Brautschau

Ein anderes Volksfest, zu dem Nordeck seine junge Gattin führte, war das der Brautschau im großen Sommergarten, das am zweiten Pfingsttage gefeiert wird. Dieser Garten, am diesseitigen Ufer der Newa, dessen Hintergrund der Michalow’sche Palast, der wie ein schauerliches Mausoleum emporragt, bildet, besteht nur aus einigen Alleen, die mit sehr schlechten Bildsäulen und Büsten verziert sind. Seine Dunkelheit hat keine Frische; seine Schönheit und seine Pracht besteht in, dem eisernen Gitter, welches nach der Newa hin seine Einfassung bildet. Ein Engländer, der zu Wasser in Petersburg ankam und in der Gegend des Sommergartens ans Land stieg, fand es so unvergleichlich und unübertrefflich schön, daß er sich sogleich wieder einschiffte, überzeugt, es könne in Petersburg nichts geben, das nach diesem Gitter mit seinen sechsunddreißig Gramtsäulen noch gesehen zu werden verdiene.

In diesem Garten versammeln sich an dem schon erwähnten Tage alle russische Kaufleute mit ihren Familien. Frauen und Mädchen erscheinen im größten Putze, reich mit Juwelen und Perlen geschmückt; hochroth geschminkt sitzen sie zu beiden Seiten der Hauptallee in langen Reihen. Die jungen Männer gehen langsam und ernst durch sie hin, sie mit prüfendem Blick musternd, und wenn ihre Wahl getroffen ist, wenden sie sich an eine jener Fauen, deren Geschäft es ist, diese Heirathen einzuleiten und abzuschließen. Haben sie nun von dieser Auskunft über die Familienverhältnisse und das Vermögen des Mädchens erhalten, so werben sie dann durch die Vermittelung dieser Frau um dasselbe.


Die Häßlichkeit der Russinnen fiel Klara auf; sie bat ihre Begleiter, ihr doch ein hübsches Gesicht auffinden zu helfen, aber es gelang ihnen nicht: unter dieser großen Menge von jungen Mädchen auch nur eines zu entdecken, das für mehr als leidlich gelten konnte. Dagegen zeichneten sich die Männer fast durchgängig durch die Schönheit ihres Wuchses aus.

Fast alle diese Ehen, sagte Rehbinder, als man sich am Abend um Klara’s Theetisch versammelte, werden ohne Liebe geschlossen, und ich habe mich oft gefragt, ob die Lieber im höhern Sinn des Wortes, wirklich ein Naturgefühl oder nur ein erkünsteltes Product unserer Verfeinerung ist.

Auf jeden Fall muß man doch annehmen, erwiderte Graf Sivers, daß die Veredlung des Naturtriebes zur Liebe durch die Perfectibilität des Menschen und in dieser begründet ist. Wir können sie daher kein erkünsteltes Product gesellschaftlicher Verhältnisse nennen, sondern wir müssen sie als die schönste Blüte seiner geistigen und sittlichen Entwickelung ehren.

Um diese Poesie der Liebe ist es doch ein sehr misliches Ding, sagte Graf Zeltern, ein geistreicher Weltmann, der mit an der Spitze des diplomatischen Corps in Petersburg stand, und man könnte wol gegen sie die Unwillkürlichkeit geltend machen, die uns zu Sklaven eines Eindruckes macht, dessen Ursprung sich in ein geheimnißvolles Dunkel verliert. Wäre die Liebe wirklich so erhabener Art, wie die Dichter preisen, so müßte ihr die Anerkennung, die Empfindung geistiger Schönheit zum Grunde liegen; man kann aber nie Rechenschaft ablegen, warum man liebt. Wir haben aber wol Alle die Thorheit begangen und begehen sie noch, uns selbst mit der Liebe zum Narren zu haben. Wohl Dem, der in dem Gott der Liebe nur ein muthwilliges Kind sieht, das mit den Grazien tändelt, und nicht den Götterjüngling, der im Götterrath Sitz und Stimme hat.

Als ernstes Schicksal betrachtet, sagte Baron Maltzahn, ein junger Deutscher, den Nordeck oft und gern in seinem Hause sah, wirft sie freilich oft einen dunkeln Schatten auf das ganze Leben; um sich aber mit ihr auszusöhnen, braucht man sich nur zu fragen, was die Jugend, was unser ganzes Dasein sein würde, ohne die beseelende Weihe dieses geheimnißvollen, mächtigen Gefühls? In dieser Frage liegt die Versöhnung mit ihrem Schmerz und verschatte er auch ein ganzes Erdenleben.

Wenn nur für unser inneres Leben der Augenblick nicht so furchtbar wäre, fiel Rehbinder ein, in welchem wir dies Gefühl, das wir als ein Band zwischen Himmel und Erde heilig hielten, tiefsten Schmerzen das Herz noch erfrischen. Wehe aber, wenn das Schicksal auch diese Schmerzen uns nimmt. La vie de l’âme est anéntie, sittôt qu’elle n’aime plus rien! - Sie, Graf Zeltern, machen der Liebe einen Vorwurf daraus, daß der Gegenstand, der sie uns einflößt, keiner geistigen Vorzüge bedarf, um Eindruck auf uns zu machen, und mir erscheint das gerade als eine Beglaubigung ihres höhern Ursprungs. Die Befriedigung unsers Herzens verbreitet eine so große Fülle von Glück über unser ganzes Wesen, daß wir, berauscht davon, es nicht vermissen, wenn der Verstand unbefriedigt bleibt. Nicht so im umgekehrten Falle. Auch bei den vollkommensten Genüssen des Verstandes blieben wir noch immer nüchtern genug, um die Leere unsers Herzens und mit ihr jene Sehnsucht zu empfinden, die uns dem Ewigen zuführt.

Wenn wir, nahm Nordeck das Wort, schon in der frischen seligen Jugendzeit, in der Blütenperiode der ersten, begeisternden Liebe zu der völligen Entwickelung unserer intellectuellen und moralischen Kraft gelangen könnten, so würde es wirklich in unserer spätern Lebenszeit keinen Ersatz für den Verlust dieses Jugendglückes geben. Es ist aber Naturgesetz, daß Blüten fallen müssen, wo Früchte sich entwickeln und reifen sollen.

So ernst, sagte Lafare, ein Attache der französischen Gesandtschaft, ist mir die Liebe nie erschienen; sie scheint mir auch einem Spiel zu gleichen, das um so unterhaltender ist, je weniger man darüber nachdenkt, was man eigentlich treibt.

Sie reden damit, erwiderte die Polin, der Nichtigkeit das Wort, die gegen die Schmerzen der Liebe schützt wie das Fieber gegen Ansteckung der Blattern.

Gewiß nicht, gnädige Frau, antwortete der Franzose. Es sind nicht alle frei, die ihrer Ketten spotten, und so oft ich es mir auch vorpredige und es mir fest einzureden suche, daß man die Liebe nicht als eine ernste Angelegenheit betrachten, sondern hübsch besonnen bleiben und es von den Verhältnissen bestimmen lassen muß, welchen Einfluß auf Glück und Zukunft man ihr anvertrauen darf, so erinnern mich diese Predigten nur zu oft gegen meinen Willen an das indische Sprichwort, das mit meiner innersten Natur im Widerspruch steht. ,,Sitzen ist besser als stehen, liegen besser als sitzen, doch das Allerbeste ist die Ruhe im Grabe!“

Alle lachten. Die Gefahr der Liebe als Leidenschaft, sagte Sivers, liegt freilich in den Fehltritten, zu denen sie uns nur zu leicht verleitet. Die gewaltige Naturmacht und Naturkraft, mit der sie uns gewissermaßen von der bürgerlichen Gesellschaft losreißt und die Welt für uns in einem Einzelwesen concentrirt, macht sie so gefährlich. Wäre dies nicht zu fürchten, so dürfte man ihren Schmerz nicht scheuen, denn auch der heftigste ist noch schön als erhöhtes Lebensgefühl. Leidenschaftslose Ruhe gilt der Jugend nur für Lebensfristung, nicht für Lebensgenuß. Wer aber von den Klippen, Gefahren und Abgründen des menschlichen Daseins redet, ohne je in der eignen Brust die Gewalt dieser mächtigsten aller Leidenschaften empfunden zu haben, gleicht einem Manne, der die Gefahren einer Seefahrt beschreibt, ohne je das Meer erblickt zu haben.

Die Natur selbst, setzte Rehbinder hinzu, hat aber der Allgewalt dieser Leidenschaft sehr weise ein Gegengewicht gegeben, indem sie sie vergänglich machte. Alle andere Leidenschaften wurzeln mit der Zeit tiefer in unser Gemüth ein; jede Befriedigung ihres Strebens führt ihnen frischen Lebenssaft, üppigeres Emporschießen zu; die Liebe allein ist flüchtig und erstirbt im Genuß ihres Glückes.

Es ist aber doch so schön an der Liebe, nahm Karl von Kügelgen das Wort, daß sie auf die Dürftigkeit des irdischen Lebens den Himmelsglanz eines höhern Daseins wirft, und gewiß, es ist keine nichtige Täuschung, wenn dieses, von ihrem Zauber angeglüht, uns erst in seiner wahren Bedeutung klar wird. Die Liebe entwickelt und bereichert den tiefern Sinn, das Schöne, Jahre und Ewige im Vergänglichen zu erkennen und zu empfinden; sie ist die Lebenskraft der edelsten Naturen und ein Mann, der nie wahrhaft geliebt hat, kann, wie mich dünkt, so wenig ein wahrhaft großer Mann sein, wie der Künstler, in dessen Seele kein Ideal lebt, ein Künstler genannt zu werden verdient.

Das sind, fuhr Klinger auf, die modischen, neuromantischen Lobpreisungen der Liebe, die das einfachste und schweigsamste aller Naturgefühle zu einem wunderlich aufgeputzten Popanz machen. Alle diese geträumte geistige Herrlichkeit der Liebe ist mehrentheils nur ein kaltes Wetterleuchten. Nach den Begriffen dieser Romantiker ist Alles, was sich im Leben ohne Liebe zu einem weiblichen Wesen erstreben läßt, nicht des Erstrebens und des Besitzes werth, und solche Schwächlinge ahnen nicht einmal, wie tief sie dadurch die Bestimmung des Mannes herabwürdigen, deren Zweck weit über die Sphäre des irdischen Glückes, weit über den Besitz eines Weibes hinaus erhaben ist. Entwickelung unserer intellectuellen Kraft, tapferer Kampf gegen alles Unwürdige in und außer uns, freies, ungehemmtes geistiges Leben, schweigendes Ausstreuen des Guten, das ist das Glück, das der Mann erstreben soll. Der Besitz eines Weibes muß ihm nur eine Zugabe sein: der Lohn seines Strebens nie das Ziel desselben.

Und doch, erwiderte Graf Zeltern, gründet sich dies von Ihnen gerühmte antik-classische Glück nur auf Liebe; freilich aber auf eine Liebe, die man von jedem Vorwurf der Vergänglichkeit und von dem Verdacht romantischer Schwärmerei freisprechen muß, da sie mit jedem Jahre unsers Lebens sich fester und fester in unser ganzes Sein verzweigt und uns mit der Wirklichkeit der Dinge immer inniger befreundet: nämlich auf die Liebe zu uns selbst. Diese ist die unzerstörbare Centralkraft der physischen und moralischen Welt, und die Natur hat ihr die mächtigsten Räder im Getriebe unsers Daseins anvertraut. Diese Liebe zu unserm eignen Ich ist nicht allein die beglückendste Liebe, sondern auch diejenige, die auf unsere Verhältnisse zu anderen Menschen den wohlthätigsten Einfluß hat. Nicht die Welt, die Selbstliebe ist der Schleifstein, an dem sich die rauhen Ecken unsers Charakters abschleifen, weil ihre Schärfe uns sonst selbst nachtheilig werden würde. Der Mensch wird Alles müde; nur nicht, sich selbst zu lieben. Auf dies Gesetz der zärtlichsten, unvergänglichsten Selbstliebe hat die Natur das Gebäude aller menschlichen Verhältnisse gegründet, und wer die Treue als eine unserer edelsten sittlichen Eigenenschaften preist, muß auch der Selbstliebe Gerechtigkeit widerfahren lassen; denn wer liebt so treu, wer bleibt so ununterbrochen verliebt, wer ist so unerschöpflich an zarten Aufmerksamkeiten, wer entschuldigt und beschönigt so alle Fehler, wer erkennt und rühmt so alles Gute, als der Egoist, seinem eignen, geliebten Ich gegenüber, das ihm in keinem Augenblicke seines Lebens aus dem Sinne kommt?

Alle lachten und meinten, er sei vorzugsweise fähig, die Freuden der Selbstliebe zu preisen. Es läßt sich leicht beweisen, fuhr er fort, daß alle geistige Freuden der Liebe zu einem andern Wesen nur die Selbstliebe zum Ursprung haben. Der größte Reiz eines Herzensverhältnisses besteht darin, daß wir uns von der Geliebten weit über all unser Verdienst und Würdigkeit hinaus gelobt, gepriesen, bewundert, uns allen Anderen vorgezogen fühlen, und daß wir mit Niemand als mit ihr so viel von unserm eignen Ich reden können. Jede andere Liebe ist daher eigentlich auch nur ein schwacher Abglanz dieser unvergänglichen Selbstliebe. Und dabei nun die Bescheidenheit, mit der man sich gemeinhin an einer ziemlich oberflächlichen Bekanntschaft mit sich selbst genügen läßt. Man redet freilich gern von sich selbst, aber nur Wenige können und mögen über sich mit sich selbst, geschweige denn gar mit Anderen reden. Selbst Napoleon hat dies letztere zu thun vermieden, und doch ist beides ebenso weit von einander unterschieden, wie über sich selbst brüten und über sich selbst denken. Mit sich selbst geht man daher auch so schonend, so nachsichtig, so verbindlich um, wie mit keinem Andern; und wie gefällig und lieber voll weiß man sich nicht über die schwierigen Punkte durch die feinsten Sophismen da noch hinwegzuhelfen, wo man mit der gewöhnlichen Art des Selbstbetruges nicht mehr ausreicht! Könnte man sich doch selbst heirathen. dann gäbe es keine treulosen Gatten, keine Scheidung, keine unglückliche Ehe! -

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Zwei Jahre in Petersburg