Das erste Jahr in Petersburg

Der Winter floh an Klara rasch und angenehm vorüber; sie hatte nun schon ein Jahr in Petersburg verlebt und aus dem reizenden Naturkinde, das sie bei ihrer Ankunft war, begann sich eine ebenso geistvolle als liebenswürdige Frau zu entfalten. Das großstädtische Leben in den Hofcirkeln der Residenz hatte auf die Anmuth und die Eleganz ihres Benehmens den günstigsten Einfluß gehabt, der tägliche Umgang mit den ausgezeichneten Männern, die Nordeck in seinem Hause sah, und sein eigner, reger Sinn für Literatur und Kunst, für Philosophie und Geschichte der Menschheit hatten ihren Geist gebildet, ohne ihr doch die Frische der Ansichten und Empfindungen zu rauben, die sie zu einer ausgezeichnet interessanten Erscheinung machten.

Die Jugend ist ein Bild des Frühlings und im Leben, wie dieser in der Natur, das Schönste, was hienieden erblickt werden kann; wir müssen uns aber bei der Empfänglichkeit für ihren Zauber doch vor Ueberschätzung desselben schützen; sie selbst glaubt nur zu oft den ganzen Reichthum des menschlichen Daseins in sich und der Fülle ihrer Empfindungs- und Auffassungsweise beschränkt zu sehen und muß dann in späteren Lebensjahren diesen Irrthum schwer büßen. Als Nordeck Klara kennen lernte, war in ihr bei der Einfachheit ihres Lebenslaufs noch keine Ahnung erwacht, wie reich Menschenherz und Menschenleben an Wonne und Leid sein können; sie erfreute sich mit kindlichem Gemüth ihres noch ganz ungetrübten Daseins; sie war als Nordeck’s Gattin glücklich, und doch hatte die Stimmung ihres Gemüths sich geändert; in der Tiefe ihres Wesens war Manches, nicht gerade aufgeregt, aber doch angeregt, und sie stand bei erhöhter geistiger Lebensthätigkeit jetzt auf dem Punkte, wo sie entdecken mußte, daß die glücklichsten irdischen Verhältnisse doch noch oft in unsrer Seele für eine namenlose Sehnsucht Raum lassen. Man ist durch Das, was Andere von unseren Lebensverhältnissen sehen und wissen, selten sowol glücklich als unglücklich, sondern nur durch Das, was sie nicht sehen, was wir ihnen nicht sagen können, und was unsere Seele als ein gegen uns selbst oft nicht ausgesprochenes Geheimniß in ihrer eignen Tiefe bewahrt; so war auch in Klara’s Dasein ein Geheimniß, um das sie selbst nicht wußte, was aber einen leichten, gewissermaßen verschönernden Schleier der Wehmuth und der Sehnsucht über ihre Empfindungen warf. Vor ihrer Verheirathung hatte sie nie einen Roman gelesen; jetzt hörte sie aber zu oft von den neu europäischen Meisterwerken in dieser Gattung der Literatur reden, um nicht den Wunsch zu empfinden, sich mit ihnen bekannt zu machen; sie gab sich dem Zauber dieser Dichtungen ganz hin und lernte aus ihnen das Glück des Herzens von einer neuen, ihr bisher unbekannt gebliebenen Seite kennen. Ihre bisherige Ehrfurcht vor der Würde und der Bestimmung des Mannes schwand nun vor dem Glauben, die Liebe müsse auch in seinem Leben wie im Leben der Frau das Mächtigste und Wichtigste sein. Die Phantasie, diese höhere, geistige Sinnlichkeit, wurde durch diese Romanenlecture bei ihr in einem Grade entwickelt und gespannt, daß alle ihre Empfindungen, ihre ganze Seele gleichsam zu einem Instrument wurden, dem nur der Künstler fehlte, um in den feinsten Nuancen des Gefühls zu ertönen und das höchste Glück, alle süßen Schmerzen, alle seligen Klagen, alle Begeisterung der Liebe auszusprechen. - Ihrem innern Leben fehlte noch die nothwendige Kräftigung einer ernsten , immerwährenden Beziehung des irdischen Lebens auf das ewige. Jugend und Unschuld können sich nicht so nach der Gottheit sehnen wie Schmerz und Irrthum, und das höhere Leben des Menschen im Glauben - nicht das festhalten einer gewissen Autorität, sondern als innere Thatsache, als zuversichtliches Ergreifen des Göttlichen durch unwandelbare Willensrichtung - entwickelt sich nicht ohne Kampf, ohne Hülflosigkeit. Der Friede des Himmels zieht nicht immer in das Herz ein, das mit dem Irdischen zerfallen ist. Wer nur durch das Gefühl der Nichtigkeit alles vergänglichen Besitzes zur Sehnsucht nach dem Ewigen angeregt wird, den überfällt oft und lange die Pein dieses Gefühls, ehe seine Seele zur Aufnahme des Ewigen geläutert und ihrer fähig wird. Das Göttliche ist in unserer Seele von dem Irdischen wie der Kern von der Schale umgeben; es muß diese erst sprengen, ehe es sich emporringen kann zum freudigen Gedeihen in reinerer Himmelslust. Wir Alle müssen kämpfen, um im Nichtigen das Bleibende zu erringen; das Bewußtsein unserer höhern Bestimmung muß alle unsere Lebensverhältnisse durchleuchten, wenn es uns nie wieder verlassen soll. Bis der Mensch diese Klarheit gewonnen hat, flüchtet das sehnende Gemüth sich gern zu der Kunst, als zu einem Hülfsmittel, das die Gottheit selbst dem Sterblichen vom Himmel herabgesandt hat, um uns für den Glanz des höhern Lebens empfänglich zu machen; aber in der sinnlichen Schönheit ihrer Gebilde und in unserer Bewunderung ihrer Offenbarungen liegt für sterbliche Wesen die Gefahr wie eine Schlange unter Rosen verborgen. Nordeck, der seiner Klara gern durch eine ernsten Fleiß erfodernde Beschäftigung ein Gegengewicht gegen den nachtheiligen Einfluß des Müßigganges geben wollte, der von der Lebensweise einer vornehmen Frau unzertrennlich ist, wählte irrigerweise die Musik dazu und da sie eine ausgezeichnet schöne Stimme hatte, führte er ihr zur Ausbildung ihres Talentes die vorzüglichsten Meister dieser Kunst zu. Die Musik hat aber unter allen Künsten die reichste Sprache für leidenschaftliche Empfindungen, tausendseitig allen Farbenwechsel derselben in allen Abstufungen des Gefühls aussprechend, und in ihrer wundervollen Einheit doch von tausend ganz verschieden fühlenden Menschen gleichzeitig zu verstehen. Klara’s Wesen fehlte die Offenbarung der Liebe; in der Musik gingen ihr die geheimnisvollen Ahnungen dieses tiefsten aller Räthsel auf, und es entwickelte sich in ihr gleichsam eine Melodie der Empfindung, zu der ihr noch die Worte fehlten, um sie als besang ausströmen zu lassen. Diese Kunst hat mehr als jede andere unter dem Einflusse einer alle Gefühle verweichlichenden Zeit gelitten und sollte nicht eher wieder als Bildungsmittel für unsere Töchter benutzt werden, bis sie von neuem in ihre Würde emgesetzt ist und wir Deutschen auch wieder in ihr den Adel eines das Heilige in schöner Begeisterung auffassenden Gemüthes zu bewähren streben.


Mit dem Frühling kam für Nordeck der Befehl, den Kaiser auf einer Reise durch die südlichen Provinzen seines Reiches zu begleiten, und es wurde daher beschlossen, daß Klara die Zeit seiner Abwesenheit auf dem Lande, bei der Mutter ihrer Therese zubringen sollte. Nordeck versprach, sie nach seiner Rückkehr selbst von Lindenthal, wo sie den Sommer wohnen wollte, abznholen, und trennte sich mit schwerem Herzen von seiner Klara.

Lindenthal war einer der reizendsten Landsitze in Liefland, und Frau von Walden, die sich sehr durch den Aufenthalt der wunderschönen, vornehmen jungen Frau in ihrem Hause geschmeichelt fühlte, führte Klara gleich nach ihrer Ankunft von Zimmer zu Zimmer, um für sich dasjenige zu wählen, das ihr am besten gefalle. Dabei war sie unerschöpflich in Entschuldigungen, daß sie ihr keine bessere Wohnung anzubieten habe, und doch voll Erwartung, von ihr die geschmackvolle Einrichtung und die Schönheit des Hauses preisen zu hören. Klara, die nur in Theresens Nähe zu wohnen wünschte, war bald in ihrer Wahl entschieden; sie überließ es ihrer Jungfer, Alles gehörig zu ordnen, und eilte mit Therese in den Garten, um sich des köstlichen Fühlingsabends zu erfreuen. Bei der Heimkehr fanden sie Frau von Walden beschäftigt, nach ihrer Gewohnheit mit den Dienstboten zu schelten und sie alle hier und dorthin zu versenden, ohne ihnen Zeit zu lassen, einen ihrer Befehle gehörig auszuführen. Fau von Korsakow lag auf dem Sopha, um sich von der Ermüdung der Reise auszuruhen, und ihr Mann ging gelangweilt im Zimmer auf und ab und versicherte seiner Schwiegermutter, ihm sei nichts unerträglicher, als so ein Abend auf dem Lande, ohne Spiel und ohne Gesellschaft. Ihre Versicherung, daß sie schon morgen mehrere Gäste erwarte, und daß es ihm keinen Tag an einer Bostonpartie fehlen solle, machte ihn indessen etwas besserer Laune, und er that ihr die Ehre an, die Abendmahlzeit ganz erträglich zu finden.

Fau von Walden, der es nur um den Rang und die Zahl ihrer Gäste, nie um ihre Liebenswürdigkeit und ihren innern Gehalt zu thun war, hatte eine Menge Menschen eingeladen, sie auf ihrem Landgute zu besuchen. Therese und Klara fanden unter der Anzahl Derer, die sich einfanden, einige Originale, die sie für die Langweiligkeit der Anderen entschädigten. Klara hatte es von Frau von Walden erbeten, des Morgens auf ihrem Zimmer allem mit Therese frühstücken zu dürfen, und in diesen einsamen Morgenstunden fanden sie Ersatz für den Zwang des übrigen Tages.

Unter den Anwesenden war auch die wegen ihrer Schönheit und ihrer leidenschaftlichen Liebe zu ihrem Gatten gleich bekannte Fau von Lewof. Sie war wirklich ausgezeichnet schön, und ihre feinen regelmäßigen Züge hatten einen Ausdruck von Sanftmuth und Gefühl, der ihr alle Herzen gewann. Eine gewisse reizende Nachlässigkeit in ihrem Anzuge schien zu verrathen, daß sie, getrennt von ihrem Mann, der bei der Armee war, nicht darnach strebe, Anderen gefallen zu wollen. Täglich schloß sie sich einige Stunden ein, um an ihn zu schreiben, bei Spaziergängen sonderte sie sich oft von der Gesellschaft ab, um, wie sie sagte, seine Briefe, von denen sie immer die beiden letzten auf dem Herzen trug, zu lesen; sie sprach mit Jedermann von ihrer grenzenlosen Liebe zu ihm, von der Leidenschaft, mit der er sie anbete, und von der ungeheuern Kraft, deren sie bedürfe, um sich nicht ganz in den Schmerz dieser Trennung zu versenken und sich zu einer Theilnahme an den gesellschaftlichen Freuden zu zwingen, die doch alle keinen Reiz für sie haben könnten. In jedem Gespräch verstand sie das Lob der Treue und der Liebe einzuflechten, die sie als die sicherste Bürgschaft des Adels schöner Seelen pries. Man mußte, man sollte fühlen, daß sie eine durchaus ausgezeichnete und seltene Frau sein müsse, um so zu lieben, wie sie ihren Feodor liebte.

Wahrhafte Menschen besitzen einen eignen Seeleinstinct, der ihnen alle Affectationen verräth, und so fiel es auch unseren beiden Freundinnen gleich in den ersten Tagen ihrer Bekanntschaft mit der schönen Frau auf, daß sie mit ihrer Liebe Prunk zu treiben schien, und daß, ungeachtet der vielen geschriebenen und empfangenen Briefe, ungeachtet der einsamen Spaziergänge und des scheinbar vernachlässigten, aber stets sehr kleidlich gewählten Anzugs, Frau von Lewof doch keineswegs gegen das Vergnügen, Eroberungen zu machen, gleichgültig war und im Geheimen darauf ausging, die Zahl derselben, so viel nur immer möglich, zu vergrößern; ja, daß sie die Liebe zu ihrem Manne als einen Schild benutzte, unter dessen Schutz sie sich manche Anlockung erlaubte, mit der ihr glühend geliebter Feodor wol Ursache gehabt hätte, eben nicht sehr zufrieden zu sein.

So schön, so pflichtmäßig es auch ist, sagte Therese zu Klara, wenn eine Frau, eine Braut den Geliebten von ganzem Herzen und mit ganzer Seele liebt, so verletzt es doch immer mein Gefühl, wenn sie ohne Scheu, ohne Erröthen von ihrer Liebe spricht. Sie soll den Geliebten und die Liebe nicht verläugnen, wenn ihr das Glück geworden ist, sie vor der Welt bekennen zu dürfen: allein ein so keckes Aussprechen des tiefsten Gefühls, ein solches Enthüllen des Allerheiligsten unserer Empfindung erscheint mir wie eine frevelhafte Verletzung aller Grazie der Weiblichkeit. Wer kann in Gesellschaft von Gott und göttlichen Dingen reden? solche Gespräche entströmen unserer Seele nur in den Weihestunden des höhern Lebens, und so ist es mir ganz undenkbar, wie ich je, wenn ich einen Mann liebte, mit einer Andern als mit dir von meiner Liebe zu ihm reden könnte. Ja, mich dünkt, den Geliebten selbst würde ich mein Gefühl mehr errathen lassen, als es ihm so frank und frei im alltäglichen Gang des Lebens und des Gesprächs auszusprechen. Sollte man die Grazie der Weiblichkeit unter einem Sinnbild darstellen wollen, so müßte dieses ein Schleier sein: wir bedürfen seiner für unsere Liebe wie für unsere Reize und unsere Tugenden.

In dem Gefolge, das Frau von Lewof nach dem Beispiel aller russischen Damen mit sich führte, befand sich auch ein Vetter ihres Gemahls, der ihr um dieser Verwandtschaft willen, wie sie sagte, besonders theuer war. Sie hatte ihm oft kleine Heimlichkeiten zu vertrauen, sie wollte ihn nur mit sich beschäftigt sehen, während er sie sehr nachlässig behandelte, unaufhörlich schwatzte, unverschämt log und den Willen zeigte, sich über Jedermann lustig zu machen und Alles bespötteln zu wollen. Er machte eben kein Hehl daraus, daß er sich für den liebenswürdigsten und unwiderstehlichsten aller jungen Männer hielt. Ein einziger Mann in der Gesellschaft, die sich bei Frau von Salden versammelt hatte, verblödete ihn. Dies war der Graf Faiminzin, ein kalter, ernsthafter junger Mann, der wenig sprach, aber viel zu denken schien. Die besonnenste Klugheit schien ihn in Allem zu leiten, was er that und was er sagte. Die Frauen behandelten ihn mit vieler Auszeichnung, ob er sie gleich oft langweilte; aber es war Mode, ihn interessant zu finden: die an Unart streifende Kälte, mit der er sie behandelte, reizte ihre Eitelkeit, und es ist ja heut zu Tage auch ganz gewöhnlich, daß ein Mann durch Impertinenz und Unmanierlichkeit sein Glück bei den Frauen macht.

Eine alte Gräfin Markow war der Popanz der ganzen Gesellschaft. Sie beehrte Frau von Walden mit dem Titel ihrer Freundin, und aus Freundschaft ließ sie es sich gefallen, den größten Theil des Sommers bei ihr auf dem Lande zuzubringen und dadurch für diese Zeit die Kosten eines eignen Haushalts zu ersparen. Frau von Walden fand sich durch diesen Beweis ihrer Anhänglichkeit sehr geschmeichelt, da die Gräfin einen großen Theil ihres Lebens an einem deutschen Hofe als Oberhofmeisterin verlebt hatte und sogar mit einem kleinen regierenden fürstlichen Hause weitläufig verwandt war, was ihr in den Augen der Frau von Walden Werth und Bedeutung gab. Das Lieblingsstudium der Gräfin war die Genealogie aller fürstlichen Häuser Europas, und sie ließ keine Gelegenheit entschlüpfen, ihre Kenntnisse in diesem Fache auszukramen. Ebenso genau kannte sie die Familienverbindungen vieler adeligen Geschlechter, und ihr Gedächtniß dafür war wirklich bewundernswürdig. Sowie in der Unterhaltung nur irgend Jemand einen ihr bekannten Namen aussprach, so war es, als ob ein Uhrwerk aufgezogen würde. Der Baron Wolf, rief sie, o den kenne ich recht gut! er ist aus dem Leizkow’schen Hause. Sein Vater war General; ach, wie oft habe ich mit dem getanzt! Sein Onkel war Gesandter in Dresden. Die Mutter war meine vertraute Freundin; sie war eine Gräfin - Gott, der Name schwebt mir auf der Zunge! - eine Ranzau, ja, ja, Emilie von Ranzau hieß sie. Ihr Vater war ein schöner Mann; er hatte eine verwitwete Gräfin Holstein zur Frau, deren Mutter gleichfalls eine Ranzau, aber aus dem breitenburger Hause war. Sie waren Beide Geschwisterkind. Der hochselige Prinz von Augustenburg sprach oft mit mir davon. Das war auch ein charmanter Herr, dem es unbeschreibliches Vergnügen machte, mit mir zu scherzen. Meine Antworten amusirten ihn stets, und er lachte oft so, daß ihm die Thränen über die Backen liefen. Ich ging zum Beispiel in meiner Jugend nie ohne Schleier aus, um meinen Teint, der sehr schön war, zu schonen; da pflegte denn der hochselige Herr oft zu sagen: Die Gräfin Markow und ihr Schleier sind so unzertrennlich wie Leib und Seele. Ich antwortete ihm einmal: Gnädigster Herr, ich bin nicht häßlich genug, um mich unter ihm verstecken zu wollen, und nicht schön genug, um mich nicht ohne Gefahr für Andere ohne ihn zeigen zu dürfen; aber es ist nun einmal meine Passion, einen Schleier zu tragen. Der Prinz wollte sich todtlachen und sagte: Es ist doch wahr, die Gräfin Markow ist die amusanteste Frau von der Welt, es fehlt ihr nie an einer Antwort.

Anekdoten dieser Art folgten auf jede ihrer genealogischen Erörterungen und brachten durch ihre öftere Wiederholung Alle, die verurtheilt waren, sie anhören zu müssen, zur Verzweiflung, ausgenommen Frau von Walden, die Alles, was sich auf vornehme, und vollends, was sich auf fürstliche Personen bezog, mit Ehrfurcht anhörte und sich keinen Zweifel daran erlaubte, daß die Gräfin eine sehr amusante Frau sei, da dies der Prinz von Augustenburg ja schon vor dreißig Jahren versichert hatte.

Ein Gegenstück zu der Gräfin Markow war der Baron J. Dieser sprach ausschließlich nur von sich und der Gunst, in der er bei diesem oder jenem mächtigen Manne oder Prinzen stand; hörte man ihn, so wurde man versucht zu glauben, daß er mit allen ersten Europas in Briefwechsel stehe und in die Geheimnisse aller Cabinete Europas eingeweiht sei. Korsakow, der sich dadurch täuschen ließ, machte ihm förmlich den Hof, um gelegentlich etwas von diesen vertraulichen Mittheilungen erlauschen zu können; J. spielte aber stets den Verschwiegenen und mußte es wol, da die Briefe, die er von bedeutenden Männern bekam, nie mehr enthielten, als die Anzeige, man habe seinen Brief erhalten und danke ihm für die guten Wünsche, die er darin entweder zum Geburtstage, zur Vermählung, oder bei sonst irgend einem Anlaß ausgesprochen habe; er konnte daher auch bei dem besten Willen nichts verrathen und mußte sich damit begnügen, anzudeuten, daß er viel entdecken könne. Seine Eitelkeit war übrigens so groß, daß sie seinen Umgang unangenehm machte; er hatte den übertriebensten Begriff von seiner eignen Wichtigkeit, da er alle Salons in Europa besucht, alle die Gesichter gesehen, die man darin erblickt, und es manchem bedeutenden Manne abgesehen hatte, ,,wie er sich räusperte und wie er spuckt“; dabei war er, wie Alle seines Gleichen, gegen Geringere ebenso übermüthig als gegen Vornehmere kriechend. Sprach man von einer hübschen Frau - nun ja, sagte er, sie ist ganz erträglich, aber seine Frau müßte man sehen, um zu wissen, was dazu gehöre, schön zu sein. Er liebte sie übrigens nicht, doch seine Eitelkeit verschönerte sie, weil sie sein war. Seine Kinder waren die schönsten und klügsten Kinder in der ganzen Welt, sein Haus das geschmackvollste, seine Equipage, seine Pferde, Alles war ganz unvergleichlich; kurz, er war der Mann, der Alles besser wußte, alle Andere übersah, und wirklich und in der That war er nichts als ein armer Tropf und der langweiligste Gesellschafter, den es geben kann.

Seine Schwester, die Baronesse J., war ebenso närrisch als er, nur in einer andern Art. Ihr Götze war die Mode, aber ihre Modesucht grenzte an Verrücktheit. Vom Morgen bis zum Abend sah man sie auf das sorgfältigste geputzt und immer in einer Stellung, als solle sie einem Maler sitzen. Sie dachte, träumte, sah nichts, redete von nichts als von ihrem Anzug; nie veränderte sich der Ausdruck ihrer Züge; nur dann überflog diese eine Wolke des Erstaunens oder der Geringschätzung, wenn sie eine reiche oder vornehme Frau schlecht oder sehr einfach angezogen sah, und sie selbst setzte auf ein Lob ihres Anzugs mehr Werth als auf eine Schmeichelei, die ihrer Gestalt und ihren Reizen galt. Glaubte sie sich aber in dem Gebiet der Mode und der Eleganz übertroffen, sah sie eine andere Frau schöner, reicher, modischer gekleidet als sie selbst, so war es um ihre gute Laune geschehen , und sie konnte Thränen des Unmuths und der Bosheit weinen. Dabei war sie nicht coquett; die Eroberung eines Mannes hatte keinen Werth für sie; ihr Herz empfand nicht das Bedürfniß, sich geliebt zu fühlen, und ein neuer Shawl war in ihren Augen von höherm Werth und sein Besitz wünschenswürdiger als die Liebe irgend eines Mannes.

Am mehrsten belustigte aber doch Frau von Friesen unsere beiden Freundinnen durch ihre Lächerlichkeit. Sie war schon lange nicht mehr im Besitz frischer Jugendblüte; da sie aber 20 Jahre jünger war als ihr 60jähriger Mann, so hielt sie sich noch für jung genug, um gefallen zu können und es sich zum Verdienst anzurechnen, daß sie keinen Anbeter fand. Gezwungen, auf die Huldigung, die die Männer der Jugend und der Schönheit darbringen, Verzicht leisten zu müssen, hatte sie sich selbst überredet, daß die Würde und die außerordentliche Klugheit ihres Betragens die Männer von ihr entfernt halte. Ihr Lieblingsgespräch drehte sich um die Sorgfalt, mit der eine Frau darnach streben müsse, ihren Ruf unversehrt zu erhalten, und dies vorzüglich dann, wenn sie das Unglück habe, die Gattin eines alten Mannes zu sein. Vollends dann, setzte sie seufzend hinzu, wenn dieser eifersüchtig ist!

Ihr hauptsächlichstes Bestreben war darauf gerichtet, ihrem Mann den Schein der Eifersucht zu geben; dies war aber eine schwere Aufgabe, da er der kaltblütigste und trägste Mann war, den man nur sehen konnte. Ein gute Mahlzeit, ein bequemes Sopha zum Ausruhen und des Abends seine Spielpartie, war Alles, was er zu seiner Glückseligkeit bedurfte. Er sprach nicht viel und dachte noch weniger; man sah ihm aber an, daß er das Leben viel angenehmer finden würde, wenn seine liebe Frau aufhören wolle, ihn in seiner Behaglichkeit zu stören, was sie in Gesellschaft stets auf eine höchst lächerliche Weise that. Wenn er sich z. B. nach Tische irgend ein Winkelchen suchte, um sein Mittagsschläfchen zu machen, setzte sie sich unter dem Vorwand, ihm die Fliegen abwehren zu wollen, neben ihn, und indem sie diese verjagte, gab sie ihm gelegentlich einen kleinen Klapps, der ihn aus dem Schlafe aufschreckte. - Guter Gott! rief sie dann sehr laut, bist du nun schon wieder argwöhnisch! Schlafe doch ruhig, ich bin ja bei dir, du hast nichts zu besorgen, ich werde mit Niemand reden! - Ihr Mann riß dann Mund und Augen auf, brummte einige unverständliche Worte und schlief wieder ein. Er ging nie spazieren, weil er dies zu mühselig fand, und zog es vor, am offenen Fenster sitzend, der frischen Lust zu genießen; allein obgleich er, da sein ganzes Leben ein Seelenschlaf war, nicht das Bedürfniß der Gesellschaft empfand und es vorgezogen haben würde, allein zu bleiben, war doch seine Frau durch nichts zu bewegen, die Gesellschaft auf ihrem Spaziergange zu begleiten. Ich darf meinen Mann nicht verlassen, antwortete sie stets mit einer Miene, die es ausdrückte, welch ein Opfer sie ihm dadurch bringe, und wie sie überzeugt sei, daß Jeder es fühlen und erkennen müsse, daß sie das Muster einer vortrefflichen Frau sei, und wie sehr die Bereitwilligkeit, mit der sie sich in die eifersüchtigen Grillen ihres Mannes füge, bewundert zu werden verdiene.

Vergeblich versicherte er ihr oft so einsylbig als möglich, daß es ihm lieber sei, allein zu bleiben. Sehen Sie, rief sie dann, nun ist er böse, und Sie können mir doch Alle bezeugen, daß ich nicht daran gedacht habe, ihn verlassen zu wollen. -Kam ihr Bedienter oder ihre Jungfer, ihr einen Befehl abzufordern, oder einen Auftrag auszurichten, so gebot sie ihnen, sich ihrem Gemahl zu nähern und laut zu reden, weil sie keine Geheimnisse für den gnädigen Herrn habe. Du würdest ja sonst wieder glauben, sagte sie, daß es etwas Verfängliches sei, was sie mir zu sagen haben; dein argwöhnisches Wesen bringt mich zur Verzweiflung; nie gab eine Frau ihrem Manne weniger Anlaß zu Eifersucht als ich, und doch quälst du dich und mich Tag und Nacht mit deinen eifersüchtigen Grillen!“ Alle diese Thorheiten ertrug ihr Mann mit Sokratischer Geduld; nur eine war ihm durchaus unerträglich, und dies war die Zumuthung, jeden Brief und jedes Billet zu lesen, die sie bekam oder schrieb; sie zwang ihn sogar, das Siegel jedes an sie gerichteten Briefes zu erbrechen. Eine tugendhafte Frau darf für ihren Mann kein Geheimnis haben, sagte sie ihm sehr feierlich, so oft sie ihn zwang, dies lästige Geschäft zu verrichten. Trotz dieser Vorsicht hätte sie aber deren doch sehr viele haben können, denn nie gewann ihr Mann es über sich, mehr als die erste Zeile eines Briefes zusammenzubuchstabiren; bei der zweiten schlossen sich seine Augen, das schwere Haupt senkte sich und das Blatt entfiel seinen Händen.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Zwei Jahre in Petersburg