konnte er sich sagen: „Um mich her sehe ich die Zeichen meiner Geliebten, ahne die Vernichtung meines ganzen edlen Geschlechts, sehe alle meine Zwecke zum Guten von der Hand eines Mannes zertrümmert, dem ich mich aufgeopfert habe; höre sie verspottet, sehe sie entstellt! In dieser Qual, dieser Finsterniß, diesem Zweifel erwarte ich den Tod des Verbrechers, und was ist es nun, das mir eine lichte, leuchtende Flamme vorhält in diesem schrecklichen Dunkel? durch was besiege ich diese Zweifel? Ich habe die Neigung zum Bösen besiegt. Die Reinheit meines Willens ist es, das Gefühl, nach dem Gesetz der Vernunft gehandelt zu haben; die Ueberzeugung, daß ein Wesen nicht vergehen kann, das durch den Verstand gewirkt hat, diese sind es, die mich erheben!“ –

,,In diesem erhabenen Glauben Giasars findet das Herz Beruhigung, Trost und Hoffnung; die Morgenröthe der Ewigkeit erquickt das thränendunkle Auge und der freie Geist begrüßt in ihr seine Heimat; aber nun tritt der kalte Verstand, die strenge Welterfahrung hinzu und forscht hohnlächelnd, ob jene himmlische Begeisterung mehr denn Schwärmerthorheit ist, der wir, einem Traume nachjagend, die Wirklichkeit opfern. - Diesem Zweifel begegnet Klinger in dem Faust der Morgenländer, in welchem er darstellt, wie jener Glaube nicht blos unentbehrlich zum Glück, sondern das Glück selber ist, und wie der Mensch, der diese heilige Flamme des Herzens durch den kalten Verstand auslöscht, sich selbst um den edelsten, den höchsten Gehalt des Lebens betrügt. Was ist schöner, als die aus Abdallahs Geschichte hervorgehende Lehren. Das Herz belebe die Blüte des Lebens, welche der kalte Verstand zu vertrocknen strebt. Die schöne Blüte wird dann reifen zur Flucht, in einfachen, stillen Thaten des menschlichen Lebens. Das Herz erschaffe die That, der Verstand überlege und rathe, Güte und Weisheit umschließen beide, dann geht der Sterbliche sichern und festen drittes einher, das Uebrige ist dann des Schicksals.“ -

,,Durch Abdallah zu der Ueberzeugung gelangt, die Liebe zu dem Wahren und Guten, die Begeisterung für das Schöne und Ewige gehören wesentlich als eine Bedingung unsers Glückes zu unsrer Natur, zu unsrer wahrsten und eigentlichsten Humanität, führt uns der Dichter nun in die um uns und mit uns lebende Welt ein, um an ihren Erscheinungen die Wahrheit dieses Endresultats aller seiner vorhergehenden Werke zu prüfen. Nicht mehr vergangene Jahrhunderte, nicht das wunderbar phantastische Morgenland sind der Schauplatz, der sich uns eröffnet, es ist die Gegenwart mit aller Frische ihres Lebens, es ist die jetzige Zeit selbst mit allen ihren Andeutungen, ihren dunklen Gewittern, ihren prophetischen Blitzen, ihren Spaltungen und der Gewalt ihres Kampfes, die sich uns hier in einer Eigenthümlichkeit und Klarheit offenbart, wie sie nur die umfassendste Weltanschauung, die vollendetste Menschenkenntniß zu erzeugen vermögen.“

,,Vielleicht gibt es kein treueres Gemälde des Zeitpunktes, in dem die französische Revolution zur Sprache brachte, was als mächtiger Gährungsstoff seit Jahrzehenden in den Gemüthern sich regte, als Klinger in der „Geschichte eines Deutschen der neuesten Zeit“ aufgestellt hat. Helvetius’ System, aus einem geistig-sinnlichen Zeitalter für ein sinnlich geistiges Geschlecht erbaut, der Widerstand, den Rousseau’s Idealität in der Glut der Phantasie dagegen bot, die Verzerrung aller einfachen Naturgefühle zur Empfindelei und Schwärmerei, die immer mehr sich entwickelnde Opposition gegen alle bestehende Form des bürgerlichen Lebens, die kränkliche Reizbarkeit eines ermatteten Geschlechts, das Alles ist hier mit Meisterhand geschildert. Die klare Anschauung der Vergangenheit kann allein unserm Blick auf die Erscheinungen der Gegendwart Sicherheit und Ruhe geben, und so ist Ernst von Falkenberg als ein Beitrag zur Veranschaulichung des Geistes der neuesten Zeitbegebenheiten nicht blos philosophisch, sondern auch historisch wichtig. Auch ist es eine Eigenthümlichkeit dieses Buches, daß es für unser Geschlecht eine, allen übrigen Klinger’schen Werken fehlende nähere Beziehung in sehr ernster Bedeutung hat. Die ästhetische Ueberbildung vieler Frauen unserer Zeit und die daraus hervorgehende Kränklichkeit der Idealität, die der wahren, frischen, kräftigen Gesundheit des Leibes und der Seele so sehr nachtheilig ist, ist in Amelie strenge und ernst warnend dargestellt. Möchte dieser Theil des Buches doch von recht vielen unserer gebildeten Frauen beherzigt werden, vorzüglich von den Müttern talentvoller Töchter! - Ernstes Schicksal als Bürger, Gatte, Vater, Freund ist zermalmend; aber er rettet aus dem verheerenden Orkan desselben den Glauben an die Tugend, die Zuversicht zu dem eigenen Herzen und dadurch über sein Schicksal erhoben, steht er, zwar still und trauernd, aber groß und ungebeugt da.

,,Jean Paulis bekannter Ausspruch über Klinger: „In ihm haben zwei Welten so lange mit einander gekämpft, bis die bürgerliche siegend vorwog,“ hat Klinger durch sein „Werk, ,,der Weltmann und der Dichter,“ widerlegt. Ein Mann, dem die Natur des Schwärmers Ernst, „das Leben des Weltmanns Blick“ gab, konnte freilich nur dies reiche Werk, diese unerschöpfliche Goldgrube der genialischsten Idealität und der scharfsinnigsten Weltanschauung schreiben und es wäre wol schwer zu entscheiden, ob man an diesem Werke, mehr die Tiefe des Gemüths, oder die in seltener Vollendung ausgeprägte künstlerische Form in der hohen Einfachheit der angewandten Mittel bewundern muß. Aber eine blos geistige Anschauung der Welt- und Lebensverhältnisse hätte, verbunden mit dem höchsten Scharfsinn ästhetischer Kunstbildung, ein solches Werk nicht hervorbringen, kein Mann es schreiben können, in dessen Innerem der Sieg der bürgerlichen Welt über die Ideale entschieden gewesen wäre. Solche Früchte wie dieses Buch entkeimen nur dem Herzen, nur dem Gemüth des Verfassers, so ein Buch läßt sich nicht machen, nicht erdenken; es kann nur aus dem Sein des Dichters hervorgehen, es muß gelebt sein und diese Individualität des Dichters durchstrahlt das Kunstwerk, so objectiv es dann auch sein mag, sie ist der unsichtbare geistige Zauber, der uns in den Dichtungen hoher Geister so unwiderstehlich ergreift, den die bloße Kunst nie zu erreichen, nicht einmal nachzuahmen vermag, und den wir in den Erzeugnissen des glänzendsten Talents oft vermissen, wenn es hervorbringt, was der Genius nicht eingegeben hat.“

,,In dieser Hinsicht sind auch die „Betrachtung gen über verschiedene Gegenstände der Welt und der Literatur“ als ein Schlüssel zu Klinger’s übrigen Werken, als ein Commentar zu seinem Leben und Sein vorzüglich wichtig. Selbst die uns in der Weltklugheit sonst überlegenen Franzosen haben in ihrer Literatur kein ähnliches Werk aufzuweisen, und man fühlt die dürftige Einseitigkeit, mit der sie das Leben auffassen, nicht tiefer, als wenn man La Rochefoucauld und Klinger in ihren sich an Form und Stoff des Inhalts ähnlichen Werken mit einander vergleicht. In Klinger’s Betrachtungen finden wir bei einer wahrhaft dichterischen Einbildungskraft den treffendsten Adlerblick des Geistes, hohen Sinn und ein Herz, das aus einem düstern Leben voll bitterer Erfahrungen die Energie gerettet hat, sich mit dem philosophirenden Geiste zu befreunden, der nur in den Wünschen, den Ahnungen und Hoffnungen dieses Herzens die Versöhnung mit den Räthseln dieser dunkeln Erde fand.

,,Die sittliche Verdorbenheit kann freilich mit außerordentlicher Kunstfertigkeit und mit einer ausgezeichneten Bildung und Verfeinerung des Geschmacks verbunden sein; allein die wahre Poesie quillt nur aus dem innersten des Gemüths hervor und der hohe Werth ihrer Schöpfungen liegt in Beziehung auf die Menschheit darin, daß sie durch ihre das Herz bewegende, die Seele erhebende Darstellungen die Begeisterung für das sittlich Schöne in unserm Gemüth erweckt und sie läutert und kräftigt. Das Höchste in der Kunst ist von sittlicher Schönheit unzertrennlich und dieser lebendige Ausdruck des Edelsten im Menschen ist es, der Klinger’s Werken in der Liebe edler Menschen Unsterblichkeit sichert, so lange auf dieser Erde Herzen schlagen, die für Menschenwürde zu erglühen vermögen. Er hat die Menschen geschildert wie sie sein sollen und wie sie sind; er hat es empfunden, inwiefern der Mann im thätigen Leben der Verwirklichung der Ideale der moralischen Welt in seinem Herzen entsagen muß, um in einer dem Schönen feindlichen Welt Gutes stiften zu können; aber in allen seinen Werken zeigt er uns den freien edlen Willen in der Brust des Menschen, das äußere Verhältniß beherrschend und dem Schicksal selbst nicht erliegend, und durchdringt unsre Seele mit dem Gefühl, daß keine Erdenmacht, und sei sie unsrer Fähigkeit zum Glück noch so feindlich, die Würdigkeit des Glückes in uns besiegen kann, so lange wir uns selbst treubleiben.“

Nach einem Jahre verließ ich Petersburg. Beim Abschied sprach mir Klinger den Wunsch aus, ich möge dereinst nach seinem Tode sein Andenken bei seinen Landsleuten zu erneuern suchen und noch in seinem letzten, 14 Tage vor seinem Tode geschriebenen Briefe wiederholte er diese Bitte. Sie war mir heilig. Als ich die Kunde desselben erhielt, schrieb ich in Zeit von sechs Wochen das Buch, das ich nun noch einmal in die Welt sende, weil ich diesen Beitrag zur Kenntniß des wahrhaft edlen und großen Mannes nicht mit in die Vergessenheit des Grabes versenkt wissen möchte, deren Schleier sich bald über mich und mein kleines Leben decken wird.

Wie lebhaft schwebt mir in diesem Augenblicke das Bild des letzten Tages vor, den ich mit Klinger verlebt habe. Er kam schon um zehn Uhr Vormittags, mich zu einer Fahrt nach Kamini-Ostrow abzuholen, da ich den Wunsch geäußert hatte, die 30 Landschaften aus der Krim, die mein Freund Karl von Kügelgen für den Kaiser Alexander gemalt hatte und die in Kamini-Ostrow in seinen Zimmern hingen, noch eimnal zu sehen. Diese Gemäldeschau war beendet und ich saß mit Klinger in dem kleinen Cabinet des Kaisers, als dieser, von dem wir glaubten, er sei in Zarskojé-Selo, ganz unerwartet zu uns eintrat. Auch ihn, den Mann, der damals noch Klinger’s schönste Freude, wie später sein bittrer Schmerz war, sah ich an jenem Morgen zum letzten Male. In meinem Alter ist mir noch die Freude geworden, Klinger’s schriftstellerischen Werth neu anerkannt und gewürdigt zu sehen. Da aber Alles, was man von und über sein Leben und seinen Charakter gesagt hat, nur auf Hörensagen beruht, wird es Denen, die ihn als Schriftsteller ehren und lieben, doch auch interessant sein, ihn über sich selbst sprechen zu hören. Am 2. April 1818 schrieb er mir:

,,Da Sie, meine theuerste Freundin, mir vermöge der nur zu kurzen unvergeßlichen Zeit Ihres Hierseins, mehr als eine holde geistige Erscheinung, wie etwa in einem glücklichen Traume gesehen, vorschweben, so kommen mir auch Ihre Briefe zu wie eine willkommene Erscheinung von jenseits. Und dieses mußte erfolgen, da wirklich unser Zusammensein, Gegen- und Aufeinanderwirken, nur ein geistiges, intellectuelles Forschen in Beziehung auf uns, in Beziehung unserer verschieden aufgefaßten Weltansichten war. So wird mir Ihre Stimme aus der Ferne zu einer Erinnerung, an die man das knüpft, wodurch man etwas werth ist, sein uud bleiben will und kann. Da Ihr Leben nun, wie das meine, auf diesem Punkte ruht, so sind wir durch dieses Einverständniß ungetrennt durch die Entfernung; wir werden uns im Gegentheil noch vertrauter begegnen, denn das, was mir Ihre Reden, Ihre Blicke bis zur reinsten Wahrheit gesagt und bedeutet haben, wird durch Ihre willkommenen Briefe nur beurkundet. So mag denn dieser mächtige Talisman, das Binde- und Loosungswort zwischen uns sein und bleiben. Glück und Genuß im moralischen, intellectuellen selbstständigen innern Sein und als Bedingung des Lebens.

Die herrliche Rede unsers Alexander’s, welche er den l5. März in Warschau gehalten hat, wird Ihr Herz gehoben habend zu dieser Zeit, wo so Vieles geschieht, was Geister unsrer Art schlafend und wachend peinigt. Sie sehen, daß unser Alexander derselbe ist und bleibt, wie ich ihn l80l in meinen Betrachtungen verkündigt habe, und so erfüllt er das Ideal, welches ich damals mit Zuversicht und zu meiner Beseligung von ihm aufgestellt habe. Diese Rede ist eine Erhebung und Belebung aller edlen Geister, ein Strafvermahnungs- und Zurechtweisungswort, für alle Elenden, die aus Feigheit, Furcht, Selbstfucht, Verblendung unfähig sind und bleiben wollen, zu begreifen, daß Tugend, Muth zu ihr, Achtung der Menschen und Beförderung ihres Werths, die wahre und ächte und zuverlässige Stärke eines Regenten sind. So hat nun Er, an den Keiner das Recht hatte, das zu fodern, was er hier gegeben hat, durch sein edles Gemüth, seinen hellen Verstand den schönsten Lorbeer der Regententugend erworben, nach dem so viele seines Standes (von denen man berechtigt ist, es zu fordern) nicht aufzublicken und zu reichen wagen, weil das feige, verblendete Herz, der verkehrte Verstand in der offenbarten Wahrheit nur ein schreckendes Gespenst erblicken. Wenn nun Er, der seiner Tugend, der sich selbst vertraut, aus freiem Gemüth, den Lorbeer frisch und blühend um seine Stirn flechten kann, so kommen Andere nur dazu, versengte, abgefallene Blätter, getrieben von einer andern Frucht, aufzulesen. Die Wirkung auf mein deutsches Vaterland muß mächtig sein, denn das Wort kommt von dem Großmächtigen ganz unerwartet, und so fühle ich als Deutscher das Herrliche davon gedoppelt.

Sie lassen die Frauen mich fragen: Und was gelten wir denn diesem Manne u. s. w. Hier die Antwort aus meinem Leben und aus meinen Schriftten, die das äußere Zeichen von meinem innern Leben sind. Ich habe eine gute, redliche, verständige Mutter gehabt, eine treffliche, so gute, schöne als geistreiche Schwester, die ich vor zwei Jahren durch den Tod verloren. Sie hinterließ mir vier Nichten, die mir durch ihre Briefe bezeigen, daß sie ihrer Mutter würdig sind. Ich habe eine treue, gute, gebildete, ganz ihren Pflichten lebende Frau gefunden. Aus der großen Welt und einer glänzenden Sphäre trat sie zu mir ein, als ich noch Subalterner war; sie wußte sich von dem ersten Augenblicke an in mein einfaches Wesen und Leben so zu schicken, daß sie keinen Blick mehr rückwärts warf. Was sie als Mutter war, hat sie bewiesen und beweist es zu meinem Leiden noch. Ihr muß ich, wie Sie wissen, ihr allein das Opfer meines längern Hierverbleibens bringen. Ich habe, wie ich Ihnen schon früher sagte, in meinen blühendsten Jahren eine Frau in Wien geliebt, die an Geist, Schönheit und Bildung eine der ersten ihres Geschlechts war. Ich habe sie geliebt mit aller Kraft des Herzens und des Geistes, mit allen meinen Fähigkeiten. Als ich nach der Beendigung der Reise, die ich mit dem damaligen Großfürsten Paul und seiner Gemahlin nach Italien machte, nach Wien zurückkam, erhielt ich die Botschaft ihres Todes mit meinen Briefen an sie, von denen die letzten noch unerbrochen waren. - - In meinen Werken finden Sie zur Beantwortung der Frage.

Die Mutter in den Zwillingen, im Günstling Arete, Imo in Damokles, Hermione in Aristodemus und selbst Medea. Dann Abbassa in Giafar, Rosa in Sahir und selbst die Frau in der Geschichte eines Deutschen. Wenn man mir nun als Widerlegung oder als Kehrseite den Schwur gegen die Ehe, die §§ in den Betrachtungen entgegensetzen wollte, so würde ich antworten: Da ich das Gemeine, Alltägliche so gut kenne, so beweist eben dieses meinen Glauben an das Höhere und bekräftigt die Möglichkeit und Wirklichkeit des aufgestellten, entgegengesetzten Ideals. - Da ich die gesammte moralische, politische Welt aus meiner Ansicht und Erfahrung, nach meinem Innern und von Außen darzustellen strebte - um des Friedens in meinem Innern willen - so hab’ ich doch wol nicht die Frauen, das schönste Gebilde derselben ausgeschlossen. So wußte ich doch wol aus eigner Erfahrung und eignem Anschauen, daß sie eigentlich nur der beglückende Theil dieses Ganzen, theils wirklich sind oder es doch sein könnten? daß also ihnen Alles zum Preis oder Vorwurf zufällt, was uns zufallen mag; nur von Letzterem weniger, da die Männer die Welt anordnen, in der sie ihnen den Platz anweisen. Misfallen meine Schristen den lesenden und gebildeten Frauen, was ich recht wohl begreifse und sogar natürlich und recht finde, so ist der Grund davon gleichwol nicht Geringschätzung der Frauen. Daß die Versöhnung meinen Schriften fehle, kann es auch nicht sein, da eine der geistreichsten, edelsten und bedeutendsten Frauen im Morgenblatte angezeigt hat, was das Princip der Versöhnung in Klinger’s Schriften sei. So habe ich Ihnen denn abermals einen langen Brief über mich selbst geschrieben. Nehmen Sie ihn als einen Beweis meiner Gesinnung und meines Zutrauens zu Ihnen an; an einen Mann würde ich so nicht schreiben und so ist es ein Beweis mehr, was mir die Frauen sind; aber wahr ist es, ich rechne Sie zu den seltensten und edelsten, die mir begegnet sind, und danke Ihnen herzlich für Das, was Sie mir geworden sind und mir immer bleiben werden. Mit Verehrung und mit treuer Freundschaft,
Klinger.“

Auf einer mehr denn 50jährigen literarischen Laufbahn ist mir soviel Liebes und Freundliches zu Theil geworden, daß ich sie nicht verlassen kann, ohne den Lesern zum Abschiede ein Wort des Dankes zu sagen, die sich meiner noch aus ihrer eignen Jugendzeit erinnern. Das Lesepublicum, zu dessen Lieblingen ich einst gehörte, hat einem jüngern Geschlecht Platz gemacht; die Zeit ist zur dauernden Theilnahme an einfachen Darstellungen aus der Gemüthswelt zu ernst geworden; die Jugend hat jetzt andere mächtigere Interessen, andere Sorgen, Schmerzen, Hoffnungen und Illusionen als zu meiner Zeit; mir ist aber noch keine tiefe Kluft zwischen ihr und meinem Alter fühlbar geworden, und dankbar erkenne ich die Rücksicht - ich möchte es Pietät nennen - an, mit der mehrere unserer jungen Literaten das Andenken an eine der Lieblingsschriftstellerinnen ihrer Mütter geachtet haben. Im Alter, wo man keine Hoffnungen für das eigne irdische Dasein mehr hat und nur auf Erinnerungen beschränkt ist, bedarf man mehr als in irgend einem frühern Zeitpunkte des Lebens, der Kräftigung durch große Ideen und die Begeisterung für alles Schöne und Große, die seit frühester Jugend die Seele meines Daseins war, ist für mich noch nicht versiegt und ich hoffe, daß sie bis zu meiner Todesstunde mir wie ein vermittelnder Pulsschlag, mit den edlen Bestrebungen und Richtungen der Neuzeit, treu bleiben wird. Ich bin alt geworden, allein mein Herz bewahrt noch die Kraft zu glauben, zu hoffen und zu vertrauen und so verklärt sich mir das Abendroth meines Lebens zum Morgenroth einer schönern Zukunft für Deutschland und seine Söhne und Töchter.

Möchten diese zum letzten Lebewohl an alle mir in der Ferne Wohlwollenden gerichteten Worte, noch in manchen Herzen eine freundliche Erinnerung an eine, in unserer Literatur Verschollene wecken und mein Andenken bei ihnen erneuern.
Dessau, den l8. Februar l848.
Fanny Tarnow.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Zwei Jahre in Petersburg